ORPHEUS AETATIS - Johann Kaspar Kerll (1627-1693)

  • Der am 9.4. 1627 im vogtländischen Adorf geborene Johann Kaspar Kerll war der Sohn eines Orgelbauers aus dem
    böhmischen St. Joachimstal, der im Zuge der "rekatholisierung" Nordböhmens ins nahe gelegene Vogtland emigrierte.


    Über seine Ausbildung, die er als Kind erhielt, können wir nur annehmen, daß ihm die Grundlagen für sein Orgelspiel, das ihn europaweit bekannt machen sollte, dort vermittelt wurden.


    Mit etwa 16 Jahren schon war sein Ruhm bis nach Wien gedrungen, wohin er sich begab und bei Erzherzog Leopold Wilhelm, dem jüngeren Bruder Kaiser Ferdinands II. einen Förderer und später auch Freund fand. Schon in dieser, dokumentarisch nur bruchsrückhaft belegten Zeit, muss er wieder katholisch geworden sein, denn der damalige Hofkapellmeister Valentini befand
    "ihme nichts weiter bey bringenn" zu können und er deligierte ihn mit Unterstützung des Erzherzogs nach Rom, wo Kerll seine Studien bei Carissimi und möglicherwiese auch Frescobaldi fortsetzte. Damals geriet er auch schon in den "Dunstkreis" der Jesuiten, und die Faszination, die davon ausging, war offenbar für sein ganzes weiteres Leben bestimmend.


    Der jesuitische Enciclopaedist Athanasius Kircher übernahm eine "Toccata sive Ricercata" in seine Sammlung "Musurgia universalis", die demnach die früheste überlieferte Komposition unseres Meisters wäre. Ab 1656 finden wir Kerll jedoch in München, wo er erst Vizekapellmeister am Hofe und nach dem Tode J.J. Porros zum Hofkapellmeister ernannt wurde.


    Von seinen in München komponierten 4, andere Quellen geben 11 an OPERN, (tut mir wirklich leid , lieber Lullist, hat sich KEINE EINZIGE erhalten !) Die Papiere, die ich für Ausschnitte aus dem 1657 entstandenen "Oronte" hielt, vermochten einer gründlichen Überprüfung nicht standzuhalten ! Im jahr 1673 verlies Kerll nach Auseinandersetzungen "mit neidischen Italiänern", wie Mattheson berichtet, München und ging nach Wien wo u. a. A. Steffani und F.X.A. Murschhauser seine Schüler wurden.
    Eine Schülerschaft von J. Pachelbel und J.J. Fux wurde oft vermutet, ließ sich jedoch nicht nachweisen.


    Im Jahr 1679 verlor Kerll seine Frau in Wien durch die Pest und in dieser Stadt erlebte er auch die Belagerung durch die Türken
    und die Verschleppung des mit ihm eng befreundeten Kollegen Alessandro Poglietti in die Sklaverei. Gegen Ende der 80ger Jahre scheint der Meister nach München zurückgekehrt zu sein um sich dort vor allem dem Druck und der Herausgabe seiner
    Werke zu widmen.Vom Kaiser geadelt und von Kollegen hoch geachtet verschied er am 13. Februar 1693 in München und wurde in der Augustinerkirche beigesetzt.



    Fazit:
    Kerll hat auf allen musikalischen Gebieten bedeutende Werke hinterlassen. Am längsten blieb noch seine Musik für Tasteninstrumente wirksam, die von Bach und Händel geschätzt und auch be- bzw. verarbeitet wurde. Durch "falsche Etikettierungen" wurden wesentliche dieser Werke Poglietti zugeordnet, so daß sich Kerll gezungen sah, ein Verzeichnis dieser Kompositionen zu erstellen, das jetzt zwar die Autorschaft klärt doch leider keine Informationen über den Original-Zustand dieser Arbeiten bietet.


    An "Bühnenwerken" blieb lediglich das "Jesuiten-Drama" "Pia et fortis mulier" (1677) erhalten, das dieser Tage im Rahmen des Kerll-Rosenmüller-Festes in der Geburtsstadt des Komponisten durch "Musica Fiata" unter Roland Wilson aufgeführt wurde. An diesem Werk lässt sich erkennen, daß Kerll eine ausgespochen dramatische Begabung besaß, hier gekoppelt
    an reiche Verwendung des Chores, so daß man umso mehr bedauern muss, daß die anderen Bühnenwerke des Meisters (zumindest vorerst) als verloren gelten müssen.


    Am bedeutendsen ist der Bestand an geistlicher Musik, beginnend mit geringstimmig besetzten Konzerten in der Nachfolge von Heinrich Schütz und gipfelnd in den Spätwerken der Messen und des "Requiem" das als einer der bedeutendsten Beiträge auf diesem Gebiet gelten darf.


    Anders als der weltläufige Biber, dem oft der Effekt wichtiger ist, als die Auslegung des Textes, war Kerll ein verinnerlichter,
    remabrandtsche Licht-Schatten-Facetten setzender Meister mit einer Vorliebe für vor allem dunkle Klangfarben und einem Hang zur mystischen Versenkung. Das macht ihn am Vorabend eines sich zunehmend rationalistsch gebärdenden Zeitalters
    zum faszinierenden "Orpheus aetatis" !



    Aufnahmen: Ich erwähne an dieser Stelle nur 3 Einspielungen, die Referenz-Charakter haben, obwohl zu sagen ist, daß auch der "Rest" an vorhandenen Aufnahmen hörens- und Kennenswert ist.


    Die vollständigen (freie) Werke für Tasteninstrumente werden hier von
    Joseph Kelemen auf der dafür hervorragend disponierten Egedacher-Orgel im Stift Schlögl (A) kompetent und kunstreich eingespielt:



    Die im Rahmen der Besetzung Wiens durch die Türken anno 1683 entstandene "Missa in fletu solatium" muss als eines der Hauptwerke des Meister gelten und wurde hier vom "Rosenmüller-Ensemble unter Arno Paduch adäquat eingespielt:



    Das "Requiem", das Kerrl für seine eigenen Funeralien bestimmt hatte, ist in seiner Düsternis und in seinen wahrhaft beeindruckenden Dimensionen
    eines der Spitzenwerke des an gewaltigen Kompositionen nicht eben armen 17. Jahrhunderts und wurde vom Hassler-Consort unter Franz Raml eingespielt. Erik van Nevels "dichtere" und fülligere Aufnahme aus den 80gern ist derzeit leider nicht lieferbar.


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,


    ersteinmal vielen Dank für den Threat.
    Das war schonmal sehr informativ. Danke auch für die CD - Tipps, dann werde ich mal sehen, ob ich die ein oder andere Aufnahme bekomme.


    Ich bin jedenfalls gespannt, kenne ich doch nur das Werk "Batalla Imperial" wohl ein Orgelstück, das Savall für Hesperion XX neu instrumentiert hat...

  • Hallo BBB,


    auch ich danke herzlich für den schönen und informativen Start in dieses Thema.


    Bei den CD-Tipps hat sich wohl ein klitzekleiner Fehler eingeschlichen, zumindest ist mir eine Einspielung des Requiem mit Paul van Nevel nicht bekannt. Wohl aber hat sein Bruder (?) Erik van Nevel zusammen mit den Sängern James Bowman, Max van Egmond, Ian Honeyman, Guy de Mey, Greta de Reyghere sowie dem Ricercar Consort dieses Werk aufgenommen, erschienen zusammen mit dem f-Moll Requiem von Biber beim Label Ricercar und, wie BBB schon schrieb, leider nicht mehr lieferbar.


    Mir sei noch der Hinweis auf die Missa Nigra gestattet, um die es u.a. in BBBs Rätsel ging:

    zur Missa Nigra von Kerll gibt´s noch von Steffani ein Laudate Pueri,
    Orpheus Chor München, Neue Hofkapelle München, Guglhör, erschienen bei Oehms


    Von diese Serie "Musik am Münchener Hof" gibt es noch eine weitere CD, die Werke von Kerll enthält, nämlich seine Missa superba, ein geistliches Konzert (Gaudete Pastores) und die Motette Regina caeli laetare. Weiters finden sich auf der CD, komponiert von Rupert Ignaz Mayr: Jubilate Deo; Marienvespern I & II; Salve Regina. Diese CD ist bei Arte erschienen. Beide sind derzeit günstig bei jpc für 9 bzw. 6 Euro zu haben.



    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo Salisburgensis,


    den "Nevel" hab ich mal sofort korrigiert, :D und es wär nett, wenn du etwas zur Aufnahme der "Missa Nigra" geschrieben hättest. Ich habe die lediglich unter "kennswürdig" einsortiert, weil weder Werkauffassung NOCH Interpretation mich überzeugen ! Aber was soll man machen, wenn man, wie bei Kerll, kaum die "Wahl" hat ???


    PS: Ist der Preis für das Rätsel schon bei dir eingetroffen ?

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hi BigBerlinBear,


    die Preis-CDs sind gestern angekommen, Dankus Maximus!! :jubel: :jubel: :D :jubel: :jubel:


    Ich besitze die beiden CDs mit Münchner Musik noch nicht, deswegen auch der Hinweis auf den verträglichen Preis, quasi als Selbstmotivation. :D Ich besitze zwei andere CDs mit diesen Ensembles (eine Haydn-Messe und was von Cavalli, da aber anderes Orchester). Die sind nicht so schlecht, dass man die Aufnahmen nicht noch ein zweites Mal anhören würde. Aber du hast insofern schon recht, als dass es sicherlich besser ginge. Wie dem auch sei, das ließ mich vermuten, dass auch die beiden vorhin genannten Aufnahmen ganz solide sein würden. Es ist auf jeden Fall unterstützenswert, dass man sich in München um das musikalische Erbe dieser Zeit kümmert.



    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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