Der Freischütz (Weber), Hamburgische Staatsoper, 22.05.2016

  • Eine Freischützaufführung hängt ganz entscheidend von der Qualität der Agathenstimme ab. Warum die Direktion mit dieser schwierigen Aufgabe das junge Ensemblemitglied Julia Maria Dahn betraut hat, bleibt mir ein Rätsel. Ihr an sich schön grundierter Sopran war mit den beiden Arien, aber auch in den Ensembles völlig überfordert. Weder schaffte sie es, ihre Stimme in der ersten Arie „Wie nahte mir der Schlummer“ frei strömen zu lassen, noch bekam sie bei der Kavatine im dritten Akt ein übermäßiges Vibrato in den Griff. Was mutet man dieser jungen Sängerin auch zu, schon während der ersten Saison mehrere Hauptpartien (von denen sie mich bisher einzig als Tatjana in Eugen Onegin überzeugte) zu singen. Ännchen dagegen war mit der sehr erfahrenen Kammersängerin Gabriele Rossmanith besetzt (vielleicht folgen als nächstes bei ihr ja noch Zerlina oder Barbarina). Mit schien sie ihre Stimme für die Ariette „Kommt ein schlanker Bursch gegangen“ mit einem gekünstelt wirkenden hellen Stimmklang an die jugendliche Verwandte Agathens angepasst zu haben. Auch ihr Spiel wirkte unnatürlich gekünstelt, was aber vielleicht auch der Regie (Peter Konwitschny) geschuldet war. Die Arie im dritten Akt und die Ensembles gelangen ihr besser. Max, gesungen von Daniel Behle, war ein Lichtblick im Sängerensemble. Sein Tenor zeigte sich sowohl in den lyrischen als auch den mehr heldischen Passagen klangvoll und der Rolle optimal angepasst. Ihn gehört zu haben, hat sich der Abend gelohnt. Den ersten Jägerburschen Caspar sang Vladimir Baykov mit kräftiger, aber, was die Diktion betrifft, etwas unverständlicher Stimme. Da Konwitschny ausufernd erzählerisch inszeniert hat (Spieldauer abzüglich Pause drei Stunden) ist für die Sänger auch der rein sprachliche Teil erheblich ausgedehnt. Gefallen hat mir der Tenor Benjamin Popson in der kleinen Rolle des Kilian. Ottokar (Kartal Karagedik), Cuno (Reinhard Hagen) und der Eremit (Runi Brattaberg) waren rollendeckend gut besetzt. Das Orchester unter der Leitung des versierten Christoph Prick war ebenso wie der Chor (Eberhard Friedrich) gut eingeübt und hätte der Aufführung bei einer adäquateren Besetzung der Frauenpartien und einer den musikalischen Ablauf weniger zerhackenden Inszenierung einen durchaus hohen Rang gegeben.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Eine Freischützaufführung hängt ganz entscheidend von der Qualität der Agathenstimme ab. Warum die Direktion mit dieser schwierigen Aufgabe das junge Ensemblemitglied Julia Maria Dahn betraut hat, bleibt mir ein Rätsel. Ihr an sich schön grundierter Sopran war mit den beiden Arien, aber auch in den Ensembles völlig überfordert.

    Zur Tröstung: Ich hatte Pfingstsamstag in Berlin auch eine ziemlich überforderte Agathe, insbesondere die erste Arie war ein Qual - zur Belohnung ist sie ein paar Tage später zur Berliner Kammersängerin ernannt worden... :D


    P.S.: Viel schlimmer an deinem Bericht finde ich, dass die Hamburgische Staatsoper offenbar nicht mehr in der Lage ist, den Kuno aus dem eigenen Ensemble zu besetzen...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Michael, Du hast natürlich recht, so wie Du es erinnerst; allerdings erschließt sich mir der Sinn des rückwärts gerichteten Gesangs nicht, auch reichte die Wand meiner Erinnerung nach nicht aus, um den vollen Klang der Stimme in den Zuschauerraum zu transportieren [...]

    Das stimmt schon, die Szene war akustisch durchaus etwas problematisch, allerdings ja nicht für lange, da sich Agathe dann bald zum Publikum hinwendet. Ich will eine kurze Deutung versuchen: Die Wand, gegen die Agathe singt, ist blau; und Blau ist ja auch die "Farbe der Romantik", wie auch die "Blaue Blume" ein Symbol der Romantik ist (vgl. hier) und Agathe, wenn ich recht erinnere, sogar die Blumen des Eremiten im Arn trägt!? - Ist es hier also so, dass Agathe gegen die Romantik ansingt? Vielleicht auch ein wenig im Sinne von Brechts "Glotzt nicht so romantisch!". Eine Haltung, die aus ihrer Situation heraus ja durchaus verstehbar wäre. Vielleicht schaue ich mir das heute abend genauer an und melde mich nochmal :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Die zweite Arie hingegen singt Agathe zu Beginn tatsächlich mit dem Rücken zum Publikum auf einer fast leeren Bühne;

    Ist das nicht ein wenig unhöflich gegenüber dem Publikum und auch gegenüber der Sängerin? Oder ist meine Erziehung altmodisch? Jemanden während eines Gespräches den Rücken zuzukehren ist unhöflich, so wurde mir das von meinen Eltern und in der Tanzstunde beigebracht. Oder ist das Vortragen einer Arie in der Oper gar nicht als Dialog im Sinne eines Gespräches zu betrachten??

    Nein, zum einen ich würde das Singen einer Arie nicht mit einem Dialog im Sinne eines Gesprächs vergleichen wollen und zum anderen halte ich Höflichkeit für die Qualität und Präsentation einer Opernarie für kein relevantes Kriterium.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich habe mir nochmal das entsprechende Bild dieser Szene angeschaut und für mich herausgefunden, dass Agathe nicht mit dem Rücken zum Publikum singt sondern gegen eine Wand. Konwitschny nimmt diese sprichwörtliche Wendung wörtlich und leitet das genau aus dem Text und der Situation ab, in der sich diese junge Frau innhalb dieser bekloppten Männerwelt befindet. Sie soll ja auch Recht behalten. Um ein Haar wäre die Geschichte ja auch tödlich verlaufen. Michaels interessanter Hinweise auf Blau als die Farbe der Romantik spielt optisch garantiert mit hinein. Für mich - der die Inszenierung allerdings nicht auf der Bühne sah - ist ist das ein genialer Einfall, wie ihn nur das vielfach gescholtene RT hervorbringen kann. Mit vielen derartigen Inszenierungen kann ich mich nicht als Ganzes anfreunden, in Details aber und angesichts der Fülle von Ideen verschlägt es mir oft den Atem.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

    Einmal editiert, zuletzt von Rheingold1876 ()