Joseph Joachim Raff: Symphonie Nr. 6 op. 189

  • Nach dem Höhepunkt der Lenoren-Symphonie war nicht zu erwarten, dass die nächste Symphonie noch besser wird. Das wurde auch gleich von den Kritikern der Zeit bemerkt und bemängelt. Aber so schlecht, wie sie häufig dargestellt wird, ist sie m.E. nicht. So etwa auf dem Niveau der 4. Symphonie.


    Merkwürdigerweise hat Raff dieser Symphonie ein Programm mitgegeben, dass nicht recht zur Musik zu passen scheint. Die ersten beiden Sätze werden unter Gelebt: Gestrebt, gelitten, gestritten zusammengefasst, das Larghetto unter Gestorben, zum Finalallegro heisst es dann Umworben. Offensichtlich hat Raff diese Symphonie als sein "Heldenleben" komponiert. Aber die Musik passt nicht dazu, im ersten Satz wird kaum gelitten, im Scherzo vielleicht ein bisschen gestritten, der Trauermarsch ist gar kein echter und der Finalsatz taugt auch nicht zur postmortalen Überhöhung. Also, das Programm vergisst man am besten. Und hört das ganze als typische 4-sätzige romantische Symphonie des klassischen Typs. Keine wirklich genialen melodischen Einfälle, aber insgesamt auch nicht schlechter als viele andere Symphonien von Komponisten aus der 2. Reihe.

  • Also, das Programm vergisst man am besten.


    Bei mir läuft die Sinfonie Nr.6 mit der abgebildeten CD heute auch erstmalig (obwohl ich die Tudor-CD´s schon seit Jahren habe).
    Ja, "Heldenleben" - Thema verfehlt. Obwohl es ganz nette Passagen und Satzteile gibt. Das Werk ist ordentlich komponiert, hat auch ein effektvolles Finale.
    Aber offenbar reicht das nicht - bei Raff erkennt man durch Vergleiche wie schwer komponieren ist, ein wirklich wertvolles Werk aufs Noten-Papier zu bringen.


    Rein von meinem Musikgeschmack her ist mir das viel zu viel romantisches Geplänkel, ohne wirklich ansatzweise in die Tiefe zu gehen. Gleiches stellte ich bei einigen seiner Zeitgenossen (Gade, teilweise Alfven, Arensky, Lyapunov, teilweise Glasunow) fest, um nur einige zu nennen.
    Es muss schon ein bischen was "gebacken sein" um mich zu packen.

    :!: Und da stelle ich gleich wieder die Frage in den Raum:
    Warum konnten so einige aus dem sogenannten Mainstream aus dieser Zeit der >Romantik das bieten, was ich suche ?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Und da stelle ich gleich wieder die Frage in den Raum:
    Warum konnten so einige aus dem sogenannten Mainstream aus dieser Zeit der >Romantik das bieten, was ich suche ?

    Diese Frage stelle ich mir natürlich auch immer wieder, aber ich bin in den letzten Jahren auch zunehmend bereit, mich mehr mit den weniger bekannten Werken näher zu befassen. Dafür gibt es einen recht banalen Grund, ich kann einige der sog. "Meisterwerke" der romantischen Epoche kaum noch hören, z.B. die Symphonien von Brahms oder Schumann 1 und 4 oder Dvorak 9. Einfach zu oft gehört. Auch bei Mahler und Bruckner bin ich sehr vorsichtig geworden, denn das möchte ich nicht, dass ich die irgendwann nicht mehr hören kann. Deshalb wird das Nischenrepertoire vermutlich auch überwiegend von älteren Vielhörern bevorzugt, weil das Hauptrepertoire schon "abgegrast" ist. Also, vielleicht kannst Du in 20 Jahren mit Raff auch mehr anfangen als jetzt.

  • Also, vielleicht kannst Du in 20 Jahren mit Raff auch mehr anfangen als jetzt.


    Ich bin ja nun, genau wie Du, ein Hörer und Interessent von eher unbekannteren Werken. Aber die Raff-TUDOR-CD´s habe ich seit Jahren mehrfach mal ins Visier genommen. Jetzt durch Alfred´s und Deine aktuelle Beiträge wieder. Es ist ja auch hier und da was ansprechendes dabei; aber nichts was "wirklich hängen bleibt" (gem. gleichlautendem Thread). Aber auch in 20Jahren werde ich Raff nicht anders sehen als jetzt. Dazu geht mein Musik-Geschmack auch zu sehr in die Richtung des 20.Jhd.


    :!: Bei mir liegt die Hörschwelle, was bei mir an Werken ankommen könnte, deutlich höher als bei Dir. Das stelle ich (wie ich schon mal geschrieben hatte) auch bei einigen Werken fest, die Du als "hörenswert" eingestuft hattest und die ich dann eher als "romantisches Geplänkel" empfand.


    Ich finde die Anzahl der zur Verfügung stehenden wirklichen Meisterwerke (von mir aus die sog.Mainstream-Werke) der Romantik (um jetzt bei der Epoche zu bleiben) - so gross, dass ich mir die kaum über hören könnte - dazu sind sie zu wertvoll. Und ich nutze die knapp bemessenen Zeit rein gefühlsmässig lieber für "solche Meisterstücke", die mir wirklich was geben, als mich dauerhaft mit Werken zu beschäftigen, die mich im Endeffekt langweilen.

    Auch wenn das Hauptrepertoire bei uns scheinbar schon abgegrast ist, so ist es immer wieder toll auch neue bislang unbekannte Aufnahmen davon auszutesten. Bei den Werken weis man was einen erwartet - Grosses erwartet - alleine das macht sie schon wertvoll.


    :D So ganz anders als einige Frauen das sehen :untertauch: : :thumbsup: Bruckner könnte ich mir nie "über hören" !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Dazu geht mein Musik-Geschmack auch zu sehr in die Richtung des 20.Jhd.


    Na ja - das ist doch mal eine klare Aussage, bzw Positionierung -dann wirst Du vermutlich (wie vermutlich viel andere auch, die Musik des 20, Jahrhunderts lieben) auch Schumann, Weber, Mendelssohn und Schubert - jeweils von 1-2 Werken pro Komponist abgesehen- als "romantisches Geplänkel" empfinden - auch wenn man sich das in der Regel nicht mehr zu sagen traut - weil die Komponisten ja viel zu berühmt sind. Man könnte nun antworten, die haben es - auf Grund ihrer hohen Qualität eben geschafft - aber das wäre am Ziel vorbei. Denn Mendesllsohn wird von drei Werken abgesehen - eher nicht wahrgenommen. Angeblich weil er im dritten Reich verboten war. Daran glauibe ich aber niacht, denn der Jazz war damals auch verboten ist aber nach 1945 (und im Geheimen schon davor) aufgeblüht. Schuberts Sinfonien wurden von der "Unvollendeten" und "Großen C- Dur Sinfonie" mal abgesehen weitgehend abfällig beurteilt und ignoriert - ditto seine Klaviersonaten. Weber ist allenfalls als Opernkomponist bekannt - und hier durchwegs mit EINER Oper, ob die restlichen noch gehört werden - ich habe da meine Zweifel. und dann noch Robert Schumann - Im Schumann-Jahr gab es einige Beiträge - aber man konnte gut sehen, daß die derzeitige Generation mit wirklicher Romantik nichts anfangen kann. Raff ist hier unter die Räder gekommen - mehr nicht. Vermutlich sehen die Leute Spitzwegs Gemälde ebenso - und bei Lortzings Opern wissen wir es definitiv.
    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ging ja gar nicht um ein "Heldenleben" - eher um das Leben eines "Verkannten" mit (erhoffter) posthumer Rehabilitierung Das Eigenartige dabei ist, daß Raff zu jener Zeit gat nicht "verkannt" war - er dürfte aber (subtilen) Anfeindungen ausgesetzt gewesen sein, die er in dieser Sinfonie verarbeiten wollte. Als "Sensibelchen" kann man durchaus einige Bezüge zwischen Inhalt und Musik heraushören - so man will. Ich kann aber auch ohne "Beigeschichte" leben.
    Es gibt ja glücklicherweise eine schriftliche Hinterlassenschaft zu diesem Thema, nämlich einen Brief an Hans von Bülow, einen weiteren Förderer Raffs. (abgedruckt auf Seite 6 und 7 des TUDOR Booklets zur Sinfonie Nr 6)


    Kurz zum musikalischen: Lutgra hat ganz richtig geschrieben, daß die 5. Sinfonie einen Höhepunkt in Raffs Schaffen darstellt , der nicht mehr zu toppen war. Desungeachtet ist die 6. doch eine hörenswerte Sinfonie. Viele finden den 2. Satz, der manche an Mendelssohn erinnert als den besten, ich persönlich war indes vom 3. Satz, der einen Trauermarsch darstellen soll,der aber allerdings bei genauem Hinhören karikierende Züge aufweist, sehr beeindruckt. Wie schon in der 5.im Militärmarsch versteht es Raff meisterlich den Marsch immer wieder in andere, Licht schillern zu lassen. Es ist kein Geheimnis, daß der Marsch aus der 5. Sinfonie einen prägenderen Eindruck hinterlässt - aber absolut gesehen ist auch der "Kondukt" im 3. Satz eine bemerkenswerte Schöpfung. Auch wenn die meisten Themen dieser Sinfonie nicht besonders einprägsam sind - angenehm zu hören sind sie mit Sicherheit.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Na ja - das ist doch mal eine klare Aussage, bzw Positionierung -dann wirst Du vermutlich (wie vermutlich viel andere auch, die Musik des 20, Jahrhunderts lieben) auch Schumann, Weber, Mendelssohn und Schubert - jeweils von 1-2 Werken pro Komponist abgesehen- als "romantisches Geplänkel" empfinden - auch wenn man sich das in der Regel nicht mehr zu sagen traut - weil die Komponisten ja viel zu berühmt sind. Man könnte nun antworten, die haben es - auf Grund ihrer hohen Qualität eben geschafft - aber das wäre am Ziel vorbei.


    Das ist vielleicht an Deinem Ziel vorbei Raff schmackhaft zu machen - trifft aber genau den Kern.
    Es stimmt nicht, dass ich bei Schumann, Mendelssohn, Schubert nur 1-2 Werke schätze - nein ungleich mehr, weil genau diese grosse Werke geschaffen haben, an die Raff aus meiner Sicht nunmal eindeutig in Tiefe und Qualität nicht heranreicht. Bei Weber gebe ich Dir recht - das ist einer aus der Zeit, der mich nicht wirklich erreicht.


    :hello: Alfred und Lutgra, seht das Ganze nicht so verbissen, denn so übel, wie es vielleicht schriftlich wirkte, finde ich Raff auch nicht.
    Ich höre mir in Kürze auch die Sinfonie Nr.7 an, die aus Lutgras Sicht wieder eine der Besseren sein soll. Bin gespannt ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich glaube, daß es weder Lutgra noch ich "verbissen" sehen - Aber wenn Du Weber als "aus einer Zeit, die dich nicht erreicht" beschreibst, dann ist jegliche Argumentation zwecklos. Mich erreicht beispielsweise vorzugsweise die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts. Ich suche nicht nach vorgeblichen oder realen "Meisterwerken" Ich suche auch nicht nach einer "emotionalen Tiefe" (Auch Mozarts "Krönungskonzert" - mein Lieblings-Klavierkonzert -hat die nicht) Musik muß mir "gefallen". Hier haben wir bereits einen eklatanten Auffassungsunterschied. Das Wort "gefällig" war im 19. Jahrhundert ein positiver Begriff, heute wird er "abgelehnt" - wie fast alle Wertvorstellungen des 19. Jahrhundert. Und man könnte - ironisch überspitzt sagen - es ehrt Raff - daß ihn manche nicht mögen.
    Es ist indes NICHT mein Ziel, jene von Raff (weitere Komponisten sind in Planung) zu überzeugen, die die Welt des 19. Jahrhunderts a priori nicht verstehen können oder wollen, sondern jene darauf aufmerksam zu machen, von denen ich annehme, daß sie zwar die ideale Zielgruppe sind, soll heissen, daß Raff ihren Geschmack trifft, die ihn aber bisher noch nicht kennen, weil sie ihn in keinem Konzertführer finden konnten und zusätzlich noch immer wieder gelesen haben, Raff wäre ein Komponist aus der 2. Reihe. Zu Lebzeiten - auf dem Gipfel seiner Karriere - war er das mit Sicherheit nicht.


    Ich lasse dieses scheinbare OT deshalb zu, weil gerade die sechste sich - laut Raffs eigener "Gebrauchsanleitung" zu dieser Sinfonie sich mit dem Thema der Vergänglichkeit des Ruhms befasst - und auch mit dessen "Auferstehung" lange nach dem Tod seines einstigen Trägers........


    Persönlich finde ich es sehr erfreulich, dass die Fortsetzung meiner "Raff" Initiative so viele Postings hervorgebracht hat - denn die Qualität der (meisten) Werke Raffs spricht ohnedies für sich selbst. Aber wir müssen darauf aufmerksam machen - was derzeit geschieht.


    Raffs Werke bedürfen heute des oftmaligen Hörens - weil seine Tonsprache - so eingängig sie sein mag - doch einer gewissen Gewöhnung bedarf - vor allem wenn man an Mahler, Schostakowitsch, und Penderecki geschult ist.
    Sie klingen bei jedem Hören schöner und eindrucksvolle. Das Zeitgenössische Publikum hat solche Kunstkniffe natürlich nicht gebraucht. Raffs Musik war ihnen vertraut.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wo doch gerade das 19. Jahrhundert sprichwörtlich für den Geniekult herhalten muss. Wann erwartete man Meisterwerke, die den Hörer zutiefst ergreifen, wenn nicht im 19. Jahrhundert?

  • Musik muß mir "gefallen". Hier haben wir bereits einen eklatanten Auffassungsunterschied. Das Wort "gefällig" war im 19. Jahrhundert ein positiver Begriff, heute wird er "abgelehnt" - wie fast alle Wertvorstellungen des 19. Jahrhundert.


    Aber wann "gefällt" dir Musik? Was muss da in dir los sein, damit sie dir "gefällt"? Du kannst doch nicht dich als Menschen mit deinen Empfindungen von der Musik, die du hörst, trennen? Wonach legst du fest, welche Musik dir zusagt?


    Im Übrigen ist gerade das 19. Jahrhundert das Jahrhundert, in dem in der Musik die Gefälligkeit eine immer weniger gefragte Rolle spielte. Das 19. Jahrhundert setzte Konzertformen endgültig durch, in denen der Zuhörer schweigend über einen längeren Zeitraum einer Musik zuhörte. Warum sollte man so etwas erfinden, wenn es einem nicht um Ergriffenheit, Erhebung usw. ging? Gerade der Begriff der 'Erhabenheit' bzw. das 'erhebende Gefühl', das im 19. und frühen 20. Jahrhundert als Bewertungskriterium in der verbalen Erfassung des immateriellen Wertes einer Musik von Bedeutung war, ist doch viel mehr als 'Gefälligkeit'. Der Mensch des 19. Jahrhunderts - und zwar bereits der des frühen 19. Jahrhunderts am Übergang von der Klassik zur Romantik - erwartete von Künsten und insbesondere von der Musik, das sie in ihm mehr auslöse als das Gefühl 'Es hat gefallen'. Gerade in dieser Zeit sprechen doch die Schwärmer der Romantik von 'tiefer Empfindung', betrachten ihr Leben als von Künsten durchdrungenes Dasein. Und das alles im Gegensatz zum gesetzten Handelsbürger, der seine Arme philiströs-selbstzufrieden über dem Bauch verschränkt und sich nach getanem Tagwerk durch nichts allzu tief empfundenes mehr stören lassen wollte.


    Wobei mir grad auffällt, dass kurzstückmeister den Sinn meiner vielen Worte im vorigen Posting auch bereits mit viel weniger Worten in einem Satz ausgedrückt hat :D


    Grüße
    Garaguly

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Alfred und Lutgra, seht das Ganze nicht so verbissen, denn so übel, wie es vielleicht schriftlich wirkte, finde ich Raff auch nicht.

    Lieber Wolfgang
    ich sehe das überhaupt nicht verbissen. Wir werben hier doch nur für Musik, die wir gut finden. Das heisst doch nicht, das jeder andere sie auch gut finden muß. Wenn ich jetzt hier schreibe, dass ich inzwischen alle 15 Streichquartette von Schostakowitsch genial finde, werde ich doch auch viel Gegenwind bekommen. Aber das ändert nichts an meiner Überzeugung nach 30 Jahren Hörens.