Franz Xaver Richter op. 5 - die Geburtsstunde des Streichquartetts?

  • Die Entstehung der verschiedenen uns heute so vertrauten Musikgattungen im 18. Jahrhundert ist Forschungsgebiet vieler Musikwissenschaftler. Durch die dünne Datenlage ist es oft schwierig, genau zu sagen, der hat das und das "erfunden". Das gilt auch für die Königsgattung Sreichquartett. Und in die Diskussion ist spätestens mit der ersten GA der 7 Streichquartette op. 5 von Franz Xaver Richter durch das Schweizer casalQuartett (cQ) auch wieder Bewegung gekommen. 1757 prangt dick auf dem Cover gemeinsam mit der fetten Überschrift GENESIS. Würde die Zahl stimmen, hätte Haydn gerade sein Streichquartett op 1.1 komponiert. Und ohne Frage, diese 7 Kompositionen sind für jeden hörbar erheblich "fortgeschrittenere" Streichquartett-Kompositionen als die frühen von Haydn und wohl auch Boccherini (die ich nicht kenne).


    Aber stimmt die Zahl? Veröffentlich wurden die Werke wesentlich später. Diese Frage wird wohl noch einige Forscher beschäftigen, sie geht zurück auf eine - allerdings recht glaubwürdige - Anekdote, die Dittersdorf 1801 auf dem Sterbebett beschrieben hat. Also 44 Jahre später. Aber in dem Jahr 1757 hätte er - wenn er nicht besagte neue Quartette von Richter gespielt hätte - eine Postkutsche genommen, die daraufhin tödlich verunglückte. So etwas vergißt man nicht so schnell.


    Wie dem auch sei, diese Quartette sind auf jeden Fall spätestens jetzt (es gab schon einige frühere aber nicht komplette Einspielungen) für alle zu hören und zu bestaunen. Der Tonfall dieser Musik ist durchaus noch vom Barock und der Triosonate geprägt, aber die Unabhängigkeit, mit der hier die vier Stimmen geführt werden, ist wirklich zukunftsweisend. Da übernimmt die Bratsche die von der Violine vorgestellte Melodie und führt sie refrainmäßig auch noch einmal durch, die 2. Violine stimmt ein und spielt eine zweite veränderte Melodie und auch das Cello löst sich verschiedentlich aus der Generalbassfunktion und trägt eigene Dinge bei. Dazu sind die 7 Quartette alles andere als schematisch durchgeführt, es gibt sechs dreisätzige und ein viersätziges Werk. Quartette beginnen mit einem Allegro oder einem Larghettosatz, drei enden mit recht kurzen Menuetten, andere mit einem Vivace Kehraus. Und alle sind sehr hörenswert.

    Das cQ spielt auch in dieser dritten Einspielung ihrer Birth of the String Quartet Reihe auf Instrumenten von Jacob Stainer, deren Beherrschung den vier Musikern wohl einige Lebenszeit gekostet hat. Der Klang dieser Originalinstrumente ist dunkler und satter als der der italienischen und passt m.E. sehr gut zu dieser Musik.


    Warum hat Richter nur diese 7 Werke verfasst, obwohl er ja noch bis 1789 gelebt hat und miterleben durfte, wie erfolgreich Haydn und andere damit waren. Oder deutet die Tatsache, dass es statt 6 Quartetten 7 sind daraufhin, dass es noch mindestens eine zweite Serie gab, von den 5 verschollen sind? Spannende Fragen.

  • Die letzte Frage werde ich wohl nicht beantworten können. Aber vielleicht findet die Musikwissenschaft in den nächsten Jahren noch etwas, tauchen doch immer wieder verschollen geglaubte Werke auf - bzw sogar welche von deren Existenz man nichts wusste, etc...
    Zu den Streichquartetten von Franz Xaver Richter kann ich lediglich beitragen, daß es - immerhin von den ersten 3 Quartetten eine weitere Aufnahme gibt. Ich hatte an anderer Stelle schon mal geschrieben, daß ich dieser Aufnahme gegenüber der neueren den Vorzug gebe. Das möchte ich in dieser Eindeutigkeit heute nicht mehr behaupte. Jede dieser beiden Aufnahmen hat ihre Vorzüge - gut dass es beide gibt.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich hatte Franz Xaver Richters Streichquartette schon vor 25 Jahren durchs Musizieren kennen gelernt. Notenmaterial gibt es also schon länger, nur ließen Aufnahmen lange auf sich warten. Es gab allerdings schon in den 1980er Jahren eine, die ich damals im Radio gehört hatte, an deren Interpreten ich mich aber leider nicht erinnern kann.


    Interessanterweise sind die Quartette eindeutig noch im Ton älterer Vorbilder geschrieben. Sie stehen eigentlich auf der Schwelle zur frühen Klassik, sind melodisch noch eher an barocken Linien orientiert, harmonisch aber weg vom Generalbass. An wenigen Beispielen kann man den Paradigmenwechsel zwischen den musikalischen Zeiten so gut hören wie hier.


    Die Aufnahme des Rincontro-Quartetts ist vorzüglich, weil sie sehr angemessen phrasieren. Casal kenne ich leider nicht - wird bei Gelegenheit nachgeholt.

  • An kein einzelnes. Allein das erste Thema des C-Dur-Quartetts mutet "barock" an. Sing es mal nach, und Du wirst merken, dass es kein Haydn-Quartett ist, auch kein frühes. Das finde ich gerade so aufregend: Ich höre sie nämlich auch wie Du als klassische Quartette, aber eben mit dieser sequenzierenden, deutlich an barocke Traditionen gelehnten Melodik.
    War das jetzt deutlicher?

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  • Ja, sehr schön ... ich hatte mal eine besondere Vorliebe für die Vorklassik, das innerlich erste Stimme sich vorsingen hat mich jetzt ans Violinduospiel erinnert. Aber jetzt komme ich vom Thema ab.

  • Ich habe heute wieder die in Beitrag Nr 2 erstmals gezeigte CD mit 3 Werken aus op 5 gehört, wobei der Unterschied zu den kurz zuvor gehörten Streichquartetten Sperger eklatant war. Sperger ist wesentlich "lieblicher" im Gesamteindruch. Nun möchte ich Schusters Quartette nicht als eigentlich "sperrig" oder "spröde" bezeichnen - sie haben durchaus ihre eingängigen Stellen, ber - ich habe lange nach dem passenden Wort gesucht - als "herb" würde ich sie - alles in allem gesehen - doch bezeichnen. Schon Charles Burney hielt in seinen Aufzeichnungen die zwiespältigen Eindrücke - bei aller Wertschätzung Schusters - fest.Ich fand das Streichquartet Nr 3 als das interessanteste, originellste.

    Leider hat Schuster ja insgesamt nur 6 Streichquartette geschrieben, und zwar1757. Erst 1772 kamen sie dann erneut mit der Opuszahl 5 heraus,wobei eines der Quartette durch ein anderes ersetzt worden war. Ich weiß weder, welches Quartett das war, noch ob das "verworfene" noch in irgendeiner Abschrift erhalten ist.

    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !