Walther von der Vogelweide (ca 1170 - ca 1230)

  • Über Walther von der Vogelweide gibt es bereits eine Biographie


    Die Minnesänger und ihre Zeit


    Hier können allenfalls Details ergänzt werden und allegemeine Betrachtungen angestellt werden, beispielsweise, daß es ja zwischen den Liedermachern des Mittelalters große zeitliche Klüfte gab, so liegt beispielsweise zwischen Walther von der Vogelweide und Oswusbekannte Tatsache, die allerdings immer wieder verdrängt wird.


    Hier wollen wir uns allerdings mehr mit seinen Werken befassen und das Interesse für seine Musik wecken, die aus meiner Sicht recht zugänglich ist.


    Ich setze dort fort wo der Eintrag im oben verlinkten Thread endet, nämlich bei "Unter der Linden"



    Hier das Lied in der Interpretation von Knud Seckel. Persönlich finde ich, daß er - ohne wirkliche Eingriffe - das akademisch-Trockene vermeidet. Er vermag - durch seine hübsche Stimme, sein gutes, jugendliche Aussehen (zum Zeitpunkt der hier gezeigten Aufnahme war er 41, schaut aber jünger aus) und seinen suggestiven Vortrag - die Erotik des Liedes gut rüberzubringen - irgenwie kann man sich vorstellen daß das einst so geklungen hat. Natürlich ist da Show dabei, aber das war im Mittelalter sicher auch ein wichtiger Faktor. Im Anschluß singt Seckel ein Französisches Lied, welches gewisse Ähnlichleiten mit jenem von Walther aufweist.....



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    weil Vogelweides "Unter den Linden" und sein "Palästinalied" mit Melodey überliefert wurden, haben viele Mittelaltergruppen, auch Mittelalterrockgruppen beide interpretiert.


    Antalwin


  • Ich bin gerade am recherchieren - sozusagen "learning by doing" (wie wir Lateiner sagen :P:untertauch::hahahaha: )
    Wenn die Recherve stimmt, dann ist das "Palästinenserlied" das einzige Lied, dessen Melodie vollständig überliefert ist.
    Die Melodie von "Unter der Linden" taucht erstmals in einer Liedersammlung auf die ca 100 Jahre nach dem Tod Walthers von der Vogelweide geschrieben wurde (also um 1330)
    Somit besteht die Möglichkeit, daß die Melodie von jemand anderem hinzugefügt wurde, möglicherweise eine Nachahmung der Melodie, welche Knud Seckel zu dem französichen Lied (2. Hälfte des Videoclips aus Beitrag Nr 1) singt. Man geht in jedem Fall davon aus, daß diese Melodie Pate gestandenhat, egal wer nun die Fassung zu "unter der Linden" komponiert - oder bearbeitet hat.
    Ich frage mich allerdings in diesem Zusammenhang wo die Melodien weiterer Lieder, die man im Internet hören kann und wahrscheinlich auch auf CD gebannt wurden (dazu bei Gelegenheit mehr)
    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Und schon sind wir beim "Palästinalied" angelangt. Es wird gelegentlich angenommen, daß es sich hier um den 5. Kreuzzug (1280) handeln könnte. Ob Walther daran teilgenommen hat, oder ob es sich hier lediglich um ein literarische Phantasiegebilde handelt konnte bis heute nicht eindeutig gekärt werden.


    Das Palästinalied gilt als einziges Werk von Walther von der Vogelweide, welches komplett mit Melodie überliefert ist, wobei es möglich ist, da nicht alle Strophen original von Walther sind. Ausnahmsweise habe ich hier auch die deutsche Übersetzung aufgeführt, da per Wikipedia. Über existierende und verfügbare Einspielungen demnächst in diesem Thread.....



    1. Nû lebe ich mir alrêrst werde,
    sît mîn sündic ouge sihet
    daz hêre lant und ouch die erde,
    der man vil der êren gihet.
    Nû ist geschehen, des ich ie bat:
    ich bin komen an die stat,
    dâ got mennischlîchen trat.


    Nun erst lebe ich mir würdig,
    seit mein sündiges Auge
    das hehre Land und auch die Erde sieht,
    die man so vieler Ehren rühmt.
    Nun ist geschehen, worum ich immer bat:
    ich bin an den Ort gekommen,
    den Gott als Mensch betrat.


    alrêst, allererst zum ersten Mal; gihet Inf. jehen‚ von jemandem etwas sagen, jemandem etwas zugestehen


    2. Schœniu lant rîch unde hêre,
    swaz ich der noch hân gesehen,
    sô bist dûz ir aller êre.
    Waz ist wunders hie geschehen!
    Daz ein maget ein kint gebar,
    hêre über aller engel schar,
    was daz niht ein wunder gar?


    Schöne Länder, reich und herrlich,
    welche ich da noch gesehen habe,
    du übertriffst sie alle.
    Welche Wunder sind hier geschehen!
    Dass eine Jungfrau ein Kind gebar,
    hoch erhaben über aller Engel Schar,
    war das nicht etwa ein Wunder?

    dûz Kontraktion aus dû ez


    4. Hie liez er sich reine toufen,
    daz der mensche reine sî.
    Dô liez er sich hie verkoufen,
    daz wir eigen wurden frî.
    Anders wæren wir verlorn.
    Wol dir, sper, kriuze unde dorn!
    Wê dir, heiden, daz ist dir zorn!


    Hier ließ er sich rein taufen,
    damit der Mensch rein werde.
    Dann ließ er sich hier verkaufen,
    damit wir Unfreien frei würden.
    Sonst wären wir verloren.
    Wohl dir, Speer, Kreuz und Dorn(enkrone)!
    Weh euch, Heiden, dass ihr euch empört.


    eigen‚ Leibeigene, Unfreie; zorn, Unwille, Wut, Empörung, Beleidigung



    5. Dô er sich wolte übr uns erbarmen,
    hie leit er den grimmen tôt,
    er vil rîche durch uns armen,
    daz wir kœmen ûz der nôt.
    Daz in dô des niht verdrôz,
    dast ein wunder alze grôz,
    aller wunder übergenôz.



    Als er sich unser erbarmen wollte,
    erlitt er hier den grimmigen Tod,
    er, der mächtige, um uns Armer willen,
    damit wir gerettet würden.
    Dass er das nicht ablehnte,
    das ist ein allzugroßes Wunder,
    größer als alle anderen Wunder.

    verdrôz, Präteritum von "verdriezen"; alze ‚allzu; übergenôz, ohnegleichen


    6. Hinnen fuor der sun zer helle
    von dem grabe, dâ er inne lac.
    Des was ie der vater geselle,
    und der geist, den nieman mac
    sunder scheiden: êst al ein,
    sleht und ebener danne ein zein,
    als er Abrahâme erschein.


    Von hier fuhr der Sohn zur Hölle,
    aus dem Grab, darin er lag.
    Daher, was der Vater immer vereinte
    und der Geist, den nichts
    von ihnen scheiden kann: sie sind alle Eins,
    schlicht und ebener als ein Pfeilschaft,
    wie er Abraham erschienen war.


    des, deswegen, deshalb, daher; zein Ast, Strahl, Stab, Pfeilschaft


    7. Dô er den tievel dô geschande,
    daz nie keiser baz gestreit,
    dô fuor er her wider ze lande.
    Dô huob sich der juden leit,
    daz er herre ir huote brach,
    und daz man in sît lebendic sach,
    den ir hant sluoc unde stach
    .


    Nachdem er dort den Teufel besiegte,
    wie nie ein Kaiser besser kämpfte,
    kam er wieder in dieses Land zurück.
    Damit begann das Leid der Juden,
    weil er, der Herr, ihrer Haft entkam,
    und man ihn später lebend sah,
    den sie erschlugen und erstochen haben.


    baz, Komparativ von "gut"; houte, "Hut", hier: Gefangenschaft



    8. Dar nâch was er in dem lande
    vierzic tage: dô fuor er dar,
    dannen in sîn vater sande.
    Sînen geist, der uns bewar,
    den sante er hin wider zehant.
    Heilic ist daz selbe lant:
    sîn name, der ist vor gote erkant.



    Danach verweilte er in dem Land
    vierzig Tage lang. Dann ging er dahin zurück,
    von wo ihn sein Vater ausgesandt hatte.
    Seinen Geist, der uns schützen möge,
    sandte er sogleich wieder dorthin.
    Dieses Land ist heilig,
    denn sein Name stammt von Gott.


    zehant, sofort; erkant, hier: herstammend


    9. In diz lant hât er gesprochen
    einen angeslîchen tac,
    dâ diu witwe wirt gerochen
    und der weise klagen mac
    und der arme den gewalt,
    der dâ wirt an ime gestalt.
    Wol ime dort, der hie vergalt!


    In diesem Land hat er
    einen schrecklichen (Gerichts)tag angekündigt,
    an dem die Witwe gerächt wird
    und der Waise klagen kann,
    und (wie auch) der Arme, von der Gewalt
    die man ihm angetan hat.
    Wohl ihm dort, der hier vergalt!


    angeslîch ‚angsterregend‘, vergalt, hier: Gutes tat



    10. Unser lantrehtære tihten
    fristet dâ niemannes klage;
    wan er wil dâ zestunt rihten,
    sô ez ist an dem lesten tage:
    swer deheine schulde hie lât
    unverebenet, wie der stât
    dort, dâ er pfant noch bürgen hât!



    (Nicht) wie unsere Landesrichter es täten,
    wird da niemandes Klage aufgeschoben,
    denn er wird dort zur Stunde richten,
    so wird es sein am letzten Tag:
    Wer hier irgendeine Schuld
    unbeglichen hinterlässt, wie steht der da,
    dort, wo er weder Pfand noch Bürgen hat!


    vristen(Inf.), verzögern, aufschieben, hinhalten; zestunt, ohne Verzögerung, pünktlich


    11. Kristen, juden unde heiden
    jehent, daz diz ir erbe sî:
    got müeze ez ze rehte scheiden
    durch die sîne namen drî.
    Al diu werlt diu strîtet her.
    Wir sîn an der rehten ger:
    reht ist, daz er uns gewer.


    Christen, Juden und Heiden
    behaupten, dass dies ihr Erbe sei.
    Gott müsste es gerecht entscheiden,
    durch die drei seiner Namen.
    Die ganze Welt bekriegt sich hier.
    Wir sind mit unserer Bitte im Recht,
    und daher ist es Recht, dass er sie uns gewähre.


    heiden, gemeint: Muslime; ger, "Begehr", Bitte, Absicht



    12. Nû lât iuch des niht verdriezen,
    daz ich noch gesprochen hân.
    Ich wil iu die rede entsliezen
    kurzlîch und iuch wizzen lân,
    swaz got mit dem menschen ie
    wunders in der werlt begie,
    daz huop sich und endet hie.



    Nun lasst euch davon nicht verdrießen,
    dass ich noch weitererzählt habe.
    Ich will euch die Rede erklären
    in aller Kürze und euch wissen lassen,
    das was Gott mit den Menschen seither
    an Wundern in der Welt begonnen hat,
    das hat hier angefangen und wird hier enden.


    entsliezen, erklären, (den Sinn) offenbaren

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hier wieder 2 Klangbeispiele von youtube verlinkt.


    J_zjgZJOFl4&list=PLX3AlcE8cBPrPUi2Xc89l2enXuIyXi7X4


    Man findet das Lied auch auf der abgbildeten Codex Manesse CD (Nr 8)
    interpretiert von "I Scarlatani"


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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