„…bisweilen habe ich so melancholische Anfälle“ – Mozarts a-moll-Sonate

  • Hallo!


    Wie das manchmal so ist, vom neuen Schnabel-thread angeregt habe ich mir seine Aufnahme von Mozarts a-moll-Sonate angehört, was dann zu einem Vergleichshören geführt hat, von dem ich hier berichten möchte.


    Zunächst mal zum Werk: Hier geht es um die


    Klaviersonate a-moll KV 310 von Wolfgang Amadeus Mozart.


    Komponiert wurde sie 1778 in Paris. Das Zitat aus der thread-Überschrift stammt aus einem Brief Mozarts a seinen Vater aus dieser Zeit. Die melancholische Stimmung, die sich in der Sonate niederschlägt, kann man auf den Tod von Mozarts Mutter zurückführen.


    Die a-moll-Sonate ist dreisätzig: allegro maestoso (a-moll) – andante cantabile con espressione (F-dur) – presto (a-moll).


    Es war die erste Mozart-Sonate, die ich kennengelernt hatte und ist immer noch eine meiner liebsten.
    Ich hoffe, Ulli kann einige historische und kompositorische Details zu dieser Sonate berichten.



    Glücklicherweise stehen mir vier sehr interessante CDs mit Einspielungen dieser Sonate zur Verfügung, die verglichenen Interpreten sind: Friedrich Gulda (FG), Maria Joao Pires (MJP), Andras Schiff (ASf) und Artur Schnabel (ASn).


    Die Zeiten:
    FG: 6:03 – 8:42 – 3:04
    MJP: 7:58 – 9:09 – 2:45
    ASf: 5:37 – 7:52 – 2:55
    ASn: 5:36 – 10:25 – 2:51


    Das folgende spiegelt natürlich ausschließlich meine ganz subjektive Wahrnehmung wieder!


    1.Satz:


    1. :yes: Gulda: „just play Mozart“, etwas besonderes und doch für alle Tage, ein wirkliches Allegro maestoso (maestoso: feierlich, erhaben), es war immerhin der 3.10. als ich es gehört hatte – Feiertagsmusik, mit gezügeltem Temperament.
    2. :] Pires: schneller als Gulda, eher ein Allegro vivace, nicht maestoso genug, aber doch überzeugend, MJP wiederholt als einzige Durchführung und Reprise.
    3. :) Schiff: ähnlicher Ansatz wie Pires, etwas härter, kontrollierter, für den Gestus dieser Sonate etwas zu undramatisch und akademisch, das Tempo ist eher allegro molto. Die Gesamteinspielung von ASf ist hervorragend, aber Einzelaufnahmen findet man wohl immer bessere, gerade bei dieser Sonate. Das ausgewogene Spiel von ASf passt wohl eher zu den „typischen“ (Dur-) Sonaten von Mozart.
    4. ?( Schnabel: vehement, unruhig, Temposchwankungen (schnelle Passagen wirklich sehr schnell), sehr ausdrucksstark, das alles passt zu einem beethovenschen Allegro con brio, aber nicht unbedingt hierher.


    2.Satz:


    1. :yes: Gulda: sehr, sehr schön, bei der innig gespielten Durchführung wird mir warm ums Herz, Tempo und Ausdruck IMO genau richtig (es kann allerdings sein, dass ich hier Gulda-geprägt bin, da ich die Sonate mit dieser Interpretation kennengelernt habe).
    2. :] Pires: mir fällt kaum was dazu ein oder auf – durch Nichtauffälligkeit überzeugend!
    3. :) Schiff: leise, vorsichtig, deutlich langsamer als FG und MJP, er konzentriert sich auf Kantabilität und vernachlässigt das „con espressione“, spielt also ein Adagio cantabile. ASf wiederholt als einziger nicht die Exposition.
    4. ?( Schnabel: noch langsamer als ASf, der Satz macht fast einen zerdehnten Eindruck, nicht besonders cantabile gespielt: Largo con espressione


    3.Satz:


    1. :] Schiff: „kontrolliertes Presto“, sehr schön ausgewogen. Dieser dritte Satz war mir immer etwas suspekt, dieses Vorbeihuschende hat für mich wenig „Mozartisches“, Schiffs klassisch-ausgewogener Ansatz macht das etwas „erträglicher“.
    Danach möchte ich keine Abstufungen machen. MJP spielt das Seitenthema schneller als ASf, dadurch ist sie insgesamt die schnellste. FG lässt das Presto unvermutet langsam angehen, hier hätte er mehr aus sich herausgehen können. Bei ASn mit seiner ungewöhnlichen Akzentuierung habe ich wie in den anderen Sätzen einen beethovenschen Eindruck. IMO spielt er: Beethoven: Sonate a-moll KV 310. Die Tonqualität und einige Verspieler tun ihr übriges, dass ich diese Aufnahme nicht mag. Ich bin gespannt, was Johannes dazu sagt, der gerade diese Aufnahme sehr schätzt.


    Viele Grüße,
    Pius.


  • Salut,


    ich hab bisweilen auch diesbezüglich Anfälle: davon reden wir:



    Die Sonate a-moll KV 300d [310] wurde wie die Violinsonate e-moll KV 300c [304] im Frühsommer 1778 komponiert. Mozarts Mutter starb am 3. Juli 1778 in Paris. Möglich, dass sich das in diesen beiden Werken wiederspiegelt [eines vergisst man dabei immer!]. Dennoch glaube ich nicht daran, denn ebenfalls im Frühsommer entstanden


    Zwölf Variationen für Klavier "Ah! Vous dirai-je, Maman" KV 300e [265]
    Zwölf Variationen für Klavier "La belle Françoise" KV 300f [353]


    unmittelbar nach dem Tod der Mutter:


    Capriccio für Klavier KV 300g [395]
    Sonate für Klavier C-Dur KV 300h [330]
    Sonate für Klavier A-Dur KV 300i [331] "mit dem Döner-Marsch"
    Sonate für Klavier F-Dur KV 300k [332]
    Sonate für Klavier und Violine D-Dur KV 300l [306]


    Wenn ich nun rein mathematisch im Pauschalverfahren den "Sommer" in drei Abschnitte teile, wie Köchel den Sommer zerteilt, erhalte ich:


    21.06.-20.07. = Frühsommer [wobei auch sicherlich Anfang Juni bereits als Frühsommer gelten kann]
    21.07.-20.08. = Sommer
    21.08.-20.09. = Spätsommer


    dann wage ich anhand der Menge an Kompositionen des Frühsommers zu bezweifeln, dass die a-moll-Sonate auf oder nach dem Todestag der Mutter komponiert wurde. Ich hlate solche Interpretationen für Humbug.


    Mozart schreibt beispielsweise am 3. Juli 1778 an Abbé Joseph Bullinger in Salzburg:


    [...]ich bin nicht izt, sondern schon lange her getröstet! - ich habe aus besonderer gnade gottes alles mit standhaftigkeit und gelassenheit übertragen.[...]


    Und das stimmt. Bevor er diesen Brief an Bullinger schreibt, bereitet er den Vater nach dem Ableben der Mutter auf den "bevorstehenden" Tod vor - in knapp 40 Zeilen. Die übrigen 75 Zeilen desselben Briefes an den Vater bestehen aus "aplauso, Prob, gut wetter, da capo, Palais Royale, Chöre und Tänze, ..." der Bericht über die Komposition der Pariser Sinfonie... - die Mutter ist bereits tot!


    Am 9. Juli 1778 schreibt er an den Vater:


    [...]ich werde ihnen die sinfonie mit der violinschule, die Claviersachen, und voglers Buch | Ton=wissenschaft, und Ton=setzkunst | mit einer guten gelegenheit schicken [...]


    Die Klaviersonate[n] waren hier also bereits seit längerem fertig.


    Ebenso verwirrend, später: Mai 1787, Leopold Mozart stirbt - was komponiert er? Dem Musikalischen Spaß KV 522. Zuvor dichtet er noch einige Verse auf den am 4. Juni 1787 verstorbenen Vorgelstar:


    Hier ruht ein lieber Narr,
    Ein Vorgel Staar.
    Noch in den besten Jahren
    Mußt er erfahren
    Des Todes bittern Schmerz.
    Mir blu't das Herz,
    Wenn ich daran gedenke.
    O Leser! schenke
    auch du ein Thränchen ihm.
    Er war nicht schlimm;
    Nur war er etwas munter,
    Doch auch mitunter
    Ein lieber loser SChalk,
    Und drum kein Dalk.
    ICh wett, er ist schon oben,
    Um mich zu loben
    Für diesen Freundschaftsdienst
    Ohne Gewinnst.
    Denn wie er unvermuthet
    Sich hat verblutet,
    Dacht er nicht an den Mann,
    Der so schön reinem kann.


    Den 4ten Juni 1787. Mozart


    Die "melancholischen Anfälle" habe ich auf die Schnelle nicht gefunden... ich meine aber, dass diese eher in ide Zeit der g-moll-Sinfonie gehören, also 1787/1788 - vielleicht irre ich mich da.


    Letztlich ist ja uach der Tod der wahre Endzweck meines Lebens - und ein guter Freünd Mozarts.


    Beste Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Sagitt meint:


    Diese Sonate gehörte zum ersten Teil des letzten Konzerts von Dinu Lipatti, im September 1950 in Besancon. Lipatti war schwerst krank, gegen die Empfehlung seiner Ärzte auf dem Podium. Die Version auf Vinyl, die ich in den sechziger Jahren in Holland erwarb, hatte noch kurze Einspielübungen vor dem Stück mit aufgenommen. Eine gewisse Unsicherheit der Finger, als wenn diese erst noch gerichtet werden müssten.
    Ich kann seine Interpretation natürlich nicht von diesem Wissenshintergrund lösen. Mir kommt sie dunkel, teils dramatisch, irgendwie gehetztvor,als wenn dem Tod noch Zeit abgetrotzt werden soll. Die Stücke in moll gefallen mir von Mozart meist am besten und so finde ich diese Interpretation sehr adäquat, weil dies eben auch eine Seite von Mozart ist.

  • mir gefällt der erste satz der sonate am besten. den meisten menschen, die ich kenne gfällt eher der letzte.


    ich hab ihn allerdings leider nur von Uchida.
    sie hat mich mit ihrer A-Dur-Sonate (genau, die mit dem Alla turca) etwas enttäuscht, als ich mal den Brendel aus dem käfig holte und auf den Plattenteller legte. Grade meine lieblingsvariationen 1 und 5 kann ich mir seit dem nicht mehr von ihr anhören.

  • Salut,


    bei mir finden sich folgende Einspielungen der a-moll-Sonate ein:


    Christoph Eschenbach:


    8'17"
    8'36"
    3'03"


    Wilhelm Kempff


    5'03"
    6'38"
    3'24"


    Walter Gieseking
    Aufnahme vom 03.08.1953
    ohne Angaben



    LG
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Zitat

    Die "melancholischen Anfälle" habe ich auf die Schnelle nicht gefunden... ich meine aber, dass diese eher in ide Zeit der g-moll-Sinfonie gehören, also 1787/1788 - vielleicht irre ich mich da.


    Salut,


    ich irrte und korrigiere wie folgt:


    Das Zitat stammt aus Mozarts Brief an den Vater vom 31.07.1778 - nichtsdestotrotz: die a-moll-Sonate wär längst komponiert.


    all the best
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo, Ulli!


    Zitat


    bei mir finden sich folgende Einspielungen der a-moll-Sonate ein:


    Wilhelm Kempff


    5'03"


    Presto schon im ersten Satz? :wacky:
    Wie ist die Aufnahme?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Salut Pius,


    ich habe die Aufnahme lange nicht mehr gehört. Ich vermute, er hat die Wiederholung des 2. Theils ausgelassen... :D


    Kempff ist normalerweise sehr cantabile... ich werde bei nächster Gelegenheit den LP-Spieler wieder aktivieren und hineinhören [alle von mir genannten Einspielungen sind auf LPs manifestiert].


    Beste Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Salut,


    soeben fällt mir ein Fehler im Zitat auf. Es heißt vollständig:


    Nur bisweilen habe ich so melancholische Anfälle -


    was soviel bedeutet, wie "gelegentlich".


    Melancholische Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Bei mir findet sich folgende Aufnahme:


    Alfred Brendel spielt KV 310, 311, 397 und 533:






    Die Spielzeiten von KV 310:


    I. 06.14
    II. 09.40
    III. 03.18


    Was die tempi angeht, liegt Brendel etwa in einer Linie mit Gulda.



    Herzliche Grüße,


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Kontrastprogramm:


    Siegbert Rampe auf einem originalen Cembalo von Blanchet und Taskin, aufgenommen 1988 und veröffentlicht auf der ersten seiner damaligen Serie von 4 CDs mit Mozartscher Claviermusik bei Intercord.


    Zeiten:
    I: 5'44 (mit allen Wiederholungen!)
    II: 7'41
    III: 3'07


    Das wirkt natürlich total anders. Wut, Zorn, Trotz - ob der letzlich nicht eingetretenen Erfolge auf dieser Reise. In der Kategorie "Sturm und Drang" wäre diese Sonate durchaus gut aufgehoben.


    Zur Wahl des Instrumentes: Mozart hatte in Paris sehr gute Cembali zur Verfügung, nur wenige schlechte Hammerklaviere, ein Clavichord war gar nicht aufzutreiben. Das Cembalo bringt die genannten Affekte schonungslos zur Oberfläche.


    Die Fakten zu dieser Sonate sind in Rampes Buch "Mozarts Claviermusik" sehr gut zusammengefasst.

  • Glenn Gould, 1. Satz: 3'15 :yes: :D
    Man merkt, die Sonate könnte auch als Bach'sche Invention taugen!

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould