Franz Liszt: Sinfonische Dichtung Nr 1 - Bergsinfonie S96

  • Franz Liszt vertrat die Auffassung, daß die Sinfonie als musikalisches Modell ausgedient hatte und entwickelte einen neuen Standard, den er "Sinfonische Dichtung" nannte, wenngleich es schon derartiges von Hector Berlioz gab, dessen Sinfonie fantastique wird allgemein als Vorläufer gesehen. Es handelt sich hier nicht um "absolute Musik" sondern um "Programm-Musik", welche in der Regel Inhalte oder Menschen etc beschreibt. Diese Art von Musik wurde schon von Beginn an angefeindet - und irgendwie wird sie sogar heute noch gelegentlich scheel angesehen.
    Liszts Erstling (1847/48) auf diesem Gebiet war die sogenannte "Bergsinfonie - Was man auf dem Berge hört" - "Ce qu´on entend sur la montagne" nach dem gleichnamigen Gedicht von Victor Hugo. Die Instrumentation - so vermuteten viele Zeitgenossen - stamme von Raff, was für Liszts Reputation wenig nützlich war. Ein besonders unfreundlicher Kritiker war Robert Schumann, der jeglicher Programmusik künstlerischen Wert absprach, denn sie sei nicht von einer innere Tiefe kommend, sondern durch irgendwelche Einflüsse von aussen entstanden.- Mag sein - was zählt ist das Ergebnis.
    Liszt liefert gleich das grob umrissene Programm für diese Dichtung: "Der Dichter vernimmt zwei Stimmen. Die eine unermesslich, prächtig und ordnungsvoll, dem Herrn ihren jubelnden Lobgesang entgegenbrausend - die andere stumpf, voll Schmerzenslaut, von Weinen, Lästern und Fluchen angeschwellt. - Die eine spricht "Natur", die andere "Menschheit" ! Die beiden Stimmen ringen sich einander näher, durchkreuzen und verschmelzen sich, bis sie endlich in geweihter Betrachtung aufgehen und verhallen...
    Das Werk wird anscheinend auch heute noch nicht besonders geschätzt, fast alle Konzertführer negieren es oder streifen es nur flüchtig. Eigentlich kann ich das nicht verstehen, denn, selbst wenn wir den Höranweisungen Listzs nicht folgen wollen oder können, was bleibt ist ein Werk mit wundervollen Orchesterfarben und knalligen Effekten, welches zwischendurch herrlich lyrische Abschnitte enthält. Sehr effekvoll und publikumswirksam - sollte man meinen.. Ich höre dieses Werk - und alle weiteren mit der links oben im Beitrag gezeigten Aufgabe unter Haitink.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred


    Ich habe ob Deiner Ankündigung dieses Stück auch heute abend gehört, sogar zweimal, einmal in der von Dir gezeigten Version und dann in der von Kurt Masur dirigierten mit dem Leipziger Gewandhaus Orchester. Bei diesem Stück ist für mich der Favorit eindeutig:
    Masur 1*, Haitink 2-.


    Was Masur hier mit den Leipzigern veranstaltet, hätte ich ihm - ehrlich gesagt - nicht zugetraut. Das ist für mich - und ich kenne die Einspielung schon seit vielen Jahren - seine beste Aufnahme überhaupt, zumindest von denen, die ich kenne. Von den 12 symphonischen Dichtungen ist diese - die längste überhaupt - wohl auch meine liebste. Wenn ich böse wäre, würde ich sagen, das liegt an Raff, aber wir werden vermutlich nie erfahren, wie groß sein Beitrag wirklich war. Warum dieses Stück, das ja letztendlich als komplette Symphonie in einem Satz durchgehen könnte, so vernachlässigt wird, kann ich auch nicht sagen. Das Problem aller Liszt'schen symphonischen Dichtungen ist vermutlich, dass kurze Zeit später Tschaikovsky, Dvorak, Smetana und Strauss das Feld so eindrucksvoll bestellt haben, dass der "Initiator" dabei weitgehend ins Hintertreffen geriet.

  • Interessant, dass Lutgra, die beiden Spitzenaufnahmen der Bergsinfonie - Haitink (Philips) und Masur (EMI) genau so einschätzt, wie ich es auch machen würde.


    Meine Erste war auch Haitink, der aber durchweg (auch bei den anderen Sinf.Dichtungen) nicht die Ausdruckskraft mitbringt, wie gerade Masur bei der Sinf.Dichtungf Nr.1.
    Die Haitink-Aufnahmen sind gut. Würde man keine andere Aufnahme kennen, wäre man mit diesen ausgewogenen Aufnahmen des LSO zufrieden - aber mehr Spannung bringt Masur und (wo vorhanden) Solti!


    *** Die 7CD-Liszt-Box (EMI) ist ein Lebenswerk von Kurt Masur mit seinen besten Aufnahmen. :!: Ganz wichtig auch die enthaltenen Aufnahmen mit Michel Beroff aller Werke für Klavier und Orchester ... ;) es gibt nicht nur die KK Nr. 1 und 2!

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich habe mal in meiner Sammlung geschaut und festgestellt, dass es von diesem diskographisch nicht sehr häufig vertretenen Werk interessanterweise ein Einspielung unter Carl Schuricht mit dem RSO Stuttgart aus 1961 gibt; sie ist in dieser Box enthalten:


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Um das Thema inahltlich zu flankieren und zu diskutieren, verweise ich auf einen Thread aus dem jahre 2009, der sich mit Programmusik befasst: Programmusik-Wege und Irrwege
    Auch die Programmusik von Franz Liszt im Speziellen haben wir schon als Thread: Franz Liszt, die Sinfonischen Dichtungen


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Auch die Programmusik von Franz Liszt im Speziellen haben wir schon als Thread: Franz Liszt, die Sinfonischen Dichtungen


    Alfred plant einzelne Threads zu allen Sinfonischen Dichtungen von Liszt.

  • Die sehr schöne Bergsymphonie habe ich noch vor einiger Zeit gehört - im Moment allerdings ist die Anlage noch immer nicht einsatzbereit, leider! Eine schöne Idee, lieber Alfred, diese Liszt-Threads! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


  • Ich wollte hier gestern schon einen kleinen Beitrag einstellen, konnte aber beim besten Willen kein Cover auftreiben. Nun habe ich mal andere Stichwörter eingegeben, und schon klappt es. Die o. a. Box habe ich seit etlichen Jahren in meiner Sammlung und kann sie empfehlen. Die Bergsymphonie hatte ich zwar noch nicht gehört, das habe ich aber inzwischen nachgeholt. Es spielt die Budapester Symphonie unter Árpád Joó.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das regt mich dazu an, das Stück auch wieder anzuhören. In meinem Besitz ist nur diese HIP-Aufnahme:


    Liszt: The Sound of Weimar, Orchester Wiener Akademie unter Martin Haelböck (Vol.1-5 Box-Set)


    Im letzten Jahr habe ich das Abschlusskonzert der Liszt-Akademie auf Schloss Schillingsfürst besucht und der Vortrag von Leslie Howard (leider weiß ich nicht mehr, was er gespielt hat) hat mich – obwohl auf einem »falschen« Instrument, einem modernen Steinway gespielt – völlig für Liszt begeistert. Bis dahin hatte ich zwar ein oder zwei Liszt-Aufnahmen, aber ohne für mich die Notwendigkeit für mehr zu sehen. Das hat sich dadurch geändert.

  • Ich danke für das überraschend rege Interesse an diesem Thread. Vor allem die Bersinfonie dürfte ja ein Schattendasein fristen, bzw die Verfasser der Konzertführer wissen offensichtlich wenig damit anzufangen. Ich habe keine Problem damit, daß die Sinfonischen Dichtungen "Programmusik sind, denn man kann sie getrost als "absolute Musik" hören, was ich gerne mache, denn mir gelingt nur in den seltensten Fällen die Assoziationen zwischen beschriebenem Inhalt und Musik herzustellen, was aber meine Freude daran keinen Abbruch tut. Ich werde die Serie - so weiterhin Interesse besteht - konsequent durchziehen - allerdings nicht im Eiltempo. Interessenten sollen die Möglichkeit haben bei Interesse auch Alternativaufnahmen oder themennahe Werke anderer Komponisten zu hören, beispielsweise etwas von Berlioz oder Raff.
    Aber auch das mehrfache Hören ein und derselben Sinfonischen Dichtung mag dazu führen, daß man sie von Mal zu Mal mehr schätzt, bzw daß man sie besser kennenlernt.
    Ich selbst habe die Aufnahme mit Haitink und war davon begeistert. Ich kann mir kaum vorstellen, daß Masur besser sein soll, aber in Anbetracht des günstigen Preises werde ich mir die Masur-Box ebenfalls besorgen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich schätze Masur bei dieser Sinfonischen Dichtung sehr hoch ein, aber hier gefällt mir Haitink ähnlich gut, muss ich sagen.
    Und ich meine sogar sagen zu können, warum: weil mir Spannung in diesem Stück allein nicht reicht. Natürlich ist diese von Liszt selbst vorgesehen. Er schreibt in der Interpretation des dem Stück vorangestellten Textes, die Alfred a bereits zitiert hat:
    "Der Dichter vernimmt zwei Stimmen; die eine unermesslich, prächtig, und ordnungsvoll, dem Herrn ihren jubelnden Lobgesang entgegenbrausend - die andere dumpf, voll Schmerzenslaut, von Weinen, Lästern und Fluchen angeschwellt. Die eine sprach "Natur", die andere "Menschheit"! Die beiden Stimmen ringen sich einander näher, durchkreuzen und verschmelzen sich, bis sie endlich in geweihter Betrachtung aufgehen und verhallen."


    So betrachtet, könnte man meinen, die Gegensätze seien das Entscheidende. Und das will ich auch gar nicht verneinen, aber ebenso wichtig ist die Technik, mit der Liszt das Werk erstellte. Er entwickelte alle musikalischen Gestalten aus einem Kern, der dann transformiert wird. Er spinnt ein Geflecht aus musikalisch-thematischen Verbindungen. Die damit verbundenen Transformationen, die in der ersten sinfonischen Dichtung vielleicht noch etwas unbeholfener daherkommen, als bei den späteren (auch darauf richtete sich die Kritik der Zeit) höre ich kaum an einer Aufnahme so präzise heraus wie bei Haitink. Man könnte vielleicht sagen, dass Haitink sich stärker der formalen Neuheit verschreibt und versucht diese herauszuarbeiten als den emotionalen Aspekten. Ich will nicht sagen, dass eine Sicht richtiger sei als die andere aber Haitink wird in der Betonung der Strukturen dem Komponisten und Neuerer Liszt sehr gerecht. Und das gefällt mir ausnehmend gut.


    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Die vereinfachend ‚Berg‘-Sinfonie genannte Programmmusik beruht auf einem Gedicht von Victor Hugo (Cequ’on entend sur la montagne - Was man auf dem Gebirge vernimmt). Liszt selbst hat seine Gedanken an die musikalische Umsetzung des Gedichts in einem ‚Vorspruch‘ niedergelegt: „Der Dichter vernimmt zwei Stimmen, die eine unermesslich, prächtig und ordnungsvoll, dem Herrn ihren jubelnden Lobgesang entgegenbrausend - die andere dumpf, voll Schmerzenslaut, von Weinen, Lästern und Fluchen angeschwellt. Die eine sprach Natur, die andere Menschheit! Die beiden Stimmen ringen sich einander näher, durchkreuzen und verschmelzen sich, bis sie endlich in geweihter Betrachtung aufgehen und verhallen.“ An diesem Stück hat Liszt lange gearbeitet (1853 erste Fassung, 1857 endgültige Fassung), ehe er sie veröffentlichte.


    Piano-Paukenwirbel, gedämpfte Streicherfiguren und verhaltene Bläser-Akkorde mit merkwürdig anmutenden Zwischenrufen könnten eine Art Vorspiel darstellen, ehe man die von Liszt intendierten ‚zwei Stimmen‘ vernimmt, die zudem sehr deutlich unterscheidbar sind: Klar und deutlich (so meine Empfindung) die menschliche, anders dagegen die Stimme der Natur, die mir wie ein Gesang aus dem Jenseits vorkommt. Diese Themen verhaken sich, wie um den Sieg kämpfend. Und der Gedanke an den Titel des das Gedichts (das ich nicht kenne), lässt den Schluss zu, dass Liszt der Natur, hier gemeint die gewaltige Bergwelt, den Sieg über den Menschen zukommen lässt. Ein ruhiger Teil, mit Andante religioso bezeichnet, ist wie ein Choral geformt: Posaunen wirken auf mich mahnend, trostreich die Holzbläser und die Streicher ätherisch den offenen Himmel zeigend. Die orchestrale Deutung des Gedichts ist dann ausgeschöpft und das folgende Geschehen ist im Grunde eine Wiederholung der Themen, die Liszt jedoch gewaltig steigert, bis schließlich mit leisen Akkordfolgen, Harfenklängen und Paukenschlägen die Musik ausklingt.


    Die Interpretation wird, wie alle anderen Sinfonischen Dichtungen in dieser Brilliant-Box, vom Sinfonieorchester Budapest unter Árpád Joó ausgeführt. Da sie weiter nicht besprochen werden, außer von William, gehe ich mal davon aus, dass sie den übrigen Einspielungen nicht das Wasser reichen kann. Da ich keine anderen besitze, also keine Vergleichsmöglichkeiten habe, werde ich meine Eindrücke mit diesen Aufnahmen schildern…


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Die Interpretation wird, wie alle anderen Sinfonischen Dichtungen in dieser Brilliant-Box, vom Sinfonieorchester Budapest unter Árpád Joó ausgeführt. Da sie weiter nicht besprochen werden, außer von William, gehe ich mal davon aus, dass sie den übrigen Einspielungen nicht das Wasser reichen kann.


    Lieber musikwanderer,


    dass die Gesamtaufnahme der Liszt'schen Tondichtungen mit dem Budapest Symphony Orchestra unter Árpád Joó zumindest in diesem Forum nicht unbedingt den besten Ruf genießt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch andere Meinungen gibt:


    Paul Shoemaker von musicweb-international.com schreibt etwa zur Bergsymphonie: "Masur (DDD) is a bit more incisive at times, Árpád Joó finds a little more mystery. Both recordings are equally valid overall and in both recordings the solo violin part is played superbly but only Masur gives name credit (Gerhard Bosse)."


    Alexander Arsov zur Joó-Box: "The finest complete set of Liszt's symphonic poems musically, if not sonically [...] Joo is superior to his three colleagues [Masur, Haitink, Noseda] in every way: his interpretations are much better paced, combining passion and drama with rare understanding of Liszt's orchestration; his climaxes are excellently done and so are the many beautiful melodic lines."


    Ich kann die generelle Abwertung dieser idiomatischen ungarischen Gesamtaufnahme auch nicht nachvollziehen. Ich habe vergleichsweise auch bei Masur und Haitink reingehört und wüsste nicht recht, was da soviel besser sein soll. Im "Les Préludes" und "Tasso" etwa erschien mir Joó deutlich vorne zu liegen. Es mag noch überzeugender Einzelaufnahmen geben, aber im Gesamtpaket ist das eine runde Sache.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões