Propagandamusik für Hitler-Deutschland

  • Aus dem Thread über Graener:

    Da gab es einige. Nicht nur zu Olympia 1936.

    Naja, da gab es durchaus unterschiedliche Meinungen. Er diente zwar als internationales Aushängeschild, vielen galt er aber - nicht ganz zu Unrecht - als von gestern. Und so aktiv wie Graener hat sich Strauss nicht mal annähernd für die "Sache" eingesetzt.

    Was gab es denn da alles? Ich habe mal einen Artikel zu dem Thema gelesen, in dem eine Sinfonie eines Komponisten Namens Jung beschrieben wird, in der das A-H-Motiv als Huldigungsgeste gemeint ist. Bei Orff, Strauss und Pfitzner werden immer nur kleinere Gelegenheitswerke genannt, verglichen mit der Produktion in Russland kommt mir die deutsche Produktion der Zeit geradezu "unpolitisch" vor. Das Thema ist allerdings recht unbefriedigend, da man den einschlägigeren "Stoff" wohl nie zu hören bekommen wird.

  • aus demselben Thread:

    Das sehe ich etwas anders. Das Regime bediente sich vornehmlich seiner Popularität und Berühmtheit, die bekanntlich von vor 1933 herrührt. Die Opern waren aus nationalsozialistischer Sicht viel zu verquer und undurchsichtig. Strauss galt als unzuverlässig.


    Es wurde sehr viel propagandistische Musik komponiert zwischen 1933 und 1945 in Deutschland. Da muss man nicht mal Graener zitieren. Allein die Produktionslisten des Reichsrundfunks sind in dieser Sache endlos. Es sind sehr unappetitliche Sachen darunter. In ihrer Schwülstigkeit und Anbebetungswut waren sie selbst Goebbels und Hitler, der Operetten mehr liebte als Wagner, zuviel. So gut wie nichts davon hat überlebt. Aber es gab es. Der Stalinismus hatte den Komponisten schließlich viel mehr Zeit gegeben. Die Revolution der Bolschewiki fand 1918 statt. Der Beginn war war von vielen aufregenden Träumen und Illusionen begleitet, die bedeutende Kunstwerke hervorbrachten. Es gab viel Sympathie im Westen, auch bei den Intellektuellen. Das Dritte Reich dauerte nur 12 Jahre und hat noch in seiner Sunde Null viel radikaler aufgeräumt, dann Bücher verbrannt und einen Großteil der Elite außer Landes gejagt.

    Strauss war jedenfalls in der Liste der unbedingt vom Kriegsdienst zu verschonenden Musiker an erster Stelle. Aber vielleicht sagt das dann doch nicht so viel aus.


    Dass keine Propagandamusik "überlebt" hat, muss mit der Qualität nichts zu tun haben. Schließlich ist entsprechende Propaganda ja verboten. Riefenstahls "Triumph des Willens" kann man vielleicht alle heiligen Zeiten mal sehen, Orchester will man aber offenbar nicht dazu bewegen, Propagandamusik dieses Regimes zu spielen. Kannst Du vielleicht irgendeinen Hinweis geben, was es da alles gegeben hat?

  • Wenn man sich den Olympia-Film von Leni Riefenstahl ansieht, bekommt man schon zu diesem Anlass einiges zu hören.


    Und ein Land bzw. ein Regime, das große Teile der Musik als "entartet" diskriminierte, verbot und in Ausstellungen der Lächerlichkeit preisgeben wollte, musste natürlich permanent beweisen, dass unter seinen Bedingungen eine bessere, "artgerechtere" Musik gedieh.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Und ein Land, das große Teile der Musik als "entartet" diskreminierte, verbot und in Ausstellungen der Lächerlichkeit preisgeben wollte, musste natürlich permanent beweisen, dass unter seine Bedingungen eine besser, "artgerechte" Musik gedieh.

    Geht's ein bisschen konkreter? Wenn ich die Wikipedia-Werkliste von Graener überfliege, den Du als Haupt-Protagonisten ansiehst, finde ich nichts, was mir helfen würde, stattdessen Kleist-Vertonungen oder Goethe, Morgenstern.

  • Geht's ein bisschen konkreter?

    Ich habe zwei konkrete Dinge benannt: den zugänglichen "Olympia"-Film von Leni Riefenstahl und die Ausstellung "Entartete Musik, wozu es 2007 (sozusagen) eine Ausstellung in Berlin und Düsseldorf mit dem Titel "Das verdächtige Saxophon. Entartete Musik im NS-Staat" gab. Den Katalog habe ich hier vor mir, will dir aber nicht die ganze Arbeit abnehmen! ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wenn ich die Wikipedia-Werkliste von Graener überfliege, den Du als Haupt-Protagonisten ansiehst

    Das ist eine Unterstellung: Wenn ich sagte, dass Graener weit mehr verstrickt war als Strauss, heißt das noch lange nicht dass ich ihn als "Hauptprotagonisten" ansehe, denn auch er hatte ja den Großteil seines Schaffens schon vor 1933 vorgenommen.


    Aber manchmal reicht Wikipedia alleine dann eben doch nicht... ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe zwei konkrete Dinge benannt: den zugänglichen "Olympia"-Film von Leni Riefenstahl und die Ausstellung "Entartete Musik, wozu es 2007 (sozusagen) eine Ausstellung in Berlin und Düsseldorf mit dem Titel "Das verdächtige Saxophon. Entartete Musik im NS-Staat" gab. Den Katalog habe ich hier vor mir, will dir aber nicht die ganze Arbeit abnehmen! ;)

    Filmmusik ist jetzt aber nicht das Genre, in dem die Komponisten klassischer Musik ihre Hauptwerke geschaffen hätten ... und die "entartete Musik" ist doch gerade das Gegenteil von Propagandamusik für Hitler-Deutschland.

  • Filmmusik ist jetzt aber nicht das Genre, in dem die Komponisten klassischer Musik ihre Hauptwerke geschaffen hätten

    Da ist zwar einerseits Unsinn (siehe zum Beispiel Prokofjew und Schostakowitsch, auch Eisler), hat andererseits aber auch gar nichts mit dem hiesigen Thema zu tun, denn der Riefenstahl-Film ist ja (mit großen Einschränkungen!) auch ein Dokumentar-Film, in dem teilweise einfach die Musik erklingt, die damals vor Ort im Stadion gespielt wurde. Und das war eben Auftragsmusik der Nazis, teilweise in richtigen Wettbewerben. Werner Egk bekam eine olympische Goldmedaille in der Kathegorie Musik!
    Aber wenn dich das Thema wirklich interessiert, solltest du dir diesen Film einfach mal ansehen, das kann ich dir nun beim besten Willen nicht abnehmen.


    Und das andere willst du auch nicht so wirklich verstehen, aber damit muss und werde ich nun leben...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Da ist zwar einerseits Unsinn (siehe zum Beispiel Prokofjew und Schostakowitsch, auch Eisler), hat andererseits aber auch gar nichts mit dem hiesigen Thema zu tun, denn der Riefenstahl-Film ist ja (mit großen Einschränkungen!) auch ein Dokumentar-Film, in dem teilweise einfach die Musik erklingt, die damals vor Ort im Stadion gespielt wurde. Und das war eben Auftragsmusik der Nazis, teilweise in richtigen Wettbewerben. Werner Egk bekam eine olympische Goldmedaille in der Kathegorie Musik!
    Aber wenn dich das Thema wirklich interessiert, solltest du dir diesen Film einfach mal ansehen, das kann ich dir nun beim besten Willen nicht abnehmen.


    Und das andere willst du auch nicht so wirklich verstehen, aber damit muss und werde ich nun leben...


    Gerade Prokofieff ist doch ein wunderbares Beispiel, dass die Filmmusik mit der klassischen Musik desselben Komponisten nicht mithalten kann. Und nicht jeder Auftrag generiert Propaganda. Und was verstehe ich nicht?
    ;)

  • Und was verstehe ich nicht?

    Dass es für das Nazi-Regime notwendig war, eigene genehme Musik in Auftrag zu geben - nicht nur, aber auch weil so viel der vorhandenen Musik nicht mehr gespielt werden sollte. Man denke nur an Mendelssohn, Orff und den "Sommernachtstraum". Und so wären hunderte weitere Beispiele zu nennen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Sind die Neuvertonungen des Sommernachtstraumes denn so propagandistisch ausgefallen?


    Aber in einem Punkt muss ich Dir Recht geben: Den Olympia-Film sollte ich mir ansehen. Aber ich warte auf eine Vorführung im Kino, die Macht der Bilder auf dem Laptop hält sich in Grenzen ...

  • Aber ich warte auf eine Vorführung im Kino, die Macht der Bilder auf dem Laptop hält sich in Grenzen ...

    Gut, mit diesem Argument kann man auch das Hören von CD oder das Ansehen vom Opern-DVD's ablenen, weil sich die Macht der Töne ja in Grenzen halten könnte - sehe ich aber nicht so.
    Und beim "Olympia"-Film ging es für dieses Thema ja ohnehin nicht um die Macht der Bilder, sondern um die Macht der Töne! Da hilft dann ein guter Kopfhörer... :P

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Man darf bei alledem nicht vergessen, daß Goebbels, dessen ganzes Sinnen und Trachten auf die Propaganda ausgerichtet war (da die wirklichen Leistungen des Regimes z.B. in ökonomischer Hinsicht, auch im Hinblick auf die Lebensumstände der meisten Bürger, bescheiden waren), kein echtes Interesse an klassischer Musik hatte, zumindest was seine "Amtstätigkeit" betraf. Dies führte zu zwei merkwürdigen Gegebenheiten:
    einerseits gab es tatsächlich nichts, was man als "nazistische Musik" im programmatischen Sinne hätte bezeichnen können, also Musik, die typisch für die zugrundeliegende Ideologie gewesen wäre; hier hat Kurzstückmeister völlig recht.
    Andererseits konnte im Windschatten des weitgehenden Desinteresses des kulturverantwortlichen Ministers jenseits der Bedürfnisse der Propaganda ein Musikstil gedeihen, z. B. bei Orff oder Egk, der bei strenger Anwendung der nazistischen Kriterien (z.B. analog zur bildenden Kunst) als entartet hätte bezeichnet werden müssen, wobei ausgerechnet der Präsident der Reichsmusikkammer, der frühere Aachener Intendant Raabe, gewissermaßen als Schutzherr solcher Bemühungen fungierte.
    Der Rosenbergsche "Kulturbund", der zu Beginndes Dritten Reiches versuchte, die Leitlinien der Kulturpolitik maßgeblich zu beeinflussen, wurde von Goebbels nahezu vollständig ausmanövriert.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • daß Goebbels, dessen ganzes Sinnen und Trachten auf die Propaganda ausgerichtet war (da die wirklichen Leistungen des Regimes z.B. in ökonomischer Hinsicht, auch im Hinblick auf die Lebensumstände der meisten Bürger, bescheiden waren), kein echtes Interesse an klassischer Musik hatte, zumindest was seine "Amtstätigkeit" betraf.

    Seine tagebücher sprechen eine andere Sprache. Mit Göring rivalisierte er um die Gunst des Führers auch mittels der rivalisierenden Aufführungen in den Opernhäusern, die ihnen jeweils unterstellt waren (ich glaube, Göring war für die Staatsoper Berlin zuständig und Goebbels für das Deutsche Opernhaus in Berlin-Charlottenburg).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dies war ein reiner Machtpoker und hatte mit evtl. ästhetischen Vorlieben oder programmatischen Vorstellungen der Protagonisten nichts zu tun.
    Göring war als preussischer Ministerpräsident oberster Dienstherr der preussischen Staatstheater, zu denen auch die Lindenoper zählte. Dies waren daher die einzigen Theater, die Goebbels unmittelbarem Einflussbereich zu dessen Verdruss entzogen waren, daher die Intrigen. Im Mephisto-Film mit Brandauer wird Görings Patronat über die preussische Staatstheater -hier am Beispiel des Staatsschauspiels am Gendarmenmarkt- recht eindrucksvoll dargestellt.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Dies war ein reiner Machtpoker und hatte mit evtl. ästhetischen Vorlieben oder programmatischen Vorstellungen der Protagonisten nichts zu tun.

    In seinen Tagebüchern kommt mitnichten nur der reine Machtpoker zum Vorschein, sondern durchaus auch Goebbels' ästhetischen Vorlieben (etwa sein Kopfschütteln über Hitlers Lehár-Verehrung).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich verstehe nicht, warum solch ein Thema in einem Klassikforum erörtert werden muss, weil es ja die Klassikwelt spaltet. Aber ich lasse es zu. Die immer wieder aufgestellte Behauptung ich würde derlei "verbieten" ist einfach falsch, wie man sich an Hand einiger Threads der Vergangenheit überzeugen kann. Allerdings bin ich mit vielem nicht einverstanden was hier behauptet wird - widerspreche aber nur ungern, weil man dann gleich verunglimpft wird. Dennoch werde ich es tun.


    Zitat

    ..... gab es tatsächlich nichts, was man als "nazistische Musik" im programmatischen Sinne hätte bezeichnen können, also Musik, die typisch für die zugrundeliegende Ideologie gewesen wäre; hier hat Kurzstückmeister völlig recht.


    Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Natürlich kann ich aus der Musikgeschichte jegliche "triumpierende Musik" herausnehmen und als "Kennmelodie" für ein "Produkt" oder eine "Ideologie" einsetzen. Das geschieht heute in der Werbung andauernd.


    Zitat

    Dass es für das Nazi-Regime notwendig war, eigene genehme Musik in Auftrag zu geben - nicht nur, aber auch weil so viel der vorhandenen Musik nicht mehr gespielt werden sollte. Man denke nur an Mendelssohn, Orff und den "Sommernachtstraum". Und so wären hunderte weitere Beispiele zu nennen.


    Eben nicht - Mendelssohn war vermutlich der grösste Verlust überhaupt. Orff- ich schätzen ihn (im Rahmen des 20. Jahrhunderts) sehr - aber Mendelssohn kann er natürlich nicht ersetzen.
    Der Rest der verbotenen Musik wurde - man mag es gerne hören oder nicht - von der Mehrheit der Klassikhörer in der Tat abgelehnt - man rannte hier quasi offene Türen ein. ich weiß, dass ich hiermit Widerspruch hervorrufe, aber ich bin schon seit langem der Meinung, daß die Ablehnung der zeitgenössischen Musik und Kunst im allgemeinen sowohl von den Machthabern, als auch von der Mehrheit der an Klassischer Musik und Kunst interessierten Bevölkerung ausging. - Ein seltener Fall von ideologischer Übereinstimmung. Unterstützt wird diese These, daß diese "verbotene Musik" sich auch nach dem Krieg - als sie längst nicht mehr verboten war - keiner allzugroßen Beliebtheit erfreute. Mendelssohn indes wurde - wie schon zuvor - wieder gern gehört.


    Zuletzt noch zum Thema "Dr. Goebbels" - Ich würde nicht unterschreiben, daß er kein Liebhaber der Klassischen Musik war.
    Er war ein Kenner Mozarts und vertrat eine erzkonservativen Kunstgeschmack. Dabei war ihm oft bewusst, daß er in seiner Aufgabe Positionen vertreten musste, die er mit seinen Eigenen nicht vereinen konnte. Er hat - so gut es ihm möglich war- manches abgemidert - manches zugelassen was eigentlich laut Parteiline verboten war. Ich spreche ihn hier nicht von Schuld frei - aber ich bemühe mich einigermaßen neutral zu sein. Sein Job war eine impossible Mission- und er wusste das. Ein Zurück gab es nicht mehr - und letztlich hat er dafür bezahlt.


    Ich stelle hier gleich fest, daß ich mich auf das Thema nicht weiter einlassen werde - und Widerspruch kommentarlos hinnehmen werde. Das Thema ist mir nicht wichtig genug um mich darüber zu streiten. Lediglich, wenn hier - wider Erwarten - musikalische Themen aufkommen, die mich interessieren, werde ich dem Thread noch ein oder 2 Beiträge hinzufügen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Rest der verbotenen Musik wurde - man mag es gerne hören oder nicht - von der Mehrheit der Klassikhörer in der Tat abgelehnt - man rannte hier quasi offene Türen ein. ich weiß, dass ich hiermit Widerspruch hervorrufe, aber ich bin schon seit langem der Meinung, daß die Ablehnung der zeitgenössischen Musik und Kunst im allgemeinen sowohl von den Machthabern, als auch von der Mehrheit der an Klassischer Musik und Kunst interessierten Bevölkerung ausging.

    Das kann man m.E. so nicht stehenlassen. Das mag vielleicht für den Schönbergkreis gelten, aber Erich Wolfgang Korngold und Franz Schreker waren in den 1920er Jahren auf den Opernbühnen Deutschlands und auch im Ausland überaus erfolgreich, ihre Opern hatte teils höhere Aufführungszahlen als die von Richard Strauss. Auch Ernst Krenek's "Jonny spielt auf" war ein Publikumsrenner.

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  • Da lief auch vieles kreuz und quer in den oberen Etagen des Nationalsozialismus. Mein Eindruck ist, dass die Forschung, was die Musik im Dritten Reich anbetrifft, noch nicht sehr weit ist. Vieles wird je nach Bedarf und Anlass gedeutet und interpretiert. Auch das Netz ist voller Widersprüche. Ich gebe Stimmenliebhaber Recht, dass die Tagesbücher von Goebbels sehr wohl ein starkes Interesse an Musik reflektieren. Dem Propagandaminister lag sehr viel daran, dass mehr musikdramatische Werke nationalsozialistischer Prägung auf die Bühnen gelangten. Die vielen Angebote, über die auch die Theater klagten, taugten nur nicht viel, Goebbels selbst verwarf welche, weil sie nicht klingen würden. Das heißt, es gab jede Menge Musik mit direktem Bezug zu den politischen Verhältnissen. Ich verstehe nicht, wie angenommen werden kann, dass es keine solchen Werke gibt. Sie sind nur nicht überliefert, liegen in Archiven und Giftschränken. Georg Vollerthum war ein strammer Komponisten, auch Herbert Windt, der an der Musik zum "Olympia"-Film mitgeschrieben hat. Derartige Filmmusiken müssen unbedingt mit erwähnt werden, weil sie so stark an Bedeutung gewannen zwischen 1933 und 1945. Hans-Otto Borgmann und Wolfgang Zeller sind zu nennen. Opern von Othmar Gerster müssen auch unter gewissen Aspekten untersucht werden. Alexander Ecklebe ist auch ein interessantes Beispiel. Oft waren die nationalsozialistischen Botschaften verschlüsselt bzw. in historische Fabeln gekleidet. Egk hat auch ganz üble Texte komponiert, an die er nach dem Krieg nicht erinnert werden wollte. Gegen entsprechende Angriffe hat er sogar prozessiert. Hitler persönlich schätzte seinen "Peer Gynt", ließ sich den Komponisten nach einer von ihm in Berlin besuchten Vorstellung kommen und überschüttete ihn mit Lob sowie mit dem mit 10 000 Mark dotierten Regierungspreis. Andere Kulturpolitiker wollten ihn wegsperren lassen. Genau so wie den Richard Strauss. Speer berichtet, Hitler habe seine Werke verbieten wollen, weil er, Strauss, sich mit dem - so wörtlich - "jüdischen Gesocks" eigelassen habe und dieses "neumodische Gekreisch" mitmache. Die Schwiegertochter von Strauss war Jüdin, seine beiden Enkel waren also wie sie von der Gaskammer bedroht. Dennoch engagierte sich Strauss zunächst für die Nazis, übernahm das Präsidentenamt der Reichsmusikkammer, versprach sich eigene Vorteile. Sie brauchten seinen weltweiten Ruhm, der ihn und seine Familie auch schützte. Solche, sich auch widersprechende Fakten gibt es viele. Mein Eindruck ist, dass wir uns mit dem Thema auch aufs Glatteis begeben haben.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hallo,


    2 Gedankengänge fehlen mir bislang:


    Muss klassische Propagandamusik unbedingt aktiv sein? Gibt es nicht auch passive Propagandamusik in dem Stil, die Berieselten abzulenken, einzulullen, von der laufenden, geschickten, unbemerkten Propaganda abzulenken?


    Ich gehe gerne davon aus, dass Operettenmusik hier zur klassischen Musik gerechnet wird. In diesem „passiven Bereich“ könnte man fündig werden.


    Viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Absatz 1 ist m. E. sehr aktuell, allerdings nicht im klassischen Musikbereich.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich verstehe nicht, warum solch ein Thema in einem Klassikforum erörtert werden muss, weil es ja die Klassikwelt spaltet.

    Auch die Opern von Wagner, die Sinfonien von Bruckner usw. werden hier erörtert, obwohl sie die Klassikwelt spalten! :P


    Der Rest der verbotenen Musik wurde - man mag es gerne hören oder nicht - von der Mehrheit der Klassikhörer in der Tat abgelehnt -

    Es geht ja nicht nur um die Klassik-Hörer, es geht zum Beispiel auch um Kurt Weill und die überaus populäre "Dreigroschenoper", und es geht natürlich um die vielen, vielen Operetten, die nun nicht mehr gespielt werden durften, weil ihre Autoren und/oder Komponisten Juden waren. Ob der Verlust der Opern von Meyerbeer, Halevy u.a. für die deutschen Opernspielpläne ein großer Verlust war, mag man unterschiedlich betrachten - ich meine: Ja, absolut! Aber auch Offenbach durfte nicht mehr gespielt werden, und bei diesem Verlust dürfte man sich wieder einiger sein - nicht nur, aber auch "Hoffmanns Erzählungen" betreffend!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Ob der Verlust der Opern von Meyerbeer, Halevy u.a. für die deutschen Opernspielpläne ein großer Verlust war, mag man unterschiedlich betrachten - ich meine: Ja, absolut!


    Voll einverstanden - Das Problem ist nur, daß sie auch heute kaum gespielt werden, und wenn, dann in einer entstellenden Inszenierung, wo es besser wäre das Werk überhaupt nicht zu spielen (was natürlich auch für Verdi, Wagner Mozart etc. gilt)
    Meyerbeer ist von der Qualität durchaus mit Verdi zu vergleichen, und das wurde zu seinen Lebzeiten auch so gesehen.
    Warum er heute nicht mehr gespielt wird, dafür mag es verschiedene Gründe geben......angeblich sind diese Opern zu aufwändig (?)


    mfg aus Wien
    Alfred


    PS: Entweder sind die meisten Mitleser auf Weihnachtsurlaub- oder sie weichen diesem Thread gezielt aus.
    261 Zugriffe - bei ansonst reger aktiver Beteiligung von seiten der Mitglieder - ist nicht gerade berauschen.
    Die Zukunft wird es zeigen.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Problem ist nur, daß sie auch heute kaum gespielt werden, und wenn, dann in einer entstellenden Inszenierung

    Ich habe gerade erst am 26.12. Meyerbeers "Propheten" in einer nicht "entstellenden" Inszenierung in Braunschweig gesehen. Ein szenischer Meyerbeer-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin ab Herbst 2015 ist fest geplant und bereits angekündigt.


    wo es besser wäre das Werk überhaupt nicht zu spielen (was natürlich auch für Verdi, Wagner Mozart etc. gilt)

    Nein, wäre es nicht...


    Warum er heute nicht mehr gespielt wird, dafür mag es verschiedene Gründe geben......angeblich sind diese Opern zu aufwändig (?)

    Ja, sie sind sehr aufwändig, von der Szene her ebenso wie vom Musikalischen, was sowohl den umfangreichen Chorpart als auch besonders die extrem anspruchsvollen Hauptsolistenpartien betrifft.


    PS: Entweder sind die meisten Mitleser auf Weihnachtsurlaub- oder sie weichen diesem Thread gezielt aus.
    261 Zugriffe - bei ansonst reger aktiver Beteiligung von seiten der Mitglieder - ist nicht gerade berauschen.
    Die Zukunft wird es zeigen.

    Tja, wer hat schon "Propagandamusik für Hitler-Deutschland" zu Hause im Musikregal zu stehen und hört diese auch noch??? :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Braune Propaganda-Musik?
    Hat es gegeben, will man davon hochwertiges hören, muss man die Ecke der Kunstmusik verlassen und sich in die Gefilde des Schlagers und des Soldatenliedes begeben, dort nämlich befindet sich das qualitativ beste Zeugs: Horst Wessel-Lied, Heute gehört uns Deutschland, Bomben auf Engeland, Es braust unser Panzer im Sturmwind daher, Von Finnland bis zum schwarzen Meer und, und, und. Beim Anhören dieser Sachen ist aber doppelte Vorsicht geboten: zum einen muss man aufpassen, dass man mit dem Gesetz nicht in Konflikt kommt, zum anderen haftet einem dieses Zeugs ganz unangenehm in den Ohren.


    Und dann natürlich die ganzen Schlager, die einerseits der Ablenkung dienten, andererseits aber dann doch wieder überraschend direkt im Bezug zur damaligen Realität standen. Ich denke da an den Titel "Davon geht die Welt nicht unter", der ganz gezielt vor dem Hintergrund des Bombenkrieges positioniert worden ist ( und eine letzte ironische Apotheose in der Eingangsszene des Films "Schtonk" erlebt hat.').


    In diesen Bereichen findet man Meisterschaft, nicht in der Kunstmusik. Dort findet man nur eine Reihe drittklassiger Komponisten, die bestenfalls schon existierende Werke zweckorientiert eingerichtet haben und ansonste nicht über die Produktion von Eintagsfliegen hinausgekommen sind. Die erstklassigen Komponisten, die im Land geblieben sind, haben sich diesbezüglich Gott sei Dank zurückgehalten.


    John Doe

  • Da der real existierende Sozialismus in diversen Spielarten etwa 70 Jahre Bedarf für "Propagandamusik" hatte, Nazi-Deutschland dagegen nur knapp 12, dürfte es nicht so verwundern, dass hier wenig überliefert wurde. Wie schon gesagt wurde, war spätestens im Krieg auch mehr handfeste Unterhaltungsmusik gefragt.
    Was ebenfalls schon angedeutet wurde, ist, dass "entartet" nicht einfach bedeutete: Neumodisches atonales Zeugs. Die Nazis waren in der Kulturpolitik uneins (s.o. #21), aber sie verstanden sich natürlich als eine moderne Bewegung, die sich nicht bloß an Althergebrachtes wie Wagner und Co klammern konnte. Aufgrund des Antisemitismus mussten sehr populäre Werke sowohl der ernsten wie auch der Unterhaltungsmusik/Operette ausgesondert werden.
    Für die suchte man Ersatz, daher angeblich eine Motivation für die "Wiederentdeckung" des Schumannschen Violinkonzerts (statt Mendelssohn), die Aufträge für eine alternative Sommernachtstraummusik oder auch Umdichtungen Händelscher Oratorien (u.a. des jüdischen Judas Maccabaeus) zu germanisierenden Heldenepen. Es gab hier anscheinend leider auch gewisse Synergien mit Strömungen in der evangelischen Kirchenmusik (Schütz wurde ebenfalls sehr hoch gehalten, mit Bach und Händel als evangelisch-germanisches Dreigestirn) und der Jugendmusik/Musizierbewegung. Ein bedeutender Komponist für die praktische Musik der HJ war anscheinend Cesar Bresgen, mit relativ ungeknickter Nachkriegskarriere:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Cesar_Bresgen

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich werde diesen Thread nutzen, um mich noch einmal mit zwei Standardwerken zu dem Thema zu befassen:


    1.) Michael H. Kater "Die mißbrauchte Muse, Musiker im Dritten Reich" ( Europa-Verlag, ISBN 3-203-79004-1)


    2.) Veronica Beci "Musiker und Mächtige" Artemis&Winkler, ISBN 3-538-07126-8


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Großer Österreichischer Staatspreis (1976) für Cesar Bresgen.
    Schaut man bei amazon vorbei, findet man so gut wie kein musikalisches Werk auf CD, obwohl er nicht gerade wenige komponiert hat.
    Und seine Kompositionen nach 1945 betreffen nicht Hitler-Deutschland, NSDAP-Mitglied war er -im Gegensatz zu manch anderen Interpreten klassischer Musik, der in der Nachkriegszeit Karriere gemacht hat- nicht.

    mfG
    Michael

  • Eine Komposition NACH 1945, die sich affirmativ zu Hitler-Deutschland verhalten würde, dürfte man außerhalb von Skinhead-Gegröle wohl kaum finden, oder?
    Es geht ja weniger darum jemanden wie Bresgen, der als sehr junger Mann in/mit der HJ Karriere gemacht hat, zu diskreditieren, als sich der tatsächlich verwendeten Nazi-Musik zu nähern.
    Hugo Distler, der sich 1942 mit 34 Jahren das Leben genommen hat (weil er eingezogen werden sollte), sich vorher aber in unterschiedlicher Weise mit den Nazis arrangieren musste, hat zB eine "Thingspiel-Kantate" "Ewiges Deutschland" komponiert. Anscheinend war er jahrelang in prekärer Situation und trat in die Partei ein, lieferte einige Festmusiken, um andererseits minimale Freiräume für seine Kirchenmusik zu behalten. Ich kenne praktisch nichts von Distler und weiß nicht, inwiefern sich seine von den Nazis akzeptierten Chöre ggf. von seiner anderen Musik unterscheiden (die teilweise auf Ablehnung stieß, zB das Cembalokonzert).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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