In dieser Diskussion soll es nicht um die musikalischen Meriten von Herbert von Karajan gehen, die - wenn auch durchaus diskussionswürdig - im Grundsatz nicht bestritten werden können. Hier soll es um die Einflüsse des Dirigenten/Managers/Unternehmers von Karajan gehen, die dieser im sinfonischen und besonders im Opernbereich wie kaum ein anderer in der Wiederaufbauära nach dem 2. Weltkrieg hatte. Karajan trug wesentlich dazu bei, dass der Opernbetrieb internationalisiert wurde. Er schuf und förderte die Zusammenarbeit zwischen den führenden Opernhäusern und den Austausch von Produktionen. Ihm ist es mit zu verdanken, dass wir Sänger wie Callas, Tebaldi, Corelli, del Monaco, Siepi und viele andere an deutschen Opernhäusern hören konnten. Er förderte konsequent das Singen in Originalsprache, so dass es heute fast Standard ist. Durch ihn wurde die Weiterentwicklung der Aufnahmetechnik und des Standards der Tonträgerindustrie vorangetrieben. Er gründete die Salzburger Osterfestspiele. Wahrscheinlich und hoffentlich kommen im Fortgang der Diskussion noch eine Reihe weiterer Verdienste hinzu. Nun aber zur Kehrseite der Medaille: Durch die von Karajan vorangetriebene Internationalisierung wurde die Zerschlagung der Ensembles an den Opernhäusern zumindest vorangetrieben. Wenn geklagt wird, dass gegenwärtig nicht mehr so gut gesungen wird wie früher, dann ist die Ursache keinesfalls, dass es heute weniger gute Stimmen gibt als früher. Die Ursache ist, dass die Sänger nicht mehr in einem Ensemble reifen und gut geführt in Partien hinein wachsen können. Im internationalen Opernbetrieb werden sie gnadenlos verheizt. Durch weltweite Vernetzung fiel den Regisseuren eminente Macht zu. Sie können jetzt jederzeit auf einen weltweiten Sängerpool zurückgreifen, müssen kaum mehr Rücksicht auf am Haus engagierte Sänger nehmen, da es die ja nur noch in kleiner Zahl gibt. Daher können sie frei besetzen und austauschen. Teile und herrsche in Reinkultur. Durch das Singen in Originalsprache wurde die Oper noch mehr in die elitäre Ecke gedrängt. Die Hürde, in die Oper zu gehen wurde für bestimmte Schichten noch höher. Die wunderbaren deutschen Spielopern, wie "Undine", "Waffenschmied", "Martha", "Zar und Zimmermann", "Trompeter von Säckingen", "Wildschütz", "Die lustigen Weiber von Windsor", "Der Evangelimann" werden aus den Spielplänen verdrängt, weil diese so schöne deutsche Romantik international nicht gut zu vermarkten ist. Gott sei Dank gehören die Ohrwürmer aus diesen Opern noch zu den bevorzugten Stücken in Arienprogrammen der Sänger im Konzertsaal. Ach, wirklich die besten Chancen haben heute die Sängerinnen und Sänger, die marketingmäßig gut zu vermarkten und für Intendanten und Regisseure pflegeleicht sind.Hat der jetzt von mir für die Entwicklung der Oper in der Nachkriegszeit arg strapazierte Herbert von Karajan wirklich so großen Anteil? War er mehr der Erneuerer oder doch der Zerstörer, der einst so heilen Opernwelt? Ich bin auf eure Beiträge gespannt.
Herzlichst
Operus