Liebe Freunde,
pünktlich zum Strauss-Jubiläum will ich versuchen, mich diesem einen kleinen Liederzyklus aus Straussens Feder anzunähern. Da harts Strauss-Lieder-Thread und der bereits existierende über dieses Werk stark an der Interpretation interessiert sind, möge man mir einen weiteren, eher monographisch orientierten Diskussionsraum verzeihen.
Ich gestehe, daß mein eigentliches Interesse dabei auf das letzte Stück, die Eichendorff-Vertonung "Im Abendrot" zielt, die gewiß einer der Höhepunkte nicht nur in Strauss´ Liedschaffen, sondern der Liedkunst überhaupt ist.
Damit verglichen, schneiden die übrigen drei Vertonungen von Gedichten Hermann Hesses weniger günstig ab. "September" etwa könnte man eigentlich auch ganz weglassen, so banal ist dieser Text. Tatsächlich zeichnen sich die drei Hesse-Lieder durch eine Tendenz zur Koloratur, zur melismatisch ausgeweiteten Gesangslinie aus, die dem Wortsinn nicht immer zugute kommt und dank weitschweifiger Chromatik auch nicht immer leicht sauber zu singen ist.
"Frühling" überstimmt gleich zu Beginn den feinen Unterschied zwischen erträumter und erlebter Natur, indem zu den "blauen Lüften" bereits ein sehr realistischer Frühlingswindstoß durch die Partitur weht und die Gesangsstimme gleichsam davonträgt. Ich gestehe, daß ich immer erleichtert bin, wenn die Sängerin die "selige Gegenwart" endlich ganz herausgebracht hat.
"Beim Schlafengehn" dürfte das beliebteste der drei Hesse-Stücke sein. Ein später, sentimentaler Reflex frühromantischer Traumpoetik, wo Schlaf und Entgrenzung zusammen gedacht und von Strauss einer ins Unendliche sich verzweigenden Kantilene anvertraut werden. Sehr tiefsinnig ist auch das nicht, und eine atmosphärische Nähe zum Kitsch überträgt sich aus dem Text auf die Musik.
Ich übertreibe das stark, denn man muß ja ein Unmensch sein, wenn man "Beim Schlafengehn" nicht mit Rührung hört. Und dennoch - wenn es bloß diese drei Lieder wären, der Zyklus hinterließe keinen allzu bedeutenden Eindruck. Daran ändern auch die thematisch-poetischen Binnenbezüge der Hesse-Gedichte nichts. Denn es merkt ja jeder Esel, daß das Einschlafen und die Todesnähe auch im verregneten Septembergarten vorkommen, und daß auch "Frühling" gleichsam schmetterlingshaft von Traum und Erwachen zur Wirklichkeit spricht.
Ferner läßt sich auch nicht sagen, daß diese hier angedeuten Bezüge erst durch die Hinzufügung des Eichendorffschen "Im Abendrot" zum Tragen kämen. Wahr ist vielmehr, daß die Motive von Lebensherbst und Müdigkeit, von Ruhewunsch im Abglanz des Naturschönen bloß im Horizont dieses Gedichts überhaupt Tiefe besitzen. Entsprechend verfährt auch der Komponist, wenn er der Hesse-Gruppe, unter Gefährdung der musikalischen Geschlossenheit, einen Solitär entgegenstellt, mit dem verglichen die vorausliegenden Stücke kaum mehr als anmutige Tändeleien sind (ich übertreibe das, s.o.)
Davon also soll, soweit es mich betrifft, dieser thread handeln.