Kleine Anekdoten der Musikgeschichte

  • Von grosse Komponisten, ihren Werken und ihren Interpreten gibt es viel zu berichten. Manchmal sind es die kleinen Geschichten, die uns diese Persönlichkeiten und Werke nahe bringen.


    Ich mache den Anfang:


    Franz Schubert hatte einen Walzer komponiert, dessen Manuskript nicht erhalten ist, der sogenannte Kupelwieser-Walzer in Ges-Dur. Der Maler Leopold Kupelwieser gehörte zum Kreis, in dem auch Franz Schubert verkehrte. Wie kommt es, dass wir diese Melodie trotzdem zu Gehör bekommen können, obwohl kein Autograph oder eine Abschrift überliefert wurde?


    Hier spielt diese Melodie Aldo Cicolini als Zugabe in einem Konzert.



    "Am 17. September 1826 heiratete er (Anmerkung, Kupelwieser) die am 26. Dezember 1803 geborene Maria Johanna Evangelista Augustina Stephania Theodora Lutz. Zu diesem Anlass widmete ihm Schubert den „Kupelwieser-Walzer“, der in der Familie mündlich tradiert wurde, bis er durch Richard Strauß als Gast im Hause Mautner-Markhof aufgezeichnet wurde." Quelle Wikipedia


    Diese Melodie wurde über Jahrzehnte weitergereicht, ehe sie Strauss im Jahre 1943 notiert hatte.


    Österreicher werden diese Walzer-Melodie bestens kennen, denn sie war die Titelmelodie einer beliebten Fernsehsendung, welche das ORF von 1980 bis 1993 in 384 Folgen ausstrahlte: "Die liebe Familie". Das Besondere war, dass diese 45minütige Sendung im Stegreif live gespielt wurde. Nur der ungefähre Handlungsablauf war bekannt. Viele bekannte Schauspieler gaben sich die Ehre mitzuwirken.
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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Und warum heißt der Walzer in der eingeblendeten Schrift "Kugelwieser"? Das ist doch gewisse nicht Teil Deiner Anekdote, lieber moderato - oder? Es fiel mir halt nur so auf. Die Geschichte ist sehr schön. Danke.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold1876


    Es ist ein Tipp-Fehler der Produktionsfirma. ;) Nicht Kugelwieser sondern Kupelwieser sollte es natürlich heissen.


    Die Nachfahren Leopold Kupelwiesers hatten die Melodie von Generation zu Generation weitergereicht, ehe sie dann während eines Aufenthaltes von Richard Strauss im Haus des Feinkost-Fabrikanten Mautner-Markhof notiert wurde. Dass der Walzer zur Hochzeit des Schubert Freundes Kupelwieser komponiert hatte, habe ich erwähnt. Ich nehme an, das Notenblatt ging verloren, die Menschen, die diese Melodie auswendig spielen konnten, haben sie in der Familie an die Klavierspielenden weitergereicht.


    lg moderato
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  • Ich habe mal ein bisschen recherchiert:


    wenn man den Autor von Schubert Fierrabras sucht, so stößt man auf Leopolds älteren Bruder Joseph Kupelwieser, der auch zu Schuberts Freundeskreis gehörte und Theaterdichter war.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Kupelwieser


    Oft findet man in den bibliographischen Angaben in der Tat bisweilen "Kugelwieser" - ich nehme an, ähnlich wie moderato, dass es sich um einen Lesefehler handelt.

  • Richard Wagner (1813-1883) hielt sich von 1866 bis 1871 in Tribschen bei Luzern auf. Am Weihnachtstag 1870, der zugleich der Geburtstag seiner Frau Cosima war, fand ein besonderes musikalisches Ereignis statt. Es wird Schnee gelegen haben.



    Im Treppenhaus dirigierte der Komponist erstmals ein Werk, das später unter dem Namen "Siegfried Idyll" bekannt werden sollte.
    Das Kammermusikwerk war ein Geschenk für seine Frau Cosima zur Geburt des ersten Sohnes Siegfried, "Fidi" genannt. Seine Frau durfte von dieser Überraschung nichts erfahren, weshalb er das 20minütige Werk heimlich komponiert hatte. Damals lautete der Titel allerdings anders: "„Tribschener Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang, als Symphonischer Geburtstagsgruss. Seiner Cosima dargebracht von Ihrem Richard.“ Da die Platzverhältnisse im Haus eng begrenzt waren, mussten die Musiker sich auf der schmalen Treppe aufstellen. Aus diesem Grund hatte Richard Wagner die Kammermusikbesetzung für die angereisten Musiker des Zürcher Torhalle Orchesters gewählt.
    Da das Werk ein Geschenk für Cosima war, weigerte sie sich lange, dass das Werk veröffentlicht wurde.


    Im Film "Wagner" aus dem Jahr 1983 mit Richard Burton und Vanessa Redgrave ist die erwähnte Szene zwischen 31:00 bis 34:00 dargestellt, wie es sich am 25. Dezember 1870 zugetragen haben könnte. Die Szenen wurden an den Originalplätzen aufgenommen.



    Die Firma Liebig gab zu ihrem Suppenextrakt kleine Werbebildchen ab und verewigte diese Szene für ihre Kunden.



    Das Treppenhaus in Tribschen präsentiert sich heute so:



    Die Orchesterfassung des Siegfried Idylls (Münchner Philharmoniker und Sergio Cellibidache)



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    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Hallo Moderato,


    von Liebigs Suppenbildchen gibt es offenbar eine ganze Serie über das Leben von Richard Wagner. Amüsant fand ich immer ein Bildchen zur Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele.
    Hier wird ein Handschlag zwischen Kaiser Wilhelm I. und Wagner vor dem Festspielhaus dargestellt. Dem "Künstler", der diese Szene verewigt hat, sind allerdings einige Fehler unterlaufen: der Kaiser ist in seiner Generalsuniform dargestellt. In Wirklichkeit trug er bei dieser Gelegenheit Zivilkleidung (in der ihn viele Zuschauer zum ersten Male sahen!). Dies hatte durchaus einen Hintersinn: der Kaiser erschien zu den Ausführungen als Privatmann, nicht als deutscher Kaiser, denn in letzterer Funktion hätte er in die Privilegien des eigentlichen bayrischen Landesherren, Ludwig II. eingegriffen, der bekanntermaßen ein schwieriger Bundesgenosse war, ferner hätte ein Auftritt als Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches bei Wagner den Eindruck erwecken können, das Reich würde Subventionen für die Festspiele in Zukunft zahlen, was Bismarck stets abgelehnt hat.
    Der zweite Fehler in der Darstellung legt darin, daß Wagner beim Handschlag aufrecht steht, der Kaiser sich aber verbeugt. Natürlich war es umgekehrt der Fall.
    Die Naivität der Suppenbildchen ist auch heute noch herzerfrischend.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Lieber Joachim Schneider


    Zur Ergänzung. Ich habe das von dir erwähnte Bild gefunden.



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  • Peter Tschaikowsky 1870 verbrachte wie jedes Jahr die Sommermonate bei seiner Schwester Alexandra in der Nähe von Kamenka. Im Haus pfiff ein Handwerker während der Arbeit ein ukrainisches Volkslied, dessen Melodie der Komponist sich notierte.



    Im Februar des folgenden Jahr 1871 komponierte Tschaikowsky sein erstes Streichquartett D-Dur op. 11. Er schrieb es in aller Eile, weil er für ein Konzert mit eigenen Kammermusikwerken noch ein grösseres Stück benötigte. Im zweiten Satz Andante cantabile in B-Dur verwendete er die Melodie, die er während seines Sommeraufenthaltes gehört hatte.


    Das Borodin-Quartett interpretiert diesen zweiten Satz:



    1886 schrieb Tschaikowsky in sein Tagebuch: "Vielleicht ... habe ich mich auch nie in meinem Leben und in meiner Eigenliebe als Komponist so angesprochen gefühlt wie in dem Augenblick, da L. N. Tolstoi beim Anhören des Andante meines 1. Streichquartetts neben mir Tränen vergoss."


    Mit dem Andante cantabile verbindet sich noch eine andere Anekdote, in der zum Ausdruck kommt, welche starke Emotionen es auslöst.


    Die gehörlose und blinde Helen Keller hatte eine Begegnung mit dem Zoellner-Quartett, das ihr diese Melodie vorspielte. Sie legte ihre Fingerspitzen auf den Resonanzkörper eines Instrumentes und notierte ihre Empfindungen:


    "When you play to me I see and hear and feel many things that I cannot easily put into words. I feel the sweep and surge and mighty pulse of life. Oh, you are masters of a wondrous art, subtle and superfine. When you play to me immediately a miracle is wrought, sight is given the blind, and deaf ears hear sweet, strange sounds.


    Each note is a picture, a fragrance, the flash of a wing, a lovely girl with pearls in her hair, a group of exquisite children dancing and swinging garlands of flowers—a bright mingling of colors and twinkling feet. There are notes that laugh and kiss and sigh and melt together. And notes that weep and rage and fly apart like shattered crystal.


    But mostly the violins sing of lovely things—woods and streams and sun-kissed hills, the faint sound of tiny creatures flitting about in the grass and under the petals of the flowers, the noiseless stirring of shadows in my garden, and the soft breathings of shy things that light on my hand for an instant, or touch my hair with their wings. O, yes! and a thousand, thousand other things that I cannot describe come thronging through my soul when the Zoellner Quartet plays to me."


    Scrapbook clipping attributed to Musician, Volume 22, April 1917, page 303
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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Liebe Taminos,


    heute finde ich endlich mal wieder Gelegenheit, ein paar Anekdoten hier zum Besten zu geben:


    Dem estnischen Dirigenten Neeme Järvi wurde bei einem Konzert der New Yorker Philharmoniker der Taktstock geklaut. Järvi, der nach seinen Konzerten gewöhnlich seinen Taktstock auf dem Notenpult zurücklies, fand diesen nach dem Konzert dort nicht mehr vor. Wundern tut ihn das nicht... man kann ja alles sammeln, und machte sammeln eben Taktstöcke.


    Järvi berichtet weiter: Sein Sohn Paavo ist ebenfalls Dirigent und als Vater ist er auch häufig bei seinen Konzerten dabei. Paavo Järvi dirigierte Sibelius Kullervo, als im dritten Teil des Werks, bei einer besonders mitreißenden dessen Taktstock in Richtung Kontrabässe flug aber noch von einem Cellisten aufgefangen wurde. Järvi gab ihm Zeichen, dass er diesen gerne weiter benutzen möchte - worauf der Cellist den Taktstock zurückwarf und von Järvi meisterlich aus dem Flug wieder aufgefangen wurde. Neeme Järvi: "Es war der stärkste Moment im Konzert"


    Esa-Pekka Salonen berichtet, dass er eines Tages Turandot in der Oper unter einem Finnischen Dirigenten (Name mir leider nicht bekannt) gesehen hatte. Mitten Dirigieren stach er sich ausversehen mit dem Taktstock in den Oberkörper und traf eine Rippe. Unbekümmert zog er diesen wieder und dirigierte die Oper zu Ende.


    Herzliche Grüße
    Christian