Noch Kultur? Oder schon Politik? - Cembalist Mahan Esfahani muß Konzert in Köln unterbrechen

  • Das erinnert doch an Guido Westerwelle, der auch verlangte, dass Journalisten deutsch sprechen. Das kann man ja zur Not nachvollziehen, aber die Sprache des Künstlers ist die Musik und er ist nicht verpflichtet, Deutsch zu können.
    Ich kenne das Stück übrigens in der Originalfassung und kann überhaupt nicht verstehen, was außer einer gewissen Gewöhnung daran schwer zu verstehen sein soll. In den Kommentaren wird der Vergleich mit Schönberg vollzogen, das kann ich nicht nachvollziehen. Ich hatte immer Probleme mit Schönbergs Zwölftonmusik, mit Steve Reich noch nie. Reich, Glass und Pärt stellte sich für mich immer als der Weg aus der Sackgasse Zwölfton heraus.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Also ich würde diesen Vorgang nicht überbewerten. Dem Publikum im Sonntags-Abo hat das Stück nicht gefallen, also hat es das auch bekundet. Das passiert leider viel zu selten. Ich habe es auch schon erlebt, dass Vorstellungen wegen Tumulten unterbrochen werden mussten. Das Stück von Reich finde ich auch ziemlich nervend. Ich würde es nicht hören wollen - also würde ich nicht hingehen. Oder mich besser nehmen. Daraus nun ein Politikum zu machen, weil der votragende Künstler ein gebürtiger Iraner ist, dem kann ich nicht folgen. Einem Italiener oder einem Deutschen wäre das auch passiert. Darauf möchte ich wetten. Und vielleicht verstehen Menschen tatsächlich nicht alle so gut und so perfekt Englisch, dass sie den erklärenden Ausführungen hätten folgen können. Das Verlangen nach Ausführungen, die auch begriffen werden können, ist legitim. Warum hat die Spielleitung keinen Übersetzer eingesetzt? Der hätte sich doch rasch finden können. Köln ist eben noch immer ein Reizwort. Da fallen solche Vorgänge doppelt bis dreifach ins Gewicht.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Am meisten stört mich an diesem Vorfall nicht mal der Unwille eines Teils des Publikums, ein relativ kurzes "modernes" Stück in einem ansonsten konventionellen Konzertprogramm zu akzeptieren, das nicht einmal dissonant ist. Schlimmer ist da schon die Flegelhaftigkeit der Minderheit, die meint, die Mehrheit am Genuss dieses Stückes hindern zu müssen - sollen sie doch den Konzertsaal verlassen, wenn sie es nicht ertragen. Das schlimmste sind aber die rassistischen Untertöne des Vorfalls. Da soll mir niemand sagen, dass es keine Rolle spielte, dass der Künstler Iraner war. Schon die Art und Weise, in der er mit "Sprich Deutsch" angepöbelt wurde, als er sich in Englisch erklärend an das Publikum wandte, ist ein klares Indiz - gegenüber einem weißen Europäer aus England oder Frankreich hätte man sich dann wohl doch der Höflichkeitsform in der Anrede bedient.


    Soviel zum Firnis der Zivilisation bei unserem Sonntagnachmittags-Bildungsbürgertum. Der einzige Lichtblick bei diesem beschämenden Vorfall ist die Courage eines Zuschauers, der nach dem Konzert ans Mikro gegangen ist und sich entschuldigt hat.


    Weitere Berichte:


    http://www.zeit.de/kultur/musi…eve-reich-cembalo-konzert (mit Ausschnitten aus dem Stück)
    http://www.welt.de/kultur/bueh…iger-Konzertbesucher.html
    http://www.br-klassik.de/aktue…mbalo-br-klassik-100.html
    http://www.spiegel.de/kultur/m…-rassismus-a-1080145.html
    http://www.general-anzeiger-bo…ni-an-article3198491.html

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Was war das bloß für ein Publikum? In Köln gab es früher jede Menge Stockhausen-Konzerte unter seiner Leitung - mit großem Erfolg. Sitzen bei solchen Cembalo-Abenden nur Reaktionäre im Publikum?


    Ich selbst habe in Düsseldorf erlebt, wie bei einem von der Landesregierung gesponsorten Konzert des Royal Stockholm Philharmonic das Publikum nach dem Brahms-Konzert nach Hause ging - die selten zu hörende Peterson-Symphonie wollte man erst gar nicht hören (der halbe Saal war leer). In der Pause bei einem anderen Konzert sagte jemand, er hätte in Köln ein Pollini-Konzert gehört. Der Chopin sei sehr schön gewesen - warum aber habe er dann Debussy spielen müssen? Also selbst Debussy war schon zu "modern". Ein Bekannter erzählte mir, dass die Hälfte des Publikums bei einem Violinabend von Christian Tetzlaff ebenfalls nach der Pause gar nicht mehr erschien, weil sie Bartok nicht hören wollten. Vor der Pause gab es Bach. Ein Armutszeugnis! In Bielefeld dagegen hat die Mischung aus Traditionellem und Modernem im Symphoniekonzert sehr gut funktioniert.


    Und diese Haltung, einem Nichtdeutschen vorzuhalten, dass er deutsch reden sollte, ist einfach indiskutabel und blamabel.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Ich habe auch gerade einen Beitrag geschrieben, lieber Holger, und in meinem Stammcafé verlangt halt der WLan-Server ab und zu eine Bestätigung, und da hat es mich halt am Ende des Beitrags wieder mal erwiischt.
    Also auf ein Neues.
    Ich habe vorhin auch den Ausschnitt des Stückes gehört, und ich kann dier Stellungnahme der Philharrmonie, ein kleiner Teil des Publikums habe sich wohl vom Stück überfordert gefühlt, nicht folgen. Ich halte es eher für unterforderr und, wie unser dottore ganz richtig bemerkte, genervt. Ich wäre auch genervt gewesen, hätte aber nicht so reagiert.
    Ich darf mich wohl zum Stammpublikum der Kölner Philharmonie zählen mit durchschnittlicch zwei Dutzend Konzerte jährlich, und ich habe so etwas bisher noch nicht erlebt.
    Am leetzten Dienstag, in meinem letzten Abo-Konzert mit dem Gürzenich-Orchester unter F. X. Roth gab es ein ganz anderes Schwergewicht, das Requiem "Seven" von Peter Eötvös" mit Akiko Suwanei, Viloine. Keine Spur von Unruhe, sondern gespannte Stille und am Ende der verdiente Beifall.
    Also muss der Eklat eine andere Ursache gehabt haben, aber welche?


    Liebe Grüße


    Willi :S

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich halte es für nicht unbedingt zutreffend Leute, die keine Freude an "modernen" Stücken haben als "Reaktionäre" zu bezeichnen. Ich würde das eher als Bequemlichkeit oder selbsgewählte Beschränktheit bezeichnen.


    Es ist bedauerlich, wenn Musikfreunde, die meiner Meinung nach bei diesem Interessengebiet so wichtige Neugier auf "Unerhörtes" nicht haben. Natürlich kostet es Mühe, sich jenseits der eingefahrenen Hörgewohnheiten mal auf neue Klänge einzulassen. Das bedeutet ja nicht, dass einem alles gefallen muss. Gerade anspruchsvolle Musik will auch vom Hörer teilweise regelrecht erarbeitet werden. Da ist der Spruch im Gewandhaus schon treffend.


    Wenn man allerdings seine Konzerterlebnisse auf die "20 greatest hits der Klassik" beschränken will, mag man das tun. Eine Unverschämtheit ist es jedoch, ein Konzert zu stören, wenn einem das Programm nicht gefällt. Und den Künstler persönlich anzugehen, gar noch wegen der Sprache, ist unterste Schublade. Wenn sich selbst das Konzertpublikum, das sich jedenfalls früher zu einem großen Teil aus dem gern geschmähten Bildungsbürgertum, das auch auf gute Manieren Wert legte, rekrutierte, inzwischen so verhält, frage ich mich, was aus der aktuell so gern beschworenen Kultur des Abendlandes geworden ist. Zum Glück habe ich dergleichen im Gewandhaus noch nicht erlebt.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Also ich würde diesen Vorgang nicht überbewerten. Dem Publikum im Sonntags-Abo hat das Stück nicht gefallen, also hat es das auch bekundet. Das passiert leider viel zu selten. Ich habe es auch schon erlebt, dass Vorstellungen wegen Tumulten unterbrochen werden mussten. Das Stück von Reich finde ich auch ziemlich nervend. Ich würde es nicht hören wollen - also würde ich nicht hingehen. Oder mich besser nehmen. Daraus nun ein Politikum zu machen, weil der votragende Künstler ein gebürtiger Iraner ist, dem kann ich nicht folgen. Einem Italiener oder einem Deutschen wäre das auch passiert. Darauf möchte ich wetten. Und vielleicht verstehen Menschen tatsächlich nicht alle so gut und so perfekt Englisch, dass sie den erklärenden Ausführungen hätten folgen können. Das Verlangen nach Ausführungen, die auch begriffen werden können, ist legitim. Warum hat die Spielleitung keinen Übersetzer eingesetzt? Der hätte sich doch rasch finden können. Köln ist eben noch immer ein Reizwort. Da fallen solche Vorgänge doppelt bis dreifach ins Gewicht.


    Gruß Rheingold

    Bei der Einschätzung dieser Sache bin ich ganz bei dir!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hm. Das Stück war aber doch wohl im Programm angekündigt, oder? Das mindeste wäre doch wohl gewesen aus Rücksicht nicht nur auf die Musiker, sondern auch auf die Zuhörer, die das Stück hören wollten, mit Missfallenskundgebungen zu warten, bis es fertig war.


    Ich würde das auch nicht überbewerten, aber das die zivilisatorische Schale hat sich schon bei weit höher und feinsinniger Gebildeten als dem typischen Sonntagnachmittagspublikum als ziemlich dünn erwiesen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    ich kenne dieses Stück von Reich nicht, habe nur den kurzen Ausschnitt hier gehört - es gibt von Reich gute Musik, dieses Stück ist jedoch sehr schlechte Minimalmusik, wenn es auf dem Niveau des Kurzausschnittes bleibt; wirklich gute Minimalmusik gibt es z. B. von "Ten Holt" (Canto Ostinato).


    Reich, Glass und Pärt auf eine Stufe zu stellen - so habe ich das verstanden - das hat Pärt m. E. nicht verdient.


    Ich habe vor einiger Zeit in Eichstätt ein mäßiges engl. Gesangsensemble (kein Chor, zu wenig Sänger/innen) gehört mit Chören aus Frühbarock und Spätrenaissance. Der Leiter hat langatmige Erklärungen in engl. Sprache gegeben, obwohl eine
    Sängerin dabei war, welche die deutsche Sprache sehr gut beherrschte; das hat mich ziemlich gestört, mich jedoch zu keinen Missfallensäußerungen veranlasst, nur gedacht habe ich mir: Kein guter deutscher Chorleiter würde es in England wagen, Erklärungen in deutscher Sprache im Konzert abzugeben - dort würde natürlich engl. Sprache erwartet werden und vom deutschen Chorleiter als Referenz ans Publikum selbstverständlich auch erfolgen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Das in Köln so sehr inkriminierte Stück ist auf dieser CD enthalten, deren Programm man wohl in jenem Konzert nachspielte. Das Steve-Reich-Stück ist ein merkwürdig' Ding. Mich fasziniert es und zugleich nervt es mich kolossal. Habe beim Hören der CD dieses Werk auch schon mal übersprungen, weil ich einfach keinen Bock hatte auf das monotone Getackere. Andererseits aber hat es Ausstrahlung und Kraft. Wie dem auch sei - das Unverschämteste an dem Ereignis in Köln ist die Dreistigkeit, mit der anderen Menschen das Konzerterlebnis versaut wird. Ich liebe auch nicht immer alles, was man mir im Konzert vorsetzt, zuletzt hätte ich bei Rolf Wallins "Act" schreien können. Hab's aber nicht getan - aus Rücksicht auf andere und um mich nicht lächerlich zu machen.


    Irgendwo las ich, es habe sich um ein durchweg älteres (Rentner-)Publikum gehandelt an jenem Nachmittag in Köln. Bei diesen Leuten mag das mit der Englischsprachigkeit generationsbedingt nicht so weit her sein. Da hätte ja mal einer der jungen Musiker aus dem Orchester aufstehen und für das Publikum übersetzen können. Oder reicht bei Jüngeren das Vorstellungsvermögen nicht mehr dazu aus, sich ausmalen zu können, dass es tatsächlich Menschen in unserer Gesellschaft gibt, denen das Englische ein verschlossenes Idiom geblieben ist? Und die trotzdem an Hochkultur teilhaben wollen? Bleibt halt die stur-dumpfe Borniertheit im Raum stehen, den armen Esfahani so zu bepöbeln. Wenn er kein Deutsch kann, wird er's in den Minuten im Saal auch nicht schnell aus'm Ärmel schütteln können.


    Grüße
    Garaguly

  • Schlimmer ist da schon die Flegelhaftigkeit der Minderheit, die meint, die Mehrheit am Genuss dieses Stückes hindern zu müssen...... Da soll mir niemand sagen, dass es keine Rolle spielte, dass der Künstler Iraner war. Schon die Art und Weise, in der er mit "Sprich Deutsch" angepöbelt wurde, als er sich in Englisch erklärend an das Publikum wandte, ist ein klares Indiz - gegenüber einem weißen Europäer aus England oder Frankreich hätte man sich dann wohl doch der Höflichkeitsform in der Anrede bedient.


    Eine Unverschämtheit ist es jedoch, ein Konzert zu stören, wenn einem das Programm nicht gefällt. Und den Künstler persönlich anzugehen, gar noch wegen der Sprache, ist unterste Schublade. Wenn sich selbst das Konzertpublikum, das sich jedenfalls früher zu einem großen Teil aus dem gern geschmähten Bildungsbürgertum, das auch auf gute Manieren Wert legte, rekrutierte, inzwischen so verhält, frage ich mich, was aus der aktuell so gern beschworenen Kultur des Abendlandes geworden ist.


    Und diese Haltung, einem Nichtdeutschen vorzuhalten, dass er deutsch reden sollte, ist einfach indiskutabel und blamabel.


    Diesen Auffassungen neige auch ich zu.


    Kein guter deutscher Chorleiter würde es in England wagen, Erklärungen in deutscher Sprache im Konzert abzugeben - dort würde natürlich engl. Sprache erwartet werden und vom deutschen Chorleiter als Referenz ans Publikum selbstverständlich auch erfolgen.


    Das liegt nun einmal daran, dass Englisch - trotz so manchem mir lächerlich vorkommenden Chinesisch-Unterricht, der für Kinder der New-Yorker Oberschicht ein Zeit lang im Trend lag- die Weltsprache ist. Da verwundert es nicht, wenn man im Mutterland der Weltsprache das Publikum rein zufällig auch in Englisch anspräche.
    Abwegig wäre es, wenn ein deutscher Chorleiter in einem Konzert in Stuttgart anfinge, die Leute auf Englisch anzureden.


    Aber es ist auch wahr, dass in so gut wie jedem Land dieser Erde ( lassen wir Nord-Korea einmal weg...) ein Künstler sein Publikum wie selbstverständlich auf Englisch anredet und die Ansagen ganzer Konzerte so gestaltet werden, und zwar ohne Übersetzer.
    Sollte der Einfluss des iranischen Wächterrates zurückgedrängt werden und deutsche Künstler käme nach Teheran: Würde man denen auch "sprich Persisch!" zubrüllen, wenn sie etwas erklären wollen? Selbstverständlich sprächen die Englisch.
    Hier in Norwegen kann jeder auf Englisch angesprochen werden, ohne das es jemanden kümmert. Madonna bräuchte für ihre Konzerte hier jedenfalls keinen Übersetzer - und ich gehe einmal in Unkenntnis davon aus, dass sie das in Deutschland auch so hält....
    Es geht hier so weit, dass Leute, die schon Jahrzehnte in Norwegen wohnen, immer noch kein Norwegisch können, weil sie ja mit Englisch durchkommen. Ob das gut ist, wäre eine andere Frage. Gut finde ich jedenfalls, dass man hier die amerikanischen und englischen Filme im Originalton und mit Untertiteln sieht. Durch dieses Synchronisieren wird den Deutschen eine Chance zur Verbesserung ihrer Englischkenntnisse vorenthalten.


    Dieses "es ist Deutschland hier...hier wird (wieder) Deutsch gesprochen....deswegen "sprich Deutsch" (das "gefälligst" fehlt noch....) scheint mir gerade bei einem Mann aus fremden Kulturkreis nicht ganz unbeeinflusst von den aktuellen verbalen Dammbrüchen einer lauten Minderheit der deutschen Gesellschaft zu sein, die meinen, dass ihre inszenierten Wutausbrüche auf dem Boden eines "gesunden" Gerechtigkeitsgefühls stattfänden. Man meint, jetzt wieder gewisse Töne anschlagen zu können.


    Beliebte Satzanfänge der vielleicht gar nicht so neuen "gerechten Empörungsrhetorik" wären z.B.:


    "Man wird ja wohl noch...."
    "Muss man sich jetzt schon im eigenen Land....."
    "Also ich habe ja nichts gegen......aber...."
    " Also jetzt platzt mir aber.....ES REICHT!!!)
    "Sollensedoch hingehen....."
    "Denen wird das Lachen noch....."
    "Isjaunnerhört...."


    Wer so etwas tagtäglich in diversen Medien vorgeführt bekommt, der mag vielleicht von diesem "Klima" nicht ganz unbeeinflusst gewesen sein, kann ich mir jedenfalls vorstellen.


    Dass der Cembalist schlecht schlafen konnte, ist mir verständlich. Als Musiker bist Du auf der Bühne schutzlos, denn Du gibts sehr viel von Dir. In diesem quasi "nacktem" Zustand von unten mit "sprich (!) Deutsch" als Ausländer angepöbelt zu werden, wird dann schon recht tief `reingehen. Mich wundert, dass er unter diesen Umständen überhaupt noch weiterspielte.


    Ob ich seine Programmzusammenstellungen mag, oder ob ich generell das Cembalo als typisches Instrument der modernen Musik (das fragliche Stück ist ja so weit ich weiss gar nicht für Cembalo geschrieben worden...?) ertragen möchte, wäre wieder ein ganz anderes Thema, auf das ich hier nicht weiter eingehen möchte.


    Mich beschäftigt eher die Frage, ob diese Begebenheit rein zufällig und lokal so entstanden ist, oder ob sie in einem Zusammenhang mit gewissen weiter verbreiteten und aktuellen Zeitströmungen steht. Das wird man nicht klären können, aber einen besonders weltoffenen, zivilisierten und höflichen Eindruck macht mir das Verhalten der Minderheit jenes Publikums jedenfalls nicht.


    Gruß
    Glockenton


    P.S.


    ich kenne dieses Stück von Reich nicht, habe nur den kurzen Ausschnitt hier gehört - es gibt von Reich gute Musik, dieses Stück ist jedoch sehr schlechte Minimalmusik, wenn es auf dem Niveau des Kurzausschnittes bleibt;


    Kennzeichen dieser Musik ist, dass sie Zeit braucht, um ihre das Zeitgefühl aufhebenden/verschiebenden Wirkungen zu entfalten und um beurteilt werden zu können. Mit einem JPC-Ausschnitt kann man daher wohl kaum solche Urteile wie "sehr schlechte Minimalmusik" seriös fällen, will ich meinen.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Am meisten stört mich an diesem Vorfall nicht mal der Unwille eines Teils des Publikums, ein relativ kurzes "modernes" Stück in einem ansonsten konventionellen Konzertprogramm zu akzeptieren, das nicht einmal dissonant ist. Schlimmer ist da schon die Flegelhaftigkeit der Minderheit, die meint, die Mehrheit am Genuss dieses Stückes hindern zu müssen - sollen sie doch den Konzertsaal verlassen, wenn sie es nicht ertragen

    Dem stimme ich zu. In der Provinz könnte man vergleichbares vielleicht noch erwarten, aber in der Großstadt Köln, wo auch viele Einwohner mit nichtdeutschen Wurzeln leben, ist das für mich verwunderlich. Man kennt doch das Programm und da gab es eben nicht nur Bach und Co. , sondern auch für manchen unbekannte Namen. Will ich die nicht hören, gehe ich eben vorher. Oder ich klatsche keinen Beifall, wenn das Stück mir nicht gefällt. Und dass ein iranischer Solist dem Publikum auf Englisch etwas erklären möchte, ist doch normal. In Berlin ist das üblich, dass auch mal auf Englisch eine Ansprache gehalten wird, so wie ich das vor einigen Tagen bei einem Konzert mit Marc Minkowski erlebt habe. Viele verstehen diese Sprache bei uns und für sie ist das eine Bereicherung. Also das Ganze ist doch höchstpeinlich für eine Stadt wie Köln mit seinem Bildungsbürgertum. Natürlich kann man es nicht vermeiden, dass vielleicht irgendwelche Flegel mit im Saal sitzen. Aber die sollten dann entsprechend in ihre Schranken verwiesen werden. Der Künstler ist ja gut mit all dem umgegangen, chapeau! Im übrigen spricht er Deutsch, aber nur als seine sechste Fremdsprache. Da ist er im Engliischen eben sicherer. Tut mir Leid für ihn, Köln sollte er in Zukunft meiden, in Berlin passiert ihm sowas bestimmt nicht.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Kennzeichen dieser Musik ist, dass sie Zeit braucht, um ihre das Zeitgefühl aufhebenden/verschiebenden Wirkungen zu entfalten und um beurteilt werden zu können. Mit einem JPC-Ausschnitt kann man daher wohl kaum solche Urteile wie "sehr schlechte Minimalmusik" seriös fällen, will ich meinen.

    Was ich da im Ausschnitt höre, lieber Glockenton, ist eine Wiederholungsstruktur und eine kontinuierliche räumliche Verschiebung: Da wird (das ist wohl auch als Bezug des gewählten Programms gemeint) also wie in Alter Musik mit dem Raum komponiert. Und dann gibt eine wie ich finde wiederum sehr kontinuierlich dichte und daher ungemein spannende weil organisch-unscheinbare Veränderung Desselben in ein ganz Anderes. Variation löst sich auf in Entwicklung. Man muß halt nur richtig hören und sich unvoreingenommen der Musik überlassen... ;)


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Man muß halt nur richtig hören und sich unvoreingenommen der Musik überlassen...



    ...eben, lieber Holger, und dafür braucht man dann zwangsläufig vor allem eines: Zeit.
    Ich habe Vorlesungen über diese Musik mit vielen Beispielen an der NMH in Oslo besucht und fand das immer sehr interessant, wobei ich schon dachte, dass ich es nicht immer hören könnte. Aber manchmal durchaus !
    Gründe dafür, mitten im Stück mit Applaus den Abbruch erzwingen zu wollen, kann ich auch beim schlechtesten Willen nicht erkennen. Das ist durch nichts zu rechtfertigen.


    LG :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • P.S.
    Zitat von »zweiterbass« ich kenne dieses Stück von Reich nicht, habe nur den kurzen Ausschnitt hier gehört - es gibt von Reich gute Musik, dieses Stück ist jedoch sehr schlechte Minimalmusik, wenn es auf dem Niveau des Kurzausschnittes bleibt;


    Kennzeichen dieser Musik ist, dass sie Zeit braucht, um ihre das Zeitgefühl aufhebenden/verschiebenden Wirkungen zu entfalten und um beurteilt werden zu können. Mit einem JPC-Ausschnitt kann man daher wohl kaum solche Urteile wie "sehr schlechte Minimalmusik" seriös fällen, will ich meinen.


    Hallo,

    sonderbar, dass sich manche Taminos genötigt sehen, auf Beiträge zu antworten, obwohl sie diese nicht sorgfältig gelesen haben, oder wenn doch, diese dann trotzdem nicht verstanden haben oder absichtlich nicht verstehen wollen.


    Ich habe bereits einige Beiträge zu „Cantino ostinato“ – eine ganz hervorragende Minimalmusik von Ten Holt - im Forum geschrieben und weiß recht genau, wie Minimalmusik zu hören und zu verstehen ist. Tipp: Meine Beiträge (sorgfältig) lesen könnte hilfreich sein.


    Zurück zum eigentlichen Thema:
    Wenn der Cembalist der deutschen Sprache nicht mächtig ist, sollte er einen Diskurs mit dem deutschen Publikum nicht beginnen; seine Wortwahl „wo vor haben sie Angst“ ist nicht nur sehr unglücklich gewählt, sondern ist bei manchem Konzertbesucher bestimmt als Provokation angekommen, was der Cembalist gewiss nicht beabsichtigte – aber „deutsche Sprache schwere Sprache“.


    Das m. E. einzig mögliche und richtige Verhalten wäre gewesen, dem unanständig sich verhaltendem Publikum gegenüber vom Hausrecht Gebrauch zu machen, was Aufgabe des Konzertsaal-Eigentümers oder des Konzertveranstalters gewesen wäre.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    sonderbar, dass sich manche Taminos genötigt sehen, auf Beiträge zu antworten, obwohl sie diese nicht sorgfältig gelesen haben, oder wenn doch, diese dann trotzdem nicht verstanden haben oder absichtlich nicht verstehen wollen.


    Mit Deiner offensichtlich bei Tamino eingenommenen Rolle mag man sich ja noch wohlwollend übersehend abgefunden haben.
    Ansonsten bitte ich Dich, von derlei Missklängen in der Tonlage zukünftig Abstand zu nehmen.


    Ich habe Deinen Beitrag sorgfältig gelesen, habe nicht die Absicht irgendetwas absichtlich missverstehen zu wollen (warum sollte ich das?), und ich habe ihn einfach so verstanden, wie man ihn nur verstehen kann.


    Schauen wir uns doch an, was ausgesagt wurde:


    Erstens:


    ...ich kenne dieses Stück von Reich nicht,..


    Das kann man niemanden zum Vorwurf machen. Als Basis für die Aussage, dass es sich um eine schlechte Minimalmusik handele, wird man mit diesem Eingeständnis wohl kaum daherkommen können. Dafür müsste man dann vielleicht doch das Stück kennen.


    Zweitens:

    ...habe nur den kurzen Ausschnitt hier gehört ...


    Auch das kann man niemanden zum Vorwurf machen. Mir geht es da genauso. Als Basis für die Aussage, dass es sich um schlechte Minimalmusik handele, wird man mit diesem Eingeständnis wohl kaum daherkommen können, denn um diese Musik beurteilen zu können, muss man ihr die Zeit geben, sich zu entwickeln und unmerklich von einer Figur etc. zu einer anderen überzugehen. Das ist bei einer unbekannten Musik und einem kurzen JPC-Ausschnitt schlicht unmöglich. Man kann es nicht damit vergleichen, wenn man z.B. den Anfang des Violinkonzerts von Bach bei JPC anspielt und dann schon hinsichtlich Tempo und anderen Parametern aufgrund der genauen Erfahrung mit dem Stück abschätzen kann, wohin die Reise mit dem Stück in etwa weitergehen wird. Bei der Musik, über die wir hier reden, sind seriöse Aussagen über die unbekannte Komposition meiner festen Überzeugung nach nicht schon nach einigen Sekunden belastbar zu machen.


    Ich habe bereits einige Beiträge zu „Cantino ostinato“ – eine ganz hervorragende Minimalmusik von Ten Holt - im Forum geschrieben und weiß recht genau, wie Minimalmusik zu hören und zu verstehen ist.


    Schön, dass diese Beiträge hier irgendwo geschrieben wurden. Auch den zweiten Teil des Satzes will ich pauschal nicht bestreiten, aber wie man dazu kommen kann, anhand von einigen Tönen bei JPC ausgerechnet so eine Minimalmusik derart vernichtend

    dieses Stück ist jedoch sehr schlechte Minimalmusik,


    beurteilen zu können, passt für mich mit dem Anspruch "recht genau" zu wissen, "wie Minimalmusik zu hören und zu verstehen ist" dann irgendwie nicht zusammen.


    Tipp: Meine Beiträge (sorgfältig) lesen könnte hilfreich sein.


    Beiträge sorgfältig zu lesen, ist immer hilfreich - volle Einigkeit.
    Es kann jedoch meinem konservativen Verständnis nach nicht angehen, dass ein Eingehen auf einen Deiner Beiträge nur dann zulässig wäre, wenn die Literatur Deiner anderen Beiträge dem vorauszugehen hat.
    Zunächst antworten wir hier nur auf die jeweils vorhergehenden Beiträge - das hat sich in den Jahren aus meiner Sicht als durchaus praktisch erwiesen. Das übrige Oeuvre ( auch nicht die wertvollen Einsichten zum Stand der Gehirnforschung....oder wie war das?) kann dabei leider nicht immer berücksichtigt werden - dafür kann ich nur um Verständnis werben....


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Schon die Art und Weise, in der er mit "Sprich Deutsch" angepöbelt wurde, als er sich in Englisch erklärend an das Publikum wandte, ist ein klares Indiz - gegenüber einem weißen Europäer aus England oder Frankreich hätte man sich dann wohl doch der Höflichkeitsform in der Anrede bedient.


    Ich höre gerade Piano Phase for two Pianos (ca. 16 Minuten) von Esfahanis CD und frage mich, ob man in einem Konzertsaal mit anwesendem Publikum die nötige Konzentration aufbringen kann, um den Phasenverschiebungen der 2 Cembali zu folgen.
    Wer "In C" von Terry Riley kennt, wird sich auch in Reichs "Piano Phase" zurecht finden.
    Was die fehlende Höflichkeitsform bei der Anrede durch das Kölner Publikum betrifft, so darf man das nicht überbewerten. Der Kölner ist schnell beim "Du". Mir passiert es häufig, dass man mich dutzt. Die rheinische Frohnatur vermeidet unnötige Floskeln. "Sprich deutsch" würde ich in diesem Fall nicht als rassistische Bemerkung ansehen, denn das Publikum war wahrscheinlich der englischen Sprache nicht mächtig. Hätte ein blonder Schwede das Publikum in englischer Sprache angesprochen, wäre es ihm nicht anders ergangen. Schwierig einzuordnen ist das Verhalten des Kölner Publikums für einen Nichtkölner. Ich bin in Köln aufgewachsen und habe dort Jahrzehnte gearbeitet.

    mfG
    Michael

  • Hallo,


    Mit Deiner offensichtlich bei Tamino eingenommenen Rolle mag man sich ja noch wohlwollend übersehend abgefunden haben


    Welche Rolle habe ich Deiner Meinung nach bei Tamino eingenommen? Auf Dein Wohlwollen bin ich - gern verzichtend - nicht angewiesen.


    Ansonsten bitte ich Dich, von derlei Missklängen in der Tonlage zukünftig Abstand zu nehmen


    Diese Bitte gebe ich an Dich zurück.


    Erstens:
    Zitat von »zweiterbass« ...ich kenne dieses Stück von Reich nicht,..


    Das kann man niemanden zum Vorwurf machen. Als Basis für die Aussage, dass es sich um eine schlechte Minimalmusik handele, wird man mit diesem Eingeständnis wohl kaum daherkommen können. Dafür müsste man dann vielleicht doch das Stück kennen.
    Zweitens:
    Zitat von »zweiterbass« ...habe nur den kurzen Ausschnitt hier gehört ...


    Auch das kann man niemanden zum Vorwurf machen. Mir geht es da genauso. Als Basis für die Aussage, dass es sich um schlechte Minimalmusik handele, wird man mit diesem Eingeständnis wohl kaum daherkommen können, denn um diese Musik beurteilen zu können, muss man ihr die Zeit geben, sich zu entwickeln und unmerklich von einer Figur etc. zu einer anderen überzugehen. Das ist bei einer unbekannten Musik und einem kurzen JPC-Ausschnitt schlicht unmöglich. Man kann es nicht damit vergleichen, wenn man z.B. den Anfang des Violinkonzerts von Bach bei JPC anspielt und dann schon hinsichtlich Tempo und anderen Parametern aufgrund der genauen Erfahrung mit dem Stück abschätzen kann, wohin die Reise mit dem Stück in etwa weitergehen wird. Bei der Musik, über die wir hier reden, sind seriöse Aussagen über die unbekannte Komposition meiner festen Überzeugung nach nicht schon nach einigen Sekunden belastbar zu machen.


    Ich mache aber zum Vorwurf, dass Du meinen sehr wichtigen Halbsatz - der meine Aussage ins richtige Licht stellt - nicht zitierst, weil es Dir nicht in Deine Argumentationskette passt:

    ich kenne dieses Stück von Reich nicht, habe nur den kurzen Ausschnitt hier gehört - es gibt von Reich gute Musik, dieses Stück ist jedoch sehr schlechte Minimalmusik, wenn es auf dem Niveau des Kurzausschnittes bleibt;



    Das übrige Oeuvre ( auch nicht die wertvollen Einsichten zum Stand der Gehirnforschung....oder wie war das?) kann dabei leider nicht immer berücksichtigt werden - dafür kann ich nur um Verständnis werben....


    (Dieser Abschnitt hat mit dem Thema nichts zu tun!) Das Verständnis für Dein fehlendes Verständnis habe ich nat. - Deine Meinung teilt übrigens auch "...Holger...", was meine Zitate aus den Fachbüchern und deren Richtigkeit jedoch nicht schmälert.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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