Orazio Vecchi - Meister des Ausdrucks

  • Heute vor 410 Jahren, am 19. Februar 1605, starb Orazio Tiberio Vecchi. Weil ihm bisher noch kein Thread gewidmet ist, sei die Erinnerung an seinen Todestag für diesen Beitrag als Anlass genommen.


    Der am 6. Dezember 1550 in Modena getaufte spätere Priester-Komponist erhielt seine musikalische Ausbildung bei dem Servitenmönch Salvatore Essenga. Nach einer ersten Tätigkeit als Musiklehrer in Modena war er zunächst von 1581 bis 1584 Domkapellmeister in Salò, einige Jahre später in gleicher Position an der Kathedrale seiner Heimatstadt. 1586 berief man ihn zum Kapellmeister in Reggio Emilia; diese Berufung kam sozusagen mit der Kündigung seiner Position in letzter Minute, denn die Oberen in Modena akzeptierten nicht, dass sich ihr Domkapellmeister ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung in Reggio nell'Emilia beworben hatte. Gleichzeitig wurde Vecchi aber auch Kanonikus am Dom in Correggio, verlor diese Würde jedoch 1594 wegen ständiger Abwesenheit, kam dann kurz darauf wieder an seiner alten Wirkungsstelle in Modena unter. 1597 vertraute man ihm auch die Leitung der Hofmusik und die musikalische Erziehung der Kinder des Herzogs Cesare d'Este an. Diese Position musste Orazio Vecchi nach einer Hofintrige 1604 räumen; er starb, erstens seinen Rausschmiss nicht verwindend, zweitens ohne Aussicht auf eine neue Stelle, verarmt am 19. Februar 1605.



    Das Hauptwerk von Orazio Vecchi ist seine Commedia harmonica „L'Amfiparnasso“, die in der Musikwissenschaft lange als Vorläuferin der Oper galt. Im Lichte neuester Forschung darf man das Werk jedoch eher „als einen geglückten Versuch ansehen, eine Commedia dell'arte“ zu vertonen, da in dem Stück „alle Elemente und Charaktere dieses Genres vorhanden“ sind. Von der Oper ist das Stück auch schon deshalb weit entfernt, weil die „Dialoge von mehreren Stimmen im Madrigalstil vorgetragen“ werden. (Durch Anführungszeichen hervorgehobene Stellen sind Zitate aus dem MGG.)



    Orazio Vecchi galt in seiner Lebenszeit als einer der großen Meister der Kirchenmusik und einer der besten Canzonen- und Madrigalkomponisten - und an diesem Bild hält man noch heute fest. Gerühmt wurde und wird seine Kunst der Tonmalerei und Textauslegung. Es sind in verschiedenen Auflagen mehrere Bücher von Canzonetten erhalten geblieben, aber auch Madrigale. Motetten, Hymnen, Messen und Lamentationen; Einzelstücke finden sich auch in Sammeldrucken. Die damalige „moderne Musik“ findet sich in den „Dialoghi“ für sieben bis acht Stimmen mit Basso continuo. Die schon erwähnte Fähigkeit Vecchis für die Vielfalt des musikalischen Ausdrucks zeigt sich in „Le veglie di Siena“ (Abende in Siena), wo die unterschiedlichsten Stimmungen wie Schwermut – Fröhlichkeit – Schmerz – Scherz – Zuneigung – Ablehnung musikalisch dargestellt werden.



    :hello:

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    MUSIKWANDERER

  • Heute habe ich mir noch mal meine alte Ausgabe der Madrigalkomödie L´Amfiparnaso (1597) angehört, und zwar in der legendären Einspielung durch das Deller-Consort, das vom Collegium aureum begleitet wird; beide Gruppen Vorreiter der Alten Musik. Was mich besonders musikalisch bewegt hat, waren die vielen sehr melancholischen Stücke, die dieses Werk enthält.


    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Orazio Tiberio Vecchi (1550-1605):


    L‘AMFIPARNASO

    Madrigal-Komödie in drei Akten - Libretto von Giulio Cesare Croce


    Uraufführung 1594 in Modena



    DIE PERSONEN DER KOMÖDIE


    Pantalone, ein alter Mann

    Pedrolino, dessen Diener

    Hortensia, Kurtisane

    Lelio, ein junger Liebhaber

    Nisa, seine Geliebte

    Doktor Graziano

    Lucio, junger Liebhaber von

    Isabella

    Kapitän Cardon, Spanier

    Zane, eine Maske

    Frulla, Lucios Diener

    Francatrippa, Pantalones Diener



    INHALTSANGABE


    Vorbemerkung

    Jeder der Szenen geht eine dreizeilige Zusammenfassung der Erzählung voraus.


    Prolog

    Lelio fordert im Namen von Vecchi das Publikum auf, genau zuzuhören, anstatt zuzuschauen, und sich die Handlung vorzustellen. L’Amfiparnaso sei nämlich ein akustisches und nicht ein visuelles Spektakel.



    AKT I


    In der ersten Szene lobt der alte Pantalone überschwänglich die Kurtisane Hortensia. Sein Diener Pedrolino traut sich, ihn deswegen zu verspotten, und er weiß auch zu berichten, dass Hortensia sich über Pantalone lustig macht. Der gibt aus eigenem Erleben zu, dass da etwas dran ist, denn als er sie letztens auf der Straße ansprach, hat sie ihn lautmalerisch mit dem über seinem Kopf entleerten Nachttopf abgewiesen.


    In der zweiten Szene fragt sich Lelio, welche Bedeutung wohl die ihm von seiner Geliebten Nisa überreichte Narzisse hat? Er glaubt auch die Antwort zu kennen: Sie hat wohl nur noch wenig Liebe für ihn übrig.


    In Szene drei verspricht Pantalone seine Tochter dem merkwürdigen Dottore Graziano, der weder seine Gedanken noch seine Reden im Griff hat.



    AKT II


    In der ersten Szene zeigt uns der junge Liebhaber Lucio, dass er auf den spanischen Kapitän Cardon eifersüchtig ist, auf den seine geliebte Isabella neuerdings „abzufahren“ scheint.


    In der zweiten Szene erscheint eben jener Capitano und streitet sich mit seinem Diener Zane in einem Kauderwelsch-Spanisch, wodurch der Diener seinen Herrn nicht versteht. Zane antwortet im Bergamo-Dialekt, den der Capitano wiederum nicht versteht. Dann klopft der Capitano an Isabellas Tür.


    In der dritten Szene gibt Isabella vor, Kapitän Cardon zu lieben, zeigt aber in der vierten Szene deutlich, dass sie tatsächlich Lucio liebt und ihm treu bleiben will. Sie droht ihrem Freund, sich umzubringen, wird jedoch in der fünften Szene von Lucios Diener Frulla mit dem Hinweis, dass Lucio ähnliches geplant hat, davon abgebracht.



    AKT III


    Die erste Szene zeigt die Unterzeichnung des Ehevertrages zwischen Doktor Graziano und Pantalones Tochter. Der Alte bereitet sofort mit seinem Diener Francatrippa die Hochzeit vor.


    Graziano singt in der zweiten Szene eine Serenade, besser gesagt eine Parodie, auf das berühmte Madrigal „Ancor che col partire“ von Cipriano da Rore. Darin kommt ein Wortspiel über „Abschied“ und „Geburt“ vor. Dann fährt er mit „la vita ch‘acquisto“ (das wiedergewonnene Leben) fort, das zu „l'acqua vita“ (Brandy) wird und „dolci gli ritorni“ (die süße Rückkehr) zu „dolci i Storni“ (süße Stare).


    In der dritten Szene versucht Pantalones Diener Francatrippa bei den Juden eine Hängematte zu verpfänden, die ihn jedoch wegen des Sabbats abweisen, weil jedwede Tätigkeit an diesem Tage verboten ist.


    In der vierten Szene kommen Isabella und Lucio endgültig zusammen und versprechen sich, einander treu zu bleiben. Die Komödie endet im allgemeinen Freudentaumel, bei dem alle Personen zur Hochzeit von Isabella und Lucio ihre passenden oder auch unpassenden Geschenke überbringen: Handschuhe des Urgroßvaters von Pantalone, einen treuen kleinen Hund von Nisa, Geld kommt von Cardon, das Narrensymbol Rettich von Pedrolino und eine Brille ohne Gläser von Graziano.


    :hello:

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    MUSIKWANDERER

  • Lieber musikalischer Wandervogel!

    Danke für diese Übersicht, mit der kann ich jetzt das ganze Werk noch besser hören. Kleine Korrektur: es heißt durch weg "L´Amfiparnaso) mit nur einem -s-. Für die Aussprache im Italienischen macht es wohl keinen Unterschied.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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