Franz Berwald - Die Kammermusik

  • Lieber Freunde der Kammermusik


    Da es offensichtlich Interesse an der Kammermusik Berwalds gibt - und er auch eine ausreichende an Werken in diesem Bereich geschrieben hat - die noch dazu - soweit ich in der Eile an Hand von Soundsamples feststellen konnte - äusserst hörenswert sind, eröffne ich diesen Spezialthread als Parallelthread zu jenem über Sinfonien, Orchesterwerke und Konzerte...


    Berwald, Franz: Sinfonien und Orchesterwerke - „bedeutendste Musikerpersönlichkeit“ oder Sonderling?


    ES mag zwar eine Weile dauern bis dieser Thread Beiträge bekommt - aber ich bin sicher daß es sich lohnt ihn zu eröffnen - Gegen Jahresende wissen wir mehr....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gerade wollte ich einen neuen Thread gründen, da finde ich diesen hier. Es hat, wie von Alfred vermutet, "eine Weile" gedauert.


    Berwalds Kammermusik scheint in ihrer Qualität einigermaßen anerkannt, aber nicht allzu beliebt zu sein. Aufführungen dürften marginal sein, immerhin sind die Werke auf Tonträgern erschlossen. Angeblich (ich kann es nicht überprüfen), werden die Werke in Schweden häufiger aufgeführt. Berwald hat nahezu alle gängigen Gattungen (außer Streichquintett und Sextett) bedient, jeweils mit wenigen Werken, wie in der Romantik üblich. Die Entstehungszeit dieser Werke deckt den Zeitraum 1816 bis 1860 ab, allerdings in kürzeren Hauptschaffensphasen. So lassen sich als Schwerpunktphasen von Berwalds kammermusikalischem Schaffen einerseits Frühwerke um 1816-1819 ausmachen, andererseits Werke in der Nähe seines sinfonischen Schaffens nach 1845 und einige wenige spätere Nachzügler. Einzige Ausnahme ist das relativ bekannte Septett von 1828.


    Es liegen vor:

    je 1 Violin- und Cellosonate (Duos genannt)

    1 Duo für zwei Violinen

    5 Klaviertrios (+2 Fragmente)

    3 Streichquartette

    1 Klavierquartett (mit Bläsern)

    2 Klavierquintette

    1 Septett + 1 Serenade (für Septett)

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Die Klaviertrios (eine von mir besonders geschätzte Kammermusik-Gattung) habe ich als erstes kennengelernt. Alle vier sind sie interessante Werke, deren Hörfreundlichkeit in der Mitte liegen dürfte: Nicht so sperrig wie manch anderes Werk Berwalds, aber auch nicht unmittelbar ins Ohr gehend. Letzteres ist Berwald aber eigentlich so gut wie nie. Insgesamt würde ich diese Werke als beachtliche romantische Kammermusik bezeichnen, ohne dass sie es mit Schubert, Schumann oder Brahms aufnehmen könnte.


    Mit einer eindringlichen Largo-Einleitung beginnt das 1. Klaviertrio, bevor ein tänzerisches Thema den elanvollen Hauptsatz prägt. Diese Musik hat Brio. Bemerkenswert finde ich das mit einem expressiv verzierten Klaviersolo eingeleitete Seitenthema. Wieder so ein Moment, wo Berwald moderner klingt, als er seiner Zeit nach ist. Dieser Satz gehört IMO zu den größten Entdeckungen in Berwalds Kammermusik. Der langsame Mittelsatz mit seiner fast naiven Thematik, die harmonisch alles andere als naiv variiert wird, zündet dennoch nur schwerlich. Andererseits hat er seine Momente in entrückten Momenten. Ich habe oftmals - nicht nur hier - das Gefühl, dass Berwalds langsame Sätze besonders un-eingängig, aber auch besonders gut komponiert sind. Das virtuose Finale hingegen ist phasenweise mitreißend und sehr klavierlastig geschrieben. Insgesamt kommt man nicht umhin zu bemerken, dass dieses Klaviertrio dringend mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Das 2. Klaviertrio steht in f-Moll und zeichnet sich im Kopfsatz durch den hübschen Gegensatz von innerer Unruhe und einem gesanglichen Seitenthema aus. Das Larghetto ist nicht so ganz meine Sache, es ist phasenweise seltsam statisch, baut Spannung auf ohne sie richtig einzulösen. Das Finale ist als Doppelsatz mit dem Scherzo verwoben. Hier gefällt mir, wie die hüpfenden und unwirschen Elemente des Scherzos zunehmend in einen elgant tänzerischen Duktus gezogen werden.


    PS: An die Moderation: Diese Thread sollte mMn in den Bereich Kammermusik der Klassik/Romantik verschoben werden, wo sich viele vergleichbare Threads finden.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Das 3. Klaviertrio steht in d-Moll und ist knapp das längste der fast gleichlangen bzw. eher gleichkurzen (jeweils um 20 Minuten) Werke.

    Der Kopfsatz ist kontrapunktisch durchwirkt und auch in der Entwicklung der Themen wirklich gut komponiert. Das attaca anschließende Adagio beginnt mit einer Beethoven gemahnten feierlichem Gesang im Klavier. Doch besonders die Begleitstimmen des Klaviers verlassen diese Sphäre schnell; die Musik klingt expressiv und unruhig, voller Septolen. Ein herrlicher Kontrast zur nun in den Streichern auftauchenden Kantilene. Musik die auch zur Entstehungszeit 1851 als eher fortschrittlich gelten darf. Wieder attaca schließt das Finale an, das mich ganz kurz an Schumann erinnert. Aber auch hier ist die Harmonik forsch und modern. Im Finale tritt nun auch die übliche Virtuosität in den Vordergrund.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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  • Franz Berwald: Streichquartett Nr 1 in g-moll


    Eigentlich mehr als Pflichtübung habe ich heute meine Sammlung nach Kammermusik von Franz Berwald durchsucht. Irgendwie hatte ich immer eine Abneigung gegen nordische Musik. Überraschenderweise habe ich dann sogar - wenigstens eine - CD gefunden. Alle drei Streichquartette auf einer CD - mit dem Yggdrasil Quartett (1996) Die Aufnahme gibt es noch - das Yggdrasil Quartett inzischen nicht mehr...


    Beginnen wir also mit der Nr 1- Berwald schrieb es 1818 - im Alter von 22 Jahren

    Aus dieser Zeit gab es ein zweites Quartett, das aber verschollen ist. Beide Quartette wurden 1819 von Verleger Peters abgelehnt.

    Vermutlich waren sie zu kühn, bzw. modern (?) Oder Berwald war damals noch zu unbekannt.


    Schon nach wenigen Takten horchte ich auf. Die Bezeichnung "interessant" oder "bemerkenswert" passt am ehestensten

    Der Kontrast zwischen den flirrenden, teilweise angriffslustigen Stellen und melancholisch verträumten Passagen (die aber eigenartigerweise nie wirklich "lieblich" oder dar "süßlich" sind..(?)

    Die Musikhistoriker können sich nicht einigen ob Berwald je regulären Kompositionsunterricht hatte. Einerseit gibt es dafür keinen einzigen Beleg - andresrseits können sich viee nicht vorstellen, daß ein 22 jähriger Autodidakt ein derart eindrucksvolles Quarttet hat schreiben können.

    Dieses Quartett Nr 1 war über einen langen Zeitraum nur in den Ecksätzen überliefert, die beiden Mittensätze galten als verschollen und wurden erst 1942 wieder entdeckt.

    Ich gestehe offen - Für mich war das Werk eine veritable Entdeckung

    Auf mich warten noch die Quartette Nr 2 und 3, die 30 Jahre säter - fast zeitgleich - entstanden....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Schon nach wenigen Takten horchte ich auf. Die Bezeichnung "interessant" oder "bemerkenswert" passt am ehestensten

    Der Kontrast zwischen den flirrenden, teilweise angriffslustigen Stellen und melancholisch verträumten Passagen (die aber eigenartigerweise nie wirklich "lieblich" oder dar "süßlich" sind..(?)

    Den Eindruck teile ich.

    Und gerade in der 'Technik-Gattung' Streichquartett scheint eine solche Leistung ohne Unterricht zumindest unwahrscheinlich.


    Zum 2. Streichquartett in g-Moll behauptet Wikipedia - wo es einen eigenen Artikel für dieses Werk gibt (!) - dass Berwalds Quartette in Schweden häufig aufgeführt werden. Leider ohne Beleg. Zu Unrecht wäre es indes nicht. Dieses g-Moll-Quartett wirkt konzentriert in der Anlage und streng im Ton. Wie in vielen Kammermusikwerken Berwald fällt der kühne Schluss des Kopfsatzes auf, der quasi eher ein offenes Ende darstellt und zum langsamen Satz überleitet. So verfährt Berwald auch zwischen den weiteren Sätzen, so dass dieses Quartett quasi als durchkomponiert bezeichnet werden könnte. Der Ritardando-Schluss des Scherzo ist da noch am eindeutigsten. Das Finale beginnt im sperrigen Ton der Berwaldschen Sinfonik. Insgesamt ein hochinteressantes und fortschrittliches Werk!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Auch die beiden Klavierquintette bereichern die Gattung ungemein. Beide entstehen um 1853.

    Am 1. Klavierquintett in c-Moll fällt sofort der virtuose Klaviersatz im Hauptsatz auf. Wieder sehr reizvoll ist der lyrische Seitengedanke. Harmonisch übrigens erneut äußerst fortschrittlich. Hier liegt ein ziemlich expressiver Kopfsatz vor, der phasenweise an ein Klavierkonzert erinnert. Wieder der unmittelbare Übergang zum liedhaften Adagio. Die Verarbeitung würde ich erneut als expressiv bezeichnen, teilweise ist die Musik regelrecht ergreifend. Aus diesem Adagio entwickelt sich organisch das erneut virtuose Finale. Gegen Ende hin sogar teilweise mitreißend. Der Satzschluss (hier schwerlich als Coda zu bezeichnen) ist zudem innovativ: Nach einer Generalpause bilden liegende (2. Violine & Viola) und bordunartige (Cello) Töne die Grundlage für von Pizzicati (1. Violine) begleiteten Schlussläufe des Klaviers. Eine geradezu irre Klangmischung!

    Was für eine Bereicherung für das etablierte Repertoire!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Heute habe ich - planmäßig - das zweite Streichquartett gehört, das erst ca 30 Jahre nach dem ersten entstand.

    Es ist noch zerklüfteter als sein erstes (ein weiteres folgte bereits 9 Tage später), besteht aus 4 Sätzen, die allerdings nahtlos ineineadner übergehen.


    Wie schon die ersten beiden Streichquartette -von eines verschollen ist (Berwald hat es eventuell - wie andere seiner Werke auch - selbst vernichtet) fanden sich auch für das hier vorgestellte und seinen Nachfolger kein Verleger. Das Quartette wurde erst 1870 - also nach Berwalds Tod uraufgeführt.

    Wenn von Erfolg in seinem Heimatland die Rede ist, dann bezieht sich das mit Sicherheit auf die Gegenwart, wo er heute als "bedeutendster Komponist Schwedens" gesehen wird. Zu Lebzeiten galten seine Werke - in einer konservativen Umgebung - dort als zu "bizarr". Im Ausland hatte er mehr Erfolg - insbesondere in Wien und Salzburg . Aber es reichte indes nicht zu überragenden finanziellen Erfolgen. Immerhin wurde ihm die Ehrenmitgliegschaft des Mozarteums Salzburg zuteil, worüber er sich sehr gefreut hat. In einem der von mir gelesenen Artikel wurde übrigens drauf hingewiesen, daß Franz Liszt zu seinen Bewunderern zählte.....

    Warum ist er zu Lebzeiten nicht absolut berühmt geworden ? Zum einen vielleicht, weil in anderen Sparten tätig - und erfolgreich - war- unter anderem mit seinem örthopädischen Institut. Er war eigentlich nach Wien gekommen um hier eine Filiale zu eröffnen - überlegte es sich aber anders und begann wieder verstärkt zu komponieren.

    Berwalds eigenwilligee - aber stets tonale - Musiksprache mochten zu Lebzeiten als zu modern gegolten haben - sie sollten aber IMO heutzutage die derzeitigen Hörer gradezu begeistern...


    Aber ein altes Sprichwort sagt:

    "Was der Bauer net kennt, dös frisst er net"

    Und auf die Klassikhörer trift das auch meist zu.....:untertauch::hahahaha:


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Am 2. Klavierquintett gefällt mir im Kopfsatz besonders das dynamische an- und abschwellen der Klangfülle und Lautstärke, da entwickelt sich teilweise ein richtiger Sog. Immer wieder entwickelt sich zudem großflächig dahinströmender Gesang a la Brahms, ohne auch nur ein bisschen nach Brahms zu klingen. Berwalds Markenzeichen der durchkomponierten Werke mit attaca-Übergängen findet sich hier in eigenartiger Form: Der Satz endet mit feierlichen Akkorden, allerdings auf der Dominante (E-Dur) und auf eine Generalpause hin komponiert. Das anschließende Scherzo entwickelt im mal virtuosen, mal naiven Wechselspiel zwischen Klavier und Streichern. Ein von Vorhalten geprägter Gesang bestimmt das Andante, welches auf mich ein wenig zerfasert wirkt und nicht zu den spektakulärsten Kammermusiksätzen Berwalds zählt. Das Finale gefällt mir hingegen mit seinem virtuosen und freudigen Wettlauf. Der Klaviersatz ist teilweise harmonisch sehr forsch, was kaum noch überrascht, wenn man Berwalds Werk kennt.

    Insgesamt ziehe ich diesem Werk das 1. Klavierquintett vor, aber beide lohnen sich in der gut aufgestellten Kammermusik- bzw. einfach Klassiksammlung.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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