Die Interpreten der 2. Reihe - eine Betrachtung des Begriffs

  • Immer wieder wird von "Interpreten der 3. Reihe" geprochen oder geschrieben - und unterschwellig kommt hier der Begriff durch: "Gut, auch sehr gut - aber eben nicht erstklassig"
    Das ist meines Erachtens eine falsche Einschätzung der Sachlage. Denn es ist ja in der Welt nicht immer so, daß die "Besten" (in welcher Disziplin auch immer) ganz vorne mitmischen - im Gegenteil, oft sind es die Lautesten, Rücksichtslosesten, Robustesten. Das soll nicht heissen, daß das in allen Fällen auf die sogenannte "erste Garde" zutrifft - aber eine gewisse Dickhäutigkeit gehört doch dazu - oder eine gewisse Bereitschaft zum Leiden.
    Was ist hier gemeint ? Es gibt große Künstler, die es nicht ertragen immer wieder als Flaggschiff genannt zu werden - um dann gelegentlich in der Kritik lesen zu müssen, sie hätten die in sie gesetzten hohen Erwartungen nicht erfüllt. Oder nach Jahren an der Spitze, zu sehen, daß die Tonträgerindustrie einen schon abgeschrieben hat, während sie eine neue Ikone aufbaut. Es gab Künstler, die ihre eigenen Schallplattenaufnahmen - aus vielerlei Gründen - nicht mochten - sie (das war früher möglich) nichtzur Veröffentlichung freigaben und sich als "schwierig" für die Vermarktung entpuppten - so lange bis man keine Aufnahmen mehr mit ihnen machte und sie stillschweigend in der Versenkung verschwanden. Eigentlich die wervollsten Künstler, die strenge Maßstäbe an ihre eigene Leistung legten - aber für eine Weltkarriere nur bedingt geeignet (Einige haben es dennoch geschafft, wie viele an dieser Hürde scheiterten - das wissen wir nicht)
    Dann gab es jene, denen ein Familienleben wichtiger war als ihr Beruf. Sie spielten ihre Konzerte oder sangen ihre Rollen als fixes Ensemblemitglied eines (durchaus auch großen) Opernhauses. Sie waren gut bezahlte Lokalmatadore im Umkreis von 100 Kilometern und ihr Ruf war beinahe Legende - allerdings oft nicht international - oder gar weltweit. Manche mögen Flugangst gehabt haben, manche wieder andere Eigenheiten, welche den "Weltruhm" verhinderten. Bzw - vielen kam die so entstehende Situation auch entgegen. Schallplattenaufnahmen gab es zwar vereinzelt - aber sie verkauften sich nur an ein Insiderpublikum - auf jeden Fall nicht in dem Maße, der für eine weltweite und jahrzehntelange Vermarktung geeignet gewesen wäre. Künstler aus der 2. Reihe ? - die betreffenden hätten das strikte von sich gewiesen. Ihre Konzerte waren ausverkauft - der Terminkalender übervoll. Was will man mehr ?
    Das Nachsehen hat die Nachwelt, wenn diese Künstler aus rein markttechnischen Gründen vergessen werden - aber das ist eben der Lauf der Welt. Denn das Publikum ist unbarmherzig: Im Zweifelsfalle nimmt es beim CD-Kauf dann doch lieber Karajan oder Bernstein, Brendel oder Buchbinder, Wunderlich oder Fischer Dieskau............


    Wir können hier im Forum durch gezielte Forenpolitik versuchen EINIGE dieser Künstler wieder ganz nach vorne zu holen. Jedoch gibt es hier zwei Barrieren: Ein Mindestmaß an Tonträgern muß noch im Handel verfügbar sein - und das PT. Publikum sollte offen und neugierig sein, wobei ich die 2. Barriere für die schwerer zu überwindende halte....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred



    PS: Wenn in diesem Thread unbedingt Namen genannt werden müssen - dann sollten es solche aus der Vergangenheit sein - Ich möchte keinen lebenden Interpreten als künstler aus der "2. Reihe" bezeichnet sehen......

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein sehr interessanter Artikel, dessen Thematik und Problematik mich schon seit langem beschäftigt. Das Problem dabei ist aber wiederum, daß ich Interpreten, die für mich auf Grund ihres Könnens, auf Grund der Qualität ihrer Tondokumente und ihrer Lebensleistung im allegemeinen, das Attribut "großartig" verdienen, auch nicht gedanklich in die zweite oder gar dritte Reihe eingestuft wissen will, selbst wenn dies für andere auf Grund der von Alfred genannten Gegebenheiten und Lebensumstände der Fall sein mag. Eine Klassifizierung von Interpreten dürfte sich deshalb als sehr schwierig erweisen, da die Meinungen hier dann wieder stark auseinander gehen werden. Wer will da allgemeingültig festlegen, ob z. B. ein Heinrich Hollreiser - nur um einmal einen Namen zu nennen - der ja zumindest in den letzten Jahren hier im Forum kaum größere Erwähnung findet, nun in die erste, zweite oder dritte Reihe gehört!? Deshalb könnte schon mit einer hypothetischen Einstufung eines Interpreten in das zweite oder dritte Glied damit auch automatisch eine Disqualifizierung verbunden sein, was man in vielen Fällen ja gerade verhindern will. Um solchen weniger bekannten oder genannten Interpreten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wäre es deshalb gerade in einem Forum wie dem unseren wichtig, daß man sich eben nicht nur mit den großen Namen beschäftigt, sondern sich auch die Mühe macht, auch einmal in Tondokumente von Interpreten mit weniger Hochglanzkarriere hineinzuhören.


    wok

  • Von der "dritten Reihe" war ja hier nie die Rede - Man darf nicht vergessen, daß die "zweite Reihe" ganz nahe bei der eirsten ist. Ich würde sagen, daß die zweite Reihe der sogenannten ERSTEN vollkommen ebenbürtig ist. Lediglich gewisse Umstände haben verhindert, daß sie ganz vorne stehen. Wir haben solche Phänomene sogar hier im Forum erleben können (bzw dürfen oder müssen): Ein Spezialist für ein bestimmtes Thema scheidet - aus welchen Gründen- immer - aus. Plötzlich übernimmt ein bisher "unauffälliges" Mitglied diesen Bereich. - und zwar ERSTKLASSIG. Es spürt, daß es gebraucht wird und stellt sich der Aufgabe, wächst zudem mit derselben. Was wäre gewesen, hatte nicht Paul Badura Skoda dereinst für Edwin Fischer einspringen müssen, was wäre aus Diego Juan Florez geworden, wäre er nicht für einen erkrankten Kollegen, dessen Namen heute vermutlich niemand mehr kennt, "eingesprungen"
    Ja es gibt sie, die vielen erstklassigen Interpreten, die nur deshalb in der zweiten Reihe stehen, weil in der ersten momaentan kein Platz frei ist - oder weil sie sich nicht zu trauen ihn zu belegen, wenn die Gelegenheit da ist.......
    Wir sollten also auf solche Künstler vermehrt unsere Aufmerksamkeit lenken, damit wenigstens einige den Sprung ganz nach oben schaffen - wobei ich mir nicht völlig sicher bin, ob das so anstrebenswert ist.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dein Einstiegsbeitrag, lieber Alfred, spricht mich sehr an und ich möchte mit einem "ja" und drei Ausrufungszeichen antworten. Wenn ich so nüchterne, messbare Kriterien wie die Zahl der Aufnahmen, Auftritte, Presseartikel und dergleichen mehr denke, so prägte und prägt dies doch ganz wesentlich die Wahrnehmung und Rezeption der Bedeutung eines Interpreten - wo viel ist muß auch viel sein. Wer das nicht hinterfragt, bekommt sein "Weltbild" von den Medien geprägt und vorgesetzt. Wer sich eine eigene Meinung bilden möchte, muß sich erst durch einen Wust graben, um dann mehr und mehr auf seine eigenen Entdeckungen und Perlen zu stoßen. Das erfordert Zeit, Ausdauer, Offenheit, sich einzulassen und etwas Fachkenntnis. Und dann sitzt man in einem Konzert oder hört eine CD und kann es nicht glauben: Warum hat man von ihm oder ihr nicht schon viel früher gehört? Man stöbert im Web und ist ratlos. Es gäbe hier viel über die Medien, unsere Kultur und die Gesellschaft zu sagen - und viel ist in diesem Forum ja auch schon zu diesen Themen in Bezug auf klassische Musik gesagt worden.


    Statt dessen möchte ich hier als ein Beispiel aus meiner Sicht die Geigerin Edith Peinemann ins Feld führen. Ich habe zugegebenermaßen nur eine Aufnahme von ihr, das Dvorak Konzert unter Leitung von Peter Maag, erschienen bei der DGG, das mich allerdings beim ersten Hören schier vom Stuhl gehauen hat. Für mich ein so zwingende wie klangschöne Interpretation, die Maßstäbe setzt. Es gibt noch eine Handvoll weiterer Aufnahmen von ihr: Berg, Tippett, Ravel, Kammermusik von Schubert, ein Recital habe ich auf ebay gefunden, dazu soll es noch Bruch, Prokofiew und Bach gaben - das war´s. Eigentlich hatte sie alle Rahmenbedingungen, die man für eine Karriere in der ersten Reihe braucht: Rostal-Schülerin, Gewinn des ARD-Wettbewerbs, George Szell als Mentor, ein Auftritt in der Carnegie Hall. Aber sie war eine Frau und die "internationale erste Reihe" der Geiger war zu jener Zeit von Künstlern wie Heifetz, Menuhin, Oistrach und Kogan besetzt. Aber was heißt schon "besetzt - wenn ich daran denke, wie sich die Deutsche Grammophon keine zwanzig Jahre später auf einen Teenager namens Anne-Sophie Mutter gestürzt hat ... Vielleicht gehörte Peinemann auch zu denjenigen, die nicht ihr Leben auf Tournee mit hundertfünfzig Hotelübernachtungen im Jahr verbringen wollten.


    Ich jedenfalls werde diesen Thread zum Anlaß nehmen, mir weitere Aufnahmen von Edith Peinemann zuzulegen und werde Euch bei Gelegenheit berichten!


    Ich möchte meinen Beitrag mit einer Frage schließen: Wir diskutieren ja viel über die Renaissance oder eine Erstentdeckung von Komponisten. Erfreulicherweise tut sich auf dem Feld Einiges, weil viele Interpreten sich nicht mehr damit zufrieden geben, die "alten Schlachtrösser" zu reiten sondern es als Teil ihrer künstlerischen Aufgabe verstehen, sich und der Öffentlichkeit neues Repertoire zu erschliessen. Ich frage mich deshalb, ob es auch so etwas wie eine Renaissance eines verstorbenen UND zu Lebzeiten nicht angemessen gewürdigten Künstlers überhaupt geben kann - jenseits der Gemeinde eingeschworener Klassik-Liebhaber, - Spezialisten, -Suchenden und -Findenden - mit einem Wort, der Taminos :S


    Herzliche Grüße aus Berlin
    Stefan

    “Music is enough for a lifetime, but a lifetime is not enough for music”
    Sergei Rachmaninov

  • Statt dessen möchte ich hier als ein Beispiel aus meiner Sicht die Geigerin Edith Peinemann ins Feld führen. Ich habe zugegebenermaßen nur eine Aufnahme von ihr, das Dvorak Konzert unter Leitung von Peter Maag, erschienen bei der DGG, das mich allerdings beim ersten Hören schier vom Stuhl gehauen hat. Für mich ein so zwingende wie klangschöne Interpretation, die Maßstäbe setzt. Es gibt noch eine Handvoll weiterer Aufnahmen von ihr: Berg, Tippett, Ravel, Kammermusik von Schubert, ein Recital habe ich auf ebay gefunden, dazu soll es noch Bruch, Prokofiew und Bach gaben - das war´s. Eigentlich hatte sie alle Rahmenbedingungen, die man für eine Karriere in der ersten Reihe braucht: Rostal-Schülerin, Gewinn des ARD-Wettbewerbs, George Szell als Mentor, ein Auftritt in der Carnegie Hall. Aber sie war eine Frau und die "internationale erste Reihe" der Geiger war zu jener Zeit von Künstlern wie Heifetz, Menuhin, Oistrach und Kogan besetzt. Aber was heißt schon "besetzt - wenn ich daran denke, wie sich die Deutsche Grammophon keine zwanzig Jahre später auf einen Teenager namens Anne-Sophie Mutter gestürzt hat ... Vielleicht gehörte Peinemann auch zu denjenigen, die nicht ihr Leben auf Tournee mit hundertfünfzig Hotelübernachtungen im Jahr verbringen wollten.


    Ich jedenfalls werde diesen Thread zum Anlaß nehmen, mir weitere Aufnahmen von Edith Peinemann zuzulegen und
    werde Euch bei Gelegenheit berichten!

    Hallo Stefan,


    Sehr interessant Dein Beitrag zu diesem Thema, und auch was Du zu der Geigerin EDITH PEINEMANN schreibst. Wer diese, wie ich, im Konzert erlebt hat, und wer einige ihrer Einspielungen gehört hat, der wird sich bestimmt weigern, bei ihr allein schon die Vorstellung von einer Geigerin der 2. Reihe aufkommen zu lassen. Leider machte diese HEINZ STANZKE- und MAX ROSTAL-Schülerin und Gewinnerin des ARD-Wettbewerbs, Inhaberin der Plaquette Eugène Ysaye, von deren Können auch ein YEHUDI MENUHIN begeistert war, stets zu wenig Aufhebens von sich. Sie, die sich noch der JOSEPH JOACHIM-und CARL FLESCH-Schule zugehörig fühlte, glänzte mit Ihrer Interpreation von schwierigsten Violinkonzerten von BERG, PFITZNER, REGER, BARTÓK, STRAWINSKY u. a. Auch als Kammermusikerin zeichnete sie sich zusammen mit ihrem kongenialen Partner JÖRG DEMUS aus.


    Aber ähnlich erging es ja leider auch anderen vielen Geigerinnen und Geigern, bei denen es schmerzt, sie gedanklich mit der 2. Reihe in Verbindung zu bringen. Ich denke z. B. dabei an Susanne LAUTENBACHER, den leider viel zu früh verstorbenen REINHOLD BARCHET, BRONISLAV GIMPEL, HERMAN KREBBERS, VIKTOR TRETJAKOW und, und, und!
    Selbst frühere Berühmtheiten und Könner wie CHRISTIAN FERRAS, LEONID KOGAN, YEHUDI MENUHIN oder TIBOR VARGA, um nur einige ganz Wenige zu nennen, finden ja heute kaum noch Erwähnung.


    Viele Grüße aus Málaga!


    wok

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  • Wir müssen hier - glaube ich - zwei Dinge klar auseinanderhalten. Die 1. und 2. Reihe gibt es eindeutig bei der Bekanntheit eines Künstlers. Das ist messbar (Zahl und Verkauf der CD-Veröffentlichungen, Auftritte, Artikel in der Presse usw.). Wir sind uns sicher alle einig, dass dies NICHT unbedingt nur von den künstlerischen Fähigkeiten eines Künstlers abhängt, sondern auch von einer gewissen Vermarktungsfähig- und willigkeit. Manchmal vielleicht auch von Zufällen, z.B. ob ein Herr Karajan einen mochte oder nicht. Ob man aus einem "exotischen" Kulturkreis kommt oder nicht.


    Und dann gibt es die 1. und 2. Reihe bezüglich der künstlerischen Fähigkeiten eines Künstlers. Und hier wird es natürlich schwierig, denn hier spielen subjektive Geschmacksurteile eine wichtige Rolle. Den Künstler, den der eine auf Grund seiner technischen Vollkommenheit bewundert, schätzt ein anderer als "kalten Perfektionisten" gering und bevorzugt den "mit vielen falschen Noten" aber der Fähigkeit, den "Sinngehalt" der Musik zu vermitteln. Beispiele hierfür gibt es viele: Heifetz vs Menuhin, Pollini vs Cortot, Toscanini vs Furtwängler. Und von diesen Diskussionen lebt dann ein Forum wie tamino.


    Um welche 2. Reihe soll es hier gehen?


  • Wir müssen hier - glaube ich - zwei Dinge klar auseinanderhalten. Die 1. und 2. Reihe gibt es eindeutig bei der Bekanntheit eines Künstlers. Das ist messbar (Zahl und Verkauf der CD-Veröffentlichungen, Auftritte, Artikel in der Presse usw.). Wir sind uns sicher alle einig, dass dies NICHT unbedingt nur von den künstlerischen Fähigkeiten eines Künstlers abhängt, sondern auch von einer gewissen Vermarktungsfähig- und willigkeit. Manchmal vielleicht auch von Zufällen, z.B. ob ein Herr Karajan einen mochte oder nicht. Ob man aus einem "exotischen" Kulturkreis kommt oder nicht.


    Und dann gibt es die 1. und 2. Reihe bezüglich der künstlerischen Fähigkeiten eines Künstlers. Und hier wird es natürlich schwierig, denn hier spielen subjektive Geschmacksurteile eine wichtige Rolle. Den Künstler, den der eine auf Grund seiner technischen Vollkommenheit bewundert, schätzt ein anderer als "kalten Perfektionisten" gering und bevorzugt den "mit vielen falschen Noten" aber der Fähigkeit, den "Sinngehalt" der Musik zu vermitteln. Beispiele hierfür gibt es viele: Heifetz vs Menuhin, Pollini vs Cortot, Toscanini vs Furtwängler. Und von diesen Diskussionen lebt dann ein Forum wie tamino.


    Um welche 2. Reihe soll es hier gehen?

    Hallo lutgra,


    Ich glaube, hier spielen beide von Dir sicher zurecht genannten Gesichtspunkte zusammen. Aber so meßbar ist der Bekanntheitsgrad eines Künstlers auch nicht. Zum Beispiel hatte ein Pianist wie DETLEV KRAUS sehr viele Auftritte im In- und Ausland, und er hatte stets eine hervorragende Presse hinsichtlich seiner Konzerte, zudem war er ein wirklich ausgezeichneter Pianist, und dennoch wird ihn heute kaum jemand zu den Pianisten der ersten Reihe zählen. Und auch was die subjektive, persönliche Meinung anbetrifft, so wird man bei aller Liebe und Bewunderung menschlicher Qualitäten schon über soviel Realismus verfügen, daß man weder einen "kalten Perfektionisten", noch einen Interpreten "mit vielen falschen Noten" - Interpreten wie z. B. EDWIN FISCHER oder IGNACY JAN PADEREWSKI mögen hier Ausnahmen sein - und auch keinen, der "den Sinngehalt eines Werkes nicht zu vermitteln weiß", auch nur gedanklich in Verbindung mit der 1. Reihe bringt.


    Ich denke an Künstler, bei denen man zumindest subjektiv der Meinung ist, daß diese in jeder Hinsicht über solche singuläre Qualitäten verfügen, daß diese mit den Fähigkeiten der berühmten arrivierten Künslter verglichen und zumindest gedanklich mit den Interpreten der sogenannten 1. Reihe in Verbindung gebracht werden können. Daß manche Künstler darauf gar keinen Wert legten, wie eben eine EDITH PEINEMANN, sondern nur rein künstlerische Ziele verfolgten, daß manche nicht das Alter erreiichten, um von ihrem Können und der sich anbahnenden Karriere dann auch voll zu profitieren, wie z. B. bei REINHOLD BARCHET oder dem jungen verunglückten DINO CIANI, daß manche auch nicht über die Vermarktungsfähigkeit und/oder über die richtige Plattenfirma verfügten, auch nicht das Glück eines berühmten oder einflußreichen Förderers hatten, spielt dann natürlich auch eine große Rolle, um trotz noch so bewundernswerter künstlerischer Attribute von der breiten Öffentlichkeit dann einfach nicht als Künstler der ersten Reihe eingestuft oder wahrgenommen zu werden.


    Gruß
    wok

  • Wie schwer man sich mit einer solchen Einstufung tut, wird ja schon an solchen Serien wie der Philips-Serie "The greatest pianists" deutlich. Ich denke, die für diese Serie Verantwortlichen haben da viel Herzblut vergossen und es ja auch geschafft, Labelgrenzen zu überwinden. Trotzdem dürften einige Namen in der Liste Stirnrunzeln hervorrufen und natürlich das Fehlen anderer ebenso. Unsere Wiener Freunde werden sich fragen, wo denn bitte Jörg Demus, Paul Badura-Skoda und Rudolf Buchbinder abbleiben und wieso Ingrid Haebler nun bedeutender sei als diese drei. Auch die Inklusion von Andre Watts bei gleichzeitiger Exklusion von Philippe Entremont erscheint mir mehr als willkürlich, kann letzterer beim gleichen Label mit einer viel grösseren Zahl an Einspielungen aufwarten. Einige russische Pianisten kennt man im Westen überhaupt nicht, während wesentlich bekanntere aus Südamerika unterschlagen werden. Also das ist ein schwieriges Feld.


    Géza Anda
    Martha Argerich
    Claudio Arrau
    Vladimir Ashkenazy
    Wilhelm Backhaus
    Daniel Barenboim
    Jorge Bolet
    Alfred Brendel
    Lyubov Bruk & Mark Taimanov
    Robert Casadesus
    Shura Cherkassky
    Van Cliburn
    Alfred Cortot
    Clifford Curzon
    Gyorgy Cziffra
    Christoph Eschenbach
    Edwin Fischer
    Leon Fleisher
    Samson Francois
    Nelson Freire
    Ignaz Friedman
    Andrei Gavrilov
    Walter Gieseking
    Emil Gilels
    Grigory Ginsburg
    Leopold Godowsky
    Glenn Gould
    Friedrich Gulda
    Ingrid Haebler
    Clara Haskil
    Myra Hess
    Josef Hofmann
    Vladimir Horowitz
    Byron Janis
    William Kapell
    Julius Katchen
    Wilhelm Kempff
    Evgeny Kissin
    Zoltan Kocsis
    Stephen Kovacevich
    Alicia de Larrocha
    Josef & Rosina Lhévinne
    Dinu Lipatti
    Radu Lupu
    Nikita Magaloff
    Arturo Benedetti Michelangeli
    Benno Moiseiwitsch
    Ivan Moravec
    John Ogdon
    Ignacy Jan Paderewski
    Murray Perahia
    Maria João Pires
    Mikhail Pletnev
    Maurizio Pollini
    André Previn
    Sergei Rachmaninoff
    Sviatoslav Richter
    Arthur Rubinstein
    András Schiff
    Artur Schnabel
    Rudolf Serkin
    Vladimir Sofronitsky
    Solomon
    Rosalyn Tureck
    Mitsuko Uchida
    Andre Watts
    Alexis Weissenberg
    Earl Wild
    Maria Yudina
    Krystian Zimerman

  • Zitat

    Unsere Wiener Freunde werden sich fragen, wo denn bitte Jörg Demus, Paul Badura-Skoda und Rudolf Buchbinder abbleiben und wieso Ingrid Haebler nun bedeutender sei als diese drei.


    Ich glaube, diese Frage ist relativ leicht zu beantworten -und sie ist durchaus keine Themenabweichung, im Gegenteil, sie beleuchtet einige Kernprobleme.
    Es ist sicher richtig, daß man teilweise über seinen eigenen Schatten gesprungen ist, und auch Pianisten der Konkurrenzlabels eingebunden hat. Dazu bedarf es aber nicht nur des Willens der Herausgeber, sondern auch jener der Rechte-Inhaber. Im Falle von sogenannten "Major-Labels" gibt es immer wieder Connections, einer braucht immer wieder den anderen. Schlimmer ist es, wenn man für ein Kleinlabel aufnimmt. Kaum ein "Major" wird hier anfragen wollen ob es genehm sei den Exklusivkünstler in seine Sammlung einzubilden. Noch schlimmer ist es, wenn - wie im Falle Badura Skoda - der Künstler gar keine langfristigen Verträge gemacht hat, sondern bei verschiedensten Labeln aufgenommen hat. Bei Teldec (Buchbinder) hingegen wird man lange Zeit vermutlich gar nicht gewusst haben, wer augenblicklich die Verwertungsrechte hat. Interessant ist übrigens, daß Joachim Kaiser in seinem berühmten Buch "Große Pianisten in unserer Zeit" Friedrich Gulda Raum gibt, während er Haebler und Badura-Skoda, sowie auch Brendel nur als "treffliche Wiener Pianisten" bezeichnet. Brendel bekommt später mehr Raum und Kaiser setzt sich ausführlich mit seinem Werdegang auseinander, ebenso mit Buchbilder, den er lobt, aber betont, er sei nicht mit Brendel auf eine Stufe zu stellen. Auch wenn er ehrlicherweise völlig richtig betont, daß das alles Momentaufnahmen sind, so sind es dennoch gefährliche Momentaufnahmen, nämlich in der Hinsicht gefährlich, dass sie noch viele Jahre nachwirken und künstlerische Entwicklungen nicht berücksichtigen (können!!) Man bekommt somit ein Verdikt zu lesen, daß für alle Ewigkeit einzementiert scheint. Joachim Kaiser ist sich dessen wohl bewusst und spricht es auch im Vorwort der letzten Auflage an. Daß er aber die Wirkung nicht mehr kontrollieren kann, weil sie sich selbst verselbständigt hat - das steht auf einem anderen Blatt.
    Kommen wir zur positiven Seite solcher Beurteilungen: Sie geben ein grobes Gerüst vor - aber sie regen Kenner auch zum Widerspruch an - und das ist WICHTIG.
    Letzlich finden auch im Tamino-Klassikforum "Bewertungen" statt. Man darf hierbei jedoch nicht aus den Augen verlieren, daß diese nur innerhalb eines gewissen begrenzten Rahmens und eines gewissen Zeitraums RELATIVE Gültigkeit haben - wenn überhaupt.


    mir freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !