Ungeliebte Sinfoniker im 19. Jahrhundert (?)

  • Diese Thread ist in gewisser Weise der zweite Anlauf eines Themas, wo der erste Thread quasi so viele Abweichungen erlbt hat, daß ich in nicht weiterführen will.
    Das geächtete 19. Jahrhundert (?)
    Zudem hat sich die Belegschaft des Forms doch sehr verändert - und -wie ich glaube - auch der allgemeine Forengeschmack.


    Mir geht es hier nicht darum "vergessene" Komponisten des 19. Jahrhunderts in den Focus zu stellen, und sie zu "rehabilitieren" versuchen, sondern das Phänomen zu klären, warum so viele einstigen Größen heute nicht nur "vergessen" sind, sondern warum sie geradezu "abgelehnt" werden, wenn das Gespräch auf sie kommt. Natürlich werden Namen genannt werden müssen, aber die genauere "Vorstellung dieser IMO verkannten Komponisten wird in Spezialthreads stattfinden, wie beispielsweise jene über Ries, Raff, Volkmann und andere.


    Hier geht es vor allem darum warum die sinfonischen Kompositionen des 19. Jahrhunderts einfa abgelehnt werden, dazu zählen auch Klavierkonzerte etc.


    Man kann hier natürlich auch der Behauptung des Threadtitels widersprechen....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Meinst Du zum Beispiel solche Werke, wie die 3. Sinfonie von Rimski-Korsakow, bei der man angeblich den "Professor" hören kann, der sich die Brille auf die Nase setzt? Oder die einzige Sinfonie von Smetana? Diese sind ja nicht wirklich vergessen, aber abgelehnt werden sie dennoch.


    Sehr, sehr traurig sind die Vorbehalte gegenüber Balakirews Erster. Bei Wikipedia steht eine ziemlich fadenscheinige "Begründung", die ja eigentlich keine ist.


    Gruss Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Nein, das meine ich nicht. Ich meine, daß mehr oder weniger alle im 19 Jahrhundert tätigen und anerkannten Sinfoniker heute entweder als Epigonen, Langweiler, Kleinmeister etc abgetan werden - oder überhaupt schon vergessen sind. Von anderen wir der Name hoch gehalten, aber die Werke kaum geliebt. Wenn ich hier Kalliwoda, Ries, Czerny, Mehul, Rubinstein, Raff, Volkmann, Hiller, Weber, Lachner,Onslow, Spohr, Gernsheim, Draesecke nenne, dann ist das nur eine Auswahl - für weitere Namen wäre ich dankbar. Nicht alle der genannten haben meinen Beifall gefunden, aber es gibt weit sperrigere Komponisten, deren Namen immer wieder genannt werden. Man mu einräumen, daß cpo und einige andere LAbel hier in den letzten 30 Jahren großartige Pionierarbeit geleistet haben, und auch daß das Tamino-Klassikforum so manche Ausgrabung thematisiert hat - aber all das hat eine Breitenwirkung wie der berühmte Tropfen auf den heissen Stein...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Na ja, für mich ist das Tschaikowski. Ist aber sehr Geschmackssache und wird von mir nicht missionarisch vertreten.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Wenn ich die "Angriffe" von damals richtig verstanden habe, so wurde angedeutet, das Forum befasse sich zu sehr mit den Lieblingskomponisten des Administrators, und würde andere "wichtigere" Komponisten - nämlich der Moderne und Avantagarde vernachlässigen. Daraus ergibt sich ja auch der Tiel dieses Threads. Während in meiner Jugend Mahler noch als "unanhörbar" galt, Schostakowitsch nicht bis in meine Sammlung vorgedrungen war, und was später kam einfach ignoriert wurde, werden heute viele Komponisten des 19. Jahrhunders einfach "vergessen". "Sperrig" war ein von mir gewählter, abwiegelnder Begriff für "unanhörbar" Aber ich will eigentlich keine Namen nennen......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich weiß nicht genau, was es bringen sollte, zB "Kalliwoda, Ries, Czerny, Mehul, Rubinstein, Raff, Volkmann, Hiller, Weber, Lachner, Onslow, Spohr, Gernsheim, Draesecke" Schostakowitsch gegenüberzustellen.


    Das klingt immer so, als ob bis 1965 die Sinfonien Raffs (oder gar Kalliwodas) häufig auf Konzertprogrammen zu finden gewesen seien, dann aber von "unanhörbarer" Musik wie Mahler und Schostakowitschs verdrängt worden seien. Aber das ist natürlich Unsinn. :D
    Aus der bunten Reihe oben ist Weber durchgehend ein bekannter und populärer Komponist gewesen, freilich nicht aufgrund von zwei Jugendsinfonien (er ist beim allerbesten Willen kein "Sinfoniker"). Spohr kannte man zumindest dem Namen nach; warum gegen Ende des 19. Jhds. zwei seiner Opern (u.a. "Faust") von den Programmen verschwunden sind, weiß ich nicht. Czerny war, soweit ich sehe, schon zu Lebzeiten hauptsächlich als Klavierkomponist (und hier hauptsächlich von Lehrwerken) bekannt. Wenn ich wikipedia recht verstehe, ist ein großer Teil seiner "ernsten" Musik (wie Sinfonien) schon DAMALS gar nicht publiziert worden. Es scheint nicht der Fall gewesen zu sein, dass Czerny in den 1840ern als großer Komponist (jenseits Klavierübungen), vergleichbar mit Beethoven oder Mendelssohn gehandelt worden wäre. Selbst wenn, nach seinem Tod hat er halt nur als Etüdenkomponist und Beethovenherausgeber überdauert. Die meiste Musik überdauerte ihre Schöpfer nicht allzu lange. Nur weil das bei den Komponisten, die noch heute gespielt werden wie Mozart, Beethoven usw. so gewesen ist, bleibt es dennoch meistens die falsche Fragestellung, darüber zu rätseln, warum die meisten Komponisten nicht im Repertoire geblieben sind. Es braucht keine Verschwörung, es ist der Normalfall.


    Ich kenne zu wenige Werke der meisten aufgezählten Komponisten. Ich wage mal die Hypothese, dass die Verantwortung dafür, dass die meisten von deren Sinfonien (usw.) eher ungeliebt sind, nicht Mahler trägt, sondern... BEETHOVEN! :D Beethovens Sinfonien waren nicht zu übertreffen.


    Komponisten konnten sich nicht bloß durch solides Handwerk (denn auch hier ist Beethoven kaum zu übertreffen), sondern nur durch Originalität ein wenig aus seinem Schatten befreien. Selbst heute fraglos anerkannten Komponisten in dieser Tradition wie Mendelssohn, Schumann, Brahms ist das nur in Einzelfällen gelungen bzw. durch "Ausweichen" (wie Mendelssohn mit einer brillanten, "leichten" Sinfonie wie der "italienischen"). Solide Handwerker, die an späten Haydn/Mozart und Beethoven anknüpften, fielen vermutlich spätestens als mit Brahms und Bruckner (und Dvorak, Tschaikowsky usw.) Sinfoniker auftraten, die mehr zu bieten hatten, langsam der Vergessenheit anheim.


    Raff mit seiner gemäßigten Programmsinfonie war vermutlich noch einer der originellsten und erfolgreichsten. Und fairerweise muss man sagen, dass es selbst prominenten Vertretern der alternativen, mehr oder minder explizit programmatischen "Tondichtung", auch nicht so viel besser ergangen ist. Von Berlioz ist schon "Harold in Italien" eher am Rande, das Interesse für Liszts Tondichtungen hat in den letzten 100 Jahren vermutlich stetig nachgelassen bzw. es sind von einem guten dutzend Werke nur ein paar halbwegs präsent geblieben (und das bei einem Komponisten, der über Jahrzehnte ein Superstar gewesen ist und mit Klavierwerken durchgehend im Repertoire vertreten war).


    All das wurde zwischen Beethoven und den Sinfonien ab den 1870ern, also Brahms, Bruckner, Tschaikowsky, Dvorak, Franck usw. und später auch Mahler u.a. "zermalmt".

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich denke auch, dass die genannten Romantiker heute wirklich allmählich der Vergessenheit entrissen werden, dass dieser Vorgang vor allem darauf beruht, dass sie eben eigentlich von Anfang an nicht im Rampenlicht standen, dass sie auch heute keine sonderliche Rolle im Konzertleben spielen, aber in zunehmendem Maße von der Tonträgerindustrie entdeckt werden oder eben in zunehmendem Maße in Gestalt von Downloads.


    Die Gründe dafür wurden hier schon oft diskutiert. Meinerseits möchte ich in der Tat vor meiner zehnten Beethoven-Integrale möglichst viel von seinen Zeitgenossen und Nachfolgern kennenlernen und für mich entscheiden wollen, ob sie zu Unrecht nie sonderlich beachtet waren oder doch eher zu Recht, was an ihnen interessant ist, was schön und wertvoll, was vielleicht doch nur angenehm, aber nicht bedeutend. Dass hier gerade Einzelwerke eine spezifische Rolle spielen, liegt ebenso auf der Hand.


    Mit Schostakowitsch (oder Ligeti oder oder) hat das doch nichts zu tun, oder? Ich werde auch weiterhin gerne und interessiert das 19. Jahrhundert hören und das 20. und bisweilen das 21. Das eine schließt das andere weder aus noch ein.


    Und eigentlich möchte ich bei meiner Sichtung des unbekannten 20. Jahrhunderts - die Kunstmusik des 21. wird man wohl kaum bereits mit einem solchen Adjektiv benennen können - gar nicht groß anders vorgehen als bei der oben kurz konzipierten Sichtung und Auswertung des 19. Centenniums.


    Vor einigen Jahren habe ich den Österreicher Zeisl kennengelernt, vor zwei Wochen den Deutsch-Engländer Alexander Goehr. Der eine steht in klassizistisch-neuromantischer Tradition, der andere ist ein moderat-raffinierter Zwölftöner. Beide sprechen mich genauso an wie die exzellenten Sinfonien von Ries oder die formvollendete und wohlklingende Kammermusik eines von Herzogenberg. Dass Beethoven und Brahms respektive Strawinsky und Berg sich in einer nochmals anderen Kategorie austoben dürfen, das hatte ich geahnt. ;)


    Der Rest ist eine Zeitfrage (als Emotika empfehle ich den Bart und die Trauermiene ...)


    Soweit meine banalen Kommentarworte zum ausgezeichneten Beitrag von Johannes Roehl.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat

    Das klingt immer so, als ob bis 1965 die Sinfonien Raffs (oder gar Kalliwodas) häufig auf Konzertprogrammen zu finden gewesen seien, dann aber von "unanhörbarer" Musik wie Mahler und Schostakowitschs verdrängt worden seien. Aber das ist natürlich Unsinn


    Wenns auf mich gemünzt sein solle (davon gehe ich aus ;) ) - so wurde das von meiner Seite weder gedacht, noch anzudeuten versucht. Um das Jahr 1965 waren die von mir geliebten "wiederzuentdeckenden" Komponisten allenfalls namentlich bekannt, meist nicht mal das. Es wurde damals viel Mozart, Schubert, Haydn, Beethoven, Schumann, Tschaikowsky, Bach, Brahms, Bruckner gespielt, vermutlich auch Dvorak. Und es gab auch immer wieder klassische Moderne - aber sehr zurückhaltend. Nicht zu vergessen "Highlights" ansonst eher negierter Komponisten, wie beispielsweise der Carmina Burana von Orff - da gibt es noch einiges.
    Der "Konflikt" bestand eher zwischen einigen Ex-Forianern und mir, welche gerne ANDERE "vergessene" Komponisten, als jene des 19. Jahrhunderts besprochen haben wollten, nämlich jene, die von der Musikwelt schon zu Lebzeiten "geächtet" wurden. Dazu ist zu sagen, ich höre Musik nicht, um Komponisten oder deren Erben was Gutes zu tun, sondern weil sie mir gefällt. Das dürfte auch der mehrheitliche Standpunkt der "Klassikgemeinde" sein - natürlich von einigen Ausnahmen abgesehen.
    Es ist ja nicht so, daß lediglich die von mir genannten Komponisten ausserhalb des Mainstraims dahindümpeln, sondern auch zahlreiche andere, welche durchaus berühmt sind, deren Werke man aber kaum kennt oder nicht wirklich hören will. Tschaikowski war beispielsweise um 1965 ganz vornr mit dabei - was ich heute nicht sagen würde.


    ES ist nicht zu leugnen, daß Beethoven für Zeitgenossen und die Nachfolgegeneration ein Problem darstellt. Schubert hat - im Rahmen seiner kurzen Lebensspanne dieses Problem weitgehend überwunden. Seine große C.Dur Sinfonie kann ohne weiteres neben jenen von Beethoven bestehen. Ries fasziniert mich wegen seiner großen stilistischen Nähe zu Beethoven, wobei er durchaus auch ein Eigenprofil anzubieten hat. Ich gehe davon aus, daß jeder Beethoven Verehrer zumindest die Sinfonien lieben wird.


    Zu den Behauptungen, die Mehrheit der genannten Komponisten wäre eigentlich nie so richtig berühmt gewesen, hätte ich einige Einwände - vielleicht später mehr davon. Nur als Kutzbeispiel: Spohr war zu Lebzeiten vermutlich der bekannteste lebende Komponist Deutschlands (auch wenn ich bis heute nicht allzuviel mit ihm anfangen kann). Lisst war, wie beschrieben geradezu eine Ikone - wobei sich mir bis heute nicht erhellt hat warum, er schrieb ja hauptsächlich Klavierparaphrasen über Werke anderer Kompoonisten. Seine Simphonischen Dichtungen sind an mir eher vorbeigegengen, aber es ist geplant mich im Forum mehr damit auseinaderzusetzen. Das entsprechende Klangmaterial steht auf meiner Dezemberbestellung.


    Einiges gäbe es noch zu beantworten - aber das verschiebe ich - der Artike wird ansonst zu lang


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !