Wird man durch Brahms, Bruckner, Schumann für Gernsheim oder Raff "verdorben"?

  • Ich bitte um Nachsicht, daß ich die von Johannes Roehl gestellte Suggestivfrage als Threadtitel verwendet - und zudem, noch gekürzt habe. Letzeres geschah aus pragmatischen Gründen, der Titellänge geschuldet.


    Daher hier -quasi als Wiedergutmachung - der volle Wortlaut


    Komisch, dass sich anscheinend kaum jemand mit Mahler oder Ligeti die Ohren für Brahms und Schumann verdirbt.
    Wird man vielleicht doch eher durch Brahms, Bruckner, Schumann für Gernsheim oder Raff "verdorben"?


    Ein interessantes Therma, wie ich meine - und mit viel Diskussionspotential.


    Quasi zum Einstieg möchte ich dauf hinweisen, daß zu Lebzeiten sowohl Mahler als auch Bruckner mehr als umstritten waren - freundlich ausgedrückt. Und Robert Schumann wurde in den Jubiläumsjahren 2006 und 2010 in diesem Forum beinahe negiert.


    Ob ich mir die Ohren mit Mahler oder Ligeti verdorben habe ? Wohl kaum. Ersteren höre ich sehr selektiv, letzteren überhaupt nicht. Dazu kommt, daß ich auch kein Fan von Brahms oder Bruckner bin, mein Schwerpunkt liegt bei Vivaldi, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Ries, Mendelssohn, Weber, Raff und zahlreichen, heute eher unbekannten Komponisten. Da ich vorhabe, sogenannte Sachthemen im Forum in nächster Zeit zu forcieren, werden letztere hier zu neuen Ehren kommen und - wie ich hoffe - an Profil gewinnen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mir geht es so das ich sehr gerne Mahler, Bruckner, Schumann und Brahms höre, aber z.B mit Ligeti überhaupt nichts anfangen kann. Und was Mozart betrifft mag ich zwar seine Opern , kann mich aber für seine Sinfonien nicht begeistern. Ich musste mir mal zwangsweise eine Uraufführung von einem Ligeti Stück antun, das hieß, glaub ich, die Sinfonie der Metronome. Zwanzig Minuten mußte ich das Geräusch der Metronome, die aus unterschiedlichen Ländern waren und auf der Bühne des Concertgebouws aufgestellt waren anhören. Das sind für mich Geräusche und haben mit Musik nichts zu tun.Zur Zeit beschäftige ich mich mit den Sinfonien von Edward Elgar .

  • Hallo Alfred,


    verdorben? Keine Ahnung. Es kommt wohl auf die Hörgewohnheiten an. Wenn man überwiegend die Klassiker und deren Meisterwerke hört, dann mag es sein, dass man für die "nachrangigen Qualitäten" einiger Kleinmeister nicht mehr so wirklich gut zugänglich ist. Ich denke, Nischenrepertoire wird umso interessanter, je kleiner das musikalisch bevorzugte Spektrum ist, denn dann will man vielleicht nicht immer nur die Großen goutieren, hört sich vielleicht manchmal auch an ihnen satt. Wenn der Fokus bspw. auf der Romantik liegt, und dort wiederum bspw. bei Orchesterwerken und Konzerten, dann ist das verfügbare Material an "großen Kompositionen" durchaus überschaubar. Und da bieten dann die "vielen Kleinen" eine willkommene Abwechslung.


    Grundsätzlich denke ich schon, dass die Qualität der wirklich großen Meisterwerke es manchen Hörern erschwert, sich auf ein ggf. niedrigeres Niveau einzulassen. Letztlich sicher eine sehr individuelle Frage. Mir gibt "das Stöbern im Bereich des Abseitigen" häufig sehr viel und viele Entdeckungen sind ein ungeheurer Gewinn und eine Bereicherung.


    Viele Grüße
    Frank

  • Die Frage dahinter ist doch, ob man sich "ganz nette" Musik anhören möchte, die im Vergleich aber doch Mittelmaß ist, wenn man die Werke der großen Meister als Alternative hat. Darauf kann es keine allgemeingültige Antwort geben, sondern jeder muss das für sich entscheiden. Ich gehöre zwar nicht zu denen, die den ganzen Tag zehn verschiedene Einspielungen ein und derselben Beethoven- oder Mahler-Symphonie hören, und ich freue mich immer, mir noch unbekannte Juwelen zu entdecken. Aber das müssen dann eben auch kostbare Steine sein, um im Bild zu bleiben, und keine Halbedelsteine, die für sich genommen zwar hübsch sind, aber gegenüber den Meisterwerken der erstrangigen Komponisten verblassen. Angesichts der begrenzten Zeit, die mir zum Hören von Musik zur Verfügung steht, und der großen Zahl von Werken auch von erstrangigen Komponisten - gerade im Bereich der Kammermusik -, die ich noch gar nicht oder unzureichend kenne, verspüre ich wenig Neigung, mich mit Kleinmeistern wie Gernsheim oder Raff zu befassen. Den enzyklopädischen Anspruch, alle Werke von allen Komponisten zumindest einmal gehört zu haben, den habe ich nicht. Ich höre das, von dem ich glaube, dass es eine bereichernde Erfahrung für mich ist.


    Eine weitere Frage ist, ob man damit rechnen kann, dass ein ganz großer Komponist vom Range eines Mozart, Beethoven oder Mahler noch der Entdeckung harrt. Ich halte das für relativ unwahrscheinlich angesichts des Eifers, mit dem die Musikwissenschaft heutzutage tätig ist. Ereignisse wie die Wiederentdeckung von Bach durch Mendelssohn sind wohl kaum noch zu erwarten. Die Hebung der Schätze der Barock-Oper ist zwar noch in vollem Gange, aber dass man da auf einen noch kaum bekannten Komponisten vom Range eines Cavalli, Händel oder Rameau stößt, glaube ich auch nicht. Auf lange Sicht sind wahrscheinlich die Randfiguren der Musikgeschichte zu Recht Randfiguren.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich muss zu meiner Verteidigung noch erwähnen, das ich mich vor eigentlich nur mit der Oper beschäftigt habe. Und ich fange jetzt erst an , mich intensiver mit den Sinfonischen Werken zu beschäftigen.

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  • gerade im Bereich der Kammermusik -, die ich noch gar nicht oder unzureichend kenne, verspüre ich wenig Neigung, mich mit Kleinmeistern wie Gernsheim oder Raff zu befassen


    Ich glaube die Trennung zwischen den "Meistern" und den "Kleinmeistern" ist zwar in den meisten Fällen durchaus nachvollziehbar und gerechtfertigt, allerdings nicht an Hand einzelner Werke, sondern eher am Gesamtschaffen. Die "Kleinmeister" haben durchaus in einzelnen Werken das Niveau von weniger gelungenen oder frühen Werken von "Großmeistern" erreicht und sogar überragt. So sind einige Streichquartette von Raff oder Gernsheim sicher befriedigender als ein früher Schubert. Nur funktioniert halt die Vermarktung von Musikwerken anders. Da findet auch der uninspirierteste Schubert mehr Aufmerksamkeit als der inspirierteste Raff. Und wenn man mal in Streichquartette aus der Umgebung von Haydn reinhört, ist die absolute Dominanz seiner Werke in der allgemeinen Wahrnehmung auch nicht 100%ig nachvollziehbar. Da gab es auch andere Könner, nur von denen spricht niemand und die nimmt auch kaum jemand auf. Das finde ich schade und dagegen schreibe ich hier an.

  • Ich bin ja hier massiv angegriffen worden, weil ich mit der "Lucia" nichts anfangen kann, was auch noch für viele andere Opern gerade des italienischen Genres gilt. Und im Sinne dieses threads sage ich: das Bessere ist des Guten Feind. Wer Janaceks Opern fast alle mitsingen kann, der ist für die viele andere Opern einfach verdorben. Wohlgemerkt, das sage ich nur für mich, denn es ist ja schon klar, dass Gutes und Besseres für jeden anders aussehen.
    Dieses Thema hier hat auch ein wenig zu tun mit meinem thread "Das blinde Amseljunge...". Dort kann man lesen, dass man auf bestimmte Komponisten, auf bestimmte Werke und sogar auf bestimmte Interpretationen "geprägt" werden kann, so wie einst die jungen Graugänse Konrad Lorenz als Muttertier angesehen haben. Eine solche Prägung lässt sich nicht einfach abschalten. Ein weiteres, von mir woanders schon erwähntes Beispiel ist dieses: In unserem Männerensemble (etwa 10-12 Männer) singen wir gerade "Ne irascaris Domine", eine zweiteilige Motette von William Byrd. Ich habe daraufhin mir fast alle bei YouTube zugänglichen Aufnahmen angehört und gefunden, dass die von "Stile antico" die perfekte ist. Damit sind in diesem Fall für mich sogar die "King´s Singers" nicht mehr erste Wahl.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)


  • Die "Kleinmeister" haben durchaus in einzelnen Werken das Niveau von weniger gelungenen oder frühen Werken von "Großmeistern" erreicht und sogar überragt. So sind einige Streichquartette von Raff oder Gernsheim sicher befriedigender als ein früher Schubert.


    Wenn dem so ist, dann ist das allerdings ein Grund, sich mit dem einen oder anderen Werk von Raff oder Gernsheim einmal zu befassen. Und entsprechende Hinweise von Dir und anderen finde ich dann auch sehr wertvoll.

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  • Wenn dem so ist, dann ist das allerdings ein Grund, sich mit dem einen oder anderen Werk von Raff oder Gernsheim einmal zu befassen. Und entsprechende Hinweise von Dir und anderen finde ich dann auch sehr wertvoll.

    Hier ist vom frühen Schubert die Rede. Es hat schon einen Grund, warum Haydn und Mozart die Klassik-Ära dominieren und es andere schwer haben. So war ja Salieri zu Mozarts Zeiten recht präsent, ist dann aber zu Recht in der Versenkung verschwunden. Dennoch ist sicher auch bei wenig bekannten Komponisten das eine oder andere zu entdecken. Dazu sind Hinweise im Forum nicht verkehrt. Dass Mozarts oder Haydns Werke kunstvoller als diejenigen der hier erwähnten Namen sind, heißt nicht, das andere auch ihren Reiz haben können. Aber sicher ist, das so mancher mit No Names nichts anfangen kann und dann bei den bekannten Größen bleibt.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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  • Hier ist vom frühen Schubert die Rede.


    Schon verstanden. Aber die Frühwerke von Schubert (oder z. B. Mozart) höre ich durchaus. Daher habe ich mich da bei einer gewissen Inkonsequenz ertappt, die sicherlich dem großen Namen (und meiner Vorliebe für Gesamtaufnahmen :rolleyes: ) geschuldet ist.

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  • Mein Punkt war ja in erster Linie, dass man durch Mahler oder Ligeti (mal ganz abgesehen davon, dass es sich bei diesen beiden um sehr unterschiedliche Komponisten handelt) dann ebenso für Schumann oder Brahms verdorben werden müsste. Warum sollte eine Wertschätzung für Musik der klassischen Moderne einem den Geschmack für Spohr verderben, nicht aber für Schubert oder Schumann?
    Und warum sollte einem Bach nicht den Geschmack für Schubert verderben (oder umgekehrt)?


    Es mag manche Musikliebhaber geben, die so etwas ähnliches erleben. Als relativer Anfänger mit 16-17 habe ich mich so für Beethoven begeistert, dass sowohl Haydn als auch Tschaikowsky für ein paar Jahre abgemeldet waren, obwohl ich deren Musik teilweise VOR Beethovens kennengelernt hatte. Ich würde das aber nicht so formulieren, dass mich Beethoven für Haydn oder Brahms für Tschaikowsky verdorben hätten.
    Ich habe eben genauer festgestellt, welche Musik mich besonders begeistert und dadurch den historischen Zufall, der mich Haydns "Paukenschlagsinfonie" und Tschaikowskys 5. vor der Eroica hat kennenlernen lassen, "überwunden".
    Zu Tschaikowskys Musik habe ich bis heute ein gespaltenes Verhältnis, aber Haydn ist zusammen mit Beethoven mein Lieblingskomponist; insofern war das auch keine endgültige Festlegung.


    Ich glaube daher auch nicht, dass Janacek Pingel für Donizetti verdorben hat. Er schätzt halt Janaceks Stil weit höher und mag Donizetti nicht (wenn ich recht verstehe, war er auch kein großer Donizetti-Fan, BEVOR er Janacek entdeckt hat).


    Es gibt Hörer (und auch Musiker), bei denen man die Vorlieben leicht nachvollziehen kann, andere haben einen sehr breiten Geschmack. Ich weiß aus einem internationalen Forum von einem Hörer (und Musikwissenschaftler), der resigniert feststellte, dass viele Hörer seine beiden besonderen Leidenschaften, nämlich italienische Oper des 19. Jhds., besonders Verdi, und Avantgarde des 20. Jhds., besonders Carter und Boulez, nicht teilen können. Ihn hat Boulez anscheinend nicht für Verdi verdorben.

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  • Was die Relation zwischen "Kleinmeistern" wie Herzogenberg und Brahms angeht, so gibt es anscheinend auch hier unterschiedliche Reaktionen von Hörern. Manchen scheinen die qualitativen Unterschiede wenig relevant und die Musik der weniger bekannten (übrigens bestand auch für Zeitgenossen kaum ein Zweifel am relativen Rang von Gernsheim vs. Brahms) attraktiv, zumal in einem vertrauten Zeitstil. Andere meinen, die Unterschiede sehr deutlich wahrzunehmen und halten die meisten "Kleinmeister" für Zeitverschwendung.


    Ich glaube zwar nicht, dass der, der Brahms UND Messiaen hört, Herzogenberg oder Gernsheim eher ablehnt. Andererseits hat jemand, bei dem die Musikgeschichte ca. 1900 aufhört, vielleicht mehr Muße, sich überhaupt mit Gernsheim zu befassen.


    Freilich gibt es auch einen Unterschied zwischen Komponisten, die in ihrer Zeit sehr hoch angesehen waren (z.B. Telemann oder Spohr), heute aber deutlich im Schatten anderer stehen und solchen, die auch in ihrer Zeit eher in der "zweiten Reihe" gesehen wurden (wie Herzogenberg, bei Gernsheim bin ich nicht sicher).


    Die "Kleinmeister" des 19. Jhds. und der Wiener Klassik haben es m.E. schwerer als weniger bekannte Komponisten des Barock. Zum einen, weil weniger bekannte Barockkomponisten oft eigentlich "Großmeister" waren, zum anderen, weil bis vor wenigen Jahrzehnten die Wahrnehmung des Barock sehr einseitig auf wenige Werke weniger Komponisten (Bach, Händel, Vivaldi) des Spätbarock beschränkt war und vom gesamten Spektrum für viele Hörer noch viel zu entdecken gewesen ist. (Freilich sind es insgesamt auch nicht viele Entdeckungen, die sich stabil etablieren konnten, z.B Bibers Rosenkranz oder Zelenkas Triosonaten)


    Dagegen besteht im 19. Jhd. eine so hohe Dichte von seit langem sehr bekannten und hochangesehenen Komponisten, dass weniger Bedarf für eine Ergänzung des Repertoires besteht.

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  • Ich bin hier vom Timing her hoffnungslos überfordert was die Beantwortung etlicher Argumente betrifft, werde abe voerst auf @Bertaridos Beitrag N 4 anworten:


    Zitat

    Die Frage dahinter ist doch, ob man sich "ganz nette" Musik anhören möchte, die im Vergleich aber doch Mittelmaß ist, wenn man die Werke der großen Meister als Alternative hat

    .


    Diese Einschätzung verschiedener Komponisten, wie sei heute vorgenommen wird, stimmt oft nicht mit der Wahrnehmen deren Zeitgenossen überein.


    Zitat

    Aber das müssen dann eben auch kostbare Steine sein, um im Bild zu bleiben, und keine Halbedelsteine, die für sich genommen zwar hübsch sind, aber gegenüber den Meisterwerken der erstrangigen Komponisten verblassen.


    Schon mit 19, und das ist eine Weile her, war mir bewusst, daß die damals 4 großen "Wiener Klassiker" nicht ausreichend sein würden um mein gesamte Leben mit Musik zu füllen - und so suchte ich nach Komponisten die stilistisch "ähnlich" komponierten. Und ich fand vorerst Johann Christian Bach und auch Johann Nepomuk Hummel die diese Lücken füööen sollten. Was ich damals noch nicht wusste, ist daß der Londoner Bach in der Tat Mozarts Vorbild gewesen ist, und daß Mozart von Hummel derart begeistert war, daß er den Knaben unterrichtete und sogar bei ihm wohnen ließ.....


    Kurz gesagt: Ich SUCHTE geradezu nach Epigonen, die im Stil meiner Lieblingskomponisten schrieben. - und ich fand sie zur Genüge, auch stilistisch leicht abgewandelt und zeitlich geringügig früher oder später. Ob man nun Pavel Vranicky oder Kozeluh (als Beispiel) mit Mozart auf eine Stufe stellt, oder sie als "Kleinmeister betrachtet, das ist vermutlich eine Frage des persönlichen Standpunkts, Lieber als die sogenannten Meister der 2. Wiener Schule höre ich sie allemal.
    Kozeluh (oder Kozeluch), sowie Salieri sind übrigens übrigens gute Beispiele dafür, wie unerschiedlich die Bewertungen dieser Komponisten einst und jetzt sind, Mozart fürchtete beide Konkurrenten - und das völlig zu recht. In einem Brief an seinen Vater lobte Mozart die Klaviersonaten von Schrötter (den heute kaum jemand kennt) ebenso wie jene von Ignace Pleyel. Ja selbst Haydn hatte Angst vor der Konkurrenz seines einstigen Schülers wie ein erhaltener Brief belegt.....


    Vivald vorde noch bis ca der Mitte des 20. Jahrhunderts als "Kleinmeister" gesehen, Boccerini war bis ca 1980 vorzugsweise durch 2 Musikstücke bekannt,


    Zitat

    ...verspüre ich wenig Neigung, mich mit Kleinmeistern wie Gernsheim oder Raff zu befassen.


    Das Problem ist lediglich, daß es keine "Kleinmeister " sind.


    Zitat

    Eine weitere Frage ist, ob man damit rechnen kann, dass ein ganz großer Komponist vom Range eines Mozart, Beethoven oder Mahler noch der Entdeckung harrt. Ich halte das für relativ unwahrscheinlich......


    Die Frage bietet teilweise schon die Antwort in sich selbst. Mahler, wenngleich einst Hofoperndirektor in Wien wurde hier teilweise noch um 1960/70 verachtet - ja teilweise sogar bis heute. Natürlich werden letzteres nur wenige eingestehen.


    Mozarts Beliebtheit stand zu Lebzeiten zeitweise hinter jener von Kozeluch. Letzterer konnte es sich sogar leisten, das Angebot der Erzbischofs von Salzburg, Hieronymus Graf Colloredo, abzulehnen.


    Zitat

    Den enzyklopädischen Anspruch, alle Werke von allen Komponisten zumindest einmal gehört zu haben, den habe ich nicht. Ich höre das, von dem ich glaube, dass es eine bereichernde Erfahrung für mich ist.


    Dem kann ich mich teilweise anschliessen, Zum einen gibt es auch in der Ära der Klassik Komponisten denen ich (bis heute) nixht abgewinnen kann, zum andern höre ich dezidiert keine avantgardistische oder experimentelle Musik, 20, Jahrhundert nur seeeehr wenig, wobei hier die sogenannte "klassische Moderne" überwiegt.


    So das wars bis jetzt. Ich werde mich bemühen in nächster Zeit auf Argumente weiterer Mitglieder in diesem Thread einzugehen......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mir kommt es in diesem Thread so vor, als müsse man so rechtfertigen , was für Sinfonien mann hört. Und es dient doch der Sache nicht, wenn man schreibt, das ein Komponist besser ist wie der andere. Und man kann sich ja schließlich nicht sofort mit allen Komponisten beschäftigen. Ich fange er mal mit denen , die mir bekannten sind an.

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  • Ich glaube es geht nicht darum, persönliche Vorlieben zu rechtfertigen. Ich hatte die Frage in dem anderen Thread eher dahingehend verstanden: Hören die meisten lieber Brahms statt Gernsheim, weil sie Brahms für einen (erheblich) besseren Komponisten halten (wie die "Tradition" seit gut 100 Jahren, in denen Gernsheim praktisch vergesssen wurde, während nahezu alle Orchester- und Kammermusikwerke Brahms sich als Kernrepertoire etablierten), weil ihnen Brahms "mehr gibt", sie stärker begeistert usw.


    Oder haben sie sich irgendwie "die Ohren mit Ligeti verdorben" und hören deshalb keinen Gernsheim, aber seltsamerweise trotzdem noch Brahms, obwohl Ligeti natürlich stilistisch viel weiter von Brahms entfernt ist als Gernsheim. Die zweite Möglichkeit halte ich für falsch, sogar für absurd.


    Natürlich "konkurriert" auch für den Hörer anno 2016 Gernsheim weit eher mit Brahms (oder anderen Komponisten der 1870-90er) als mit einem Komponisten der 1950-90er (wie Boulez oder Ligeti).


    Klar, wenn jemand nur Musik des 19. Jhds. hört, wird ihm vielleicht irgendwann mit nur Brahms langweilig werden und er entdeckt Gernsheim (freilich gibt es da noch ZIEMLICH viel Musik bekannterer Komponisten, die man typischerweise vorher entdecken würde).
    Viele Hörer hören aber auch gerne Musik des 17., 18. Jhds., der klassischen Moderne usw. (selbst wenn man "exotischere" Gebiete wie Avantgarde oder MA + Renaissance ausschließt.) Daher konkurriert Gernsheim für den heutigen Hörer eben nicht nur mit den stilistisch recht nahen Komponisten der 1860-80er wie Brahms und Dvorak, sondern für den heutigen Hörer auch mit Monteverdi, Purcell, Rameau, Stravinsky, Ravel, Bartok usw.

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  • lutgra schrieb in Beitrag Nr 6


    Zitat

    Nur funktioniert halt die Vermarktung von Musikwerken anders. Da findet auch der uninspirierteste Schubert mehr Aufmerksamkeit als der inspirierteste Raff.


    Auch wenn ich noch kein Werk von Schubert als uninspiriert empfand - so trifft lutgra mit diesem Statement dennoch den Nagel auf den Kopf.


    Zitat

    Und wenn man mal in Streichquartette aus der Umgebung von Haydn reinhört, ist die absolute Dominanz seiner Werke in der allgemeinen Wahrnehmung auch nicht 100%ig nachvollziehbar. Da gab es auch andere Könner, nur von denen spricht niemand und die nimmt auch kaum jemand auf. Das finde ich schade und dagegen schreibe ich hier an


    Diese Aussage findet sich schon zu Lebzeiten Haydns voll bestätigt, weil nämlich zahlreiche Werke anderer Komponisten unter seinem Namen verkauft wurden - und niemand hats gemerkt !!!
    Auch ich kämpfe dafür, daß die Werke nach ihrer Qualität (wie immer man sie definiert) und nicht nach ihrer angeblichen Herkunft beurteilt werden. Speziell auf dem Gebiet der Kammermusik gibt es sehr viel Hörenswertes von weniger bekannten Komponisten.
    mfg aus Wien
    Alfred

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  • Bertarido schrieb in Beitrag Nr 9

    Zitat

    Wenn dem so ist, dann ist das allerdings ein Grund, sich mit dem einen oder anderen Werk von Raff oder Gernsheim einmal zu befassen.


    Aber auf Grund der Prägung auf eine Auswahl bestimmter Komponisten, wird dir unter Umständen der Zugang erst nach mehrmaligem Hören von ein oder 2 Werken des jeweiligen Kandidaten möglich sein.


    Der Unterscied ist ja IMO jener: Hört man ein hochgelobtes Werk eines berühmten Komponisten und es gefällt einem nicht, da sagt man zu sich "Ich habe den Zugang noch nicht gefunden, ich werde versuchen ihn mir zu erarbeiten"


    Tritt die gleiche Situation bei einem wiederentdeckten "Kleinmeister" auf, dann sagt man zu sich:
    "Wie langweilig !! Das war ja schliesslich zu erwarten - deswegen ist er ja letztlich in Vergessenheit geraten......


    Bertarido schrieb in Beitrag Nr 11

    Zitat

    Aber die Frühwerke von Schubert (oder z. B. Mozart) höre ich durchaus. Daher habe ich mich da bei einer gewissen Inkonsequenz ertappt, die sicherlich dem großen Namen (und meiner Vorliebe für Gesamtaufnahmen ) geschuldet ist.


    ..die sicherlich dem großen Namen geschuldet ist.
    Wir erleben immer wieder, daß Werke, welche berühmten Komponisten zugeschrieben wurden, im Nirwana landeten, wenn ihre Zuschreibung sich als falsch herausstellte.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Unterscied ist ja IMO jener: Hört man ein hochgelobtes Werk eines berühmten Komponisten und es gefällt einem nicht, da sagt man zu sich "Ich habe den Zugang noch nicht gefunden, ich werde versuchen ihn mir zu erarbeiten"


    Hallo Alfred,


    würde ich nicht zwingend so sehen. Der (erfahrene) Hörer dürfte auch bei Werken, die ihm nicht unmittelbar liegen, zumindest das Potenzial erkennen, dass "eine 2. Chance" nahe legt.


    Viele Grüße
    Frank

  • Meiner Ansicht nach reduziert sich die Frage, ob (und ggf. wie ausführlich) man sich mit z.B. Gernsheim (ich habe, glaube ich, noch keine Musik von ihm gehört) befassen sollte, auf einige, eher banale Faktoren:


    1. Wieviel Zeit verbringe ich überhaupt mit Musikhören?
    2. Wie intensiv befasse ich mich mit einzelnen Musikstücken (also vielfaches Hören immer wieder derselben Stücke vs. Entdecken von Neuen)? Hierzu gehört bei den meisten Hörern auch die Frage, wie viele unterschiedliche Aufnahmen/Mitschnitte etc. bestimmter Stücke man hören will.
    3. Wie festgelegt bin ich auf bestimmte Gattungen oder historische Perioden?


    Wenn man bei 3 sehr breit aufgestellt ist, wird es evtl. schon schwerfallen, die fraglos anerkannten Werke der "Großmeister" angemessen zu hören. Wer, sagen wir, alle Monteverdi-Madrigale, alle Bachkantaten, alle Haydn-Sinfonien, Schubert-Lieder und auch noch sämtliche Orgelwerke Messiaens aufnehmen und "verdauen" möchte (oder auch nur einen signifikanten Anteil solcher Werkgruppen), der hat vielleicht nicht die Muße auch noch Marenzio, Dittersdorf, Lachner oder Raff ausführlich zu hören.
    Wer dagegen am liebsten oder beinahe aussschließlich z.B. Sinfonien des 19. Jhds. hört, wird sicher mit Raff zumindest einen Versuch machen.
    Viele Hörer sind aber schon mit 100 Haydn-Sinfonien ausgelastet oder überfordert oder finden Musik des 18. Jhds. eher "zu leicht" oder "langweilig". Wenn einem die Haydn-Sinfonien (oder nur das bekannteste Drittel davon) schon zu viel sind, was will man dann mit Dittersdorf oder Kozeluch?



    Was "Jugend"- oder "Nebenwerke" bekannter Komponisten betrifft, gibt es hier m.E. unterschiedliche Fälle. Manchen davon geht es beinahe wie den Werken Gernsheims, d.h. sie werden von den berühmten Werken ihrer Schöpfer genauso an den Rand gedrängt wie Gernsheim von Brahms. (Das gilt z.B. für eine Anzahl von Sinfonien Haydns oder für die drei Klavierquartette, die Beethoven als Teenager schrieb.)
    Manche würden vermutlich kaum je gespielt oder aufgenommen, wenn sie nicht von einem berühmten Komponisten stammen würden (hierunter fällt m.E. einiges unter den ersten 200 Köchel-Nummern).
    Andererseits haben einige Komponisten tatsächlich schon als Teenager Werke komponiert, die viele ihrer Zeitgenossen übertreffen und zu Recht ähnlich hoch geschätzt werden wie unzweifelhaft "reife" Werke. Mozart hat mit 16-17 (also auch noch unter Köchel 200) ähnlich gute oder bessere Sinfonien komponiert als Joh. Chr. Bach 1772 (wenn auch vielleicht nichts so kühnes und beeindruckendes wie Haydns Abschiedssinfonie), ebenso ist Mendelssohn mit dem Oktett m.E. besser als Spohr je komponiert hat.

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  • Wenn einem die Haydn-Sinfonien (oder nur das bekannteste Drittel davon) schon zu viel sind, was will man dann mit Dittersdorf oder Kozeluch?


    Da ist natürlich etwas dran. Heute morgen beim Hören des dritten Streichquartetts von Ferdinand Ries, das wieder sehr nach Haydn klingt, habe ich mich auch gefragt, ob ich die fehlenden 22, die bisher nicht eingespielt wurden, wirklich vermisse. Es würde die Zahl der Haydn-(artigen) Quartette von 83 auf 109 erhöhen, wenn ich andere Komponisten der Epoche hinzunehme vermutlich auf 200-300.

  • timmiju


    timmiju schrieb in Beitrag Nr 10


    Zitat

    Es hat schon einen Grund, warum Haydn und Mozart die Klassik-Ära dominieren und es andere schwer haben.


    Im Falle Mozarts ist es neben den unleugbaren musikalischen Qualitäten die Kombination von Vielseitigkeit und interessantem Lebenslauf, wo es von Legendenbildung geradezu wimmelt.
    Im Falle Haydns ist die Vorrangstellung eher erstaunlich: Sachlich betrachtet ein Provinzkapellmeister, dessen Opern eher unterdurchschnittlich waren, dessen genauso wie seine Klaviersonaten (die allerletzten ausgenommen), das Gleiche gilt auch für seine Konzerte. Im Falle der Sinfonien kann man die letzten als herausragend betrachten (wenngleich ich ALLE liebe), ansonsten waren sie Massenware am Puls der Zeit (Das wäre IMO ein hübsches Threadthema) Herausragen waren auch die beiden Oratorien "Die Jahreszeiten" und "Die Schöpfung" Die Streichquartette gelten zwar als Maß aller Dinge (wenngleich Boccherini ein ernstzunehmender Konkurrent war, den am aber im Laufe der Zeit (fast) vergessen hat. Anzumerlen wäre hier, dass dies EIGENTLICH nicht für den überragenden Ruhm, den Haydn derzeit geniesst, als Erklärung ausreichen kann, denn Kammermusik hat kaum jemals die "Massen" bewegt. So war ja Haydn in der Tat relativ lange in die zweite Reihe geschoben worden - man beachte das Statement von Robert Schumann, der da meinte Haydn habe den Menschen seiner Zeit eigentlich nichts mehr zu sagen


    Zitat

    So war ja Salieri zu Mozarts Zeiten recht präsent, ist dann aber zu Recht in der Versenkung verschwunden.


    Zu recht ? Wieso bitte zu recht ?
    Weil Mozart einige abfällige Bemerkungen über ihn gemacht hat? (In Wahrheit haben sich die beiden FACHLICH recht geschätzt)
    Weil sein Image in diversen unsäglichen Mozart Filmen der dramatischen Wirkung wegen angepatzt wurde ?


    Man sehe sich den Videoclip an und höre in die beiden Ouvertüren hinein - und begreife warum zwischen Salieri und Mozart ein permanenter Konkurrenzkampf (keine Feindschaft !!!) bestand.
    Anzumerken wäre noch, daß Salieri auf OPERN spezialisiert war (ca 40) , es gibt ansonsten relativ wenige Kompositionen von ihm





    Zitat

    Aber sicher ist, das so mancher mit No Names nichts anfangen kann und dann bei den bekannten Größen bleibt.


    Natürlich - weil da weiss man schon welchen Stellenwert sie haben. Da plappert man das Bekannte nach - und blamiert sich wenigstens nicht. Also Hände weg von unbekannten Komponisten. Sonst geht es einem so wie im Fall des schweizer Komponisten Otto Jägermeier:


    Otto Jägermeier - ein reales Phantom ?


    mfg aus Wien
    Alfred

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  • timmiju


    timmiju schrieb in Beitrag Nr 10



    Im Falle Mozarts ist es neben den unleugbaren musikalischen Qualitäten die Kombination von Vielseitigkeit und interessantem Lebenslauf, wo es von Legendenbildung geradezu wimmelt.
    Im Falle Haydns ist die Vorrangstellung eher erstaunlich: Sachlich betrachtet ein Provinzkapellmeister, dessen Opern eher unterdurchschnittlich waren, dessen genauso wie seine Klaviersonaten (die allerletzten ausgenommen), das Gleiche gilt auch für seine Konzerte. Im Falle der Sinfonien kann man die letzten als herausragend betrachten (wenngleich ich ALLE liebe), ansonsten waren sie Massenware am Puls der Zeit (Das wäre IMO ein hübsches Threadthema) Herausragen waren auch die beiden Oratorien "Die Jahreszeiten" und "Die Schöpfung" Die Streichquartette gelten zwar als Maß aller Dinge (wenngleich Boccherini ein ernstzunehmender Konkurrent war, den am aber im Laufe der Zeit (fast) vergessen hat. Anzumerlen wäre hier, dass dies EIGENTLICH nicht für den überragenden Ruhm, den Haydn derzeit geniesst, als Erklärung ausreichen kann, denn Kammermusik hat kaum jemals die "Massen" bewegt.


    Haydn war Zeit seines Lebens berühmter als Mozart; er war schon um 1770 ein berühmter Komponist und ab Anfang/Mitte der 1780er vermutlich der angesehenste Komponist Europas (spätestens mit den "Pariser Sinfonien", aber dieser Auftrag spricht deutlich für den schon vorhergehenden Ruhm). Die Biographie war damals völlig egal. Das wird erst nach Mozart mit der romantisierenden Rezeption im 19. Jhd. teilweise relevant (und auch dann dominiert natürlich bei den meisten die Musik die Biographie - Brahms oder Dvorak hatten auch keine skandalöse oder geheimnisvolle Biographie).
    Opern waren tendenziell "Eintagsfliegen" (was man daran sieht, wie relativ wenig Mozart von seinen Opernerfolgen dauerhaft profitieren konnte). Außerdem waren einige von Haydns Opern seinerzeit durchaus angesehen; er hat sogar noch eine für London komponiert.
    Seine Instrumentalmusik ist auch keine Massenware, sondern war für zwei Generationen von Komponisten stilprägend.
    Schließlich war damals die Rezeption auch viel mehr als heute von denen bestimmt, die die Musik spielen wollten (weil man das meistens musste, wenn man Musik hören wollte....). Daher ist auch nicht verwunderlich, dass die heute teils nicht so bekannten Streichquartette, Trios, Klaviersonaten u.a. Kammermusik Haydn sehr relevant für seinen europaweiten Ruhm waren, weil es sich oft um ideale Musik zum Musizieren von (mehr oder weniger ehrgeizigen) Amateuren handelte.


    Man darf sich nicht dadurch, dass in den 1780er und 90ern selbstverständlich auch viele andere Komponisten, die heute nahezu vergessen sind, hoch angesehen waren, dahingehend täuschen lassen, dass Haydn (und auch Mozart) nicht sehr bald als herausragende Erscheinungen gesehen wurden, und keineswegs als zwei beliebige unter den vielen Paisiellos, Gyrowetzens und Dittersdorfs. Schon 1792 schrieb Graf Waldstein Beethoven die Zeilen von "Mozarts Geist aus Haydns Händen" und um 1810 ist für E.T.A. Hoffmann von den Komponisten der 1770er-90er außer Haydn und Mozart eigentlich nur noch Gluck relevant (und der natürlich nur in der Oper). Schon bei den (teils kritischen) Rezensionen zu den ersten beiden Sinfonien wird Beethoven häufig mit Mozart und Haydn verglichen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Johannes Roehl schrieb

    Zitat

    Warum sollte eine Wertschätzung für Musik der klassischen Moderne einem den Geschmack für Spohr verderben, nicht aber für Schubert oder Schumann?


    Zynisch gesagt bedarf es in meinem Fall nicht der Klassischen Moderne um mir den Geschmack an Spohr zu verderben – ich empfinde ihn als Langweiler.


    Und hier sind wir schon wieder beim Thema. Spohr war zu Lebzeiten derart berühmt, dass ich die Schuld bei mir suche und nicht bei Spohr. Daher werde ich mich noch in diesem Jahr eingehender mit ihm beschäftigen, das entsprechende Tonmaterial habe ich bereits gekauft und es wartet nur auf seinen Einsatz. Wäre Spohr indes ein unbekannter Komponist, würde ich ihn schnell verwerfen…..


    Johannes Roehl schrieb :

    Zitat

    Ich glaube zwar nicht, dass der, der Brahms UND Messiaen hört, Herzogenberg oder Gernsheim eher ablehnt. Andererseits hat jemand, bei dem die Musikgeschichte ca. 1900 aufhört, vielleicht mehr Muße, sich überhaupt mit Gernsheim zu befassen.


    Das ist eine schlüssige These
    Ich möchte ihr DENNOCH eine ALTERNATIVE entgegensetzen:


    Die genannte fiktive Person hört keine Musik nach 1900 WEIL sie sich vom persönlichen Klangideal entfernt hat, Gernsheims Tonsprache (und zahlreicher anderer seiner Zeitgenossen) indes sehr gut ins persönliche Schema passen, bzw. die subjektive Klangvorstellung besser bedienen können.
    Im Booklet zu Gernsheims Violinkonzert wird darauf hingewiesen, dass Gernsheims Musik vom ersten Augenblich VERTRAUT klingt, auch wenn man noch nie etwas von ihm gehört hat. Genau diese Eigenart ist in meinen Augen (Ohren) seine Stärke.


    Im Falle von Ries, ist es so, dass seine SINFONIEN (und nur sie) den Eindruck erwecken, da seien einige weniger bekannte Werke Beethovens in den Archiven gefunden worden,
    Ein vertrauter Stil, eine andere Melodie – was will man mehr.


    Weltveränderer aller Spezies waren mir stets suspekt, oder besser gesagt ein Gräuel,
    Fortschritt der mein Leben bequemer macht, natürlich ausgenommen….
    und da bin ich natürlich kein Einzelfall


    Johannes Roehl schrieb :

    Zitat

    Hören die meisten lieber Brahms statt Gernsheim, weil sie Brahms für einen (erheblich) besseren Komponisten halten (wie die "Tradition" seit gut 100 Jahren, in denen Gernsheim praktisch vergesssen wurde, während nahezu alle Orchester- und Kammermusikwerke Brahms sich als Kernrepertoire etablierten), weil ihnen Brahms "mehr gibt", sie stärker begeistert usw.


    Sie hören Brahms, weil es „zum guten Ton“ bze „zur „Kultur“ gehört, wie man einst Goethe und Schiller las.


    Johannes Roehl schrieb


    Zitat

    Viele Hörer sind aber schon mit 100 Haydn-Sinfonien ausgelastet oder überfordert oder finden Musik des 18. Jhds. eher "zu leicht" oder "langweilig". Wenn einem die Haydn-Sinfonien (oder nur das bekannteste Drittel davon) schon zu viel sind, was will man dann mit Dittersdorf oder Kozeluch?


    Einverstanden. Aber einem echten Musikfreund sind 105 Haydn Sinfonien nicht zuviel – für ein ganzes Leben lang. Ich habe mir einige Mozart Klavierkonzerte sehr lange „aufbewahrt“ – und auch einige Haydn Sinfonien, damit ich auch im Alter etwas Neues von ihnen hören kann (Moozart ist durch , es dürften indes etwa 10- 15 Haydn Sinfonien geben., die ich noch nie gehört habe. Dazwischen habe ich eben Pleyel und andere gehört…


    lutgra schrieb:

    Zitat

    Heute morgen beim Hören des dritten Streichquartetts von Ferdinand Ries, das wieder sehr nach Haydn klingt, habe ich mich auch gefragt, ob ich die fehlenden 22, die bisher nicht eingespielt wurden, wirklich vermisse.


    Ich vermisse sie nicht wirklich, aber ich würde mich vermutlich freuen, wenn ich einige davon noch in diesem Leben hören könnte


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich denke, dass es nicht nur die konservativen Neuerungsverweigerer sind, die sich mit den weniger bekannten Tonkünstlern anderer Jahrhunderte beschäftigen; so höre ich zum Beispiel auch immer wieder moderne und auch zeitgenössische Kompositionen, jedoch bringt mich die schiere Neugier dazu, immer wieder unbekannte Komponisten vergangener Zeiten zu entdecken, und dies nicht nur, weil der ein oder andere Komponist "wie Mozart", "wie Haydn" oder "wie Beethoven" klingt, sondern weil er einfach einen Farbtupfer mehr auf der Palette darstellt, ohne dass er jetzt bahnbrechend und innovativ sein muss.


    Ansonsten ist natürlich Johannes' Einwand berechtigt: allein sich mit dem kompletten Werk von Mozart, Beethoven und co intensiv auseinanderzusetzen, ist für sich genommen schon eine Lebensaufgabe...

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  • Ich frage mich, ob man durch bestimmte Musik ganz generell "verdorben" werden kann.


    Man wird erst dann "verdorben" - meiner Meinung nach - wenn man:


    - sich stur auf bestimmte Musikarten konzentriert, und nicht nach rechts und links schaut
    - sich generell der Musik und ihren Sparten einseitig nähert
    - nicht dazulernen möchte
    - Neuem und Unbekanntem generell ablehnend und vorurteilsbehaftet gegenübersteht, und
    - sich musikalisch nicht weiterentwickeln will


    LG Chris

  • Ich bin jetzt nicht mit allem einverstanden, was unser engagierter Freund Classicophil-Chris bislang an diesem Ort veröffentlicht hat, aber mit seinem letzten Posting hat er gnadenlos Recht, in allen Punkten.


    :thumbsup: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ganz recht. Und wenn ich sehe, was er an anderer Stelle schon geschrieben hat, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, er ist offensichtlich für vieles schon – nein, diesmal sage ich nicht verloren, sondern verdorben.


  • Ich sehe das nicht so, weil ich durch meine Kenntnis der Musikgeschichte für bestimmte Arten von Musik tatsächlich verdorben worden bin. Ich war schon vorher kein Freund der italienischen Oper, obwohl ich einzelne Werke derselben durchaus schätze (etwa Tosca, Suor Angelica, La Traviata, Don Carlos). Aber nach der intensiven Beschäftigung mit den Janacekschen und Cavallischen Opern habe ich daran noch mehr die Lust verloren; auch Fidelio ist diesem Trend endgültig zum Opfer gefallen. Der Entdecker der Cavallischen Opern war Raymond Leppard, der sie in Glyndebourne aufgeführt hat, aber mit unzureichenden Fassungen, Sängern und Orchestern. Die nachfolgenden Interpreten, etwa René Jacobs, haben diese CDs obsolet gemacht. Auch neue Interpretationen können einen für alte verderben.
    Hier ist es ja gerade so, dass meine Entdeckerfreude zu diesen neuen Werken geführt hat und nicht meine Ablehnung. Das vermehrte Hören der alten polyphonischen Werke vor allem des 16. Jahrhunderts hat dazu geführt, dass ich die Messen von Haydn, Mozart und Schubert überhaupt nicht mehr höre. Hier im westlichen Ruhrgebiet sammelt ein Oberhausener Kantor gerade Stimmen für eine Aufführung der großen Mozart-C-Dur-Messe. Dafür habe ich mich nicht gemeldet, und zwar aus dem Grund, dass es bestimmt ein schönes Werk ist, aber in einer sopranbetonten Komposition die Tenöre nur die Füllstimmen sind. Meine Erfahrungen beruhen hier auf der Krönungsmesse, die ich durchaus gerne gehört, aber sehr ungern gesungen habe.
    Was die Moderne betrifft: gerade durch Polyphonie und Barock bin ich mit dem Hören so ausgelastet, dass ich mir keinen Schönberg, Boulez oder Stockhausen anhören kann. Hier im Forum hat mal einer sinngemäß gesagt (leider weiß ich nicht mehr, wer es war): "Aus einem mehrfach bestätigten Vorurteil kann sich letzten Endes ein gut begründetes Urteil bilden!"

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat

    "Aus einem mehrfach bestätigten Vorurteil kann sich letzten Endes ein gut begründetes Urteil bilden!"


    Das sogenannte VOR-Urteil ist ja in der Regel keines, sondern ein statistische PAUSCHAL-Urteil. Wenn man beobachtet hat, daß mehrere Leute von Hunden gebissen wurden, dann wird der Mittelmässige erklassen, daß ALLE Hunde beissen, der Intelligente wird auf das tatsächlich bestehende Gefahrenpotential hinweisen (deshalb auch Beißkorbpflicht) und der Dumme wird erklären, die Geschichte vom bissigen Hund sei ein "Vorurteil", das unhaltbar sei, mean möge den Hunden doch mit Vertrauen und offenen Herzens begegnen.


    Ich nehme an, daß jeder verstanden hat was ich hier sagen wollte.


    Übertragen wir diese Aussage auf gewisse Musikrichtungen, daß wird klar, daß es hier von "Vorurteilen" bzw "Pauschaleinschätzungen" nur so wimmelt und das über das Musikalische das Ideologische oft einen starken Einfluß auf das hat, was der Einzelne hört. So finden wir eine Gruppe von "Fortschrittlichen", die avantgardistische Musik nur deshalb hören, weil sie Ausdruck ihres Idealbildes der Gesellschaft ist, wogegen ander Gruppen die alte "aristokratisch-bürgerliche" Musik bevorzugen, teilweise des schönen Klanges wegen, teils wegen ihrer Symbolik.


    Die "Gallionsfiguren" beider Richtungen sind indes sakrosankt, kaum jemand wird Mozart oder Beethoven ernstlich ankreiden, und nur wenige wagen über Cage (nur als Beispiel) das zu sagen was sie wirklich denken. Da muß man schon selber de facto sacrosankt sein, um sich das zu erlauben.


    Da man über Haydn Mozart und Co nicht sagen kann, ihre Werke wären verstaubt, bedient sich der gebildete Modernist sich deren "Stellvertreter", die als "langweilig" und "mittelmäßig" und "verstaubt", sowie als beinahe "Plagiatoren" dargestellt werden. Diesen Konflikt kann man nicht aufjösen, lediglich beschreiben.


    "Allrounder", die alle Musikrichtungen lieben gibt es - aber sie sind selten.....


    PS: Der Threadtitel wurde von mir übrigens BEWUSST provokativ formuliert - ich hatte eigentlic mit eher geringer Beteiligung gerechnet, und wollte gegensteuern......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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