Kulturschande - die deutsche Spieloper wird unterdrückt!

  • Wertvolles deutsches Kulturgut sind die mit eingängigen, wunderbaren Melodien so reich gesegneten Spielopern, wie z. B. "Zar und Zimmermann", "Undine", "Wildschütz", "Waffenschmied", "Die lustigen Weiber von Windsor", "Martha", "Der Trompeter von Säckingen", "Das Nachtlager von Granada", "Der Evangelimann" usw. Durch die Ignoranz der Intendanten und Dramaturgen in den Opernhäusern und die maßlose Überheblichkeit der modernen Regisseure werden diese Perlen deutschen Opernschaffens konsequent von den Spielplänen verbannt. Dabei könnten Regisseure - die sich nicht zu schade sind, auch volkstümliches zu inszenieren - gerade aus diesen Werken liebenswerte, zugkräftige Zugnummern gestalten. Gerade hier könnten sie zeigen, was sie können. Für die kleineren Opernhäuser sind diese Werke wie geschaffen, weil sie auch mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und dem eigenen Ensemble hervorragend realisiert werden können. Wie lebendig die deutsche Spieloper ist, beweisen Opernkonzerte und die Wunschkonzerte bei den Rundfunksendern, da gehören "Ach so fromm", "die letzte Rose", das "Porterlied", die "Singschule", "Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar", "Als Büblein klein an der Mutterbrust, "Nun eilt herbei Witz, heitere Laune", "Der Schwanengesang","Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen" usw. zu den absoluten Hits. Ich meine, die Opernfreunde die deutsche Oper lieben, sollten sich nicht mit dieser Politik resignierend abfinden. Den Verantwortlichen in den Opernhäusern und vor allem den Regisseuren sollte unmissverständlich klar gemacht werden, dass diese ignorante Unterdrückung von wertvollstem deutschen Opernschaffens nicht klaglos hingenommen werden kann. Also liebe Freunde, was ist zu tun, damit die deutsche Spieloper wieder den ihr gebührenden Rang erhält?



    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich muss gestehen, dass ich mit dieser Art von Oper nicht allzuviel anfangen kann, daher kann ich es persönlich verschmerzen, dass diese Werke mit Ausnahme des Freischütz selten aufgeführt werden. Aber ich stimme natürlich zu, dass dies ein Versäumnis ist und Abhilfe geschaffen werden sollte. Aber liegt es wirklich an den Sujets, an der Volkstümlichkeit? Die italienische Opera buffa ist in der Regel auch volkstümlich und wird regelmäßig aufgeführt, zumindest die Werke, die es ins Standardrepertoire geschafft haben. Ebenfalls zu kurz kommt allerdings die französische Opéra comique, jedenfalls hierzulande; ob es in Frankreich anders ist, vermag ich nicht zu sagen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Hans,


    auch mir tut das sehr leid. Glücklicherweise verfüge ich von allen der von dir genannten Werke über DVDs mit guten Aufführungen (nur von "Das Nachtlager von Granada" und "Der Trompeter von Säckingen" habe ich bisher lediglich Aufnahmen auf CD gefunden). Ich kann mir die Vernachlässigung dieser Werke auch nicht erklären. Aber vielleicht vermögen die "modischen" Regisseure ihre Spinnereien an diesen Werken nicht genügend auszulassen und sie sind dadurch verpönt. Schade!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Also liebe Freunde, was ist zu tun, damit die deutsche Spieloper wieder den ihr gebührenden Rang erhält?


    Vielleicht gäbe es ein technische Möglichkeit, etwa wie Amnesty International es tut, mit vorgedrucktem Text Unterschriften zu sammeln, um die Intendanten damit zu bombardieren.
    Im Übrigen bin ich ganz Deiner Meinung. Ich würde es ebenfalls eine Kulturschande nennen, wenn dieser enorme Schatz an wunderbarer Musik durch die Versäumnisse unfähiger Intendanten in Vergessenheit geraten sollte.
    Man würde zudem nicht nur die Musik vermissen, schließlich war Albert Lortzing auch ein genialer Textdichter.

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  • Zitat

    Zitat von Mme.Cortese: In solchem Falle würde ich sagen, dann lieber gar nicht und auf CD oder DVD zurückgreifen.

    Liebe Mme.Cortese,


    ein Beispiel, dass es tatsächlich noch Aufführungen deutscher Spielopern gibt, die aber dann auch verschandelt werden. Da hast du vollkommen recht, dann lieber auf CD oder DVD. Noch gibt es ja dort glücklicherweise Inszenierungen, die man sich auch ansehen kann.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)


  • Vielleicht gäbe es ein technische Möglichkeit, ...................................... , mit vorgedrucktem Text Unterschriften zu sammeln, um die Intendanten damit zu bombardieren.
    ......


    Hier geht so etwas: https://www.openpetition.de/



    Zu Lortzing: "Regina" ist übrigens hoch politisch.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Ich glaube nicht, dass man mit Formulierungen wie "Kulturschande" einem Rückgang von Aufführungen so genannter Spielopern auf den Grund kommt. Aus eigener Erfahrung habe ich auch den Eindruck, dass solche Opern nicht mehr so oft gegeben werden wie vor zwanzig, dreißig Jahren. Vielleicht ist ja der Rückgang aber auch nur mehr gefühlt als tatsächlich geschehen. Nur Statistiken könnten das belegen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und bin die von Freund Operus im Eröffnungsbeitrag aufgezählten Opern durchgegangen, die von 1869 an an der Wiener Staatsoper, diesem Mutterhaus der Oper, jeweils in neuen oder aufgefrischten Inszenierungen zur Premiere gelangten. Oft wurden sie in den jeweiligen Inszenierungen über die erwähnten Jahre hinaus gegeben. Nach 1960 war Schluss - also von nunmehr 64 Jahren. Das muss man erst einmal vermitteln. Ich würde mir das nicht zutrauen und es auch nicht für sinnvoll erachten.


    Der Trompeter von Säckingen: 1886 und 1904
    Das Nachtlager von Garanada: 1880 und 1887
    Der Evangelimann: 1896, 1912, 1945
    Martha: 1896, 1915, 1943, 1945, 1950
    Die lustigen Weiber von Windsor: 1872, 1901, 1917, 1935, 1948
    Der Wildschütz: 1888, 1903, 1931, 1951, 1960
    Der Waffenschmied: 1872, 1887, 1916, 1933, 1939, 1945, 1954
    Undine: 1881
    Zar und Zimmermann: 1878, 1897, 1910, 1917, 1935, 1953


    Diese Zahlen finde ich höchst interessant. Ich wette darauf, dass sie für andere große Häuser ähnlich sind. Demnach ist die angeblich so heiße Liebe für die Spielopern offenbar lange vor unserer Zeit erloschen. Als eine gewisse Zäsur fällt das Ende des Zweiten Weltkrieges auf. Man kann diese Entwicklung also nicht den heutigen Verantwortlichen anlasten, wie ich das ein wenig herausgelesen zu haben meine aus bisherigen Beiträgen. Gewiss haben kleinere Häuser in der Vergangenheit diese Gattung stärker gepflegt, was aber allein noch nichts aussagt. Sie wollen auch gut gesungen sein. Sonst geht das nicht. Die hier in Rede stehenden Werke finden sich auch in der Gegenwart noch auf Spielplänen. Etliche habe ich gesehen wie den "Evangelimann" oder "Martha". Andererseits sind sie in einer Unzahl von Einspielungen dokumentiert. Für mich sind sie meist auch nur noch hörend erträglich. Misha hat Lortzings "Regina" genannt. Das dürfte die erste deutsche Oper gewesen sein, in der es zu einem Streik kommt. Die würde ich gern mal sehen. Aber wie soll man sich den "Waffenschmied" vorstellen oder den "Wildschütz"? Was haben uns diese Stücke inhaltlich noch zu geben? Ich meide schon deutsches Fernsehen mit Helene Fischer, Carmen Nebel und Günter Wewel, an dem inzwischen alles falsch ist, was nur falsch sein kann. ;)


    Hängen wir nicht alten Träumen nach, indem wir uns nach Spielopern sehnen? Auch in diesem Fall finde ich die Sehnsucht besser als die Erfüllung. :D Es darf doch nicht übersehen werden, dass es nach 1945, als die Spielopern aus offenbar gutem Grund weniger Aufmerksamkeit fanden, einen enormen Zuwachs an kultureller und musikalischer Vielfallt gab. Was musste nicht alles neu entdeckt werden in Deutschland und Österreich? Dem blonden Jüngling dürfte inzwischen das lockige Haar ausgefallen sein. ;) So ist das Leben. Es ist nicht schlimm.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Da selbst die Ältesten hier im Forum 1945 noch recht jugendlich-lockig gewesen sein dürften, werden hier entweder Erinnerungen verklärt oder die Zahlen sind irreführend. Mein Eindruck ist allerdings auch, dass das Verschwinden von Lortzing und Co kein Phänomen der jüngsten Vergangenheit ist. Als ich vor gut 25 Jahren begann, Klassik zu hören, war das meinem Eindruck nach Omas Wunschkonzertrepertoire. D.h. einzelne Stücke waren in entsprechenden Sendungen usw. populär, aber die Opern als Ganze spielten kaum mehr eine Rolle. Der Knick dürfte daher wohl schon in den 1970er Jahren oder noch vorher gelegen haben.


    Das Repertoire ändert sich eben. Das betrifft nicht nur die deutsche Spieloper, sondern z.B. auch den größten Teil der französischen Oper des 19. Jhds. Boeildieu oder Adam sind genauso randständig geworden, ebenso Meyerbeers Grand Opera oder auch die romantischen Opern Marschners. Dafür hat man 1950 vermutlich weit seltener einen Orfeo, Idomeneo, Giulio Cesare oder Tancredi zu hören bekommen.


    Die Ursachen sind vermutlich vielfältig; wir hatten das ja schon mehrfach. Interessanterweise hat die Operette zwar auch gelitten, aber nicht nur die Fledermaus, sondern auch ein paar weitere scheinen mir besser zu laufen als "Martha" oder "Zar und Zimmermann". Die komischen Opern Mozarts, Rossinis, Donizettis sind populär wie eh und je. Es kann mithin keine simple Ablehnung der "leichteren Muse" die Ursache sein, meine ich.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Ich kann mir die Vernachlässigung dieser Werke auch nicht erklären.


    Ich leider schon. Ich liebe die deutsche Spieloper und würde fast den gesamten Bestand der Opern des 20. Jahrhunderts dafür von den Spielplänen nehmen. Aber leider ist es eine traurige Tatsache, daß das Publikum für die deutsche - und auch französische Spieloper nicht mehr existent ist, so wie etwa die Briefmarkensammler, die Schmetterlingssammler, die Leser von Goethe und Schiller (andere Dichter wage ich gar nicht zu nennen), so wie die Liebhaber der elektrischen Eisenbahn etc etc.
    Man kann einfach kein Haus damit mehr füllen. Mag sein, daß in 100 oder 200 Jahren irgendjemand die deutsche Spieloper "wiederentdeckt" und man diese Enteckung feiern und bejubeln wird - aber das kratzt mich eigentlich nicht.
    Wir sind in der glücklichen Lage, diese Werke noch auf der Bühne erlebt zu haben - und zudem besitzen wir doch einige Tonaufzeichnungen, vereinzelt sogar Filme. Ich fürchte, das wird es sein.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Also liebe Freunde, was ist zu tun, damit die deutsche Spieloper wieder den ihr gebührenden Rang erhält?

    Ich fürchte, da hilft nur noch Gehirnwäsche...


    Aber leider ist es eine traurige Tatsache, daß das Publikum für die deutsche - und auch französische Spieloper nicht mehr existent ist,

    So ist es!


    Man kann einfach kein Haus damit mehr füllen.

    So ist es. Setzte man noch vor 30 oder noch besser 40 Jahren "Martha" oder "Die lustigen Weiber von Windor" auf den Spielplan, war das Haus voll. Schon vor 20 Jahren war es leerer, vo 10 Jahren leer und dann verschwanden die Opern aus diesem Grund von den Spielplänen.


    Ich fürchte, das wird es sein.

    Ich auch!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich fürchte, da hilft nur noch Gehirnwäsche...


    Aber in dem Sinne, dass wir alle auf den Stand unserer Entwicklung von 1910 zurückgesetzt werden. Das will ich nicht. :no::no::no: Wir männlichen Wesen müssten nämlich in den ersten großen Krieg ziehen, hätten wir den überlebt, dann in den zweiten. Lassen wir doch die deutsche Spieloper wo sie ist. In unserer Erinnerung. Das ist ein vorzüglicher Platz. Dort kann sie nicht vertrieben werden.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Aber gerade, weil das eben dsoch auch sehr viel mit Angebot und Nachfrage zu tun hat, sollte man meines Erachtens mit einem Wort wie "Kulturschande" sehr vorsichtig sein!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Operus wird es nicht übel nehmen, dass ich mal den Begriff "Kulturschande" gegoogelt habe. Das kommt sehr vieles zusammen, hunderte, wenn nicht tausende und abertausende Seiten. Zur Spieloper habe ich nichts gefunden. :( Das Schärfste, was ich fand, war folgendes: Jemand nannte es "Kulturschade", dass in der Schweiz noch immer Hunde und Katzen verspeist würden. Was es alles gibt. Das hätte ich nicht gedacht. Meine geliebte Schweiz, meine geliebten Katzen! :no:





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  • Aber das Wort "Kulturschande" klingt dem Wort "Rassenschande" zumindest sehr verwandt, und ich finde, man sollte beide Worte nicht benutzen, schon gar nicht, wenn es eigentlich um die Akzeptanz deutscher Spielopern geht...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nunja, ich finde schon, dass man es -kompromissweise- als eine Schande bezeichnen kann, dass dieses Repertoire stiefmütterlich behandelt wird - ohne damit in die Nähe solch furchtbarer Vokabeln wie "Rassenschande" zu rücken. Ansonsten bin ich im Übrigen gar nicht so pessimistisch - an (teilweise kleineren) Häusern wird das Singspiel durchaus gepflegt. Wenn ich mich im Internet nach Aufführungen umsehe - nehmen wir mal Lortzings Wildschütz - entdecke ich auf Anhieb in den letzten 5 Jahren Aufführungen in Lübeck, Leipzig, Bonn, Köln...und noch einige mehr. Und das nicht immer nur in verstörenden Aufführungen:



    Der Wildschütz: Aufführung in Bonn, 2011


    Von daher denke ich, dass es berechtigt ist, dazu zu mahnen, dass dieses Repertoire erhalten bleibt - allerdings ist noch kein Grund zu geben, bereits das ganze als ausgestorbene Gattung anzusehen.


    Ich finde, man tut der Spieloper auch Unrecht, wenn man sie als gestrig, deutschtümelnd, antiquiert ansieht. Mit denselben Argumenten könnte man auch viele andere "geheiligte" Zugpferde des Opernspielplans vom Programm nehmen.

  • Von daher denke ich, dass es berechtigt ist, dazu zu mahnen, dass dieses Repertoire erhalten bleibt

    Natürlich ist es berechtigt, zu mahnen, dass dieses Repertoire erhalten bleibt - nur frage ich mich ernsthaft, ob es wirklich hilfreich oder nicht doch viel eher kontraproduktiv ist, dabei Vokabeln wie "Kulturschande" zu verwenden...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich freue mich, dass Don_Gaiferos auf Anhieb so viele Aufführungen herausgefunden hat. Gut so. Diese Zahlen sind letztlich wohl das allerbeste Argument gegen die "Kulturschande", die eben doch keine ist. Wenn wir Dich nicht hätten. :hello::hello::hello:

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Zitat von »Alfred_Schmidt« Man kann einfach kein Haus damit mehr füllen. So ist es. Setzte man noch vor 30 oder noch besser 40 Jahren "Martha" oder "Die lustigen Weiber von Windor" auf den Spielplan, war das Haus voll. Schon vor 20 Jahren war es leerer, vo 10 Jahren leer und dann verschwanden die Opern aus diesem Grund von den Spielplänen.

    Ärgerlich in diesem Zusammenhang ist nur, dass die Frage der Auslastung selbst bei den allerscheußlichsten RT-Aufführungen keine Rolle zu spielen scheint.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

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  • Drei Punkte, die hier eine Rolle spielen, vermutlich auch schon mal in anderen threads genannt.


    - Demographie. Klar, das Publikum, das mit Lortzing u.a. aufgewachsen ist, stirbt schlicht aus. Für die heute <50jährigen Klassikhörer spielten diese Stücke m.E. kaum eine Rolle; die vermissen daher nichts.


    - Differenzierung. Auch wenn ich oben geschrieben habe, dass eine Abneigung gegen die "leichte Muse" zu kurz greift (weil Liebestrank oder Fledermaus weiterhin präsent sind), vermute ich schon, dass die Verbreitung des Musicals heute dem Publikum Rechnung trägt, das vor 50 Jahren von der Spieloper angetan war. Schon von Richard Strauss (als Dirigent, also vermutlich vor ca. 100 Jahren) ist als Kommentar zu "Martha" überliefert, "und schwer ist der Mist auch noch"; insofern vermute ich, dass es schon seit je Musiker und Publikum gab, die mit dem Genre nicht viel anfangen konnten. Dazu kommt der oben schon genannte Faktor, dass sich das Repertoire aus allen möglichen, kaum genau fassbaren Gründen ändert. Vom Verismo sind auch nur die größten Renner übriggeblieben, wie oft gibt es noch "Tiefland"? Ist das Verschwinden des "deutschen Verismo" oder die Irrelevanz von Siegfried Wagners Opern ebenfalls eine "Schande", oder nicht vielmehr eine ganz normale Entwicklung?


    - Internationalisierung. Selbst aus scheinbar goldenen Zeiten für Operette und Spieloper ist dokumentiert, dass nicht einmal erfahrene muttersprachliche Sänger auch passende Schauspieler sein müssen. Wenn nicht nur Staatsopern, sondern auch Stadttheater viele internationale, nicht-deutschsprachige Sänger haben, leidet tendenziell ein Genre, das von Darstellerqualitäten und gutem sprachlichem Verständnis lebt. Die Stücke selbst waren ja ohnehin außerhalb des deutschsprachigen Raums kaum verbreitet.

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    (Bob Dylan)

  • Die Stücke selbst waren ja ohnehin außerhalb des deutschsprachigen Raums kaum verbreitet.

    Lieber Johannes, deine Analyse finde ich in allen drei Punkten sehr zutreffend, du bringst es auf den Punkt, nur der jetzt noch einmal von mir zitierte Satz gilt zwar für Lortzing und andere, aber erstaunlicherweise nicht für "Martha", die angefangen mit Caruso häufig mit den größeten Tenören als Lyonel in italienischer Sprache aufgeführt wurde.


    Enrico Caruso sang den Lyonel an der MET immerhin 43 Mal!


    http://archives.metoperafamily.org/archives/frame.htm

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich dachte bei "Martha" sei die internationale Popularität hauptsächlich auf diese eine Tenor-Arie (das einzige Stück, außer "Letzte Rose", das ich aus der Oper kenne...) konzentriert gewesen.
    Es ist ja ein häufiger Effekt, dass ein Stück irgendwann (oder recht schnell) weit weniger bekannt ist, als die "Schlager" daraus. Bei Operetten, Musical usw. ist das ja beinahe der Normalfall. Wie viele der Broadway-Stücke usw., aus denen all die Standards von Porter, Gershwin usw. stammen, kennt man heute noch in toto? Ein Bruchteil, vermute ich; teils sind nicht einmal mehr komplette Partituren/Materialien vorhanden, meine ich mal in einem Beitext gelesen zu haben. Das war ein ähnlich schnelllebiger Betrieb wie die italienische Oper zu Zeiten Rossinis und Donizettis.


    Kurt Weill jenseits Dreigroschenoper und Mahagonny ist ein ähnlicher Fall. Ich frage mich manchmal, ob ohne Nazis und Emigration jemand wie Weill eine Modernisierung des (eher "leichten") deutschsprachigen Musiktheaters hätte einleiten können. So blieb es bei der Einleitung... ;) Das führt aber vom Thema weg. Wie auch immer, das "Loch" beim leichteren Musiktheater hat das allerdings ebenfalls internationalisierte Musical zumindest kommerziell sehr erfolgreich gestopft.

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  • Da Oper aber heutzutage um Gotteswillen nicht unterhaltsam sein darf, kommt dann so etwas dabei heraus:http://www.landestheater-detmo…itel/der-wildschuetz.htmlIn solchem Falle würde ich sagen, dann lieber gar nicht und auf CD oder DVD zurückgreifen.


    Also gut, immerhin ist der "Wildschütz" auf dem Spielplan, wenn auch die Kostüme nicht der Handlungszeit entsprechen, nur was mich wundert, warum ist so eine "simple" Spieloper erst ab 16 Jahren zugelassen? Da hat wohl der Regisseur wieder mal etwas geschweinigelt? :thumbdown:
    Also eine Kulturschande ist das Ganze nicht unbedingt. Natürlich stimmt es auch mich nachdenklich, weshalb die von Operus genannten Opern so gut wie nicht mehr auf dem Spielplan sind. Ich habe das kürzlich z.B. anhand der "Martha" festgestellt, von der die neueste Einspielung bei jpc aus dem Jahre 1969 ist! Auch in den Jahrzehnten danach gab es von anderen Werken immer noch brauchbare Inszenierungen, die große Verunstalterei setzte erst später ein. Ich weiß nicht, ob der Publikumsgeschmack allein für diese Absenz verantwortlich ist, denn den Geschmack kann man auch bilden. Außerdem ist doch diesen Opern oft eine recht publikumswirksame Musik gegeben. Ein vernünftig präsentierter "Zar und Zimmermann" würde sicher mehr Plätze füllen als so manche schräge Neuzeitoper. Auch der Hinweis auf triviale Handlungen würde mich nicht überzeugen, wofür braucht die "Handlung" etwa bei "Tristan und Isolde" geschlagene 4 Stunden?

    Zitat

    Wenn nicht nur Staatsopern, sondern auch Stadttheater viele internationale, nicht-deutschsprachige Sänger haben, leidet tendenziell ein Genre, das von Darstellerqualitäten und gutem sprachlichem Verständnis lebt.

    Hört sich plausibel an, aber warum z.B. gibt es sehr verbreitet an unseren Bühnen "Die Fledermaus"? Oder "Die Zauberflöte" ? Beides Stücke, wo man viel deutsche Sprache benötigt und auch schauspielerisch etwas drauf haben sollte. Ich denke, dass für eine Inszenierung einer deutschen Spieloper die Intendanz, die Regie und ein passendes Sängerensemble zueinander finden müssen. Das Desinteresse liegt wohl bei den Opernhäusern. Im übrigen gibt es, jedenfalls was das gezeigte Bühnenfoto betrifft, offenbar eine akzeptable "Martha" in Halle (Saale):

    Jedenfalls, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Also lasst uns hoffen.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Wie viele "schräge Neuzeitopern" (was immer genau das sein sollte) werden denn regelmäßig gespielt? Der Gedanke, dass "Wozzeck" oder gar "Licht" "Martha" oder "Zar und Zimmermann" von der Bühne drängen würden, scheint mir einigermaßen abwegig ;)


    Ich habe gewiss keine vollständige Erklärung für das weitgehende Verschwinden besagter Werke. Die zusammengetragenen Daten und Argumente geben allerdings Hinweise darauf, dass es sich wohl weniger um eine bewusste Unterdrückung, sondern um einen allmählichen Prozess der letzten ca. 60 Jahre handelt, der vielfältige Ursachen hat. Vielleicht macht man es sich zu leicht, wenn man sagt, dass Zauberflöte, Liebestrank oder Fledermaus schlicht bessere und effektvollere Stücke sind als "Martha" oder dass sie heute einem breiteren Publikum (und auch mehr Musikern und Regisseuren lohnend erscheinen). Vielleicht ist das aber auch nicht völlig abwegig.

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  • Etliche habe ich gesehen wie den "Evangelimann" oder "Martha". Andererseits sind sie in einer Unzahl von Einspielungen dokumentiert. Für mich sind sie meist auch nur noch hörend erträglich. Misha hat Lortzings "Regina" genannt. Das dürfte die erste deutsche Oper gewesen sein, in der es zu einem Streik kommt. Die würde ich gern mal sehen. Aber wie soll man sich den "Waffenschmied" vorstellen oder den "Wildschütz"? Was haben uns diese Stücke inhaltlich noch zu geben?


    Genau so viel oder so wenig wie sämtliche Wagner- Verdi- und Mozartopern. Ich verstehe immer noch nicht, warum von einer Kunstgattung wie der Oper, die ihrem Wesen nach doch vom Genius des Komponisten ihre Lebenskraft bezieht, immer eine tiefgründige Aussage gefordert wird.
    Was sagen uns Rigoletto oder der Troubadour? Dass sich Rache nicht auszahlt? Da könnte man doch Hunderttausende von Fällen anführen, die das Gegenteil beweisen.
    Ich hole mir meine moralischen Verhaltensnormen wirklich nicht aus Opern und der Rest der Menschheit wird es sicher auch nicht tun, schon deshalb nicht, weil sie gar nicht die Möglichkeit dazu hat.
    Sieht man nüchtern auf dieses Thema, wird man feststellen, dass die Mehrheit der Opernhandlungen ein großer Schmarren ist. Bei Richard Strauss ist das zwar nicht der Fall,
    doch bezogen auf die Musik - und nur diese zählt für mich - schätze ich den Troubadour nicht weniger als den Rosenkavalier.


    Was nun den "unspielbaren" Waffenschmied angeht, so habe ich ihn 1959 in Bremen gesehen und zwar in altbackener Form. Ich träume immer noch davon.
    Der Evangelimann wurde ein paar Jahre früher in meiner Heimatstadt Memmingen gegeben, quasi auf dem Dorf.
    Auch diese Vorstellung hielt sich schlicht an die Handlung. Die Tragik eines Justizirrtums wurde sicher allen Besuchern auch ohne weitschweifende Erklärungen bewusst.


    Doch würde man auch den vermeintlichen Tiefsinn der heiteren Opern genauer unter die Lupe nehmen, könnten einige Regisseure ihren Job verlieren.

  • Genau so viel oder so wenig wie sämtliche Wagner- Verdi- und Mozartopern.

    Nein, diese geben mir persönlich weit mehr, ich verstehe die existentielle Botschaft, kann mich in die Figuren einfühlen und mit ihnen mitleiden, mich mit ihnen identifizieren, sie gehen mich an! Bei "Waffenschmied", "Wildschütz" oder "Martha" ist mir das leider nicht vergönnt, und das geht wohl heute vielen so, aber schön für dich, wenn das bei dir anders ist.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    hami1799: Der Evangelimann wurde ein paar Jahre früher in meiner Heimatstadt Memmingen gegeben, quasi auf dem Dorf.


    Natürlich wurde dort in der Oper auch "geschwäbelt". :stumm:

    W.S.

  • ich verstehe die existentielle Botschaft, kann mich in die Figuren einfühlen


    Wenn es um die existentielle Botschaft geht, berührt mich der Evangelimann weit mehr als der Troubadour. Dazu kommt noch, dass verwechselte Kinder weit seltener den Feuertod erleiden als Unschuldige im Gefängnis sitzen.
    Da mich außerdem die Wirklichkeit um ein Vielfaches mehr belastet als das Schauspiel, habe ich das Aufrütteln durch die Fiktion oder die Nacherzählung nicht nötig.
    Meine Phantasie ist ohnehin schon überstrapaziert.
    Wozu sollte man sich noch zusätzlich quälen?

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