The Fitzwilliam Virginal Book - Die Sammlung und ihre Komponisten


  • Nach längeren Überlegungen habe ich mich entschlossen diesen - eigentlich undankbaren - weil a priori zum Scheitern verurteilten - Thread zu starten.
    Es handelt sich hier um englische Virginalmusik des sechzehnten und beginnenden siebzehnten Jahrhunderts - eine Musik, die zu Zeiten von Elisabeth I und ihres Nachfolgers Jakob I am englischen Hof äusserst beliebt war. Heute wird man indes nur eine kleine Minderheit an Musikfreunden davon begeistern können. Nun - für Aussenstehende härt sich nach einiger Zeit des andauernden Hörens ein Stücl an wie das andere -wie eine Bach-Kantate die andere, wie ein Vivaldi-Konzert das andere - wie eine Brucknersinfonie die andere - für AUSSENSTEHENDE, wohlgemerkt.


    Das ganze schaut natürlich ganz anders aus, wenn man sich mit den hier gesammelten Komponisten und ihren Werken eingehender befasst, dann gewinnen sie an Profil und man kann sie in vollem Umfang geniessen. Natürlich muß ein grundsätzliches Interesse und eine latente Affinität vorhanden sein....


    Der Infotext bei unserem Werbepartner cpo lautet folgendermaßen:


    Zitat

    Ein faszinierendes Projekt
    Diese bemerkenswerte Sammlung von Werken für das Virginal (eine Bauform des Cembalos) wurde im Fitzwilliam Museum in Cambridge gefunden. Es ist die größte Sammlung elisabethanischer und jakobinischer Tastenmusik aus der Zeit vor der ersten Musik für Cembalo. Sie ist komplett handgeschrieben und umfasst insgesamt 300 Kompositionen.


    Die CD ist die erste Veröffentlichung in einer Reihe von seltenen, aber sehr interessanten Werken für Cembalo und wurde von dem renommierten Cembalisten Pieter-Jan Belder eingespielt.


    Das komplette Fitzwilliam Virginal Book ist ein faszinierendes Projekt und das erste seiner Art.


    Dieser Text lässt vermuten, daß BRILLIANT CLASSICS plant, die Werke der gesamten Sammlung auf CD herauszubringen.
    Das wäre ein Projekt über Jahrzehnte. Seit 2012 sind bisher in 4 Folgen 8 CDs erschienen, etwa 90 Stück von existierenden ca 292. Die Sammlung enthält viele anonyme Werke, aber auch Werke der berühmtesten Komponisten dieses Genres in der angegebenen Zeit, manche sind ausschliesslich in dieser Sammlung überliefert, was sie natürlich besonders kostbar macht.


    Geplant ist, daß man sich ein geeignetes Stück aus der Sammlung sucht, diese in einem Beitrag bespricht (Das geht nur dann, wenn diese Melodie eine "Geschichte" hat - und es sind einige und einen Link auf den Thread des betreffenden Komponisten setzt. Andernfalls ist es wünschenswert einen neuen Thread über diesen Komponisten und seine Werke - über diese Sammlung zu starten. Ebenfalls ein Projekt für ein Jahrzehnt - aber wir erweitern dadurch unser thematisches Umfeld und unsere Interessengebiete.....


    Um das "Eintauchen" in die Zeit zu erleichtern werden wird behutsam Bilder aus der Tudorzeit, dem Elisethanischen Zeitalter und dem Jakobinischen einfügen


    mfg aus Wien


    Alfred
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Walsingham ist der erste Titel der Sammlung . Sowohl real, als auch auf CD.
    Zunächst ist Walsingham eine Gemeinde in England, in der Grafschaft Norfolk.
    Eine Adelige, Richeldis de Faverches hatt dort, der traditionellen Überlieferung nach eine
    Erscheinung der Jungfrau Maria. Walsingham entwickelte sich daraufhin zu einem Wallfahrtsort. Allerdings wurden in Zeiten der Reformation der Marienschrein (1538) teilweise und die geistlichen Bauten fast völlig zerstört.
    Aus vermutlich dieser Zeit ist eine Melodie überliefert, welche gemeinhin unter „Walsingham“ bekannt ist. Der Originaltext ist allem Anschein nach verloren gegangen und dürfte eher weltlicher Natur gewesen sein, es existieren indes zahlreiche Nachdichtungen, welche sich teilweise auf den Wallfahrtsort und den heiligen Marien-Schrein beziehen. Hier ein Beispiel;


    As I went to Walsingham,
    To the shrine with speed,
    Met I with a jolly palmer
    In a pilgrim's weed.


    Der Name der Melodie bezieht sich also ausschliesslich auf den Pilgerweg nach Walsingham, und hat mit dem zeitnah agierenden Berater und Geheimdienstschf von Elisabeth I von England, Sir Francis Walsingham (1532-1590) überhaupt nichts zu tun.


    Von dieser Melodie gibt es unzählige Fassungen und Variationen für Laute und Cembalo etc,
    In unserer Sammlung ist “Walsingham” der erste Titel, und zwar in der Fassung von John Bull (1562/63-1628), einem bedeutenden englischen Virginalisten und Komponisten der Tudorzeit.– siehe Abbildung.

    Wennglich der eigentliche Komponist unbekannt ist so gibt es von diesem Stück zahlreiche Bearbeitungen und Variationen, das Thema verbreitete sich durch das gesamte Europa dieser Zeit, und vermutlich schon früher, war also ein “Schlager”, der selbst in Stücken von William Shakespeare als Untermalung Verwendung fand…
    Es gibt zumidest eine weitere Bearbeitung dieser Meodie in dieser Sammlung, nämlich jene von William Byrd. Doch davon später.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Giles Farnaby (ca 1563-1640)


    Auch wenn ich nicht plane alle etwa 300 Titel der Sammlung im Detail vorzustellen, so setzte ich dennoch mit der zweiten Nummer der ersten CD fort. Pieter-Jan Belder spielt hier eine "Fantasia" von Giles Farnaby (ca 1563-1640) auf einem Rucker Nachbau von Cornelis Bom.
    Farnaby wird als einer der gro0en englischen Virginalisten betrachtet und mit William Byrd, Jahn Bull, Orlando Gibbons, Peter Philips und Thomas Tomkins auf eine Stufe gestellt. Er ist allerdings der einzige Musiker sieser Gruppe, der nicht professionell Musik macht. 53 seiner bekanntesten Stücke sind uns im Fitzwilliam Notenbuch überliefert, jener handschriftlich verfassten Sammlung von Virginalstücken der dieser Thread gewidmet ist.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Martin Peerson (1571/73-1650/51)


    Der nächste Komponist in unserer Sammlung ist der englische Komponist, Organist und Virginalist Martin Peerson, wo selbst die Lebensdaten nicht genau bekannt sind. (1571/73 Cambridgeshire, England - 1650/51 London) Begraben wurde er jedenfalls am 16. Jänner 1651
    Auch wenn er heute nur Insidern der Alte Musik Szene bekannt ist, zu Lebzeiten war er sehr geschätzt. Einflussreiche Gönner ermöglichten ihm, seine Werke in Druck zu geben, dennoch ist heute nur wenig erhalten. Im Fitzwilliam Virginal Book sind alle drei bekannten Stücke für Cembalo Soli aus Peersons Feder enthalten. Eines davon, Piper's Paven ist die Nr 3 auf der ersten CD der hier vorgestellten Edition.


    Mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • John Bull (1562/63 - 1628)


    Ich beziehe mich hier nun auf John BUll (*1562/63 † 1628), welcher in Beitrag Nr 2 bereits genannt wurde und in seiner Epoche der bedeutendste Virginsalist neben Willim Byrd war. Darüber hinaus war er auch Organist, Cembalist und Komponist, sowie zeitweise Professor am Gresham College (1597-1607) Interessan insbesonmdere die Sondererlaubnis der Königin, seine Vorlesung in englischer Sprache (statt Latein) abhalten zu dürfen. Es ist insofern bemerkenswert, da die Königin Katholiken (Bull war einer)

    üblicherweise zwar tolerierte, ihnen aber keine Vergünstigungen gewährte: Ebenfalls ein Kuriosum ist, daß Bull seine Professur 1607 anlässlich seiner Heirat verlor, denn die Profwssoren des Gresham College hatten ledig zu sein. Er führte anscheinen dein unstetes Leben. Seine Frau war 24, er 45 - später gab es gegen ihn Vorwürfe des Ehabruchs und einen Konflikt mit einem (anglikanischen Geistlichen)

    Im Fitzwilliam Virginal Book ist er mit seinen Werken überaus oft vertreten, folglich auch auf den Aufnahmen. Allein in Folge 1 (2CDs) der Edition ist er mit 10 Werken vertreten

    DA die Reihenfolge auf den CDs anscheinend nicht jener in der Sammlung entspricht wurden die (vermutlich aus dem Original stammenden) Nummerierungen in Römischen Zahlen hinzugefügt.


    Darüber hinaus ist zu den CDs anzumerken, daß BRILLIANT sich hier anscheinens selber übertroffen hat und zahlreiche unterschiedliche Instrumente für die Aufnahmen verwendet hat, alles feinsäuberlich dokumentiert. Mann muß sich nuir damit befassen....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Peter Philips (1560/61 -1628)


    Ist der nächste Komponist auf unserer ersten CD der Fitzwilliams-Edition.

    Auch er war katholisch, fühlte sich in England verfolgt und diskriminiert und ging deshalb vorerst nach Rom, war für kurze Zeit in Diensten von Kardinal Alessandro Farnese (Enkel von Papst Paul III). Er machte die Bekanntschaft seines ebenfalls katholischen und emigrierten Landsmannes Lord Page trat trat als Musiker in dessen Dienste. Sie bereisten gemeinsam Genua, Madrid, Paris, Brüssel und schließlich kamen sie nach Antwerpen. Aufmerksame Leser erinnern sich, dass dort auch John Bull sein Exil fand.. 1590 starb Paget und nach dem Tod seiner Frau und seiner Kinder wechselte Philips nach 1601 oder 1609 (?) in den geistlichen Stand.

    Philips befreundete sich mit John Bull, wobei man annimmt, dass das spätestens 1609 stattfand.

    Das kompositorische Schaffen von Philips ist sehr groß, etwa 50 Madrigale und Hunderte Motetten werden von Wikipedia angegeben.

    19 Werke für Tasteninstrumente sind im Fitzwilliams Virginal Book enthalten. Wir finden 3 davon in Folge 1 der Edition. CD1 und sind durch einen Strich getrennt, die Nummern entsprechen jener im Original, die Übertragung der römischen Ziffern in die heute gebräuchliche Schreibweise erfolgte durch mich


    Pavana Pagger (74)

    Galiarda (75)

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    Amarilli di Julio Romano (82)


    Mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621)


    war schon zu Lebzeiten ein bekannter Organist, Komponist und Lehrer.

    Seine Werke für Tasteninstrumente wurden erst nach seinem Tode gedruckt. Umso erstaunlicher, wie viel uns davon erhalten wurde - und das auch nur in Abschriften, denn die Originale sind verschollen. Auf der Folge 3 der Aufnahmen von Werken aus dem Fitzgerald Virginal Book finden wir auf CD 2 einige Werke Sweelincks, als einige der wenigen Stücke die nicht von einem Engländer stammen, vielleicht auch weil er mit Peter Philips (siehe vorheriger Beitrag) befreundet war.


    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dieser bedeutenden Sammlung englischer Cembalomusik ist ein Wikipedia-Eintrag gewidmet. Alle 297 Kompositionen sind darin in römischer Nummerierung aufgeführt. Man erfährt hier mehr über die Hintergründe und Entstehung dieser Notensammlung.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Fitzwilliam_Virginal_Book



    Daraus dieser Abschnitt zur Editionsgeschichte:


    "Die unhistorische Bezeichnung Queen Elizabeth's Virginal Book hielt sich hartnäckig bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Erst nach einer sorgfältigen Edition durch John Alexander Fuller-Maitland (1856–1936), Verfasser von musikalischer Fachliteratur und Musikkritiker von Times und Guardian, und den Musikbibliothekar des Britischen Museums William Barclay Squire (1855–1927), die im Jahr 1899 in London und Leipzig im traditionsreichen Musikverlag Breitkopf & Härtel erschien, setzte sich allmählich der Fachbegriff Fitzwilliam Virginal Book durch. Er leitet sich von seinem Aufbewahrungsort im gleichnamigen Museum ab."


    Den Notentext von Volume I aus dem Jahr 1899 kann man als 464seitiges PDF unter diesem Link herunterladen:


    https://musopen.org/de/music/39207-fitzwilliam-virginal-book


    Oder hier beide Bände


    https://imslp.org/wiki/Fitzwil…ian,_Francis_(the_Younger))

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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Das Label Brilliant Classics hat das Fitzwilliam Virginal auf CDs mit dem Cembalisten Pieter-Jan Belder herausgegeben. In Beitrag 1 von Alfred Schmidt sind die beiden ersten Doppel CDs erwähnt. Inzwischen ist man bei Volume 6, dem vorletzten Doppelalbum, dieser Edition angelangt.


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  • Inzwischen hat das Label Brilliant das Aufnahmeprojekt mit Pieter-Jan Belder (Cembalo, Orgel & Virginal) der Gesamt-Aufnahme des Fitzwilliam Virginal Books abgeschlossen. Die 15 CDs gibt es in einer Box.



    in der Lagerräumungsaktion gibt es preiswert eine Doppel-CD, die Joseph Payne (CD 1: Orgel & CD 2: Cembalo) eingespielt hat.


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  • The Fitzwilliam Virginal Book ist Demonstrationsobjekt der klanglichen Möglichkeiten der Tasteninstrumente:


    Vier davon, Cembalo, Clavichord, Virginal, Orgel bringt Martin Souter zu Gehör.


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  • Orlando Gibbons (1583-1625)


    Zwei Cembalo-Stücke in der Fitzwilliam-Sammlung stammen von Orlando Gibbons: eine Pavana und The Woods so wilde. Es müssten mehr Werke vertreten sein, wenn man die Bekanntheit und den Rang des Komponisten zur Zeit der Zusammenstellung beachtet.


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    Wie viele Komponistenkollegen der britischen insel genoss er in der Jugend eine fundierte musikalische Ausbildung: Er trat im Alter von sieben Jahren in den Chor am King's College in Cambridge ein, dem er von 1590 bis 1599 angehörte. Im Jahr 1614 wurde er Organist in der Kapelle des neuen Königs Jacob I. und blieb dort bis zu seinem Tod. 1623 erhielt er den Grad eines Doctors of Music in Cambridge, ein Jahr später übernahm er das Amt des Organisten an der Westminster Abbey in London. Orlando Gibbons zählt zu den bedeutendsten englischen Komponisten des 17. Jahrhunderts. Er wurde als ausübender Musiker gefeiert, seinen Nachruhm als Komponist verdankt er seinen Anthems und Services für den Gottesdienst und Instrumentalwerken für Gamben-Consort. The Cries of London vor allem das Madrigal The Silver Swan sind von den weltlichen Werken heute am bekanntesten.

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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
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