Operngesamtaufnahmen - Geliebtes Nischenrepertoire

  • Liebe Opernfreunde,


    Zu Beginn des Jahres 2005 startete ich einen Thread, der zu einem Dauerbrenner wurde:


    Eine Operngesamtaufnahme für die "Arche Noah"


    Er ist noch aktiv, wer mitmachen will, der lese die Regeln in Beitrag 1


    Ein ähnliches Thema starte ich heute. Allerdings mit etwas verändertem Focus und Spielregeln:



    Hier geht es um NISCHENREPERTOIRE in Sachen OPER
    Es sollen Gesamtaufnahmen vorgestellt werden und zwar mit ein paar Erklärungen der Oper, beispielsweise welchem "berühmten" Werk sie nachempfunden wurden, warum sie bei den Zeitgenossen beliebt war (oder durchgefallen ist), warum sie heute in Vergessenheit geraten ist, oder wieder ausgegraben wurde etc etc


    Diesmal darf jeder interessierte Mitspieler bis zu ZWÖLF Opern nominieren, allerdings in ZWÖLF EINZELNEN Beiträgen, zwischen denen auch größere zeitliche Intervalle liegen dürfen.
    Eine Oper darf auch dann vorgestellt werden, wenn dies schon ein anderer Mitspieler getan hat.
    Sie muß aktuell auf Tonträger vorliegen und es soll auf ihr Cover verlinkt werden.


    Im Gegensatz zum oben angeführten "Arche Noah Opernthread" muß das Werk nicht für die gesamte Opernwelt von Bedeutung sein.


    Dieser Thread wäre 2005 nur schwer realisierbar gewesen, heute, 11 Jahre später, stehen die Chancen auf eine aktive Beteiligung viel besser, vor allem deshalb, weil das Nischenrepertoire in den letzten Jahren geradezu sprunghaft gewachsen ist bzw. ausgebaut wurde....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Oper Henry VIII basiert auf der Comedia famosa „El cisma en Inglaterra“ von Pedro Calderón de la Barca. Die Handlung dreht sich um die Trennung Heinrichs VIII von Catharina von Aragon und die Heirat mit Anne Boleyn sowie die damit verbundene Trennung der Kirche Englands von Rom. Sie liegt also zeitlich gesehen vor der Handlung der Oper "Anna Bolena" von Donizetti.
    Die Oper wurde 1883 uraufgeführt und blieb auch bis 1919 im Repertoire der Bühnen, u. a. wurde sie 1889 im Royal Opera aufgeführt. Nach 1919 verschwand sie lange und wurde erst 1991 im Théâtre Impérial de Compiègne wiederbelebt. 2002 wurde sie im Teatre Liceuin Barcelona mit Montserrat Caballé gegeben.
    Warum sie so lange in Vergessenheit geriet, ist mir nicht bekannt. Sie einhält eine Fülle schöner Melodien und steht in meinen Augen der bekannteren Oper des Komponisten „Samson und Dalila keineswegs nach.
    Von der Aufführung in Théâtre Impérial de Compiègne gibt es eine Aufzeichnung auf DVD. Allerdings ist sie recht teuer. Ich habe sie mir bei Amazon.com in Amerika bestellt, wo sie weniger als den halben Preis kostete. Allerdings hatte ich nicht beachtet, dass es die dort nur mit dem Regionalcode 1 (wir benötigen 0 oder 2) gab und es bedurfte einiger Tricks, bis ich sie abspielen konnte.



    Hab mal assistiert.


    Ein Inhaltsangabe dazu habe ich in unseren Opernführer eingestellt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Eigentlich erschreckend, wie vergänglich alles ist, gleich zu Beginn des Threads musste ich feststellen, daß zwei meiner Lieblingsopern hier nicht mehr nominiert werden können, da sie nicht mehr angeboten werden..........


    Aber es gibt noch ausreichend empfehlenswertes Material.
    Solches liefert beispielsweise Salieri, dessen Opern - auch wenn dies oft bestritten wird - jenen von Wolfgang Amadeus Mozart ebenbürtig sind. Als ersten Vorschlag bringe ich hier Salieris "Les Danaides" ins Spiel.
    Die Musik ist einfach umwerfend schön, man beginnt zu begreifen, daß Mozart die Genialität des Rivalen von ersten Aufenblick an erkannte. Daraus entwickelte sich aber keine Feindschaft, sindern ein gespanntes Verhältnis, das unter anderem daruaf zurückzuführen, daß die beiden sehr oft den selben Librettisten (Lorenzo da Ponte) beanspruchten.
    Das ist im Fall der Oper "Les Danaides" nicht der Fall, das Libretto stammt von Francois Bailly du Roulett und Louis Theodore Baron de Tchudy nach Ranieri de Calzabigi.
    Eine ausführliche Inhaltsangabe findet man in unserem Tamino-Opernführer


    SALIERI, Antonio: LES DANAÏDES


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich gestehe, daß ich Boieldieus "Die Weisse Dame" über alles liebe. Ein Ohrwurm reiht sich an den anderen, die Handlung ist eine simple Schauergeschichte mit gutem Ausgang. Bedauerlicherweise gibt es in der Regel kaum Aufnahmen davon, ausser historische und eine neue in deutscher Sprache, (dazu andernorts mehr) vermutlich alles mehr oder weniger bearbeitet. So stellt die hier abgebildete Aufnahme sozusagen die "Referenz" dar, und da macht sie mit dem Dirigar von Marc Minkowski und Sängern wie Rockwell Blake und Laurent Naouri eine durchaus gute Figur. Fraglich ist nur, wie lange man die Aufnahme noch bekommt, Sie wurde 1997 erstmals veröffentlicht, war dann geraume Zeit nicht verfügbar und kam 2009 in Budget-Version erneut auf den Markt. Inzwischen wurde der Preis erneut gesenkt und jpc hat nur mehr 1 Stück auf Lager - ein zarter Hinweis darauf, daß die das letzte überhaupt lieferfähige Exemplar sein könnte.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Soeben habe ich "La maga Circe" (Die Zauberin Circe"
    Farce in einem Akt von Pasquale Anfossi (1727-1797) gehört (Librettist ist unbekannt)
    Eigentlich war der Grund, daß ich einen Eintrag für den Opernführer schreiben wollte. Da ich bereits einmal eine schon existierenden Beitrag verfasst hatte, habe ich diesmal schon früher, nämlich als ich meinen Beitrag schon HALB fertiggestellt hatte, nachgesehen ob es nicht wider Erwarten schon einen gibt. Und siehe: Engelbert ist mir schon um Jahre zuvorgekommen. Ein kurz aufkeimender Ärger (über mich) verschwand im Nu, als ich sah, mit welcher Liebe und welchem Witz Engelbert diese Inhaltsangabe zur Oper geschrieben hat.
    ANFOSSI, Pasquale: LA MAGA CIRCE
    Bleibt mir nur übrig ein paar Worte zu Anfossis Musik zu schreiben. Sie ist im Stile dem jungen Mozart ähnlich, sehr effektvoll und eingängig, voll von Ohrwurmthemen und den Stimmen der Sänger schmeichelnd.
    Da die Oper (Farce) recht kurz ist, finden wir noch drei Arien drauf, welche Wolfgang Amadeus Mozart für eine ANDERE Oper Anfossis ("Curioso indiscreto") als Einlage geschrieben hat. Mozart behauptet später in einem Brief an seinen Vater, daß die Oper nicht gefallen habe - augenommen NATÜRLICH die von ihm geschriebenen Arien. Er war schon sehr von sich eingenommen der Herr Mozart, denn wie sich jeder, der "La Maga Circe" oder eine der andern verfügbaren Opern hört, überzeugen kann, war Anfossis Musik überragend. Das empfanden auch die Zeitgenossen so.....

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe das Glück gehabt, den Broucek zwei Mal live auf der Bühne erlebt zu haben, 1961 in Münster (da hatte ich von Janacek überhaupt keine Ahnung) und in den 80ern in Düsseldorf im Rahmen des ersten Janacek-Zykus.
    Die großen Janacek-Opern haben sich ja durchgesetzt, Stiefkinder bleiben Osud und Broucek. Selbst Janacek-Kenner wie Milan Kundera werten sie ab. Sehr zu Unrecht, meine ich. Broucek wird selten gespielt, ist aber diskographisch gut vertreten.
    Die jüngste Aufnahme, vor einigen Jahren in der BBC entstanden mit tschechischen Sängern und dem BBC-Sinfonieorchester unter seinem tschechischen Chef Jiri Behlolavec , ist vorzüglich. Bei Amazon konnte ich die Bestellnummer nicht finden, bei jpc ist sie nicht erhältlich, daher hier nur die Erwähnung.



    Von 1980 ist diese supraphon Aufnahme (neu 1994) unter Jilek, mit Vilem Pribyl, einem alten Schlachtross, in der Titelrolle.


    Ein Klassiker auch diese Aufnahme, mit Ivo Zidek als Mazal, der einzige, der an Fritz Wunderlich heranreicht, Dirigent ist Vaclav Neumann.

    Der Broucek wurde 1920 uraufgeführt, die dritte Oper des Komponisten nach Jenufa (1904) und Osud (1904). Wer alle Janacek-Opern kennt, weiß, dass auch die beiden unbekannteren musikalisch auf dem gleichen Niveau sind. Nach Broucek (1920) kommen noch Katja (1921) das Füchslein (1924), die Sache Makropulos (1926) und das Totenhaus (1930; Janacek starb 1928). Beim Verfassen des Broucek gab es endlose Querelen mit den Librettisten, sodass sich der Komponist seinen Text selber schrieb, was ihm, wie ich finde, sehr gut gelungen ist.
    Die erste Szene spielt im Prag 1925, wo der Ingenieur Mazal an einer Mondrakete bastelt. Mit dieser Rakete fliegt Broucek auf den Mond (2. Szene), wo es ihm nicht gefällt. In der 3. Szene reist er in der Zeit zurück in die Hussitenkriege, wo er kämpfen soll, was ihm schon gar nicht gefällt. Die letzte Szene zeigt ihn, wie er in einem Bierfass erwacht; also alles wohl ein Traum.
    Der Broucek ist ein typisches Beispiel für 'serendipity', was wir vielleicht Kolumbusität nennen könnten: man sucht etwas und findet es nicht, sondern etwas viel Besseres. Janacek wollte mit Broucek den Spießer entlarven. Das ist ihm gründlich misslungen. Denn angesichts der Esoterik und Abgehobenheit der Mondbewohner ("Hier riecht es wie auf´m Friedhof; ich ess jetzt meine Würstl") und der Kriegsstimmung im Hussitenbild ("Kann er saufen - kann er raufen": Broucek versteckt sich lieber unterm Bett) wird uns das Käferchen immer sympathischer mit seiner Liebe zum Geld, zum Bier, zur Zigarre und den Würstln. Musikalisch besticht dieses Werk durch wunderbare zarte Melodien, die den Mond beschreiben. Im Mondbild ertönen die schönsten Walzer außerhalb des Rosenkavaliers. Im Hussitenakt verwendet der Komponist alte hussitische Choräle.
    Nun, wie lernt man eine solch tolle Oper kennen? Ganz einfach, so wie ich.
    Es gibt für dieses Stück eine deutsche Bearbeitung, die die Parallelität der Figuren betont, die witzig ist und bei der jedes Wort zu verstehen ist. Die Musik ist bis auf eine kurze Szene (die Dichter auf dem Mond) ganz verwendet worden.



    Der Broucek bleibt in jeder Szene gleich. Lorenz Fehenberger singt ihn großartig. Wilma Lipp singt die drei Frauenrollen (wer wissen will, wer das war: sie hat hier einen eigenen Thread - zu Recht). Dazu Paul Kuen, Kurt Böhme, Kieth Engen. Die Originalaufnahme stammt aus der Münchener Oper unter Joseph Keilberth; danach gab es eine Fassung im WDR mit dem WDR-Sinfonieorchester. Worte des Lobes über Joseph Keilberth brauche ich hier nicht mehr zu sagen. Ja, und dann gibt es noch den Tenor, der die drei Tenorrollen singt: Fritz Wunderlich. Auch hierzu brauche ich nichts zu sagen.

    Ich habe alle vier Aufnahmen, musikalisch ist die letzte mit Abstand die beste. Und gerade weil sie logischer und auf deutsch ist, ist sie zum "Erlernen" (wenn das immer so einen Spaß machte) die beste.
    Und die letzte Bemerkung, eigentlich überflüssig: ich habe diese Oper so oft gehört, dass ich natürlich alles mitsingen kann.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Mit diesem Werk mache ich das, was ich bei Broucek versäumt habe. Ich habe hier einen langen Artikel verfasst, dabei gibt es eine vorzügliche Inhaltsangabe beider Fassungen von musikwanderer und Informationen von mir und anderen über die CDs in unserem Opernführer.
    Darum heißt es hier: zwischen Jenufa und Katja Kabanowa gibt es eine tolle Oper, die Osud (Schicksal) heißt und deren Schicksal es ist, so gut wie nie gespielt zu werden, obwohl man sich doch denken kann, dass eine Oper, die zwischen Jenufa und Katja liegt, nicht ganz schlecht sein kann. Obwohl: auch ein Janacek-Kenner wie Milan Kundera hat für den Broucek nur Verachtung übrig, die ihm dafür meine Verachtung einträgt (obwohl seine Bücher sehr gut sind).
    Es ist eine Künstler-Oper über einen Komponisten, der eine Oper schreibt. Diese Oper braucht einen kraftvollen lyrischen Tenor, da haben wir schon die größte Hürde.
    Wer mehr wissen will, braucht nur unseren Opernführer anzuklicken, dort bekommt er eine vorzügliche Inhaltsangabe und Informationen, natürlich von unserem musikwanderer, dazu gibt es Bemerkungen von mir zu den Aufnahmen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • "Die junge Gräfin" oder "la Contessina" Derzeit ist es die einzige Oper von Florian Leopold Gassman (1729-1774), die im Handel erhältlich ist. Das Libretto ist, wie oft in jenen Tagen, wenn nicht ein Lorenzo Da Ponte oder ebenbürtiger Autor zur Hand war - recht einfach gestrickt. Aber das tut der Freude keinen Abbruch, schliesslich will man sich in erster Linie unterhalten, dazu kommt noch die eingängige unkomplizierte Musik. Die Gesangspartien erinnern oft eher an Coupets, als an Opernarien.


    Eine ausführliche Inhaltsangabe dieser Oper bietet auch hier der Tamino Opernführer.
    GASSMANN, Florian Leopold: DIE JUNGE GRÄFIN / LA CONTESSINA


    Nachtrag: Wenngleich es an sich nicht üblich ist, in diesem Thread eine Zweite CD vorzustellen, breche ich AUSNAHMSWEISE diese Regel, weil es sich hier um die einzige CD handelt, die wenigstens einige Overtüren anderer Gassmann-Opern enthält. Man kann hier nur erahnen, was einem entgeht. Wir haben hier zudem die seltene Gelegenheit zwei Ouvertüren zur selben Oper zu vergleichen.
    Hört man die Ouvertüren-CD von Naxos, so ist sie an sich ganz OK. Erste wenn man die Ouvertüre von "La Contessina" auf dieser Sammelplatte mit jener auf der Operngesamtaufnahme vergleicht, dann kann man ermessen, wie groß der Qualitätsunterschied ist.....

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !