Elektra in Essen, 23.03.2016

  • Nachdem ich vor zwei Wochen vom Essener „Holländer“ eher enttäuscht war (alberne Inszenierung von Barrie Kosky und weitgehend dürftige sängerische Leistungen), hat mich die „Elektra“ gestern Abend sehr beeindruckt. Die Produktion entstand in Kooperation mit der Flämischen Oper in Antwerpen und Gent und wurde dort bereits gezeigt. Die Premiere in Essen war am 20. März.


    „Ganz schön viel Blut“ merkte der vor mir in der Schlange stehende Mann beim Blick in das Programmheft an. Und tatsächlich nehmen der Regisseur David Bösch und die Bühnenbildner Patrick Bannwart und Maria Wolgast es sehr ernst, dass „Blut“ das wahrscheinlich am häufigsten gebrauchte Substantiv in dieser Oper ist: die Spuren des blutigen Mordes an Agamemnon, als „das Bad dampfte von deinem Blut“ (Elektra) sind überall noch sichtbar an Wänden und Boden, das „ewige Blut des Mordes“, das die Mägde „mit immer frischem Wasser“ vergeblich von der Diele abzuspülen versuchen. Und am Ende, als der heimgekehrte Orest dann die vom Gesetz der Götter und dem Willen seiner Schwester verlangte ungeheure Tat, seine Mutter zu ermorden, tatsächlich begangen hat, da läuft das Blut dann wirklich in Strömen die Wand hinunter, „aus hundert Kehlen stürzend auf dein Grab“, so wie es sich Elektra erträumt hat: die „Purpurgezelte [die] aufgerichtet sind, vom Dunst des Blutes“ werden Wirklichkeit. Das alles ist ungeheuer eindrucksvoll in Szene gesetzt, ohne jemals billig zu wirken oder auf vordergründige Schockeffekte zu setzen. Allein der in großen Buchstaben an die Palastmauer gemalte Spruch „Mama, where is Papa?“ (warum eigentlich auf Englisch?) wirkt etwas albern. Sehr rührend hingegen die von Elektra gesammelten Erinnerungsstücke an eine noch glückliche Kindheit: ein Photo mit Papa, Stofftiere, Stühlchen aus dem Kinderzimmer. Großartig in Szene gesetzt auch der Auftritt der Klytämnestra, die sich das Blut der von der Decke herabhängenden Opfertiere intravenös über lange Schläuche zuführen lässt:


    Jeder Dämon lässt von uns, sobald das rechte Blut geflossen ist. […] Und müsst' ich jedes Tier, das kriecht und fliegt, zur Ader lassen und im Dampf des Blutes aufsteh'n und schlafen gehn wie die Völker des letzten Thule in blutroten Nebel: ich will nicht länger träumen.

    Dass der Regisseur sein Handwerk versteht, hat man an der überzeugenden Personenregie gesehen, die freilich auch auf die darstellerischen Qualitäten insbesondere von Rebecca Teem als Elektra und von Doris Soffel als Klytämnestra bauen konnte. Aber nicht nur schauspielerisch, sondern auch sanglich vermochten diese beiden zu überzeugen. Herausragend Doris Soffel, die die „wachenden Sinns zerfallende“, zerstörte Frau großartig verkörpert. Aber auch Rebecca Teem hat die schwierige Partie mit ihrem kraftvollen Sopran hervorragend gemeistert. Eher blass hingegen Almas Svilpa als Orest (der mir zwei Wochen vorher als Holländer besser gefallen hatte), während Katrin Kapplusch die Chrysothemis solide sang, ohne die Figur wirklich mit Leben erfüllen zu können. Nicht vollends überzeugt hat mich das Dirigat von Essens GMD Tomáš Netopil: ich habe die Musik schon abgründiger, schroffer, expressiver gehört. Dennoch war es ein höchst beeindruckender Abend. Der Applaus am Ende war frenetisch, zu Recht gefeiert wurden Doris Soffel und insbesondere Rebecca Teem. Das Aalto-Theater war nur zu ca. 3/4 besetzt, für eine Vorstellung unter der Woche bei einem Stück, dass sicher keine leichte Kost ist, ist das wohl normal in einer Stadt wie Essen.


    Wer Strauss‘ Meisterwerk ebenso liebt wie ich (für mich ist es der Höhepunkt seines Opernschaffens), dem kann ich einen Besuch der Essener Produktion nur empfehlen.



    Die eingestellten Bilder habe ich auf Wunsch von Bertarido wegen möglicher Urheberrechtsverletzungen entfernt.


    Norbert als Moderator

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Bertarido, ich habe Rebecca Teem mal vor einigen Jahren in Lüebck als Götterdämmerungsbrünnhilde gehört, da hatte sie mir auch gut gefallen. Die eingestellten Bilder sind ja sehr informativ, passen auch zu dem blutrünstigen antiken Thema. In Hamburg wird man seit dem Direktionswecvhsel vor Beginn der Oper in unangenehmer Stadionmanier über Lautsprechen darauf hingewiesen, dass es "strengsten verboten" sei, Ton- oder Bildaufnahmen zu machen. Selbst nach der Vorstellung (handy-Fotos beim Schlussbeifall) werden die betreffenden Personen vom fast schon aggressiv auftretenden Personal darauf hingewiesen, dieses zu unterlassen bzw. die Fotos zu löschen. So etwas habe ich selbst in Moskau oder Petersburg in den Opernhäusern nicht erlebt. Denn gerade Fotos beleben die Rezension einer Oper ja ungemein, wie in Deinem Beitrag. Herzliche Grüße Ralf Reck

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Die eingestellten Bilder sind ja sehr informativ, passen auch zu dem blutrünstigen antiken Thema. In Hamburg wird man seit dem Direktionswecvhsel vor Beginn der Oper in unangenehmer Stadionmanier über Lautsprechen darauf hingewiesen, dass es "strengsten verboten" sei, Ton- oder Bildaufnahmen zu machen. Selbst nach der Vorstellung (handy-Fotos beim Schlussbeifall) werden die betreffenden Personen vom fast schon aggressiv auftretenden Personal darauf hingewiesen, dieses zu unterlassen bzw. die Fotos zu löschen. So etwas habe ich selbst in Moskau oder Petersburg in den Opernhäusern nicht erlebt. Denn gerade Fotos beleben die Rezension einer Oper ja ungemein, wie in Deinem Beitrag. Herzliche Grüße Ralf Reck


    Lieber Ralf, die Fotos habe ich nicht selbst gemacht, sondern aus dem Internet verlinkt. Das verstösst sicherlich auch gegen Urheberrechte, vielleicht könnte Alfred sich einmal dazu äußern, ob so etwas unerwünscht ist. Jeder Interessierte findet Bilder zu Inszenierungen über eine Google-Suche ja auch selbst sehr schnell, aber wie Du sagst: eine Rezension wird dadurch gleich viel anschaulicher. Den Lautsprecherhinweis, dass Bild- und Tonaufzeichnungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind, gibt es in Essen auch. Den Kampf dagegen halte ich aber für vergeblich, wer will schon kontrollieren, ob jemand ein kleines Aufzeichnungsgerät oder gar eine Aufnahme-App auf dem Smartphone mitlaufen lässt? Und wenn bei Youtube amateurhafte Mitschnitte veröffentlich werden, dann würde ich das als Verantwortlicher eher als kostenlose Werbung betrachten - deswegen verzichtet doch niemand auf einen Opernbesuch.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Bertarido,
    Kommen die Türsteher immer noch von Kötter Security ? In den 90 Jahren war ich häufig in Essen und habe immer im 2. Balkon erste Reihe Mitte gesessen. Dann hatte ich das Glück eine sehr nette Sängerin aus dem Ensemble kennen zu lernen und die hat mich dann immer mit Freikarten versorgt. An der Rheinoper hab ich das so gemacht das ich mir die Erlaubnis von oberster Stelle geholt hab, das ich Aufführungen mitschneiden kann, musste nur unterschreiben, das ich die Aufnahmen nur für private Zwecke verwende und nicht zum Beispiel auf YouTube hochlade. Und der Holländer war doch die Inszenierung, wo Senta im 2. Akt ein Kind gebärt, was eine Puppe ist. Bei der Premiere musste an der Stelle die Vorstellung fast unterbrochen weden, da es massive Proteste und wütende Zwischenrufe aus dem Publikum gab.

  • Lieber Bertarido,
    Kommen die Türsteher immer noch von Kötter Security ? In den 90 Jahren war ich häufig in Essen und habe immer im 2. Balkon erste Reihe Mitte gesessen. Dann hatte ich das Glück eine sehr nette Sängerin aus dem Ensemble kennen zu lernen und die hat mich dann immer mit Freikarten versorgt. An der Rheinoper hab ich das so gemacht das ich mir die Erlaubnis von oberster Stelle geholt hab, das ich Aufführungen mitschneiden kann, musste nur unterschreiben, das ich die Aufnahmen nur für private Zwecke verwende und nicht zum Beispiel auf YouTube hochlade. Und der Holländer war doch die Inszenierung, wo Senta im 2. Akt ein Kind gebärt, was eine Puppe ist. Bei der Premiere musste an der Stelle die Vorstellung fast unterbrochen weden, da es massive Proteste und wütende Zwischenrufe aus dem Publikum gab.


    Lieber rodolfo, welcher Sicherheitsdienst in Essen tätig ist, kann ich Dir nicht sagen.


    Koskys Holländer-Inszenierung ist von 2006. Die Geburt eines Kindes kommt im 3. Akt vor, ebenso wie die Kopulation mit einem Knochengerüst und anderes, im Rahmen der als eine Art von Hexensabbat inszenierten Chorszene. Zwischenrufe gab es keine.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.