Grazyna Bacewicz - Die Streichquartette

  • Grazyna Bacewizc ist die Grande Dame der polnischen Musik. 1909 in Lodz geboren begann sie mit 5 Jahren mit dem Geigenspiel und spielte bereits vor dem 12. Geburtstag diverse Violinkonzerte öffentlich. 1932 graduierte sie am Warschauer Konservatorium sowohl mit Komposition wie auch mit Violine. Danach ging sie für einige Zeit nach Paris, zu wem wohl? Na klar, Nadia Boulanger. 1936 wurde sie Konzertmeisterin beim Polish Radio Orchestra unter Gregorz Fitelburg. Während der harten Kriegsjahre widmete sie sich vor allem der Komposition. In den Nachkriegsjahren war die Situation auch schwierig, da dass Regime für musikalische Neuerungen anfangs nicht aufgeschlossen war. Das änderte sich erst Mitte der 50er Jahre mit dem 1. Internationalen Festival für Zeitgenössische Musik in Warschau bei dem ihr 4. Streichquartett neben Musik von Stravinsky, Schönberg, Bartok, Shostakovich, Honegger und Lutoslawski aufgeführt wurde. Als Geigerin hinterliess sie vor allem Werke für ihr Instrument, u.a. 6 Violinkonzerte, aber eben auch 7 Streichquartette. Nachdem diese bereits vor einigen Jahren eine GA auf obskurem Label erfuhren, dürfte jetzt mit der zweiten GA auf Naxos ihr Streichquartettschaffen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich werden.


  • Die Streichquartette von Gryzyna Bacewicz begleiten ihre gesamte musikalische Entwicklung, das erste entstand 1938/39, da war die Komponistin 30, das letzte 1965, vier Jahre vor ihrem Tod.
    Das erste ist ein frisches und vergleichsweise unkompliziertes Werk von 17 min mit drei Sätzen. Was sofort auffällt, ist ein eigener Ton, dieses Quartett erinnert so richtig an kein anderes. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Polen auch nur die beiden Gattungsbeiträge von Karol Szymanowski, als deren Weiterentwicklung man diesen Erstling sehen könnte. Die Tonsprache ist zeitgemäß, also noch tonal, aber durchaus mit einigen dissonanten Schärfen, man könnte es am ehesten dem Neoklassizismus zuordnen, obwohl das eigentlich nicht richtig passt. Ein sehr originelles und interessantes Werk, das man sicher öfters hören muß, um es richtig einordnen zu können.
    Das junge polnische Lutoslawski Quartett hatte mich kürzlich schon mit einer Einspielung des Quartetts seines Namenspatrons überzeugt und tut dies auch hier. Das wird wohl eine spannende Serie.

  • Während das 1. Streichquartett wenige Monate vor dem Überfall Deutschlands auf Polen entstand und dieses für das Land katastrophale Ereignis natürlich nicht vorausahnt, entstand das 3. Quartett 1947. Bacewicz lebte mit ihrer Famile wieder im weitestgehend zerstörten Warschau, konnte aber als konzertierende Violinistin reisen und tat das auch, u.a. nach Paris. Dort hat sie z.B. 1946 unter Paul Kletzki das 1. Violinkonzert von Szymanowski gespielt. In Paris entstand wohl auch das 3. Streichquartett, dass kaum etwas von den zurückliegenden düsteren Jahren spüren lässt. Ein neoklassizistisches Werk, dreisätzig ca 18 min. Beim Hören dieses Quartetts habe ich mich gefragt, ob Bacewicz bereits eines der drei Streichquartette kannte, die DSCH bis dahin komponiert hatte. Einige stilistische Eigenheiten und Wendungen könnten daraufhin deuten, obwohl der Tonfall ein ganz anderer ist. Es kann aber auch einfach ein zufälliger Zusammenklang sein. Inwieweit sich Bacewicz in diesem Werk den Forderungen des "sozialistischen Realismus" beugte, ist schwer abzuschätzen, vielleicht kommt der positive Impetus auch durch das überlebte Elend und die Freude, die internationale Karriere fortsetzen zu können. Jedenfalls ein sehr schönes Werk, dass unbedingt gehört werden sollte.


    Übrigens beantwortete DSCH 1968 die von Krystzof Meyer an ihn gerichtete Frage, ob er die Musik Bacewicz' kenne, positiv und äußerte sich auch lobend über deren Musik. Ob die zwei sich je begegnet sind, habe ich nicht herausfinden können.


    Wer etwas mehr über das Leben der Komponistin wissen möchte, dem kann ich den folgenden englischsprachigen Artikel empfehlen.

  • Inzwischen ist auch die Gesamtschau der sieben Streichquartette von Grazyna Bacewicz durch das Lutoslawski Quartett für Naxos abgeschlossen. Und während schon die sieben Streichquartette von Paul Hindemith immer noch randständig sind, gilt dies umso mehr für die Werke der polnischen Komponistin. Das haben sie aber nicht verdient. Wenn man das die zweite CD eröffnende vierte Streichquartett von 1951 hört, drängt sich schon der Gedanke auf, dass es hier noch einiges zu entdecken gibt. Die Musik ist sicher "hörerfreundlicher" als die von Hindemith oder Bartok, und wer Janacek oder Schostakowitsch schätzt, sollte auch von diesem Stück angesprochen werden.
    Auch bei diesen Aufnahmen dürfen wir von neuen Referenzeinspielungen reden. Zwar gibt es bereits eine Gesamtschau durch das Amar (Zufall ?!) Corde Quartett, einer reinen Damenformation. Aber diese Aufnahmen sind schwer zu bekommen und kostspielig.

    Das 2007 gegründete Lutoslawski Quartett dürfte sich mit dieser Einspielung als drittes exzellentes junges Streichquartett - neben dem Royal String Quartett und dem Szymanowski Quartett - in Polen etabliert haben.


    @ Dieter Stöckert: gleich mitbestellen ;)