Christi Geburt in der klassischen Malerei - ein Weihnachtsthread (2014)

  • Angeregt durch eine von Moderato gestellte Rätselfrage ist mir der hier gestartete Thread - parallel zum Velazques-Thread - eingefallen. Gezeigt werden sollen Gemälde, welche "Christi Geburt" und alles was damit zu tun hat, darstellen. Pro Mitglied sind maximal ZWEI BILDER PRO TAG - jedes in einem separaten Beitrag zu posten erlaubt, wobei eine kurze persönliche Stellungnahme zu diesem Bild verpflichtend ist. Wir ersetzen auf diese Art den in die Jahre gekommenen "Adventkalrender, der schon seit Jahren nur eine kleine Minderheit an Taminos interessiert hat. Hier mag das vielleicht nicht anders sein - aber wir bleiben hier im Themenbereich des Forums, welches ja schon seit Jahren Malerei und Literatur stillschweigend in seine Thematik einbezogen hat.


    einen schönen Advent wünscht
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Eine der ältesten Darstellungen stammt aus dem 12. Jahrhundert aus dem Hortes Deliciarum der Herrad von Landsberg. Alles ist in diesem bereits Bild enthalten, was zu einer Geburt Christi Darstellung gehört: Maria und Joseph, die Krippe mit dem Kind, die Hirten, Engel und Stern, Ochs und Esel.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Da unser Freund moderato eine der ältesten Darstellungen der Geburt Christi vorgestellt hat, möchte ich in die Zeit um 1300 weiterschreiten und ein Beispiel gotischer Buchmalerei zeigen.


    Die Zisterzienserin Gisela von Kerssenbrock schrieb und illuminierte ein prachtvolles Graduale, das erst vor einigen Jahren im Bistumsarchiv Oldenburg entdeckt wurde:



    Diese Bilderhandschrift ist von außerordentlicher Qualität und unter dem Namen "Codex Gisle" bekannt geworden. Besonders kunstvoll sind die ausgeschmückten Initialen gestaltet. In großzügiger Weise wurde Gold als glänzend polierter Hintergrund verwandt.


    Das von mir als Musikfreund ausgesuchte CD-Cover zeigt in noch einfacher Darstellung das gewickelte Christuskind mit Maria und Josef und unten eine Gruppe Nonnen (Zisterzienserinnen?). Oben sehen wir Engel, die den Ruhm Gottes verkünden. Ochs und Esel deuten auf den Stall hin.



    Liebe Grüße


    Portator

  • Ich mache nun einen großen Sprung ins 15. Jahrhundert.Ca 1450 - oder kurz davor - malte der große niederländische Maler Rogier van der Weyden (ca 1399/1400 - 1464) dieses Bild von Christi Geburt. Es handelt sich um den Mittelteil eines Triptychons, des sogenannten Bladelin Altars (nach seinem mutmaßlichen Stifter). Dieser ist vollständig erhalten und befindet sich heute in der Gemäldegalerie Berlin.
    Interessant das Streben nach realistischer Darstellung, wenngleich noch ein wenig dem Mittelalter verpflichtet. Der "Stall" ist geradezu wie ein klassischer Bühnenaufbau realisiert, die sehr detailiert gemalte Stadt im Hintergrund zeigt natürlich nicht Bethlehem, sondern eine niederländische Stadt zu Zeiten des Künstlers. Die Gestalt in Schwarz recht im Bild könnte den Stifter darstellen (ich hab in der Eile nicht genau recherchiert) Im Gegensatz zum noch gotischen Faltenwurf von Maria uns Joseph ist das edle schwarze Kleid schon eindeutig der Renaissance zuzuordnen, schwarz galt als "edle Farbe, die den sozialen Status des Stifters anzeigt.....



    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es wird vermutet, daß die Stifterfigur re. Pierre Bladelin darstellt, den Gründer der Stadt Middelburg und Finanzminister des Herzogs von Burgund, Phillip des Guten. Allerdings wird als ungewöhnlich angesehen, daß die nicht minder reiche Ehefrau des Stifters nicht mit abgebildet wurde. Die Kleidung des Stifters zeigt -wie Alfred richtig bemerkte-daß er der Oberschicht angehörte. Auch die Herzöge wurden in ähnlicher Gewandung gemalt.
    Phillip der Gute war übrigens derjenige Regent von Burgund, durch dessen Wirken der hundertjährige Krieg letztendlich zum Ende kam, nachdem er Charles de Orleans, den Chef dieses Hauses (Halbbruder des berühmten Dunois, Bastard von Orleans und Kampfgefährte der Jungfrau) nach langer Ehrenhaft in England, in die dieser nach der Schlacht von Azincourt geraten war, mit einem geradezu fantastischen Lösegeld freigekauft hat. Geldprobleme kannten diese Regenten zweifellos nicht, ebenso wie vermutlich ihr Finanzminister!


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Ups, es heißt natürlich "Philipp" und nicht Phillip!
    Ich hoffe, daß mir Monseigneur le Duc im Jenseits diese Tippfehler verzeihen möge!


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Gerade waren wir im Spätmittelalter, um 1450, nun etwa 70 Jahre später, jetzt in der Hochrenaissance:



    Hans Baldung gen. Grien (ca. 1484/85—1545) wurde eigentlich eher für andere Bilder bekannt, aber auch er malte Christi Geburt im Jahre 1520.


    Öl auf Holz, 105,5 x 70,4 cm
    Alte Pinakothek, München

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Gehen wir weiter ins Barockzeitalter. Das folgende Gemälde hat es in sich:



    Öl auf Leinwand, 268 x 197 cm


    "Die Geburt Christi mit dem hl. Franziskus und dem hl. Laurentius" (1609) stammt vom berühmten Maler Caravaggio (1571—1610). Es hing bis 1969 in der Kapelle San Lorenzo in Palermo, Sizilien. In jenem Jahr wurde es (vermutlich von der Mafia) gestohlen und tauchte bis heute nicht wieder auf. Womöglich ist es mittlerweile sogar zerstört worden (allein der Gedanke ...). Es befindet sich auf der FBI-Liste der Top Ten der Kunstdiebstähle. Glücklicherweise hat man vor 1969 wenigstens Farbphotos geschossen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Behandlung des Lichtes ist bei Geburt Christi Darstellungen oft das Besondere. Christus = Licht der Welt


    Der aus Utrecht stammende Gerrit von Honthorst schuf 13 Jahre nach Caravaggio im Jahr 1622 diese Krippendarstellung. Er rückt die Hirten in die linke Bildhälfte. Ohne Stall oder Landschaft konnte er so allein mit Hilfe einer Personengruppe eine intime, enge Komposition schaffen.


    Wo sind die Engel? Man könnte annehmen, dass sie fehlen.
    Unten rechts ist ein kleiner Engel versteckt, der ein Emblem trägt.



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  • Ich bleibe bei Gerrit Honthorst (1592-1656), er hat das gleiche Thema mehrmals - jedoch völlig anders . gemalt.
    "Die Anbetung der Hirten" heisst jenes Bild. Wir sehen, was moderato schon in seinem Beitrag geschrieben hat: Das Licht Jesus ist der strahlende Mittelpunkt, von ihm geht alles aus. Honthorst ein Maler in der Nachfolge Caravaggios, er gehörte zu den sogenannten Utrechter Caravaggisten, war ein Meister in der Gestaltung des Lichts. Seine Bilder strahlen bei idealer Beleuchtung eine gradezu hypnotische realistische Wirkung aus. Unsere Reproduktionen können das nur sehr bedingt vermitteln.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Mittlerweile sind wir im 18. Jahrhundert und im ausklingenden Barock bzw. eigentlich bereits im Rokoko angekommen:



    Giovanni Battista Tiepolo (1696—1770) malte die Geburt Christi im Jahre 1732. Das Gemälde (Öl auf Leinwand) befindet sich in der Basilica di San Marco in Venedig.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Bereits im 18. Jahrhundert ist ein Rückgang dieses Bildmotives in der Malerei zu verspüren. Nach 1800 tut man sich schwer, es überhaupt noch ausfindig zu machen.


    Hier nun gewissermaßen ein Einschub, nämlich aus der Zeit des Manierismus:



    El Greco (1541—1614), der große griechische Maler, der eigentlich Domínikos Theotokópoulos hieß, schuf mehrere Gemälde mit dem Titel "Die Anbetung der Hirten". Das hier gezeigte (Öl auf Leinwand, 319 x 180 cm) datiert höchstwahrscheinlich aus seinem Todesjahr 1614 und befindet sich heute im Museo del Prado in Madrid. Vermutlich handelt es sich um das letzte Bild des Künstlers, der bis zuletzt daran arbeitete.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Da der Thread nicht als chronologisch fortlaufend vorgegeben ist, springe ich frei in Zeit und Raum herum: Hier eine Darstellung des Themas durch Lorenzo Lotto (1480-1557) Man sieht hier ganz deutlich, daß die Gotik vorbei ist und wir hier eindeutige Merkmale der Renaissance finden, die plastischere Gestaltung der Gesichter, und die lebensnäheren Charaktäre, vor allem des Jesuskindes, sowie der weichere Faltenwurf. Der Einfluss von Bellini (1437-1515) ist hier andeutungsweise sichtbar.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Als nächstes ein Beispiel aus dem späten Rokoko, aus der Zeit Ludwigs XVI. (1774—1792):



    Jean-Honoré Fragonard (1732—1806), der neben Boucher und Watteau als der dritte große Meister des französischen Rokoko gilt (hierzulande aber wohl unbekannter sein dürfte), malte um 1775 "Die Anbetung der Hirten". Das Ölgemälde auf Leinwand (73 x 93 cm) befindet sich heute im Musée du Louvre in Paris.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Giotto di Bondone (1266-1337) ist für seine Fresken bekannt. Ein wichtiger Zyklus, der das Leben Marias und sowie die Geschichte Jesu Christi behandelt, findet man in der Cappella degli Scrovegni (auch Arenakapelle genannt) in Padua, Venetien.



    Nichts Süssliches späterer Darstellungen der Kunstgeschichte findet man in diesem Fresko der Geburt Christi. Man beachte auch die perspektivische Darstellung des Stalles, die Giotto zum Wegbereiter dieses für die Renaissance wichtigen Stilmerkmales machte. Etwas Anderes, das für uns heutige Betrachter eine Selbstverständlichkeit ist, aber die Menschen der Zeit der Entstehung in Erstaunenden versetzte, war die Farbe Blau.



    Sie kommt in den Bildern und der Ausgestaltung der Kapelle sehr oft vor. Hier im Gewand der Maria und im Himmel. Das ist sehr bemerkenswert, denn vor der Zeit von Giottos Freskenzyklus in der Cappella degli Scrovegni in Padua wurde nur sehr selten blau gemalt. Dies ist zumindest zum Teil auf einen Mangel an erschwinglichen blauen Pigmenten zurückzuführen. Wollte man Blau wurde das Mineral Lapislazuli gemahlen. Der Name "lapis lazuli" stammt ursprünglich aus dem Persischen und bedeutet, wenn wundert es, "blauer Stein". Es war unglaublich teuer und kam von "jenseits der See". Deshalb wird die Farbe heute noch Ultramarin genannt. Die Auftraggeber mussten über sehr viel Geld verfügt haben.


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  • In diesem illustren Reigen darf natürlich auch der wundervolle spanische Maler Bartolomé Esteban Murillo nicht fehlen: Adoración de los pastores. Das Bild wurde 1668 gemalt und hängt in Sevilla im Museo de Bellas Artes. DIe Gesichtszüge der Personen sind sehr naturalistisch dargestellt, wobei Joseph zum Beispiel relativ alt wirkt im Vergleich zu Maria (was oft so dargestellt wurde, um die Jungfrauenschaft Mariens noch zu unterstreichen). Die Freude der Hirten strahlt buchstäblich aus dem Bild. Das Licht fällt ganz auf Maria, deren Gesichtsausdruck nobel, gelassen, beinahe verklärt wirkt, sowie das putzmuntere, lächelnde Jesuskind. Auch das Lamm, HInweis auf das Lamm Gottes, ist deutlich erhellt.

  • Paul Gauguin (1848-1903) verlagert die Szenerie in die Südsee. 1896 hatte er sie auf die Leinwand gebracht. "Te tamari no atua, Die Geburt Christi, des Gottessohnes". Einen Kuhstall sieht man, eine Frau, die auf einem Bett liegt, eine Frau hält ein neugeborenes Kind mit Heiligenschein in Händen, ihr zur Seite steht eine andere Frau. Gauguin verwendet einzelne Teile der ikonographischen Überlieferung (das Kind, die Frau Maria, der Stall, das helle Licht), doch entsteht ein andere Bildaussage. Mütterlichkeit ist das Bildthema, das uns Betrachter in dieser ungewohnten Darstellung der Geburt Christi berührt.



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  • Georges de La Tour (1593-1652), der Meister des Kerzenlichtes, malte 1644 diese Anbetung der Hirten. Das Kind liegt schlafend, eng in Leinen gewickelt, mit einem Häubchen auf dem Kopf auf dem Stroh. Ein Mann, vermutlich Joseph, hält eine Kerze in der einen Hand, mit der anderen schützt er die Flamme vor dem Luftzug, welche die Umstehenden im Wiederschein beleuchtet. Das helle Licht geht jedoch vom Kind aus. Die Köpfe der Hirten, einer Magd und von Joseph sind in einer Linie angeordnet. Sie blicken auf das Neugeborene. Maria blickt ernst, die Hände gefaltet in ein Gebet versunken. Ein Schaf nähert sich schnuppernd dem Christuskind und verweist auf das Lamm Gottes und die Leidensgeschichte Christi.



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  • Weihnachten liegt länger zurück. Ich bin zufällig auf dieses Gemälde von Matthias Stomer (um 1600 - nach 1652) gestossen, das ich hier öffentlich machen möchte. Nicht eine natürliche Lichtquelle beleuchtet die Szenerie, sondern die Helligkeit geht vom Jesuskind aus. (Andere der gezeigten Bilder in diesem Thread haben die gleiche Behandlung des Lichtes.) Die Bedeutung dahinter wird wohl sein, dass der Messias das Licht in die Welt gebracht hat. In jener Zeit des Kerzenscheins, in der das Gemälde entstanden ist, erlebten die Menschen dies wohl umso stärker als wir, die jederzeit auf elektrische Lichtquellen zurückgreifen können.



    In finsteren Zeiten eine Bildaussage, die mich innehalten lässt.
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