Opus- und Symphonienummer täuschen bei Raffs "Wintersymphonie", es ist nicht seine letzte, das ist ist die 10. Die 11. wurde unmittelbar nach der 8. komponiert, also 1876/77, als Raff seiner Dienstantritt in Frankfurt vorbereitete. Diese Symphonie blieb aber bis zum Tode 1882 unveröffentlicht und wurde erst posthum veröffentlicht. Warum ist unklar, an der Qualität kann es nicht gelegen haben. Die Uraufführung 1883 war zwar wohl nicht übermäßig erfolgreich, dennoch etablierte sich das Werk vorübergehend und war in USA neben "Im Walde" (3) und "Lenore" (5) die dort meistgespielte Raff-Symphonie.
Als allzu winterlich empfinde ich - ehrlich gesagt - diese Musik nicht, es sei denn Raff vertont hier vor allem im Schnell balgende und um den Weihnachtsbaum tanzende Kinder. Eine Nähe zur Musik von Tschaikovsky (Winterträume 1866, Nußknacker 1892) ist nicht zu überhören.
Der erste Satz beginnt mit einer Figur, die ein wenig an Sibelius erinnert, der natürlich bis dahin noch keine Note gekritzelt hatte. Er entwickelt sich melancholisch in Richtung eines Marsches. Das Allegretto ist feinste Musik mit deutlichen Reminiszenzen an Tschaikovsky. Und die Winterstürme heulen dann doch in diesem Satz ab und zu auf. "Am Kamin" ist ein Larghetto, dass mit einem Fagottsolo über einer tänzerischen Figur beginnt und sich dann zu einer sehr stimmungsvollen fast walzermäßigen Streichermusik steigert, bei der Fagott und andere Bläser immer wieder solistisch hervortreten. Ein sehr schöner Satz. Das Finale beginnt mit einer schnellen rhythmisch akzentuierten Melodie, die an den Finalsatz von Tschaikovsky 5. erinnert. Der wurde allerdings erst 12 Jahre später komponiert. Tschaikovsky hat die Musik von Raff gekannt und sich sehr lobend über sie geäußert.
Wenn auch eigentlich nicht das letzte symphonische Wort von Joachim Raff, so ist dieses Werk doch ein würdiger Abschluss einer nach wie vor zu Unrecht weitgehend vergessenen eindrucksvollen Symphonische Serie, die über weite Strecken viel besser ist als ihr Ruf und verdient zumindest mit einzelnen Werken ins Repertoire zurückzukehren. Ich jedenfalls kenne keinen einzigen romantischen Komponisten der sog. "2. Reihe", der ein qualitativ und quantitativ auch nur annähernd vergleichbares Oeuvre vorgelegt hat.