Referenzen und Alternativen seit 1990 - Bizet: Carmen

  • Liebe Forianer,


    diese Oper gehört noch immer zu den beliebtesten und meist gespieltesten Werken auf der Bühne. Leider gibt es bis zum heutigen Tage die Referenzaufnahme nicht. Und leider ist auch beim TMOO-Ranking keine Aufnahme seit 1990 vertreten - mit Ausnahme von mir! Mit welcher Ignoranz und Nichtzurkenntnisnahme von musikalische Leistungen müssen sich die Künstler neueren Datums konfrontiert sehen, wenn sie selbst hier in den Threads herumstöbern! Dabei geht es um kein Schönreden, sondern um Akzeptanz und Würdigung von Aufnahmen, die die meisten hier im Forum leider wieder nicht kennen.



    Referenz



    Künstler: Magdalena Kozena, Jonas Kaufmann, Genia Kühmeier, Jean-Paul Fouchecourt, Kostas Smoriginas, Christian Van Horn, Chor der Deutschen Staatsoper Berlin, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle
    Label: EMI, DDD, 2011


    Wer mich hier im Forum kennt, der weiß, dass ich kein Freund der neueren Aufnahmen unter Rattle bin. Aber mit dieser Neueinspielung stellte er unter Beweis, dass er es mitunter doch noch kann. Orchestral ist diese Aufnahme grandios! Die eigentlich einzige Schwäche ist die Kozena in der Titelpartie. Sie singt leider nur die Carmen, wird ihr gestalterisch aber nicht gerecht. Herausragend: Jonas Kaufmann (José), Genia Kühmeier (Micaela) und Kostas Smoriginas (Escamillo).



    Alternativen



    Künstler: Jennifer Larmore, Thomas Moser, Angela Gheorghiu, Samuel Ramey, Chor der Bayerischen Staatsoper, Bayerisches Staatsorchester, Giuseppe Sinopoli
    Label: Teldec, DDD, 1995


    Eine vorzügliche Aufnahme unter der musikalischen Leitung von Giuseppe Sinopoli, nur Rattle ist orchestral eine klare Nasenlänge voraus. Die Larmore kann leider nur sehr begrenzt überzeugen. Überraschend überzeugend der Don José von Thomas Moser. Der Escamillo von Samuel Ramey ist interpretatorisch eine Meisterleistung. Und die Partie der Micaela ist mit Angela Gheorghiu luxuriös besetzt!



    Künstler: Angela Gheorghiu, Roberto Alagna, Thomas Hampson, Inva Mula, Orchestre National du Capitole de Toulouse, Michel Plasson
    Label: EMI, DDD, 2001


    Warum diese Produktion die Rezitativfassung bietet ist mir bis heute ein Rätsel, schließlich hat sich ja seit den 70er Jahren die Dialogfassung durchgesetzt. Als Novum bietet diese Einspielung eine bislang verschollene und erst kürzlich wiederentdeckte Arie auf den gleichen Text der "Habanera". Herausragend auch hier das Orchester unter Michel Plasson und kommt den Berliner Philharmonikern sehr nahe. Stimmlich abgedunkelt bietet die Gheorghiu eine imposante Interpretation. Alagnas Don José kann das Niveau leider nicht halten. Zu kühl-distanziert kommt Hampsons Escamillo daher. Inva Mulva singt die Micaela sehr überzeugend und warmherzig.



    :hello: LT

  • Mit Verlaub: Deine eigene Kritik der vorgestellten Aufnahmen lässt sie ja entbehrlich erscheinen: Bei Rattle keine überzeugende Carmen (was soll ich mit einer solchen Aufnahme?), bei Sinopoli ebenso, und bei Plasson kein guter José. Da es ältere, bessere Aufnahmen gibt, also keine Anschaffungsempfehlung, keine obere Platzierung in der Rangliste und ergo auch keine "Alternativen".
    Bei Sinopoli und Rattle habe ich nach den Hörproben vom Kauf gleich abgesehen; die Plasson Aufnahme habe ich, da ich die Gheorghiu mag. Aber alle älteren Aufnahmen, die ich beitze sind insgesamt besser.
    Ich gehöre übrigens (wie Du meinem Beitrag im aktuellen Lohengrin thread entnehmen kannst) keineswegs zu der "früher war alles besser" Fraktion ;)

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Nun, es gibt bei jeder "Carmen"-Aufnahme etwas auszusetzen: egal ob die stimmlich nicht ganz passende de los Angeles, der kühl-steife Gedda in verschiedenen Aufnahmen, die Callas mit bereits angeschlagener Stimme, Milnes als zu plakativer Escamillo und, und, und ....


    :hello: LT

  • Da gebe ich Dir uneingeschränkt recht, zumal ja jenseits der stimmlichen Anforderungen auch jeder seine Vorstellung hat, wer Carmen u. Jose "sind", wovon wieder abhängig ist, ob man zB los Angeles "passend" findet.
    Opern GAs, die ich als perfekt bezeichnen würde, fallen mir spontan nur 2 ein ;) (Und auch bei denen gibt es sicher gegenteilige Auffassungen).

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Zitat

    Misha: Da gebe ich Dir uneingeschränkt recht, zumal ja jenseits der stimmlichen Anforderungen auch jeder seine Vorstellung hat, wer Carmen u. Jose "sind", wovon wieder abhängig ist, ob man zB los Angeles "passend" findet.


    Hallo, Misha!


    Das sehe ich genauso wie Du. Aber die Alternativen von LIEBESTRAUM mit Sinopoli oder Plasson könnte ich mir auch gerne mal anhören. Jedenfals von der Besetzung her schon interessant.

    W.S.

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  • Ich hatte mich entschieden diese Aufnahme einzustellen, da sehe ich das Aufnahmedatum 1988. Na ja, vielleicht geht das noch durch. Aber die Besetzung ist für mich bombastisch. Jessy Norman, Neill Shicoff und Simon Estes, bessere Aufnahmen der letzten Jahre kenne ich nicht. Auch Ozawa ist ein Dirigent mit Gefühl für die Tempi.


    W.S.

  • Lieber Wolfgang,


    der Thread ist eindeutig formuliert: alle Aufnahmen, die seit 1990 erschienen sind. D.h. deine "Carmen"-Einspielung gehört hier nicht hin!



    :hello: LT


  • Meine Referenz-Aufnahme ist die DVD von 2006 aus Covent Garden.
    Natürlich ist es nicht die ideale Aufnahme, aber für mich zu diesem Zeitpunkt schon.
    Die Sänger sind sehr gut und auch Orchester und Dirigent rechtfertigen für mich
    die Referenz.
    (Auch die Inszenierung ist sehr gut genießbar)


    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Herbert, hier hast du den Nagel auf den Kopf getroffen! Auch mir gefällt die Aufnahme sehr gut, weil die Hauptdarstellerin sowohl stimmlich als auch darstellerisch dem Idealbild der erotischsten aller Zigarettendreherinnen sehr nahe kommt. Welcher kleine Sergeant würde für sie nicht freiwillig ins Gefängnis wandern?


    Auch Jonas Kaufmann hatte am Royal Opera House einen großen Tag.

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Kein Mangel an jüngeren Carmen-Aufnahmen:


    Hier eine gelungene Aufnahme von 2004 aus Les Chorégies d'Orange
    mit Béatrice Uria-Monzon und Roberto Alagna.


    https://www.youtube.com/watch?v=1phyGtKloYo


    Zu erwähnen Alagnas hervorragende textverständliche Aussprache. Natürlich ohne das rollende R seiner Kollegen. Ein unschätzbarer Heimvorteil des Franzosen.



    Diese Aufnahme mit denselben Protagonisten stammt aus dem Gran Teatre del Liceu (2010)


    Freundliche Grüße Siegfried