Referenzen und Alternativen seit 1990 - Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-moll op. 67

  • Liebe Forianer,


    für mich war Beethovens 5. ein Schlüsselerlebnis. Neben dem "Freischütz" war es das Werk, dass mich zur intensiven Beschäftigung mit der klassischen Musik führte. Dieses Meisterwerk Beethovens war auch eine meiner ersten Anschaffungen auf Schallplatte. Ich werde auch nicht müde, mir diese Sinfonie auch immer wieder regelmäßig anzuhören. Gerade zu solchen Anlässen, wenn eine Neuanschaffung wieder darauf wartet, angehört zu werden - wie zuletzt Swetlanows Interpretation.


    Anders wie bei den "vier Jaheszeiten" ist der Katalog der vorhandenen Aufnahmen dieser Sinfonie so umfangreich, dass er kaum noch zu überschauen ist. Es vergeht kein Monat, in dem eine Neuaufnahme oder eine Wiederauflage auf die Klassik-Kunden wartet. Das macht eine Auswahl schwierig. Aber, wie bereits in der Vorankündigung formuliert, ist der Fokus auf die Aufnahmen der letzten 20 Jahre gerichtet, also auf Aufnahmen der Nach-Karajan-Ära.


    Schwerpunkte der Auswahl bilden: Die klare Herausarbeitung des Kopfmotives, die Ausgestaltung des 3. Satzes sowie die Überleitung zum - und Finale.



    Referenz



    Künstler: La Chambre Philharmonique, Emanuel Krivine
    Label: Naive, DDD, 2010


    Keine Einspielung der 5. Sinfonie hat mich im neuen Jahrtausend so beeindruckt wie eben diese Aufnahme. Es handelt sich hierbei um einen Live-Mitschnitt, bei dem das HIP-Ensemble La Chambre Philharmonique unter Emanuel Krivine einen so leidenschaftlich-impulsiven Beethoven spielen, wie es mir schon lange nicht mehr untergekommen ist. Man kann ihre Spielfreude faktisch spüren und der Funke springt auch beim Hörer über, der durch Betätigung des Start-Knopfes am Player diese Interpretation gleich noch einmal hören möchte!



    Alternativen



    Künstler: Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado
    Label: DGG, DDD, 2000


    Hier soll die Aufnahme der Berliner Philharmoniker zur Sprache kommen, die unter Abbado bei einem Gastspiel in Rom Live aufgezeichnet worden ist. Dies ist aus meiner Sicht mit Abstand die beste Einspielung der 5. Sinfonie eines renommierten Sinfonieorchesters (also keine Kammerorchester-Version) seit 2000. Abbado nahm hier einige Korrekturen vor in Bezug auf seinen ein paar Monate vorher erschienenen Studio-Beethoven-Zyklus. Und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen: eine moderne frische Aufnahme von hohem Wert!




    Künstler: Swedish Chamber Orchestra, Thomas Dausgaard
    Label: Simax, DDD, 1999


    Dausgaard gilt noch immer als eine Art Geheimtipp. Einige meinen, die Aufnahmen sind zu teuer. Dazu kann ich nur sagen: wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Schließlich gibt es diverse Marktplätze, die hier und da ein Produkt auch preiswert anbieten. Andererseits stellt sich Dausgaard auch als Phänomen dar: sie kaufen ihn nicht, weil sie meinen alles Wichtige schon zu haben. Dabei lohnt sich ein Blick mit anschließender Anschaffung bei Dausgaard durchaus: hier wird ausgezeichnet Beethoven zelebriert, gepaart mit einer überragenden Tontechnik - Beethoven vom Feinsten - was will man mehr?




    Künstler: Kammerorchester Basel, Giovanni Antonini
    Label: Sony, DDD, 2008


    Etwas ganz Hervorragendes schwappt von der Schweiz zu uns herüber: ein noch im Entstehen befindlicher Beethoven-Zyklus mit dem Kammerorchester Basel, das hier von Giovanni Antonini geleitet wird. Aber im Gegensatz zu Järvi wird hier nicht wild-seelenlos heruntergespult, es bleibt genug Zeit die Musik auch atmen zu lassen, sich zu entfallen. Antonini gelingt es ebenfalls, das Kammerorchester nicht dünn spielend auf uns wirken zu lassen. Da kommt beim Hören viel Freude auf, was das Ganze zu einer echten Alternative werden lässt!



    Bemerkungen


    Aus meiner Sicht geht gar nicht:


    Thielemann (die Überleitung vom 3 zum 4. Satz ist so schwerfällig, dass ich schon nicht mehr weiter hören mag, um dann ein paar Takte später gleich überschnell weiter musizieren zu lassen, was an eine Karikatur grenzt.


    Järvi (der seelenlos ohne wirkliche innere Anteilnahme Beethoven eiskalt herunterspulen lässt).



    :hello: LT

  • Bevor ich mir Thielemann kritisch erneut anhöre - wobei ich mir so gut wie sicher bin - daß ich die Ablehnung von Liebestraum nicht teilen werde - habe ich mir die in meiner Sammlung befindlichen Aufnahmen, der 5. Beethoven rasch ins Gedächtnis gerufen - Und es sind mehr, als man im ersten Augenblick glauben möchte. Aber EINE wäre hier wiederum hervorzuheben: Die Einspielung der Münchener Philharmoniker unter Sergiu Celibidache. Ein mächtiger Koloss - fast wie seinerzeit unter Klemperer - bekommt die Sinfonie fast überirdische Ausmaße. Die gemessenen Tempi geben dem Werk zusätzlich Gewicht und der warme klang des Orchesters lässt erinnert einen wehmütig daran, daß diese Zeiten (fast) vorbei sind - Aber nein. Da gibt es noch den vielgescholtenen Christian Thielemann, der von Kritikern immer wieder angefeindet, vom Publikum aber geliebt wird, ebenso wie von den Wiener Philharmonikern und Joachim Kaiser.....
    Darüber vielleicht demnächst mehr....

    mfg aus Wien
    Alfred


    PS: Die Aufnahme ist derzeit nicht im Handel - zumindest nicht einzeln.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Noch eine Alternative, sogar von einem der "großen Alten":


    Beethoven: Symphonie Nr. 5
    Wiener Philharmoniker
    Sir Georg Solti
    Aufnahme: Großer Saal des Musikereins, Wien, 5. & 6. Mai 1990

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Liebestraum: Järvi, der seelenlos ohne wirkliche innere Anteilnahme Beethoven eiskalt herunterspulen lässt.

    Lieber Liebestraum,


    durch ständige Wiederholung deiner kürzest gehaltenen Allgemeinplätze über die Interpretationsweise Paavo Järvis werden deine Aussagen auch nicht besser. Ich habe so den Verdacht, dass du die Einspielungen Järvis gar nicht kennst bzw. ihn noch nie in einem Live-Konzert erlebt hast.
    Jedenfalls sind m. E. die Einspielungen Järvis generell, aber auch der Fünften speziell, alles andere als seelenlos und eiskalt. Und innere Anteilnahme kann man auch haben, wenn man nicht so gequält dreinschaut wie Herbert von Karajan, sondern wenn man sich über das, was man dirigiert und vom Orchester geboten bekommt, vergnüglich lächelt wie Järvi.
    Von Järvis Aufnahmen hat mich keine enttäuscht, von Krivines jedoch, den du hier als Referenz postulierst, doch die eine oder andere, vor allem die "Eroica", was ich auch seinerzeit in meinem Posting zum Ausdruck gebracht habe. Schließlich habe ich ja über alle neun Aufnahmen Krivines hier im Forum merine Eindrücke geschildert und dabei durchaus auch meine Ausführungen durch Beispiele untermauert.
    Aber auch das andere Ende der Fahnenstange, Thielemann, den Gott sei Dank noch vorhandenen "old school"-Dirigenten, kann ich ohne Weiteres goutieren. Es kommt eben nicht darauf an. mit wie vielen oder welchen Instrumenten man spielt, und Quellenstudien beispielsweise eines Riccardo Chailly haben ihn und sein Orchester dazu veranlasst, ab der Eroica die Besetzung im Streicherapparat und in den Bläser erheblich zu vergrößern, z. Teil sogar (Streicher) zu verdoppeln.
    Auch mit 80 Musikern kann man einen zündenden Beethoven, der auch nach Beethoven klingt, präsentieren wie der von Alfred genannte Celibidache oder der Joseph genannte Sir Georg.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Es lohnt sich, wegen der unangemessene Voreingenommenheit in diesem Thread, eigendlich nicht mehr auf die genialen Beethoven - Aufnahmen von Paavo Järvi einzugehen.
    Bei Paavo Järvi hat mich auch keine seiner letzten Beethoven - Sinfonien - Aufnahmen vom Beethovenfest aus der Beethovenhalle Bonn 2010 enttäuscht.
    Kurzum: Volle Zustimmung an Willi und an dieser Stelle - fertig !!!
    Aber das Bild muss rein !

    SONY, LIVE 2010, DVD DTS 5.1



    Zu Solti:
    Eine Alternative zur Alternative für Josef, die ich sogar noch für eindrucksvoller halte, ist Soltis Aufnahme der Sinfonie Nr.5 von 1958, ebenfalls mit den Wiener PH; die noch packender und vorwärsschreitender, als seine späteren Aufnahmen mit dem Wienern und den Beiden mit dem Chicago SO.
    Leider für diesen Thread unpassend - da Aufnahmen ab 1990 gefragt sind. Aber man sieht auch hier erneut: Die grosse alte Garde kommt auch bei Nennung von Neuaufnahmen gedankllich immer wieder ins Spiel. Warum sollte man diese auch vernachlässigen, wenn sie einfach besser waren !??!



    Was haltet Ihr von Chailly´s Beethoven ?
    Seit diesem Monat September 2014 bin ich auch im stolzen Besitz der Chailly - GA (Decca, 2007-2009, DDD). :!: Auch die Fünfte bietet Chailly als eine glutvolle Interpretation, bei der ich nicht von übertriebenen Tempi reden würde.
    :thumbup: Mir liegt dieser Zugang voll - Die Spielzeiten Sinfonie Nr.5 = 6:39 - 8:25 - 4:25 - 10:37 wirken zunächst ungewohnt. Doch wenn man bereit sein will, sich auf dieses Feuerwerk mit vollem Orchesterapparat einzulassen, bietet sich auch hier eine sogar sehr detailreiche TOP-Alternative aus dem 21.Jhd. Das Gewandhausorchester Leipzig wurde von den Decca-technikern präzise eingefangen.
    Hörspass pur garantiert !

    Decca, 2009 (5te), DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Wolfgang, wie du dem Ende meines Postings entnommen haben magst, hatle ich von Chailly sehr viel, habe nach Erwerb dieser GA vor einigen Jahren auch durchaus positive bis überschwängliche Berichte dazu verfasst. Nur kann es passiert sein, dass ich sie damals im "Was hört Ihr gerade jetzt?" Thread veröffentlicht habe, das weiß ich nicht mehr so genau.
    Off topic: Ich habe gehört, dass Leif Ove Andsnes auf dem diesjährigen Beethoven fest alle Beethoven-Sonaten einspielen (eingespielt haben) soll. Hast du etwas davon gehört bzw. warst du dort?


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich haber vorhin festgestellt, dass ich meinen Bericht über die Fünfte in Chaillys Interpretation doch im Originalthread gepostet habe und möchte ihn der Einfachkeit halber hierhin kopieren (das Einverständnis des Threadstarters Liebestraum vorausgesetzt), weil es als Antwort auf deine Frage dient, lieber Wolfgang.


    Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-moll op. 67 "Schicksalssinfonie":


    Soeben zu Ende gehört habe ich die Fünfte mit Chailly.
    Schon bei der Vierten hatte ich temporale Ähnlichkeiten mit den Aufnahme Gardiners festgestellt, den ich in meiner Besprechung der Krivine-Aufnahmen stets zum Zeitvergleich herangezogen hatte.


    Da Chailly ja in einem Interview in Fono Forum gesagt hatte, dass sich das Gewandhausorchester und er bei dieser Gesamtaufnahme an die Original-Metronomangaben Beethovens (hauptsächlich aus der Peters-Ausgabe) gehalten hätten, habe ich jetzt wieder Gardiner zum Vergleich herangezogen, und siehe da, in vielen Satzzeiten stimmen Gardiner und Chailly weitgehend überein. Kein Wunder, denn in seinem o.a. Interview hebt er als seine Vorbilder neben Arturo Toscanini (was Wunder) auch Karajan (...Karajan, dessen frühe Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern schlichtweg genial ist...) und John Eliot Gardiner hervor ("Eine andere Entdeckung war später dann John Eliot Gardiner mit dem Orchestre Révolutionnaire ét Romantique, bei dem ich dann wieder etwas anderes gehört habe an Durchsichtigkeit, Klarheit des Textes und suche nach den Originaltempi.").


    Vor allem wurde ich dazu animiert, weil Chailly wieder in einem Satz erheblich von den deckungsähnlichen Vergleichszeiten Gardiners abweicht, doch dieses Mal im Scherzo:


    Chailly: 6:39-8:25:4:25:10:20;
    Gardiner: 6:30-8:15-7:12-9:50;


    Wir sehen, Gardiner ist in allen Sätzen nur wenige Sekunden schneller als Chailly, nur im Scherzo ist er fas drei Minuten langsamer. Was ist passiert?


    Im Scherzo beginnt Chailly das Seitenthema in den tiefen Streichern bei 1:37 min., Gardiner bei 1:32. Nach der Reprise wiederholt Chailly aber das Seitenthema nicht, sondern lässt ab 4:00 die Überleitung zum attaca-Finale spielen. Gardiner hingegen beginnt bei 3:00 mit der Reprise und bei 4:20 mit der Wiederholung des Seitenthemas. Erst bei 6:50 beginnt er mit der Überleitung zum Finale. In diesem wiederholt Chailly nach exakt 2 Minuten das Hauptthema, während Gardiner schon nach 1:52 an dieser Stelle angelangt ist.
    Die Reprise im Finale schließlich beginnt bei Chailly nach 6:02 Minuten, bei Gardiner nach 5:40. Das passt alles wunderbar.


    Klanglich sticht auch diese Chailly-Aufnahme wieder durch ihre erstaunliche Transparenz hervor. Noch nie habe ich die Abwärtsschritte des 1. Fagotts im Scherzo so deutlich gehört, auch in der Wiederholung, und noch nie konnte ich die entzückende Piccoloflöte im Finale so deutlich vernehmen.


    Wenn man also von dieser "Auslassung" im Scherzo einmal absieht, ist dies eine fulminante und dem musikalischen Gehalt dieser Symphonie absolut adäquate Interpretation der Fünften.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Wolfgang, wie du dem Ende meines Postings entnommen haben magst, hatle ich von Chailly sehr viel, habe nach Erwerb dieser GA vor einigen Jahren auch durchaus positive bis überschwängliche Berichte dazu verfasst.


    Lieber Willi,


    ich habe die alten Beiträge von 2011 von Dir und ein paar anderen Taminesen gelesen. :hello: Danke für deine ausführliche Antwort zur Chailly 5, die hier natürlich gut hin passt. (Die hatte ich aber auch gelesen !)
    Irgendwie bin ich jetzt auch ( :D beinahe 2 Jahre) zu spät, da auf meine verschiedenen positiven Beiträge zu Chaills Beethoven kaum einer eingeht.
    Deshalb nochmal meine allgemeine Frage:


    Was haltet Ihr von Chailly´s Beethoven ?


    Mich hat er ungleich mehr bei Beethoven, als bei Brahms überzeugen können (und bei den Brahms-KK mit Freire finde ich auch nur das KK Nr.1 wirklich gut; das KK Nr.2 ist mir zu schwunglos und langsam geraten !).



    OT: Nein, ich habe vom Andsnes selber noch nichts gehört.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Beim Nachsehen im Festivalprogramm, lieber Wolfgang, habe ich gesehen, dass Andsnes wohl die 5 KK auffgeführt hat (mit dem Mahler Chamber Orchestra), nicht aber die Sonaten. Um zum Thema zurückzukehren, hast due denn vielleicht die "Fünfte" oder gar mehr mit Andris Nelsons und dem COBSO gehört und gesehen, und wenn ja, hätten die denn vielleicht auch das Zeug zur Referenz, zumal sie das ja ganz sicher nach 1990 in Bonn aufgeführt haben?


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wenn es nur um den ersten Satz I. Adagio con brio gehen würde, behaupte ich, die tatsächlich beste Interpretation, die ich in meinen nunmehr 43 Lebensjahren kennengelernt habe, ist die mit den Münchner Philharmonikern unter Rudolf Kempe



    Aufgenommen in 1971 an einem historisch nicht unbelasteten Ort, nämlich im Bürgerbräukeller, stimmt hier für mich wirklich alles: Perfektes Tempo, klug gesetzte Pausen und hervorragende Durchhörbarkeit. Leider kann die Aufnahme über alle vier Sätze nicht ganz halten, was sie zu Beginn verspricht: Die Spannung läßt nach und der kritische attacca-Übergang vom 3ten in den 4ten Satz gehört in meinen Ohren nicht zu den Besten; man vergleiche z.B. mit



    Alles in allem jedoch halte ich Kempes 5te, wie eigentlich seinen gesamten Zyklus für ziemlich unterschätzt.


    p.s. Eine kleine Anekdote sei am Rande noch erlaubt: Auch bei mir sollte die erste Klassik-MC Beethovens 5te sein. Als unbeleckter Anfänger jedoch kam ich mit den Nummern durcheinander und trug stolz die Pastorale (unter Jochum) heim. Die Überraschung vor dem Kassettenrecorder war entsprechend, konnte mich jedoch glücklicherweise nicht mehr vom "Virus" der klassischen Musik heilen :hail:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Herr Schenk braucht eine Brille!


    Tatsächlich nur fürs Autofahren, und Autofahren tue ich nicht! - Ah, verstehe: "ist der Fokus auf die Aufnahmen der letzten 20 Jahre gerichtet, also auf Aufnahmen der Nach-Karajan-Ära." Habe ich in der Tat überlesen; bitte also, mein Posting geflissentlich zu überlesen :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Es lohnt sich, wegen der unangemessene Voreingenommenheit in diesem Thread, eigendlich nicht mehr auf die genialen Beethoven - Aufnahmen von Paavo Järvi einzugehen.


    Das sehe ich anders. Jeder Tamino hat das Recht auch seine Vorurteile hier zu posten - solange sie nicht beleidigend sind. Aber er muss sich dann gefallen lassen, das man ihm - gelegentlich auch energisch - widerspricht. Nehmen wir - um beim Thema zu bleiben - die Abneigung die viele gegen Thielemann haben. Sie ist in den meisten Fällen aussermusikalischer Natur.
    Man merkt die Absicht - und man ist verstimmt. Alternative: Man merkt die Absicht - und man schweigt und lächelt drüber.
    Das ist jeweils eine Sache des Temperaments.
    Zu Chailly. Hier habe ICH beispielsweise ein Vorurteil - ich mag ihn nicht. ich mag auch alle jene Dirigenten nicht, die auf Tempo setzen. Sie sind in Deutschland zumeist beliebt. Mir als Österreicher liegt das nicht. Aber das ist eine persönliche Geschmacksfrage - kein Werturteil.
    Geschmäcker können sich im Laufe der Zeit ändern - daher verhalte ich mich hier abwartend neutral....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Willi,


    es wird dir nicht entgangen sein, dass ich den Eingangstext aus meinem anderen "Referenzen"-Thread übernommen habe. Seitdem haben sich meine Ansichten zu Järvi eher noch verstärkt. Ich habe von Järvis Beethoven die Sinfonien Nr. 3, 4, 7 und 8 auf CD und alle Sinfonien auf DVD samt Dokumentation. Die 8., die mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde, finde ich schon nicht gut. Auch renommierte Kritiker fangen endlich an zu bemängeln u.a., dass Järvi bereits in vielen ersten Sätzen schon sämtliche "Geschütze" auffährt, dass für das Finale nichts mehr übrig bleibt, es wird quasi alles herunter gespult...



    Hallo Alfred,


    bei einem Werk geht es mir im die Interpretation und nicht darum, ob ich denjenigen am Pult mag oder nicht. Hinsichtlich Thielemanns habe ich klar umrissen, was mich an seiner Interpretation mit den Wiener Philharmonikern sehr stark missfällt.



    Hallo Anekdoten-Teleton,


    ich habe bereits bei meiner ersten Besprechung der Chailly-Aufnahmen bemängelt, dass die letzten Takte der 5. einer Korrektur bedurft hätten.



    :hello: LT

  • Lieber Liebestraum,


    wir sind hier bei der Fünften, und dier zuliebe habe ich sie gerade noch einaml angehört und gesehen, um herauszufinden, ob ich denn wirklich im Gegensatz zu dir und den von dir apostrophierten Kritikern (welchen denn?) so daneben liege, was den Spannungsbogen der Järvischen Interpretaitonen der Beethoven-Symphonien betrifft.
    Und ich muss nach dem neuerlichen Hochgenuss dieser Aufführung sagen, dass ich nicht daneben liege. Alle vier Sätze sind derart ausgewogen, liegen in den dynamischen und rhythmischen Kurven so am Limit, dass keine Sekunde zum Verschnaufen bleibt. Wenn du wirklich alle Symphonien auf DVD hast, ist es mir ein völliges Rätsel, wie du zu dieser Einschätzung kommen kannst. In diesem Orchester brennt doch von der ersten bis zur letzten Sekunde ein Feuer, wie man es bei anderen Orchestern selten erlebt, und mit dem Dirigenten ist es nicht anders. Am 25. 11. werde ich ihn und sein Orchester das nächste Mal live erleben, diesmal in Köln mit Beethoven 1 und Brahms 4. Ich werde darüber berichten und schaun, ob Järvi denn wenigstens diesmal sein Pulver schon in den ersten Sätzen verschossen haben wird. Ich befürchte aber, dass dies nicht der Fall sein wird, ebenso wenig, wie es am 25. 7. in Hamburg beim Mensdelssohn-Violinkonzert (mit Julia Fischer) und bei Brahms 1 der fall war. Auch dort brach, wie in Bonn, unmittelbar nach dem letzten Ton der Jubel los. Ja, sitzen denn nur Idioten in den Konzerten, sind die wirklich Eingeweihten nur bei Tamino beheimatet? :D


    In diesem Sinne,


    alles klar an der Järvi-Front. Und ich werde nach dem Köln-Konzert auch die komplette Kritik der dortigen Presse hier einstellen. Vielleicht sind ja wenigstens die dortigen Kritiker deiner Meinung.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Ja, sitzen denn nur Idioten in den Konzerten, sind die wirklich Eingeweihten nur bei Tamino beheimatet?


    So würde ich das nicht sehen. Aber da spielen viele Parameter eine Rolle. Beispielsweise ob man einen Dirigenten schon live erlebt hat oder nicht. Live Aufführungen wirken in der Regel suggestiver als Wiedergaben auf Tonträger.
    Das ist aber nur ein Punkt. Es gibt so ertwas wie eine innere Uhr, welche die Tempi quasi vorgibt - und die ist von Dirigent zu Dirigent verschieden. Diese innere Uhr existiert aber auch im Publikum - und auch hier gibt es wieder ein Phänomen. Ich würde es "kollektiver Geschmack" nennen. Ein Deutsches Publikum empfindet in der Regel anderes als ein österreichisches - und ein englisches unterscheidet sich erneut. So wie die jeweiligen Landessprachen - ja sogar die Dialekte innerhalb eines Landes anders Klingen, so unterscheidet sich auch das Klangempfinden. Daher sehe ich den gegenwärtigen Trend der internationalisierung von Orchestern mit starker Skepsis.
    Aber nicht nur regional sind Geschmäcker verschieden - auch von der Epoche her. Man bedenke, was das Publikum bei der Uraufführung von Strawinskis "Sacre" aufgeführt hat.
    Heute kann man ein Publikum eigentlich mit nichts mehr erschrecken.
    Man kann - aus meiner Sicht - jegliches Urteil über eine Interpretation fällen. Allerdings sind hierbei 2 wichtige Punkte im Gedächtnis zu behalten:
    ENDWEDER man ist dogmatisch und vertritt seinen vermeintlich richtigen Standpunkt mit Härte.
    DANN muß man allerdings mit ebenso hartem Contra rechnen - und darf nicht beleidigt sein
    ODER man weist in seiner Kritik auf die Subjektivität seines Urteils hin...


    Und jetzt weiter mit den Aufnahmen von Beethovens 5. NACH 1990 - es gibt jede Menge davon....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat von Willi

    Und ich muss nach dem neuerlichen Hochgenuss dieser Aufführung sagen, dass ich nicht daneben liege. Alle vier Sätze sind derart ausgewogen, liegen in den dynamischen und rhythmischen Kurven so am Limit, dass keine Sekunde zum Verschnaufen bleibt.


    Im Prinzip hast du jetzt selbst den Zündstoff für meine Kritik an Järvi geliefert. Beethoven hat seine Sinfonien nicht so komponiert, dass nicht auch Zeit zum Atmen und zum Verschnaufen bleibt. Und du hast völlig recht, davon ist bei Järvi nichts zu spüren. Heruntergespult, ständig am Limit, ohne verschnaufen durchziehen - das ist seine Devise!



    :hello: LT

  • Da hast du mich völlig missverstanden, lieber Liebestraum, vielleicht habe ich mich auch missverständlich ausgdrückt. Ich meinte natürlich den Spannungsbogen beim Publikum, den Järvi und sein Orchester erzeugen. Wenn es umgekehrt wäre, wäre das Orchester spätestens nach zwei Sätzen platt. Nicht nur Beethoven, sondern auch die meisten anderen Komponsiten haben so komponiert, dass den Ausführenden natürlich Stellen zur (körerlichen) Erholung bleiben.Das heißt abeer nicht, dass sie dann den Spannungsbogen verlieren dürfen. Das höre und erlebe ich gerade wieder bei meiner Arbeit an den Berichten zur Appassionata. Die wirklich guten Pianisten, und ich bin gerade bei der vierten Arrau-Aufnahme, spielen natürlich auch den langsamen Satz unter absoluter Hochspannung, aber natürlich unverkrampft. "Entspanntes" Spiel heißt ja nicht, den Spannungsbogen fallen lassen, heißt ja nicht "spannungsloses" Spiel. Und von letzterem kann m. E. bei den Interpretationen Järvis und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen keine Rede sein.
    So, ich bin gerade von einem Konzert zurückgekommen und will darüber noch ein wenig berichten.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    ich verstehe nicht ganz, warum du jetzt einen Rückzieher machst. Denn nicht nur die Musiker benötigen bei einer Aufführung Phasen des Verschnaufens und des Entspannens, sondern auch die Zuhörer. Gerade der zweite Satz, vom Komponisten als Andante tituliert, wird für mich zu schnell musiziert. Außerdem wird hier alles flott hintereinander heruntergespult, so dass gar keine Atempause zustande kommt.



    :hello: LT

  • Hallo Teleton,


    ich habe bereits bei meiner ersten Besprechung der Chailly-Aufnahmen bemängelt, dass die letzten Takte der 5. einer Korrektur bedurft hätten.


    Ist schon ein starkes Stück, wie Du Dir als Bilder-LT, der sonst nur in der Lage ist zahlreiche Bilder seiner zahlreichen CD-Käufe einzustellen, die man in dieser Anzahl ohnehin nie hören kann (Makulatur - nenne ich sowas !) anmassen kannst zu schreiben, dass so eine fabelhafte Aufnahme wie die neue von Chailly mit dem Gewandhausorchester Leipzig einer Korrektur bedurften.


    Willi macht mit seiner Aussage keine Rückzieher, sondern stellt nur mit klaren und deutlichen Worten klar, was Du bewusst verdreht hast und natürlich auch gerne verdreht siehst.
    Leider habe ich solche eindeutigen Aussagen und Begründungen aus deiner Feder noch nie gelesen.
    Geanu so unmöglich ist es Paavo Järvi eine Devise für "ständig am Limit ohne verschnaufen durchgezogenes Herunterspulen" vorzuwerfen. Das ist einfach derart dabeben, dass ich nicht weiter bereit bin, mich an derart unqualifizierten Aussagen noch länger zu beteiligen. :!: Es lohnt einfach nicht - wie ich bereits in Beitrag 5 bemerkte.


    Auch hier hast du Dir deinen Thread durch solche Aussagen selber zerstört.
    Auf andere T-User gehe ich natürlich weiterhin gerne ein.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Sind wir hier in einem ernstzunehmenden Klassikforum oder im Kindergarten? 8| Man sollte mal die Außenwirkung bedenken, bei allem nötigen Respekt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Anekdoten-Teleton,


    was ich an CD's bzw. DVD's und Blu-ray's höre oder sehe kannst du nicht einmal erahnen.


    Fakt ist jedoch, dass ich mich als erster überhaupt in diesem Forum zu den Chailly-Beethoven-Aufnahmen geäußert habe - nämlich nach intensivem vergleichenden Hören mit den Aufnahmen unter Krivine bei DUSSMANN in Berlin. Schon damals habe ich bemängelt, dass Chailly beim Finale von Beethovens 5. der Schlussakkord wegrutscht (kannst du alles nachlesen!).


    :hello: LT

  • Ich habe tatsächlich festgestellt, dass es eine Aufnahme gibt, in der Liebestraum und ich sozusagen einer Meinung sind. Und weil sie es verdient, ausführlich gewürdigt zu werden, will ich auch hier das noch einmal posten, was ich schon im Februar im Thread der Fünften Beethoven gesagt habe:


    Beethoven, Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67 "Schicksalssymphonie"
    Berliner Philharmoniker
    Dirigent: Claudio Abbado
    AD: Februar 2001, Accademia di Santa Cecilia, Rom
    Spielzeiten: 7:19-9:24-7:57-10:24 -- 35:04 min.;


    Zwischen dieser Aufnahme und der zuvor von mir besprochenen liegen genau 29 Jahre, und in der Zeit hatte sich Einiges geändert. Bei Beethovens Fünfter waren keine 8 Kontrabässe mehr anwesend, sondern nur 4, Das Blech war nicht mehr vierfach besetzt, sondern nur zweifach (bis auf die drei Posaunen im Finale), und auch die übrigen Streicher waren etwas weniger als vordem. Im Ganzen umfasste das Orchester ca. 60 Musiker und nicht mehr 80, und es stand nicht mehr Karajan am Pult, sondern Abbado, der aber das gleiche Bestreben hatte, nämlich Aus der Partitur alle dramatischen Funken zu schlagen, die ihr innewohnen, und ich finde, das ist ihm voll und ganz gelungen. Hatte mir die Eroica nicht so gefallen, so war ich von der Vierten schon begeistert (und das bei nur 48 Musikern), und mit der Fünften hat er noch eins draufgesetzt.
    Das fing schon damit an, dass nicht mehr Werner Thärichen an den Pauken saß, sondern in diesem Fall Wieland Welzel, einer der beiden Solopaukisten der BPh, der noch mehr freie Fahrt hatte als weiland Thärichen bei Karajan und noch deutlicher den Pulsschlag der Fünften angab, ähnlich wie Stefan Rapp bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen.
    Und noch Eines hatte Claudio Abbado Karajan voraus (in den Augen von Jacques sicher eine Majestätsbeleidigung), aber ich finde es toll, und man sah es Abbado, der damals seine Krebserkrankung sicher noch nicht überwunden hatte, an, wie er vor Freude strahlte, als er im Finale die Exposition wiederholte, diese herrlichen triumphale Melodie. Und nicht nur im Finale wiederholte er, sondern auch im Scherzo, und ich bin mir sicher, dass das genau so in den Noten gestanden hat. Ich weiß inzwischen von den vielen Hörsitzungen bei den Beethovensonaten, dass in seiner Partituren nicht eine Wiederholungsvorschrift ad libitum gesetzt ist, sondern dass es eine Vorschrift ist, die dem Komponisten wichtig war (welch eine Qual für Adrian Leverkuehn, wenn er das hören müsste, noch mehr C-dur- schrecklich!).
    Wie dem auch sei, die Fünfte ist mir aus der bisherigen DVD-Reihe die Überzeugendste (über die schon mehrfach gehörte und gesehene Neunte will ich an dieser Stelle nicht reden. Übrigens man merkt es diesem Orchester 2001 an, dass eine ganze Reihe junger Leute, auch junger Damen, im Orchester sitzen, die nicht nur jugendlichen Überschwang haben, sondern auch ausgezeichnet musizieren.
    Auch die lyrischen Momente kommen in der Fünften und erst Recht bei Abbado nicht zu kurz. Das ist sogar eine seiner Stärken, ebenso natürlich eine der Stärken Karajans und sicher auch Järvis.
    Als nächste Aufnahme werde ich in dieser Reihe diejenige Michael Gielens besprechen, mal schaun, wie er das "Schicksal" so gemeistert hat.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:


    P.S. Liebestraum möge mir meine ständigen Vergleiche Abbados, der BPh und seines Paukisten mit Järvi, der Deutschen kammerphilharmonie Bremen und seines Paukisten verzeihen. Es gab mal Zeiten, da habe ich auch Aline Potin-Guirao zu Vergleichen herangezogen.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Und noch eine habe ich gefunden, die hierher gehört, leider lieber Liebestraum, wieder von einem konventionellen Dirigenten dirigiert, noch dazu von einem, den du kennen solltest:


    Sir Simon Rattle, Beethoven Nr. 5


    Wiener Philharmoniker, 2002


    Satzzeiten: 7:24 - 9:06 - 4:47 - 10:23 (31:40);


    Rattle beginnt wie gehabt mit forschem Tempo, exakt im gleichen Tempo wie Karajan III (7:22), allerdings nicht so schnell wie Chailly (6:39) oder Leibowitz (6:50), sicherlich aber mit gleichem Brio. Der herbe Streicherklang wird adäquat begleitet von den machtvollen Blechbläsern und den unerbittlichen Pauken, die durch alle Sätze hindurch den Pulsschlag dieser mitreißenden Symphonie durch den kompakten Tuttiklang ertönen lassen. Der Paukist hat wiederum ganze Arbeit geleistet. Auch die Holbläser passen sich ganz an dieses hohe Spiel- und Ausdrucksniveau an.
    Den zweiten Satz gestaltet Rattle als swingendes Andante, im Grundtempo fast so schnell wie Chailly, obwohl dessen Satz mit 8:25 angegeben ist gegenüber 9:06 (incl. Pause) von Rattle, aber ich habe festgestellt, dass die beiden in der Exposition gerade mal 2 Sekunden trennen (Chailly 47, Rattle 49). In diesem Satz verhilft mir Rattle auch zu einer Gänsehautstelle, die ich in der Streichersteigerung im Larghetto der Zweiten noch vermisst habe, und zwar in der zweiten Hälfte nach gut 5 Minuten in der Bläsersteigerung, die von den machtvollen Paukenwirbeln in ihrer Wirkung noch verstärkt wird.
    Der dritte Satz nimmt das Tempo und den stampfenden Rhythmus des Kopfsatzes wieder auf, trübt aber nicht allzu lange die im Andante verbreitete positive Stimmung, sondern führt rasch zu dem alles überstrahlenden Finale hin, das Rattle atemberaubend dirigiert. Hier brechen alle Dämme, der Siegeszug ist nicht mehr aufzuhalten, und auch das Tempo ist hier durchaus etwas schneller als Allegro.
    Da Chailly hier auch die Exposition, ebenso wie Rattle, nach knapp 2 Minuten wiederholt, kommen hier beide auf die gleiche Zeit. Karajan und Leibowitz tun dies nicht, weswegen ihre Satzzeiten hier kürzer sind. Trotzdem ist Karajan hier mit einer Gesamtdauer von 8:40 min. der „Langsamste“, aber ausdrucksmäßig m. E. natürlich mit den anderen auf einem Niveau. Dass ich Rattle das Adjektiv „atemberaubend“ für diese Satz zugestand, bedeutet einerseits, dass ich mir nicht sicher war, dass er das Niveau der ersten vier Symphonien halten würde. Ich hatte es wohl erhofft. Die anderen drei Zyklen hatte ich ja schon (zum Teil mehrfach) gehört.
    In einer Art ist diese c-moll-Symphonie schon ein Vorgänger der größten c-moll-Symphonie, nämlich der von Bruckner, in der sich nämlich auch das ganze musikalische Geschehen unbeirrt und auch unerbittlich zum Finale hin orientiert, wenngleich natürlich Bruckners Achte nicht in einem durchweg derart strahlenden Finale endet wie Beethovens Fünfte. Dies holt Beethoven dann ja in seiner Neunten nach.
    Nach dem heute Gehörten möchte ich diese Interpretation, zumindest, was das Finale betrifft, als weitere Steigerung Rattles und der Wiener Philharmoniker, die sich hier wieder als Beethoven-Orchester ersten Ranges und den Berliner Philharmonikern durchaus ebenbürtig erweisen, bezeichnen.
    Hier nochmal die Zahlen der vier verwendeten Aufnahmen (in der Klammer die Dauer der Exposition des Finales:
    Leibowitz: 6:50 - 8:52 - 4:37 - 8:10 (1:56) – 28:29 min.;
    Karajan: 7:22 - 9:21 - 4:49 - 8:40 (2:00) – 30:12 min.;
    Chailly: 6:39 - 8:25 - 4:25 - 10:21 (1:58) – 29:50 min.;
    Rattle: 7:24 - 9:06 - 4:47 - 10:22 (1:57) – 31:39 min.;


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    :!: natürlich kenne ich diese wohl neben der Thielemann-Aufnahme verzichtbarsten Einspielung der Beethoven-Sinfonien mit einem der renommiertesten Orchester. Gerade erst heute, anlässlich dieses Threads, habe ich mir Rattles Einspielung der 5. mit den Wiener Philharmonikern noch einmal bei DUSSMANN in Berlin angehört. Und wieder wurde mir klar, dass diese Box nie Eingang in meine Sammlung finden wird.


    Diese Aufnahme ist so saft- und kraftlos, wie mir nur selten eine Aufnahme dieser Sinfonie unter kam. Und da, wo uns kraftvolles Spielen vorgegaukelt wird, klingt es so, als wenn dem Ganzen vorher die Zähne heraus gebrochen wurde. Der zweite Satz verfasert sich zu einem belanglosen, öde-langweiligem Musizieren. :?: Und was machen die Wiener im Finalsatz ab etwa 9:40? Reinigen sie da ihre Musikinstrumente mit einer Drahtbürste? Unter Durchhörbarkeit verstehe ich etwas anderes! :no:



    :hello: LT

  • Zitat

    Nach dem heute Gehörten möchte ich diese Interpretation, zumindest, was das Finale betrifft, als weitere Steigerung Rattles und der Wiener Philharmoniker, die sich hier wieder als Beethoven-Orchester ersten Ranges und den Berliner Philharmonikern durchaus ebenbürtig erweisen, bezeichnen.


    An letzterem dürfte ja wohl nie der geringste Zweifel bestanden haben - zumindest wenn es um Wiener Klassik geht.
    In Sachen Moderne har man den Wiener Philharmonikern gelegentlich "Schwächen" vorgeworfen - Ich sehe darin aber keine "Schwächen", sondern die Ablehnung der Werke durch einige Mitglieder des Orchesters.


    Die hier gezeigte Aufnahme soll auf eine Initiative des Orchesters zurückzuführen sein. Man wollte probieren inwieweit man eine "zeitgemäße" Einspielung - losgelöst von der Tradition - zustandebrächte, oder besser formuliert, wie sie beim Publikum ankäme. Rattle schien her der geeignete Mann dazu zu sein. Ausserdem war man durch diesen Kunstkniff den Berlinern einen wichtigen Punkt voraus: Man hatte eine Neuaufnahme mit Rattle im Kasten, welche eine solche mit den Berlinern schon apriori auf Jahre hinaus blockierte. Letzeres ist mein persönliche Einschätzung - offizielle Stellungnahmen gibt es dazu nicht - aber die Entwicklung scheint mir recht zu geben: Rattle hat bis heute keinen Beethoven-Sinfonien-Zyklus mit den Berlinern aufgenommen.


    Die Wiener Aufnahme unter Rattle wurde sehr unterschiedlich beurteilt - Teils wurde bemängelt, daß der Klang der Wiener Philharmoniker weniger edel sei als gewohnt - teils wurde sie als ewiggültige Aufnahme des 21. Jahrhunderts gerühmt.
    Ich gestehe, daß ich mich an die Aufnahme und ihre Meriten erst gewöhnen musste - aber sie ist mit Sicherheit besser als ihr (heutiger) Ruf.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Meine Lieblingsaufnahme von Beethoven 5 der letzten Jahre ist die unter Thielemann mit den Wiener Philharmonikern. Nachdem ich auch die Furtwängler-Fünfte gerne höre ist einmal der Stil sehr ähnlich.


    Miteintscheidend für meine Auswahl ist aber sicherlich die Tatsache, dass ich an diesem Tag selbst im Musikvereinssaal war und - wie Alfred es schon angesprochen hat - ein Live-Erlebnis ganz andere Emotionen freisetzt. Die meisten Wiener lieben ja Thielemann sehr und ich weiß auch aus persönlichen Gesprächen mit Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, dass diese mit Thielemann einfach gut "können". Eine Liebe, die auf jeden Fall erwidert wird.


    An diesem Abend wurde vor der Pause die Pastorale gegeben. Nach der Pause waren die Philharmoniker schon bereit, Thielemann betrat vom Seiteneingang her die Bühne, großer Applaus brandete auf - und in den Applaus hinein und noch bevor er endgültig das Dirigentenpult erklommen hatte, erklangen schon die ersten Töne. Ein für mich unvergessliches Erlebnis - schon beim Gedanken daran bekomme ich noch immer eine Gänsehaut. Das sind diese "Sternsekunden", für die es sich lohnt in Konzerte oder Opern zu gehen. Es war im ganzen Saal eine derartige Spannung spürbar - und so etwas ist mir wichtiger als die eine oder andere akademische Diskussion darüber, ob nun einige Stellen langsamer oder zu schnell genommen werden. Thielemann hat schon einige Male in Interviews gesagt, dass er mit den Wiener Philharmoniker ganz spontan, während einer Aufführung, Tempowechsel vornimmt, die nicht geprobt sind. Die Musiker sind einfach so flexibel, dass sie auf die Wünsche des Maestros eingehen können.


    Bevor ich noch zu sehr ins Schwärmen komme, höre ich lieber auf ;-)

    Hear Me Roar!

  • Die Thielemann Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern wurde - hat jemand was anderes erwartet ? - wiederum zum Zankapfel unter den Musikfreunden. Jene, die den immer sportiver werdenenden Zugang als Durchbruch feierten waren frustriert, daß jemand es wagen konnte, dort fortzusetzen (nicht zu kopieren) wo Furtwängler aufgehört hatte. Man hatte das schon längst ad acta gelegt. Dabei ist die Ähnlichkeit eher eine flüchtige - aber natürlich ist sie da. Jene, die den Interpretationen dieser Zeit nachtrauerten waren natürlich hochbeglückt. Eine "klassisch-deutsche" Aufnahme - noch dazu mit einem der besten Orchester der Welt - das seine Identität voll bewahrt hat und nicht in Richtung "internationaler Einheitsklang" abgedriftet ist.



    Das Experiment mit Rattle - es war sicherlich interessant - scheint überwunden. Die Wiener Philharmoniker haben wieder zu sich selbst gefunden - zu ihrer eigentlichen Mentalität - fern von Selbstzweifeln und Hinhören auf Einflüsterer.
    Was verbindet die eigenwilligen Wiener Philharmoniker eigenlich mit dem Berliner Christian Thielemann ? die erste Gemeinsamkeit wurde ja schon in der Fragestellung indirekt beantwortet. Beide sind eigenwillig. Eigenwillige Leute kommen oft mit anderen eigenwilligen Leuten sehr gut zurecht - nur mit Durchschnittsmenschen kommen sie in Konflikt. Die zweite Gemeinsamkeit ist: Perfektionismus. Perfektionismus war ist auch - bei aller Verschiedenheit - der gemeinsame Nenner von Karajan, Böhm und Thielemann. Perfektionisten sind bei der Umwelt selten beliebt, da unbequem - aber die Ergebnisse ihres Perfektionismus indes schon......
    Ich möchte das Wort "Referenzaufnahme" nicht über Gebühr strapazieren - eine der besten Aufnahmen der 5. Beethoven seit 1990 ist jene unter Thieleman mit Sicherheit....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Alfred Schmidt: Das Experiment mit Rattle - es war sicherlich interessant - scheint überwunden.


    Ich sehe es nicht als Experiment an, lieber Alfred. Ich habe den ganzen Zyklus bespochen, und ich fand ihn großartig. Ich war mit weniger Erwartungen herangegangen und wurde mit jeder Aufnahme positiv überrascht. Und das heißt für mich, dass die Wiener auch bei diesem Projekt mit Rattle ganz bei sich selbst waren, und Rattle desgleichen, dass sich beide im Laufe des Projekts gegenseitig befruchtet haben.
    Das ist ja, wenn ich das richtig sehe, die große Stärke der Wiener Philharmoniker, dass sie im Laufe ihrer ganzen Geschichte nie einen festen, oftmals über Jahrzehnte tätigen Chefdirigenten hatten, dass sie sich ständig auf neue Orchesterleiter einstellen mussten, die sie gleichwohl, je nach Gusto mehr oder weniger oft eingeladen haben. Und wenn wir bei Rattle bleiben, so haben sie ja mit ihm nicht nur die Symphonien gemacht, sondern auch, zusammen mit Alfred Brendel, eine großartige Einspielung der Beethoven-Konzerte.
    Nein, ich sehe beide Projekte als jeweils einen der zahlreichen Höhepunkte der Aufnahmegeschichte der Wiener Philharmoniker an.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich möchte mich nochmals hier zu Wort melden mit einer Aufnahme, die zwar schon eit einigen Monaten in meinem Regal steht, die ich aber bisher nicht gehört hatte. Es ist dies diejenige Aufnahme der Fünften Beethoven, die mich in meinem ganzen bisherigen Leben beim Anhören am meisten erschüttert hat und die ich demzufolge als meine abbsolute persönliche Referenz hier postulieren möchte.
    Leider, lieber Liebestraum, ist sie wieder aus dem Lager der konventionellen Orchester, und zu alledem ist sie auch wieder in Berlin entstanden. Aber du müsstest auch diese Aufnahme kennen, und wenn du ehrilch bist, ist Krivine nur ein Schatten davon:


    Günter Wand nahm dieses Konzert Allerheiligen 1994 auf, also vor kanapp 20 Jahren, und alles, was ich bisher an Aufnhamen beispielsweise von Bruckner-Sinfonien gehört habe, Schubert ist mir auch noch gegenwärtig, zeichnete sich dadurch aus, dass Wand nicht nur, wie er einmal zu seinem Biografen Wolgang Seifert sagte, offen legen wollte, was hinter den Noten steht, sondern dass er die vor allem dynamische und temporale Faktur mehr als die meisten anderen, die ich nicht nur bei Bruckner, sondern auch speziell in dieser Aufnahme in der Fünften Beethoven gehört habe, mit aller ihm und dem Orchester gebotenen Vehemenz auf die Spitze treibt. In der Tat habe ich es auch bei Karajan und Leibowitz nicht gehört, dass sich die dynamischen Spitzen so reiben wie bei Günter Wand.
    Und im "jugendlichen Alter" von knapp 84 Jahren diirigiert er eine Fünfte Beethoven, die unter meinen mittlerweile über 40 Einspielungen ihresgleichen sucht. Diese Fünfte weist direkt auf Bruckner hinaus. Ich werde sie demnächst noch genauer besprechen.
    Jedenfalls hat sich nach dem heutigen Hörerlebnis wiedereinmal die Erkenntnis eingestellt, dass es nicht wichtig ist, wie viele Musiker eine Sinfonie spielen und wie alt ihre Instrumente sind. Wichtig ist einzig und allein, wie gut sie spielen:

    Zitat

    Wolfgang Amadeus Mozart: Es ggibt keine gute oder schlechte Musik, es gibt nur gute oder schlechte Musiker.


    Meine Referenz nach 1990: siehe oben!


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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