Einführungstext zur Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
Die Klaviersonate Nr. 11 B-dur op. 22 komponierte Beethoven 1799 und 1800. Während die zuvor besprochene Sonate A-dur op. 101 den Beginn von Beethovens "Spätstil" markierte, ist die B-dur-Sonate op. 22 das Ende seiner ersten Schaffensphase bei den Klaviersonaten. Etwa gleichzeitig entstand das 2. Klavierkonzert op. 19 in der gleichen Tonart.
Ich habe mich nach einigem Überlegen für diese Sonate entschieden, weil ich in nicht allzu ferner Zukunft mich der großen B-dur-Sonate zuwenden möchte, dem Opus maximum, der "Hammerklaviersonate" op. 106.
Beethoven widmete diese Sonate dem Grafen Johann Georg von Browne.
Wie immer zuerst ein Überblick über die Ausmaße un den Aufbau der Sonate, die, wie das op. 101, ebenfalls 4 Sätze hat:
1. Satz, Allegro con brio, B-dur 4/4-Takt, 199 Takte (+ Wh. der Exposition = 68 Takte) 267 Takte;
2. Satz, Adagio con molto espressione, Es-dur 9/8-Takt, 77 Takte
3. Satz, Menuetto/Minore, B-dur/g-moll, 3/4-Takt, 46 Takte (+ 8, + 22+ 8 + 8 + 30) 122 Takte;
4. Satz, Rondo, Allegretto, B-dur, 2/4-Takt, 199 Takte;
Gesamtlänge (mit Wh.) 665 Takte
Aufbau der einzelnen Sätze:
1. Satz: Allegro con brio:
1. Exposition: (Takt 1 - - 68):
Hauptthema: Takt 1 - 8, zweiteilig, Takt 1 bis 4 aufstrebend, Takt 5 - 8 niedergleitend
Anhang oder Erweiterung des HT: Takt 8 bis 11
Überleitung: ab Takt 11, Ende, auch äußerlich erkennbar als alleinige Bassfigur, zu Beginn mit frei variiertem Hauptthema, erster Teil bis Takt 21
Episode Takt 22 bis 30 vage, ohne eigentliche Themenform- in Takt 26 und 27 scheint des Hauptthema wieder anzuklingen; Eine klare Aussage zu seinen Absichten scheint uns Beethoven hier nicht zu geben. Aber es ist Spiel auf höchster Ebene. Immerhin braucht Beethoven vom achttaktigen Hauptthema bis zum ebenfalls 8-taktigen Seitenthema 23 Takte, in denen sich das Spiel frei ausbreitet.
Seitenthema Takt 30 bis 44, verblüffend einfach im Aufbau, lustvoll im Klang und wieder in eine lange Überleitung (oder Verbindung) mündend, die sich in kraftvollem reinem Spiel verschiedener musikalischer Figuren (z. B. den wechselnden Sechzehntelintervallen über beide Oktaven) äußert und zur
Schlussgruppe (ab Takt 56) führt, die wieder an die Terzen aus dem Hauptthema und dem Seitenthema erinnert, in den ersten 6 Takten (56 bis 61) von Halben-Oktaven im Tiefbass kontrastiert und in den Takten 62 bis 66 auf der Eins sich in Achteloktav-Gängen in Bass und Diskant wandelt. Dieser dreiteilige Aufbau der Schlussgruppe genügt sich in anmutigem Spiel mit den musikalischen Formen.
2. Durchführung: (Takt 69 mit Auftakt bis Takt 127)
Durchführungseinleitung, Takt 69 mit Auftakt bis Takt 80 (12 Takte: 2+4+6)) mit Modulierung von F-dur nach g-moll
Durchführungskern:
Konfrontierung: Takt 81 bis 92 (12 Takte: 4+4+4), heftige Konfrontation des ersten mit dem zweiten Thema,
Austrag: Takt 93 bis 104 (12 Takte: 2+2+2+2+2+2)
Frieden: Takt 105 bis 116 (12 Takte: 4+4+4)
Vorbereitung der Reprise: Takt 116 bis 127 (11 Takte + Fermate)
Im Grunde ist es eine Durchführung eines klassischen, sehr harmonischen fünfteiligen architektonischen Modells, hier à`12 Takte, wie wir es von Beethoven gewohnt sind, nach Art einer Pyramide aufgebaut mit dem spielerischen Kampf (Austrag)der beiden Themen als Höhepunkt(der dann auch gleich aus 6 mal 2 Takten besteht);
3. Reprise: Takt 18 bis 199, wie immer bei Beethoven auch mit gewissen Variationen in den Themen und musikalischen Formen;
2. Satz: Adagio con molto espressione:
Auch diesem Satz könnte man eine Sonatensatzform zuweisen:
Exposition: Takt 1 bis 30
Hauptsatz: Takt 1 bis 17
Seitenthema: ab Takt 18
Schlussgruppe (-kadenz) ab Takt 24
Durchführung: Takt 31 bis 46
Reprise: ab Takt 47
3. Satz: Minuetto:
Das Minuetto ist zweiteilig:
Takt 1 bis 8 und Takt 9 bis 30. Beide Teile werden wiederholt. Dann schließt sich das
Minore an, das ebenfalls zweiteilig ist:
Takt 31 bis 38 und Takt 39 bis 46, die ebenfalls beide wiederholt werden. Solche Aufteilung kennen wir schon aus der Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7, nur dass dort das Minore nicht wederholt wird. Ebenfalls wird dort wie hier und in andern Sonaten das Minuetto ohne Wiederholungen am Ende Da Capo angeschlossen.
Viel interessanter als die wiederkehrenden formalen Strukturen sind die inhaltlichen Bezüge, die Beethoven zu den beiden voraufgegangenen Sätzen herstellt.
So enthält der 1. Teil des Menuett-Themas Kräfte des 1. Satzes, während der 2. Teil auch Kräfte des 2. Satzes enthält.
Wenn man also in einem prozesshaften Ablauf der ganzen Sonate den 1. Teil des Menuettthemas quasi als "Hinweg" aus dem Themenmaterial des 1. Satzes gespeist wird, stellt der 2. Teil sozusagen den "Rückweg" dar, der quasi als Gegenkraft des 2. Satzes den Bogen sich senken lässt.
Im 2. Teil des Menuetts sind wieder Anregungen aus dem 1. Satz zu finden, z. B. in Takt 22ff.
Das Minore als Trio steht, wie die Bezeichnung sagt, in Moll und ist außerdem noch ein starker Stimmungskontrast. Nach diesem wird das Menuetto Da Capo angeschlossen.
4. Satz: Rondo Allegretto:
Das Rondo stellt hier nicht wie z. B. in der "Mondschein-Sonate" ein Treiben des Konfliktes auf den Höhepunkt oder wie in op. 13 einen mühsam errungenen Kompromiss dar, sondern ist, dem Wesen dieser "Spielsonate" entsprechend, redender, herzlicher und beseelter.
Das Rondothema hat einen ähnlichen Aufbau wie das Thema des 1. Satzes:
1. Phrase Takt 1 bis 8 (2+2+4 Takte) (dort Takt 1 bis 4)
Das Thema entfaltet und ändert sich ein rankenden Blume nicht unähnlich, immer wieder kleine Formänderungen mit sich bringend.
So taucht z. B. in Takt 5 bis 7 unter dem großen Bogen wieder das Anfangsmotiv des 1. Satzes auf, und im weiteren Verlauf wandelt sich das Thema wieder.
In Takt 22 erscheint das rhythmisch in Arpeggien gesteigerte Seitenthema. Insofern sehen wir wieder, dass auch hier in diesem Rondo die Formelemente des Sonatensatzes auftauchen.
Da darf natürlich die Schlussgruppe (Takt 32 bis 40) nicht fehlen, die sich aus den Arpeggien des Seitenthemas generiert.
Daran schließt sich ab Takt 40 auf der Zwei eine überwiegend einstimmige Überleitung an, die wieder an das Thema heranführt. Der nächste Zwischensatz, in Moll und nochmals vom 2. Thema ausgehend, markiert den Beginn des durchführungsartigen Abschnitts (ab Takt 66). Hier werden wieder Bezüge zum 1. Satz (Takt 52f-legato) hergestellt.
Der Kern des Durchführungs-Teils beginnt in Takt 80 in einer kontrapunktischen Verzahnung des 2. Themas. Von f-moll in Takt 80 ausgehend, geht es über b-moll und es-moll, sowie in Takt 91 kurz in Des-dur in Takt 94 zu b-moll.
Im nächsten Themeneinsatz ab Takt 112ff. kann man bereits den Beginn der Reprise, in der das Thema in der Tenorlage erscheint. Trotz der zahlreichen Varianten des Themas bleibt sein Wesen jedoch unverändert
Ab Takt 182 kann man die Coda ansetzen, in der zum krönenden Abschluss beide Themen vereinigt werden, und am Ende der Coda wird in Takt 194/195 die Anfangsfrage aus Takt 1 mit Auftakt und Takt 2 beantwortet. herz, was willst du mehr?
(Quellen: Jürgen Uhde, S. 289 bis 317, Sekundär: Joachim Kaiser: S. 201 bis 213, Notenmaterial: Urtextausgabe: István Máriássy, Band 1, Seite 211 bis 235)
Ich wünsche wieder viel Freude mit dieser freudvollen und spielwitzigen Sonate und würde mich über Beiträge im neuen Thread, aber auch über fleißige Leser sehr freuen.
Liebe Grüße
Willi