WEINBERG Mieczyslaw - Die Symphonien

  • Mieczyslaw Weinberg hat insgesamt 22 Symphonien geschrieben, damit hat er auch in diesem Genre den Lehrer und das Vorbild Schostakowitsch überrundet. Wie auch die Symphonien von Schostakowitsch sind die von Weinberg von durchaus unterschiedlicher Qualität. Einige wurden hier im Forum bereits erwähnt. Da die Mehrzahl inzwischen eingespielt wurde und der Rest vermutlich bald folgt, scheint es mir an der Zeit, neben den Streichquartetten auch die Symphonien in ihrer chronologischen Reihenfolge vorzustellen. Da ja noch einige fehlen, dürfte dies Projekt einige Zeit in Anspruch nehmen.


    Die 22 Symphonien und ihr Entstehungsjahr sind:


    Nr. 1 g-Moll op. 10 (1942)
    Nr. 2 op. 30 für Streichorchester (1946)
    Nr. 3 op. 45 (1949/50, rev. 1959)
    Nr. 4 a-Moll op. 61 (1957, rev. 1961)
    Nr. 5 f-Moll op. 76 (1962)
    Nr. 6 a-Moll op. 79 für Knabenchor und Orchester (1962/63)
    Nr. 7 C-Dur op. 81 für Streichorchester und Cembalo (1964)
    Nr. 8 „Polnische Blumen“ Op. 83 für Tenor, Sopran, Alt, Chor und Orchester (1964), nach Texten von Julian Tuwim
    Nr. 9 op. 93 für Erzähler, Chor und Orchester (1940–1967)
    Nr. 10 a-Moll op. 98 (1968)
    Nr. 11 „Festliche Symphonie“ op. 101 für Chor und Orchester (1969)
    Nr. 12 d-Moll op. 114 „Dem Gedenken an Dmitri Schostakowitsch“ (1975/76)
    Nr. 13 op. 115 (1976)
    Nr. 14 op. 117 (1977)
    Nr. 15 „Ich glaube an diese Erde“ op. 119 für Sopran, Bariton, Frauenchor und Orchester (1977)
    Nr. 16 op. 131 (1981)
    Nr. 17 op. 137 „Erinnerung“ (1984)
    Nr. 18 op. 138 „Krieg, kein Wort ist grausamer“ für Chor und Orchester (1986)
    Nr. 19 op. 142 „Der strahlende Mai“ (1986)
    Nr. 20 op. 150 (1988)
    Nr. 21 op. 152 „Kaddish“ (1992)
    Nr. 22 (unvollendet) op. 194 (1994)


    Mehrere Plattenlabel bemühen sich um die Aufbereitung dieses gewichtigen Opus, vor allem Chandos und Naxos haben sich hier hervorgetan. Die Einspielungen werden bei den jeweiligen Beschreibungen vorgestellt.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 1


    Durch die Kriegswirren hatte es den polnischen Juden Weinberg von Warschau über Minsk letztendlich nach Taschkent verschlagen, wo einige russische Intellektuelle die harten Kriegsjahre verbrachten. Dies sollte man wissen, wenn man die Widmung der ersten Symphonie an die Rote Armee beurteilt, Weinberg war bereits zweimal nur knapp den Nazischergen entkommen, seine Familie starb im polnischen Arbeitslager. Deshalb war Weinberg trotz vieler Anfeindungen durch das Stalinsystem sein Leben lang dankbar, dass man ihm in diesem Land Asyl gewährt hatte.


    In Taschkent entstand 1942 die erste Symphonie. Im Gegensatz zu den Streichquartetten liegt Weinberg hier also weit hinter seinem zukünftigen Freund und Mentor Schostakowitsch zurück, dessen erste Symphonie 1924 entstand. Die Partitur der ersten Symphonie war es auch, die Schostakowitsch veranlasste, den jungen Komponisten (er war ja erst 23) nach Moskau zu holen und ihn zu protegieren. Dieser symphonische Erstling ist recht beeindruckend. Es gibt die Komponisten, die eher zaghaft beginnen und dann die, die am Anfang eher zuviel auf einmal wollen. Weinberg gehört eher in die zweite Kategorie. Man kann sich die Symphonie unter dem Aspekt anhören, welche Einflüsse man alles entdeckt. Man findet viele, mir sind vor allem Schostakowitsch, Prokofieff und Mahler (speziell im zweiten Satz) aufgefallen. Man kann aber auch danach hören, welche Stellen nicht nach anderen klingen. Und auch da findet man viele. Vom Gestus her ist das klassisch viersätzige 40-minütige Werk mit der 5. von Schostakowitsch vergleichbar, auch wenn es kaum thematische Bezüge gibt, aber in seiner Gesamtwirkung ist es ähnlich. Wobei Weinberg nicht die geniale melodische Einfallskraft von Schostakowitsch oder Prokofieff hat, seine Themen prägen sich nicht sofort ein. Aber z.B. mit einem Myaskowsky kann er da durchaus mithalten.


    Zu der Aufnahme des Göteborger SO unter Thord Svedlund - einem Dirigenten der sich nachhaltig für das Schaffen Weinbergs einsetzt - gibt es m.W. keine Alternative. Die ist auch derzeit nicht nötig, denn Darbietung und Aufnahmequlität sind auf dem von Chandos gewohnten hohen Niveau.
    FonoForum 09 / 10: "Zur außerordentlichen Wirkung dieser Musik trägt auch eine Interpretation bei, die kaum Wünsche offenlässt: Die Musiker aus Schweden musizieren geradezu besessen. Die Werke werden aber nicht mit Ausdruck interpretatorisch beladen, sondern der intensive musikalische Ausdruck stellt sich unwillkürlich als Qualität der Werke ein."

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 2


    1945/46 schrieb Weinberg seine 2. Symphonie für Streichorchester. Vielleicht hatte er beim Schreiben der ersten gespürt, dass sein Können für das große Orchester noch nicht ganz ausreicht und sich deshalb auf die reduzierte Besetzung konzentriert. Diese kleinere Form spielte später noch häufiger eine Rolle in seinem Schaffen, so gibt es neben den 22 Symphonien noch vier Kammersymphonien.
    Zum Zeitpunkt des Schreibens muß Weinberg klar gewesen sein, dass die Mehrzahl der polnischen Juden incl. seiner Familie und vieler Freunde aus Kindertagen Krieg und Naziterror nicht überlebt hatten. So ist vielleicht verständlich, dass der erste Satz der neuen Symphonie eine elegische und schmerzliche Rückerinnerung an frühere, glücklichere Tage zu sein scheint, stilistisch geht das melancholische Stück fast auf Tschaikovskys Serenade zurück. Das Adagio dann tiefe Trauer und Verzweifelung, es macht ungefähr da weiter wo das aus Mahlers 9ter endet. Das anschliessende Allegretto bring eine Pizzicato Struktur, die vermeintlich optimistisch klingt, aber dahinter lauert wie bei Schostakowitsch der Abgrund der Verzweifelung. Eine verwendete Streicherpassage wirft die Frage auf, ob Schostakowitsch möglicherweise Weinberg das Manuskript der zurückgezogenen vierten Symphonie gezeigt hat, die Passagen ähneln sich.
    Insgesamt legt hier Weinberg sein erstes symphonisches Meisterwerk vor, dass man durchaus den Strauss'schen Metamorphosen an die Seite stellen könnte. Dies müsste eigentlich ein Stück sein, mit dem man größere Hörerkreise für Weinberg gewinnen könnte. Man kann das Stück auch als Vorgriff auf die polnisch-baltische Postmoderne hören.

    Erstaunlicherweise gibt es bisher wohl nur eine Einspielung und die ist derzeit nur über Privatanbieter zu bekommen.
    Dankenswerterweise hat jemand die drei Sätze auf youtube hochgeladen, dies war die mir zur Verfügung stehende Quelle. Es dirigiert wieder Thord Svedlund, diesmal das Umea SO. Umea ist eine nordschwedische Universitätsstadt.


    Allegro
    Adagio
    Allegretto

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 3


    1949/50 schrieb Weinberg seine 3. Symphonie. Hinter ihm lagen die 1948er Antiformalismus-Kampagne und die von Stalin angeordnete Ermordung seines Schwiegervaters Solomon Mikhoels. Bei der Antiformalismus-Kampagne war er zwar nur "Nebenangeklagter", die Hauptwucht richtete sich gegen die ungleich bekannteren Schostakowitsch, Prokofieff, Chatchathurian etc. Aber als Jude realisierte er eine wieder zunehmende antisemitische Stimmung im Land (die während des 2. Weltkriegs zurückgedrängt worden war). Er wurde vom KGB beschattet und sollte kurz vor Stalins Tod sogar noch für eine Zeit im Gefängnis landen.

    Davon hört man in der 3. nichts. Weinberg wendet sich wieder der Vollsymphonie zu und zeigt, dass er sie inzwischen komplett beherrscht. Und es ist ein neuer eigener Ton zu hören, in dieser Symphonie sogar ein optimistischer. Inwieweit dies seinem Lebensgefühl entsprach oder nur den Forderungen des Sozialistischen Realismus entgegen kommen wollte, ist schwer zu beurteilen. Dieser eigene Ton bezieht natürlich noch immer seine Anregungen aus den schon bekannten Einflussquellen (Schostakowitsch, Prokofieff, Rimsky-Korsakoff/Stravinsky und Mahler), aber die Aneignung ist genuiner und das Ergebnis auch. Die Instrumentierung ist transparenter geworden und von Stravinsky übernimmt er auch eine gewisse Ökonomie der Mittel. Das episch ausladende von Schostakowitschs um die Zeit entstandenen Symphonien ist seine Sache zu diesem Zeitpunkt eher nicht. Dadurch gelangt diese Symphonie eher in die Nachbarschaft mittel- und nordeuropäischer bzw amerikanischer Symphonien der Zeit.
    Das gut halbstündige Werk hat vier Sätze, die gelungensten sind der Kopfsatz sowie das 9-minütige Adagio, das melodisch ansprechend ist und sich sehr eindrucksvoll steigert. Der Finalsatz ist noch einmal eine Hommage an das Vorbild.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 4


    Zwischen der 3. und 4. Symphonie liegen 8 Jahre, Stalin ist inzwischen tot und die Sowjetunion erlebt eine Art milden Tauwetters. Der Tonfall der 4. zeigt das auch klar, denn er ist spröder und weniger zugänglich als der der vorherigen Werke. Schostakowitsch schreibt um diese Zeit seine 11. Symphonie, da klingt Weinbergs 4. deutlich moderner. Von Experimenten a la Penderecki, Ligeti oder Lutoslawski, ist er aber meilenweit entfernt. Weinbergs Symphonik lässt sich zu diesem Zeitpunkt mit der von Kokkonen in Finnland, Holmboe in Dänemark, Simpson in England und Mennin und Schumann in den USA vergleichen. Sie klingt aber teilweise immer noch stark nach DSCH, man könnte fast sagen, dass Weinberg den Spätstil von Schostakowitsch vor diesem selbst entwickelt. Es gibt ein Wechselspiel in der musikalischen Beziehung zwischen den beiden.

    Die 4. ist auch die erste Symphonie, die zeitnah in der SU rezipiert wird, sie ist die erste die Anfang der 60er von Kyrill Kondrashin in Moskau für Melodiya eingespielt wurde, Symphonie Nr. 5 und 6 sollten bald folgen. Unverständlicherweise sind diese Einspielungen nicht greifbar, die 5. gibt es nur als download über Naxos. Brandneu hat Jacek Kaspszyk die Symphonie in Warschau eingespielt und zwar für das Warner Label, dass damit als erstes Major Label eine Weinberg-Symphonie vorlegt. Über den Unfug mit der DVD-Size Verpackung habe ich an anderer Stelle bereits berichtet. Die Aufnahme ist IMO exzellent und stellt das Werk optimal zur Diskussion.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 5


    Die 60er Jahre waren wohl die Produktivsten im leben von Weinberg, alleine 7 Symphonien entstanden hier. Den Anfang macht die 1962 vollendete 5. Symphonie. David Fanning - der Biograph - hält sie für seine vielleicht beste. Da ich noch nicht einmal ein Viertel des Weges zurückgelegt habe, werde ich das vorerst nicht kommentieren. Sie entstand zur gleichen Zeit, in der auch Schostakowitschs Vierte nach fast 30 Jahren urausgeführt werden konnte. Angeblich gibt es auch einige Querbezüge, die ich aber nicht auffällig fand.

    Das Werke hat die klassischen vier Symphoniesätze: Allegro moderato - Adagio sostenuto - Allegro - Andantino und dauert 45 min. Ich finde es gibt seine Qualitäten nicht gleich beim ersten Hören preis, es ist ein eher introvertiertes Werk, dass kaum einmal auftrumpft. Es nimmt IMO eigentlich schon den Stil der letzten Symphonie von Schostakowitsch vorweg, speziell in der teils spärlichen Orchestrierung und der Verwendung der Celesta. Mit jedem Hören dringt man tiefer in dies Werk ein, was natürlich für seine Qualitäten spricht. Die Aufnahme mit dem UA-Dirigenten Kondrashin kenne ich noch nicht, aber die mit der Chandos vor gut 10 Jahren ihre Weinberg-Symphonie-Serie begann. Es spielt das Polish RSO aus Katowice und Gabriel Chmura dirigiert.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 6


    Die 6. Symphonie entstand ein Jahr nach der 5. von Weinberg und der 13. von Schostakowitsch. Es ist Weinbergs erste Symphonie mit Vokalsätzen. Vermutlich beeinflusst durch die 13. von Schostakowitsch. Die Form ist sehr ungewöhnlich. Es gibt 5 Sätze, ein einleitendes Adagio sostenuto, das rein instrumental ist und schon 1/3 der Symphonie ausmacht. Dann folgt ein Allegretto-Chorsatz zu einem Text von Lev Kvitko. Der dritte Satz - ein Allegro molto - ist wieder instrumental, ein ziemlich lärmendes Stück, das mir überhaupt nicht gefällt. Weinberg hat - um zu überleben - viel Gebrauchsmusik geschrieben, u.a. auch Zirkusmusik. Das ist so ein Kondensat davon. Ich finde es gräßlich. Dann folgen zwei weitere eher ruhige Chorsätze - Largo und Andantino nach Texten von Samuil Galkin und Mikhail Lukonin. Es liegen leider keine übersetzten Texte bei, laut booklet geht es um die Jugend, mal sorglos, mal als Opfer und mal als Zukunft. Alle Chorsätze werden von einem Jungenchor gesungen. Ich muss zugeben, dass ich damit erhebliche Probleme habe. Knabenchöre in Symphonien sind nicht mein Ding, bei Mahler 3. ist es o.k., aber darüber hinaus schätze ich das nicht so. Die Musik der Chorsätze hat wenig Plakatives und ist viel zu komplex, um als Hymne auf das sozialistische Leben durchzugehen, es ist also kein Werk der Sozialistischen Realismus. Die letzten beide Chorsätze enthalten durchaus sehr hochwertige musikalische Einfälle, aber mir fällt es schwer, mich für dies Werk zu begeistern. Schostakowitsch war allerdings so angetan von dieser Symphonie, dass er sie seinen Studenten gerne zur Analyse vorlegte. Mit mindestens drei Einspielungen ist es auch eine der bisher am häufigsten aufgenommenen Werke. Ich kenne nur diese hier, die klanglich und interpretatorisch in Ordnung geht.
    Die beigegebene Moldawische Rhapsodie ist etwas für Leute, denen auch der Säbeltanz gefällt. Weinberg kann offensichtlich auch solche Musik schreiben, ich habe aber das Gefühl, das er hier nicht mit dem Herzen dabei ist.
    So, jetzt kommt erst einmal eine gewisse Zäsur. Die nächste Symphonie muss jetzt einige Zeit warten.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 1


    Endlich bin auch ich im Besitz einer CD mit Sinfonien von Weinberg. Da Lutgra in diesem Thread eine Pause eingelegt hat ist es vermutlich keine arge Störung, wenn ich hier meine persönlichen Eindrücke schildere, die die erste Sinfonie von Weinberg bei mir hinterlassen hat. Ich gestehe, dass ich mich erst einige Zeit gewöhnen musste um einigermaßen einen Überblick zu bekommen. Anfangs wirken die meisten Sinfonien des 20. Jahrhunderts eher sperrig auf mich. Konzertführer schildern oft in zwei Sätzen die Stimmung eines ganzen Satzes einer Sinfonie. Ich habe das - zumindest bei Sinfonien ab 1900 nie wirklich vermocht. ich will gar nicht zählen wie oft die Stimmung des ersten Satzes (Allegro moderato - Doppio piu lento - Larghetto - Doppio movimento (Tempo1) - Larghetto - Tempo 1) von Weinbergs Sinfonie Nr 1 umschlägt, vom freundlich hellen, ein wenig belanglosen Beginn, der sich dann aber schnell ins lebhaft bestimmtere verwandelt und vorerst fast unmerklich an Tempo zulegt, dabei immer aggressiver wird und danach ins Idyllisch - kontemplative zurückgleitet. Und schon beginnt das Spiel von vorne das Tempo zieht an, vorerst überwiegen die hohen Blasinstrumente, der Klang wird indes bald dunkler und danach spielen die tiefen Lagen quasi im Kontrast dazu. Gegen Ende des Satzes herrscht Friede.
    Der zweite Satz (Lento) ist durchwegs idyllisch introvertiert. Weinberg scheint es zu lieben quasi Solostellen in seine 1.Sinfonie einzubauen - Die anderen kenne ich derzeit noch nicht.
    Der 3. Satz (Vivace - Allegretto grazios - Tempo I) ist ein Hammer. Pauken und ein flottes Bläsersolo leiten ihn ein, bevor das Orchester einsetzt. Wieder findet man die von mir schon vorher bemerkte Vorliebe für das Wechselspiel zwischen Soloinstrumenten und Orchester. Das Tempo zieht an , die Instrumentation wird farbiger - geradezu leuchtend und Funken sprühend - imn Wechsel zwischen rhymisch und versonnen - ja versonnen ist das richtige Wort. Hier meine ich, Einflüsse von Schostakowitsch zu hören. Effektvoll wie er begonnen hat, endet der 3. Satz.
    Der Finalsatz (Allegro con fuoco)beginnt mit Verve und sehr bestimmt, allmählich legt er an Tempo und Lautstärke zu bis zum effektvollen Finale....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ursprünglich hatte ich vorgehabt, die Weinberg-Symphonien chronologisch vorzustellen, davon gehe ich jetzt ab. Das liegt zum einen daran, dass offensichtlich die Symphonien 9, 11, 13 und 15 bisher nicht eingespielt wurden. Außerdem interessierte mich "wohin die Reise geht" und so habe ich in den letzten Tagen die letzten sechs Symphonien (16-21) angehört. Die werde ich im folgenden natürlich einzeln erörtern.
    Zur Zahl der Symphonien wäre noch zu sagen, dass es eine 22. Symphonie gibt, aber nur als Klavierpartitur. Zwei befreundete Komponisten von Weinberg sahen sich nicht in der Lage, aus diesem Manuskript eine Orchesterpartitur zu erstellen und insofern ist fraglich, ob wir diese Partitur jemals zu Gehör bekommen. Sollte sich die Popularitätskurve von Weinberg in den nächsten Jahrzehnten vergleichbar wie die von Mahler oder Schostakowitsch entwickeln, wird sich vermutlich irgendwann ein Musikwissenschaftler daran versuchen. Ich stehe den Ergebnissen solcher Komplettierungen (Mahler 10, Bruckner 9) eher skeptisch gegenüber.
    Neben den 22 dezidiert als Symphonie bezeichneten Werken, hat Weinberg auch noch vier Kammersymphonien geschrieben. Das ist insofern etwas verwirrend, weil es auch echte Symphonien für Kammerorchester gibt. Der Grund für diese Dichotomie liegt vermutlich darin, dass die Kammersymphonien letztendlich Orchestrierungen bzw Umarbeitungen von Streichquartetten darstellen.


    Die letzte sechs Symphonien entstanden in den 80er und 90er Jahren:


    Nr. 16 op. 131 (1981)
    Nr. 17 op. 137 „Erinnerung“ (1984)
    Nr. 18 op. 138 „Krieg, kein Wort ist grausamer“ für Chor und Orchester (1986)
    Nr. 19 op. 142 „Der strahlende Mai“ (1986)
    Nr. 20 op. 150 (1988)
    Nr. 21 op. 152 „Kaddish“ (1992)


    Die persönliche Situation in diesen letzten Jahren gestaltete sich für Weinberg in zunehmendem Maße ungünstig. Das hatte mehrere Gründe. Mit der zunehmenden Öffnung der SU im Rahmen von Glasnost und Perestroika konnte eine neue avantgardistischere Komponistengeneration aufgeführt werden und wurde vor allem im Westen hofiert (Schnittke, Gubaidulina, Denissov usw.). Ihre Musik war moderner und experimenteller als die des jetzt über 60-jährigen. Dies hatte auch zur Folge, dass Kompositionsaufträge für Filmmusik, die Haupteinnahmequelle von Weinberg, zunehmend an andere gingen. Die alten Freunde und Förderer starben zunehmend weg oder emigrierten in den Westen. Dazu kam eine schwere chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die ihn mehr und mehr ans Bett fesselte.


    Trotz dieser Einschränkungen war der Drang zu komponieren aber offensichtlich weiter so stark, dass dieses eindrucksvolle symphonische Spätwerk entstand. Die Musik dieser sechs Werke ist weitgehend düster und pessimistisch, was sich angesichts der Lage des Komponisten und der gewählten Themen nachvollziehen lässt. In ihren dunkelsten Momenten kommt diese Musik wirkungsmäßig (nicht klanglich) den Symphonien von Allan Pettersson nahe. Was sie von diesen unterscheidet und was zu ihrer vielleicht einfacheren Verständlichkeit beiträgt, ist das Festhalten an den "klassischen" symphonischen Strukturen.


    Fünf dieser Symphonien sind rein instrumental, wobei die 21. eine Sopranvokalise enthält. Die 18. ist partiell eine Chorsymphonie. Die meisten (17-19 und 21) beschäftigen sich mit Krieg und Auslöschung.


    David Fanning - der Biograph - schreibt, dass er die Symphonien 5-10 für den Höhepunkt von Weinbergs symphonischen Schaffen hält. Er hat vielleicht insofern nicht ganz Unrecht, als dass diese Symphonien ein breiteres Hörerspektrum ansprechen können. Mir scheint aber in den letzten Symphonien eine zwar schwerer zugängliche aber doch ebenso bedeutende Werkgruppe vorzuliegen. Und wir können dankbar sein, dass alle Werke in ausgezeichneten neuen Einspielungen vorliegen, die man aber von verschiedenen Labels zusammenkaufen muß. Der Traum einer Einspielung aller Symphonien aus einer Hand wird wohl noch eine Weile ein solcher bleiben.


  • WEINBERG: Sinfonie Nr 16


    Die 16. Symphonie von Weinberg entstand 1981. Das Werk ist einsätzig, lässt aber die typische Symphoniestruktur erkennen, auf der CD ist das 33-minütige Werke in 6 Abschnitte unterteilt. Das Werk beginnt mit pochender Pauke - vergleichbar dem Anfang von Brahms Erster - über der sich unruhige Streicherfiguren entfalten. Die Musik wird nach kurzer Zeit sehr ruhig und kontemplativ. Der zweite Abschnitt beginnt mit einer aufgeregten Streicherfigur, in die bald das ganze Orchester einstimmt, gegen Ende taucht das Paukenmotiv wieder auf. Der dritte Abschnitt - eine Art Scherzo - ist durch Sologesänge verschiedener Blasinstrumente gekennzeichnet. Weinberg hätte seine Symphonie im Prinzip auch als Konzert für Orchester bezeichnen können, fast alle Instrumente sind solistisch bedacht. Die Solopassagen werden immer wieder von Streichern "durchkreuzt". Recht unvermittelt taucht ein Klavier aus, das bis zum Ende immer mal wieder Einsätze hat, aber als Teil des Orchesters. In diesem Abschnitt hat die Musik einen fragenden Charakter. Der vierte Abschnitt ist durch ein rhythmisch vorwärts strebenden Impetus gekennzeichnet. Es wechseln sich komplizierte Rhythmen ab, die Bläser sind prominente Träger der Geschehens. Zum Ende hin kumuliert das ganze hin zu einer quasi Mahlerschen Apotheose, die sich aber nicht zu Ende entwickelt, sondern abrupt abbricht und in einen leise pochenden Abschnitt übergeht. Das Cello intoniert ein Solo aus dem ein entfernt klingendes Streichquartett entsteht. Dies wird abgelöst von einem frechen vorlauten Klarinettensolo über Schlagzeug. Celesta und Klavier treten in einen Dialog, das Streichquartett kehrt mit trauriger Weise zurück, die Streicher nehmen die traurige Weise auf und das Orchester steigert sich zum Höhepunkt des Werkes - kurz aber schön, Abschnitt 6 ist dann eine Art Epilog mit klagender Klarinette. Über einem fragenden Flötenmotiv klingt das Werk ruhig aus.
    Ein ungewöhnliches Werk, das sich in keinster Weise anbiedert; aber mit jedem Hören entdeckt man neue Schönheiten.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • WEINBERG: Sinfonie Nr 20


    1988 schrieb Weinberg mit der 20. seine vorletzte der vollendeten Symphonien. Es war die Zeit von Perestroika und Glasnost, aber Weinberg war weitgehend vergessen und lebte krank und zurückgezogen in Moskau. In dieser eigentlich deprimierenden Situation schrieb er ein Werk, dass ich nicht nur für eines seiner besten halte, sondern insgesamt für eine der beeindruckendsten Symphonien des ausgehenden 20. Jahrhunderts. In 5 Sätzen und 40 min bietet er noch einmal sein ganzes Können auf und auch die Inspiration sprudelt noch einmal in eindrucksvollster Weise. Zwei ausgedehnte langsame Sätze umgeben drei lebhaftere kürzere. Die Stimmung ist weitgehend pessimistisch, aber was für eine geniale Musik schreibt er hier, einzig gebliebener Referenzpunkt ist zu diesem Zeitpunkt noch Gustav Mahler, der im zweiten und letzten Satz anklingt. Für mich eine ganz grosse Musik, die er hier schreibt.

  • Schön, dass Frau Melodiya noch am Leben ist. Was sie hier kredenzt sollte sich jeder, der sich auch nur entfernt für den Dirigenten oder die russische Musik des 20. Jahrhunderts interessiert, schleunigst aneignen, wer weiß, wie lange das gute Stück verfügbar ist. Die 5. Symphonie hatte ich in Beitrag 6 schon vorgestellt. Sie wurde 1962 komponiert und ist dem Dirigenten Kyrill Kondrashin gewidmet. Dieser hat sie 1975 mit den Moskauer Philharmonikern eingespielt und nach langer Abwesenheit ist diese Aufnahme jetzt wieder verfügbar. Kondrashin und Weinberg ist wie Kondrashin und Schostakowitsch, viel authentischer geht es wohl nicht. Was darüber hinaus noch auffällt, ist die erstklassige Klangqualität. Das klingt als wäre es gestern aufgenommen worden, kein Rauschen, kein Flugzeughangar. Astreine Studioqualität. Das Stück ist durchaus etwas spröde, ein Vorgriff auf Schostakowitsch ähnlich gelagerte 15. Symphonie, die wesentlich später entstand. Aber mit jedem Hören gefällt sie mir besser. Jetzt bitte noch die Symphonien 4 und 6, die es auch mit dem Dirigenten gibt. :jubel:

  • In den letzten Tagen bin ich dabei mir zum Kennenlernen einige Weinberg-Sinfonien erst einmal downzuloaden; oder auf YT anzuhören. Bei der Auswahl achte ich auf die Beiträge in diesem Thread.


    Dazu kann ich nach erstem Weinberg-Genuss nur sagen:
    :angel: Das scheint mir eines der interessantesten Threads des Jahres zu sein/zu werden !
    Nach den ersten Tagen kann ich ja noch nicht viel sagen. Neben ganz ausgezeichneten tief empfunden Sätzen fehlt mir aber auch bei so manchen Sätzen manchmal ein sich steigernder Höhepunkt/ eben die Extase, wie ich dies bei den grossen Sinfonikern schätze. Aber wie gesagt - nur der erste Eindruck, der ansonsten sehr positiv ist.


    Chmura und Fedossejew scheinen mir gute Adressen als Weinberg-Dirigenten zu sein. Bei Kondraschin hätte ich keine Bedenken, aber den gibts nicht auf YT !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 6


    Gestern habe ich mir in Wien einige Weinberg Sinfonien unter Vladimir Lande (Naxos) gekauft.
    Das Wesentliche zur 6. Sinfonie Weinbergs hat Lutgra ja schon im Beitrag Nr 7 dieseS Threads gesagt. Was mich eigentlich wundert, ist seine - sagen wir es mal vorsichtig - eher distanzierte Haltung - zu diesem Werk. Ich - an sich kein Liebhaber von Werken des 20. Jahrhunderts - sehe die Komposition wesentlich positiver. Sie ist meiner Meinung nach - trotz zahlreicher Kontraste - in sich geschlossen - und - so empfinde ich es - stellenweise sehr wirkungsvoll - völlig anders als beispielsweise die Patchworkarbeit so mancher englischer Komponisten, wo sich ebenfalls immer wieder Effekte finden - allerdings ziemlich willkürlich zusammengestoppelt. Bei Weinberg ist das anders. Er zaubert teilweise melancholische, dann wieder in sich ruhende Szenen, die durch "lärmende" Stellen kontrastiert werden. Meiner Meinung nach ist das wirklich ideale Kost für unser Mitglied Teleton. Chöre in Sinfonien ? Macher hat es nicht mal Beethoven verziehen - Es ist halt eine Geschmacksfrage. Ich habe mir die Frage gestellt, warum gerade ich die 6. Sinfonie gnädiger beurteile als der Spezialist für Musik des 20. Jahrhunderts. Vermutlich deshalb, weil ich eine eher niedrige Erwartungshaltung hatte - und zudem "plakativen Effekten" nicht völlig abgeneigt bin....
    Die Tontechnik der Aufnahme ist übrigens (zumindest auf Kopfhörer) ausgezeichnet.


    mfg aus Wien
    Alfred


    nachgetrqgene Bemerkung vom 28. 10. 2018:

    Zitat

    Ich habe mir die Frage gestellt, warum gerade ich die 6. Sinfonie gnädiger beurteile als der Spezialist für Musik des 20. Jahrhunderts. Vermutlich deshalb, weil ich eine eher niedrige Erwartungshaltung hatte - und zudem "plakativen Effekten" nicht völlig abgeneigt bin....


    Vermutlich liegt es aber auch zu einem Gutteil daran, daß ich die Sinfonie - ohne es zu wissen - ZWEIMAL intensiv gehört habe - und ich beim 2. Mal bereits ein wenig konditioniert war.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gibts doch!


    Danke Schneewittchen, inzwischen habe ich diese Kondraschin-Aufnahmen der Sinfonien Nr.4 und 6 auch entdeckt. (Ich hatte zuerst nach der Sinfonie Nr.5 gesucht; diese aber jetzt mit Chmura gefunden und downgeloadet.)


    Die entsprechende Melodiya-CD ist - derzeit nicht verfügbar -

    Melodiya, ADD




    :thumbup: Inzwischen habe ich diese und weitere Weinberg-Sinfonien gehört und kann Alfreds Meinung, dass dies ideale Kost für mich ist nur noch deutlich zustimmen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 12


    Die Sinfonie Nr.12 ist in diesem Thread noch nicht genannt worden. Der schostakowitschnahe Tonfall hat mich besonders beeindruckt.
    Weinberg verwendet keine Zitate aus Schostakowitcsh´s Sinfonien oder Werken, sondern beschränkt sich darauf in ähnlicher angelehnter Tonsprache zu sprechen.


    Die 4 Sätze dieses fast 1stündigen Werkes:
    1. Allegro moderato (~ 21Min)
    2. Allegretto (~ 8Min)
    3. Adagio (~ 11Min)
    4. Allegro (~ 17Min)


    Es scheint 4 Aufnahmen zu geben:
    Vladimir Fedossejew (klingt leider wegen des Alters recht historisch), Maxim Schostakowitsch (bietet mit dem RSO Moskau einen sehr autentischen Tonfall) und Gabriel Chmura (ebenfalls sehr gut, klanglich ausgezeichent) und auf Naxos Vladimir Lande mit dem St.Petersburg PO.


    Mit dieser brandneuen Naxos-Serie der Sinfonien Nr.6, 8, 12, 18 und 19 und Vladimir Lande (Naxos,~ 2012) werde ich mit dem "Weinberg-Kauf auf CD" beginnen:

    NAXOS, 2012, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 8


    Soeben habe ich Weinbergs Sinfonie Nr 8 gehört. Eine Hilfestellung hierzu in einem Konzertführer sucht man vergebens, allein schon deshalb weil Weinberg dort gar nicht aufscheint. Das englischsprachige Booklet versucht in aller Kürze ein wenig die Inhalte dieses Werks zu übermitteln. Ich war nun an Lutgras Kommentar interessiert – aber wohlweislich (? ;) ) hat er die Beschreibung auf später verschoben. Das bleibt ihm auch nicht erspart, denn meine Vorstellung ist kurz und unvollkommen.
    Die Sinfonie stammt aus dem Jahre 1964 und ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Sie besteht aus zehn (!) Sätzen die Namensbezeichnungen tragen und nahtlos ineinander übergehen. Sie ist mehr oder weniger durchgehend von Chorstellen geprägt, welchem oft dialogartig eine Solostimme (Tenor) gegenübergestellt wird. Bei den Texten handelt es sich um das eposche Gedicht "Polnische Blumen" des polnischen Lyrikers Julian Tuwim (1894 -1953) Die Grundstimmung der Sinfonie ist eher düster, ernst und mächtig, gelegentlich auch rhythmisch durch entsprechende Instrumentierung geprägt. Die stets vorhandene Spannung wird weder durch überzogene Tempi, noch durch Lärm erzeugt. Gelegentlich hat man den Eindruck ein sakrales Werk zu hören. Dieser Eindruck beginnt schon beim ersten Satz, der sofort mit einem Mädchenchor beginnt.


    Die Sätze,soweit ich sinngemäß übersetzen konnte – heissen:


    1) Aufbruch des Frühlings
    2) Die Kinder von Batuly
    3) Vor der alten Hütte
    4) Da war ein Obstgarten
    5) Holunderbeeren
    6) Lektion
    7) Warschauer Hunde
    8) Mutter
    9) Gerechtigkeit
    10) Die Weichsel fliesst


    Die Namen sind oft symbolsch gemeint. Prinzipiell geht es um die Geschichte und Gesellschaftliche Bedingungen Polens, um Unterdrückung, Armut, Grausamkeit, Freiheit, Unterschiede zwischen bäuerlichem und stätdischem Leben, Ratschläge und Warnungen an die Jugend, Abrechnung mit dem Nazi-Regime, bis hin zu neuer Hoffnung…..


    Bei der hier gezeigten Naxos-Aufnahme handelt es sich um eine Erstaufnahme. Sie ist beeindruckend und faszinierend, manche werden sie als erschütternd einstufen – die Klangtechnik ist vom Feinsten….


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • WEINBERG: Sinfonie Nr 12


    Die 12. Symphonie kannte ich bisher noch nicht. Es ist mit 60 min wohl eine seiner längsten. Im Gegensatz zu teleton gefällt mir das Auftaktthema des ersten Satzes nicht so richtig. Vor allem hat es m.E. mit DSCH so gar nichts zu tun. Aber bereits nach wenigen Minuten mündet das Ganze in langgezogene Holzbläserkantilenen und ab hier wird es immer besser. Der zweite Satz ist - finde ich - wirklich originell und weit weg vom Widmungsträger. Und die letzten beiden ineinander übergehenden Sätze sind einfach grandios. Die letzten Minuten gehören mit zum Sublimsten, was im 20. Jahrhundert komponiert wurde. Ein weiterer Meilenstein im Oeuvre dieses Komponisten. Gehört habe ich die weiter oben gezeigte Naxos-Einspielung.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • WEINBERG: Sinfonie Nr 17


    Seine in den 1980er Jahren entstandenen Symphonien 17-19 bündelte Weinberg zu einer Trilogie "Die Schwelle des Krieges", die sich auf seine Erlebnisse während des 2. Weltkrieges beziehen. Der Eröffnungssymphonie stellt er ein Motto von Anna Akhmatova voran: Mein Land, du hast wiedergewonnen deine Macht und deine Freiheit! Aber in der Schatzkammer der Erinnerung des Volkes werden immer bewahrt bleiben die verbrannten Jahre des Krieges.
    Es ist eine große reine Instrumentalsymphonie mit vier Sätzen von zusammen 53 min Länge. Gleich der eindrucksvolle Beginn zeigt wohin die Reise geht, in eine der düstersten und traurigsten Klanglandschaften, die im 20. Jahrhundert geschaffen wurde. Nur an wenigen Stellen vor allem im Finalsatz keimt ein wenig Hoffnung und Zuversicht auf. Ich glaube, nur Allan Pettersen hat vergleichbar düstere Musik komponiert. Für mich eines der ganz großen Werke des Komponisten.


    Die Liveeinspielung von den Bregenzer Festspielen 2010 mit den Wiener Symphonikern unter Vladimir Fedoseyev, einem engen Freund und Förderer, ist an Authentizität wohl kaum zu überbieten.


    Für mich schon jetzt ein unverzichtbarer Beitrag zur Musik des 20. Jahrhunderts.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 10



    Das Label des Werbepartners kündigt eine neue CD mit Werken von Weinberg u.a. seiner 10. Symphonie an.

  • Hallo zusammen (also Lutz, Alfred und Wolfgang... :D),


    Mieczyslaw Weinberg (1919-1996)
    Symphonie Nr.6
    + Rhapsody on Moldavian Themes

    Glinka Choral College Boys' Choir, St. Petersburg State SO, Vladimir Lande
    Naxos, DDD, 2010


    Ergänzend zu den erhellenden Ausführungen von Lutz und Alfred zur bereits oben gezeigten Naxos CD, hier noch ein wenig ergänzender "Senf" meinerseits.
    Da es nur wenige, greifbare Alternativaufnahmen zu geben scheint, am Interessantesten vermutlich Fedosseyev mit den Wiener Symphonikern sowie Sängerknaben auf NEOS, ist diese Naxos-Produktion natürlich sehr zu begrüßen.
    Die enthaltene und der Sinfonie vorangestellte Rhapsodie ist ein schmissiges Werk mit slawisch, folkloristischer Prägung. Das Stück bewegt sich stilistisch im Rahmen einer Ouvertüre von Glinka, Mussorgsky, Rimsky-Korsakov oder auch Dvorak. Dabei sehe ich es wie Lutz, dass es sich um ein qualitativ doch eher beliebiges Werk handelt, das meiner Ansicht nach nicht das Niveau der vorgenannten Tonsetzer erreicht.
    Der Übergang zur 6. Sinfonie stellt dann einen deutlichen Bruch dar. Aus meiner Sicht ist eine musikalische Nähe zu Schostakowitsch und Mahler erkennbar, zumindest erahnbar.
    Bei der Beurteilung bin ich etwas näher bei Alfred, als bei Lutz. Die Kontraste der Sinfonie sowie die melancholischen Momente befinden sich dabei ganz klar auf der Haben-Seite. Dennoch kann das Werk mich unterm Strich zumindest nicht begeistern, im Sinne von "das will ich dringend häufig hören". Unmittelbar große Faszination übt die CD beim ersten Hören zwar nicht aus, fairerweise muss man aber sagen, dass es sich ganz sicher um ein Werk handelt, in das man mehrmals und tiefer eintauchen muss, um es für sich zu gewinnen. Weiterhin hatte Lutz oben bereits angemerkt, dass das Textverständnis für die Rezeption möglicherweise hilfreich sein kann.
    In wie weit die Sinfonie gut interpretiert wird, ist schwer zu sagen. Ich bin mit der CD ganz zufrieden und habe nicht den Eindruck, zwingend eine weitere Interpretation zu benötigen. Vorwiegend, weil ich denke, dass mir andere Interpreten nicht unbedingt besseren Zugang verschaffen dürften oder die Werke in einem gänzlich besseren Licht erscheinen lassen würden.


    Viele Grüße
    Frank

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 12


    Weiter mit der Nr. 12:



    Mieczyslaw Weinberg (1919-1996)
    Symphonie Nr.12 "In Memoriam D.Shostakovich"
    + The Golden Key-Ballettsuite Nr. 4

    St. Petersburg Symphony Orchestra, Vladimir Lande
    Naxos, DDD, 2012


    Wie Wolfgang weiter oben schon ganz richtig schrieb, ist die Nähe zu Schostakowitsch in dieser groß angelegten, düsteren und emotional dichten Sinfonie unüberhörbar. Nicht weiter verwunderlich, ist das Werk doch DSch gewidmet. Wer einen guten Zugang zu den Sinfonien des Freundes und Vorbildes hat, wird vermutlich auch die Sinfonie Nr. 12 von Weinberg zu schätzen wissen. Die nachfolgende Ballettsuite ist da wesentlich leichtgewichtiger und hat über weite Strecke eher den Charakter von Unterhaltungsmusik. Die Interpretationen erscheinen mir gelungen, engagiert und zupackend, nicht mit allerletzter Finesse gespielt aber in meinen Ohren allemal gut genug, um nicht den Wunsch nach einer besseren Aufnahmen aufkommen zu lassen. Nicht verschweigen möchte ich, dass die Kritik auf Klassik.com allerdings vernichtend war - im Gegensatz zu den Besprechungen, die Naxos auf seiner Seite sammelt. Wie so häufig dürfte hier ein eigener Eindruck sicher den größten Aufschluss geben. Bedenken sollte man, dass es sich um die derzeit einzige aktuell verfügbare Produktion handelt.


    Viele Grüße
    Frank

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 21

    Die 21. Symphonie ist die letzte vom Komponisten vollendete, die 22. die gerade eingespielt wurde, wurde von einem anderen Komponisten (Kirill Umansky) komplettiert.
    Die 21. ist mit fast 55 min eine der längsten, dazu noch in einem Satz, der aber auf der CD in Unterabteilungen gegliedert ist. Die Komposition entstand um 1990, als die politischen Fesseln gelöst waren. Allerdings war zu der Zeit die nächste Generation en vogue, also Schnittke, Denisov, Gubaidulina etc, so dass Weinbergs Symphonie weder in Russland noch im Westen zur Kenntnis genommen wurde.

    Sie wurde erst letztes Jahr eingespielt. Ein rätselhaftes und faszinierendes Werk. Der Untertiel Kaddish bezieht sich auf die jüdische Tradition und das Werk ist den Opfern des Warschauer Ghettos gewidmet. Hörend nachvollziehen kann zumindest ich das nicht. Das Werk ist ähnlich rätselhaft wie die 15. Symphonie von DSCH oder die 6. von Carl Nielsen, eine Spätwerk, das nichts mehr beweisen oder beeindrucken will, sondern sich weitgehend selbst genügt. Erstaunlicherweise finden sich tatsächlich Passagen, die deutlich an die Symphonik von Nielsen erinnern, bis hin zu einer Vokalise im letzten Satz, die an dessen 3. Symphonie gemahnt. Das Werk ist introvertiert, in der Textur oft ausgedünnt, aber mich hat es sehr beeindruckt. Je mehr ich die späten Werke dieses Komponisten höre, umso überzeugter bin ich, dass hier die wahren Schätze ruhen.
    Während einige der Toccata CDs an minderwertigen Orchestern leiden, ist diese hier absolut auf dem Niveau, das man international erwartet.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 22


    Die 22. Symphonie von Weinberg entstand in den Jahren 1993-94. Zu diesem Zeitpunkt ging es dem Komponisten schon ziemlich schlecht. Die Auflösung der UdSSR führte zu einem dramatischen Einbruch der finanziellen Unterstützung aller Künste. Im Gegensatz zu vielen Kollegen war Weinberg zu alt und zu krank, um in den Westen zu emigrieren zumal er dort weitgehend unbekannt war. Ein Hüftbruch und ein sich verschlimmernder Morbus Crohn banden ihn für die letzten Jahre ans Bett. Nur durch die finanzielle und medikamentöse Unterstützung eines schwedischen Richters konnte er überhaupt soweit genesen, dass er die 22. Symphonie als Klavierpartitur vollenden konnte. An eine Orchestrierung war aber nicht mehr zu denken, der Gesundheitszustand verschlimmerte sich zunehmend und 1996 starb Weinberg dann.


    Olga Rakhalskaya - seine Ehefrau der letzten Jahre - zeigte Boris Tischtschenko und Alexander Raskatov die Klavierpartitur, aber beide sahen sich wohl nicht in der Lage, die Symphonie zu orchestrieren. So blieb sie 10 Jahre liegen bis Olga und der Vorsitzende der Moskauer Komponistengewerkschaft einen zwei Generationen jüngeren Komponisten - Kirill Umansky - mit dieser Aufgabe betrauten. Umansky studierte die Weinberg'schen Symphonien - vor allem die 21. - und orchestrierte dann die 22. Er schreibt im Booklet: I learned from them, naturally, and did my best to understand the principles governing his work, but I tried to let the music of No. 22 suggest its own instrumental colours.


    Inwieweit die von Umansky orchestrierte Version den Intentionen von Weinberg entspricht, werden wir nie erfahren. Insofern stellt sich vor allem die Frage, ob diese Version als genuine Symphonie "funktioniert". Und das tut sie meiner Meinung nach in überragender Weise. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, hier wurde nur eine Aufführungsversion oder Rekonstruktion erstellt wie das z.B. für die in meinen Ohren unbefriedigenden Komplettierungsergebnisse von Mahler 10 gilt.


    Das hier ist ein vollgültiges Musikwerk, das zu keinem Zeitpunkt den Eindruck vermittelt, es könnte auch ganz anders klingen. Genuine Komponisten gehen eben doch ganz anders an so eine Aufgabe heran als Musikwissenschaftler. Vielleicht sollte sich Wolfgang Rihm mal Mahlers Zehnte vornehmen.


    Auf jeden Fall eine sehr hörenswerte Symphonie - 40 min - 3 Sätze - wobei schon der erste langsame Satz Fantasia über 24 min dauert. Ein relativ kurzes Intermezzo führt zum zweiten langsamen Satz Reminiscences, einem Adagio. Die Musik ist natürlich wie in den beiden vorherigen Symphonien tragisch und pessimistisch. Erinnerungen an die meisten bedeutenden Komponisten des 20. Jahrhunderts werden im Laufe der musikalischen Geschehnisse geweckt. Im Gegensatz zur sehr reduzierten und ausgedünnten 21. ist sie aber auch wieder deutlich energetischer mit kraftvollen Steigerungen. Der Schluss: ein rätselhaftes Verklingen eines Solocellos, das irgendwann einfach aufhört zu spielen. Schlusspunkt unter eines der eindrucksvollsten Oeuvres der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.


    Die Interpreten sind die gleichen wie bei der 21. Symphonie und lassen wieder wenig Wünsche offen. Man kann Toccata Classics für diese beiden CDs gar nicht genug danken. Es sind vielleicht die wichtigsten in ihrem nicht schmalen Katalog.

  • WEINBERG: Kammersinfonien Nr. 1-4


    Neben den 22 Symphonien komponierte Weinberg gegen Ende seiner Lebens auch noch vier Kammersinfonien:


    Kammersinfonie Nr. 1 op. 145 (1987)
    Kammersinfonie Nr. 2 op. 147 (1987)
    Kammersinfonie Nr. 3 op. 151 (1991)
    Kammersinfonie Nr. 4 op. 153 (1991)


    Es ist nicht ganz klar, warum er diese separat nummeriert wissen wollte, den auch seine Symphonien 2, 7 und 10 sind Kammersinfonien. Vielleicht hatte er Sorge, dass eine hohe Zahl in den 20ern die Rezeption behindern könnte. Kammersinfonie 1 und 2 sind darüberhinaus auch Bearbeitungen zweier früher Streichquartette (2 und 3). Das gilt partiell auch für die Kammersinfonie 3, die wohl aber eher nur Themen aus dem 5. SQ bearbeitet und auch eigens komponierte Musik enthält. Die Kammersinfonien 3 und 4 stellen jedenfalls das drittletzte bzw letzte komplettierte Werk des Komponisten dar. Danach kam nur noch die weiter oben besprochene unvollendete 22. Symphonie. Die beiden Kammersinfonien handeln also von letzten Dingen und in den langsamen Sätzen hört man das auch, Mahlers Abgesang aus der 9. ist stimmungsmässig nicht fern. Dazwischen gibt es aber auch durchaus freche und muntere Sätze, die zeigen, dass hier nicht nur Resignation und Abschied zu hören sind. Die vierte Kammersinfonie beinhaltet auch eine Soloklarinette, die Klezmer-Anklänge einbringt. Beide Werke haben mich beim ersten Hördurchgang stark beeindruckt wie auch die Interpretation durch Thor Svedlund und das Helsingborger Orchester. Die lange Liste der positiven Besprechungen auf der Chandos website belegen, dass ich mit meiner Einsschätzung nicht alleine stehe. Es gibt wohl auch eine frühere russische Aufnahme, die mehr "Biss" haben soll, aber die ist derzeit nicht verfügbar.

  • WEINBERG: Sinfonie Nr 18


    Die 18. Symphonie ist die mittlere der Kriegstriologie (Symphonien 17-19), sie entstand zwischen 1982-84 und reflektiert Weinberg's Erinnerung an die Katastrophe des 2. Weltkriegs, die für seine Familie die Auslöschung und für ihn Flucht und das lebenslange Exil in der SU bedeuteten.


    Es ist unter den dreien die einzige Vokalsymphonie, wobei der erste Satz rein instrumental ist. Er hebt an mit einem Hymnus der tiefen Streicher, dem eine Bläserfanfare gegenübergestellt wird, beide durchdringen sich zunehmend und es gibt bewegende Solopassagen u.a. für Englischhorn. Im zweiten Teil des 15-minütigen Kopfsatzes geht es in Allegro über und Weinberg zitiert fast wörttlich aus einer Schostakowitsch-Symphonie, interessanterweise nicht aus einer dessen Kriegssymphonien (7-9), sondern aus der 4. und zwar die Passage, die der englische Biograph Ian MacDonald als das angstvolle Warten auf die Geheimpolizei "Holen sie mich heute Nacht?" interpretiert. Zum Ende hin wird es recht unübersichtlich und die Tonalität löst sich fast komplett auf, hier hat Weinberg offensichtlich auch seinen jüngeren Kollegen Alfred Schnittke gehört und verarbeitet.


    Der 2. Satz beginnt mit einem unbegleiteten Choral in typisch russischer Manier, später kommen Instrumente hinzu. Die Stimmung ist getragen. Der Satz klingt wieder mit einer wunderschönen Kantilene der Holzbläser aus. Der Text "Er war begraben in der Erde" stammt von Sergey Orlov (1921-1977).


    Der Text zum 3. Satz "Meine liebe, kleine Beere - du kennst nicht den Schmerz, der in meinem Herzen ist" entstammt einem Volkslied. Der hebt als Frauenchor munter an, entwickelt sich dann zu einem bissigen Scherzosatz für den ganzen Chor mit Orchester. Zum Schluß ein Stimmungsumbruch zu einer wiederum getragenen Weise, die streckenweise instrumental vorgetragen wird, u.a. mit Laute über liegende Töne und in den Finalsatz übergeht.


    Der Finalsatz ist mit 4 min sehr viel kürzer als die anderen drei. Das Gedicht, das der Symphonie auch seinen Namen gab, stammt von Aleksandr Tvardovsky (1910-1971). Beschwörender Chorgesang lässt das Werk ruhig ausklingen.


    Krieg - kein Wort ist grausamer
    Krieg - kein Wort ist trauriger
    Krieg - kein Wort ist heiliger
    In der Trauer und der Glorie dieser Jahre
    da ist - wie soll es anders sein -
    kein anderes Wort auf unseren Lippen.


    (Übersetzungen - auch die holprigen - von mir)


    Insgesamt ein weiteres überaus beeindruckendes Stück, das meine Überzeugung nährt, dass die besten Werke von Weinberg seine späten sind. Deren Rezeption hat bisher kaum begonnen. Die Darbietungen auf der vorliegenden CD dürften kaum zu toppen sein, vielleicht noch durch die UA durch Fedossejew falls diese vom sowjetischen Rundfunk aufgezeichnet wurde und vielleicht irgendwann einmal verfügbar ist. Fedossejew hat wohl alle späten Symphonien aus der Taufe gehoben. Wäre schön, wenn es diese Aufnahmen noch geben würde und sie irgendwann veröffentlicht würden.

  • Wenn man den Angaben auf youtube glauben kann, sind Aufzeichnungen der 17. und 18. Symphonie aus Moskau unter Fedossejew dort verfügbar.



  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose