25. Todestag von Herbert von Karajan


  • Herbert von Karajan
    * 5. April 1908 in Salzburg; † 16. Juli 1989 in Anif, Salzburg


    Heute vor exakt einem Vierteljahrhundert starb einer der wichtigsten und wirkungsmächtigsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts (fünf Tage nach Laurence Olivier, für den ähnliches für die Zunft der Schauspieler gesagt werden kann). Für viele unter uns wird er der erste Kontakt zur klassischen Musik gewesen sein. Wie sieht es 25 Jahre nach seinem Tode aus? Ist er noch immer die erste Anlaufstelle für Klassiklaien? Wie ist seine Bedeutung überhaupt einzuordnen? Ist er letztlich eher überschätzt? Wird er dagegen vielmehr verkannt als Perfektionist, dessen Aufnahmen Kritikern oft als aalglatt und "künstlich" gelten? Was sind seine Verdienste für die Klassik? Welche seiner Aufnahmen werden alle Zeiten überdauern, über welche sollte man gnädig den Schleier des Vergessens legen? War er live besser und natürlicher als im Studio? An alle Zeitzeugen: Wie habt ihr damals seinen Tod unmittelbar wahrgenommen? Endete da für euch eine Ära oder war es nur der Schlusspunkt in einem zumindest optisch eindeutig sichtbaren Niedergang seit einem Jahrzehnt?


    Diese und viele weitere Fragen könnte man anhand dieses neuen Threads zu beantworten versuchen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,


    wenn wir nur die Dirigenten berücksichtigen, deren Wirken wir entweder aus Schallplattenaufnahmen beurteilen können oder die wir z.T. noch persönlich im Konzert erleben durften, so ist Karajan m.E. der Letzte aus der Riege der "Allergrößten", die nach meiner persönlichen Meinung lediglich Toscanini, Kleiber, Busch, Walter, Klemperer, Böhm und eben Karajan umfasst, ohne die Verdienste und die Bedeutung vieler anderer großer Dirigenten der "Schallplattenära", die jetzt nicht erwähnt wurden, schmälern zu wollen.
    Seit Karajans Tod hat nach meiner Ansicht kein anderer -jüngerer- Dirigent mehr sein künstlerisches Niveau erreicht.
    Mir ist klar, daß dieses Diktum viel Widerspruch erregen wird; es ist lediglich meine persönliche, auf der Basis einer ziemlich großen Schallplatten- und CD/SACD-Sammlung und vieler Konzertbesuche beruhende Meinung.
    Dennoch freue ich mich auf eine rege Beteiligung in diesem Thread, denn die Erwähnung von Karajan ist, wie ich hier im Forum schon mehrfach feststellen konnte, die Gewähr für einen robusten Meinungsaustausch.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • so ist Karajan m.E. der Letzte aus der Riege der "Allergrößten", die nach meiner persönlichen Meinung lediglich Toscanini, Kleiber, Busch, Walter, Klemperer, Böhm und eben Karajan umfasst

    Eine solche Liste wird natürlich IMMER Widerspruch hervorrufen, vor allem wenn der Name Furtwängler fehlt. :D

  • Hallo,


    ich müsste lügen, lieber Lutgra, wenn ich behaupten wollte, daß dies ein Versehen war. Aber Furtwängler findet sich natürlich unter den "anderen großen Dirigenten der Schallplattenära", die ich oben erwähnt habe, wieder!


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Lieber Josef,


    auch für mich war Herbert von Karajan ein auslösender Faktor, mich mehr mit klassischer Musik zu beschäftigen. Noch bevor ich die ersten Platten von ihm kaufte, saß ich in einem Konzert mit ihm und den Berliner Philharmonikern.
    Das Programm war damals: Richard Strauss: Ouvertüre "Don Juan", Brahms: Violinkonzert, Brahms: Zweite Sinfonie.
    Solist war Henryk Szeryng, Zuschauer ca. 4000, Ort: Halle Münsterland. Kurz darauf ließ ich mich in eine Subskription der Neun Symphonien Beethovens einschreiben.
    Ich weiß nicht, ob er heute noch Anlaufstelle für Klassiklaien ist. Das sind m. E. eher Künstler, die im Crossover-Bereich anzutreffen sind wie Vanessa Mae und David Garrett.
    Herbert von Karajan war einer der ernsthaftesten Dirigenten, die ich je kennengelernt habe.
    Da Kritiker in aller Regel nicht unter ihm musiziert haben, haben sie naturgemäß oft eine andere Meinung von ihm gehabt als seine Musiker, die ihn u. a. als äußerst fleißigen Dirigenten beschrieben haben, der viel geprobt hat. Er war sicher ein Perfektionist im positiven Sinne, wie es Günter Wand auch war.
    Wer wie ich seine Fünfte Beethoven auf DVD (Februar 1972) mal gehört und gesehen hat, kann einen, wie ich finde, sehr wichtigen Aspekt seiner Bedeutung ermessen, nämlich seine Aufnahmen auch bildlich festzuhalten. Dadurch konnten vor allem interessierte Laien tiefer in die Struktur der Musik eindringen, indem die jeweils im Vordergrund spielenden Instrumentengruppen auch sogleich im Bild gezeigt wurden. Außerdem wird gerade auch in dieser Aufnahme deutlich, dass seine Aufnahmen alles andere als "aalglatt" und "künstlich" waren.
    Natürlich hat er es dabei übertrieben, sich selbst ins Bild zu setzen. Aber diese Aufnahmeart hat immer mehr Nachfolger gefunden, und die Bildregisseure haben dieses Verfahren optimiert. Ich habe heute neben Karajans früherer DVD-GA auch die von Järvi, Abbado, Gielen und Jansons auf DVD, und als Nächst werde ich mir die Bernsteins anschaffen. Vielleicht wird sie ja nächstes Jahr, zu dessen 25. Todestag, separat erscheinen und nicht mit Konzerten, Missa Solemnis und Fidelio zusammen, die ich alle schon separat auf DVD habe.
    Eines seiner Verdienste für die Klassik ist sicher auch die Verbreitung derselben, sei es durch Schallplatten, später als Befürworter der CD's und wie oben erwähnt der Bild/Ton-aufzeichnung, der Gründung zusätzlicher Festspiele (Salzburger Osterfestspiele) oder Fernsehformate (Silvesterkonzert). Auch das hat längst Nachahmer gefunden.
    Sicherlich war er durch sein weltweites Wirken auch ein guter Botschafter für Deutschland und Österreich.
    Seine Aufnahmen der Beethoven-Sinfonien, zumindest die 60er Jahre CD's und die Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre entstandene DVD-GA, sein Brahms-Requiem (DVD), sein Verdi-Requiem (DVD), sein Ring, seine späten Bruckner- und Mahler-Aufnahmen, um nur einige zu nennen, werden die Zeiten wohl überdauern.
    Ich war damals durch seinen Tod sehr getroffen, ebenso wie ich durch den Tod seines Nachfolgers Abbado sehr getroffen war, und jedenfalls endete für mich damals eine Ära. Ich habe seine letzten zehn Jahre nicht als einen Niedergang empfunden, zumal ich die letzten 7 Jahre seines Lebens schon unter dem gleichen Leiden litt (Bandscheiben-Leiden). Er gehörte zu einer Reihe von großen Dirigenten, die trotz dieser schlimmen Erkrankung oder anderer schlimmer Erkrankungen dirigiert haben, si es nicht mehr ging (u. a. Klemperer und Wand) und trotz der Erkrankung noch große Konzerte dirigiert und große Aufnahmen gemacht haben.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Herbert von Karajan ist in gewisser Weise DER Dirigent des 20. Jahrhunderts - sowie Caruso DER Tenor des 20. Jahrhunderts war - oder zumindest als solcher gesehen wird.
    Karajan ist vermutlich der Dirigent, der dem Passanten auf der Straße zuerst einfallen wird, wenn er spontan nach einem berühmten Dirigenten gefragt wird. Karajan ist eine Marke, die in letzter Konsequenz aber zu einem Wahrzeichen wurde, wie einst "Grammophon" - denn auch Grammophon war ursprünglich lediglich eine Markenbezeichnung. Insofern hatte sein Feind Cergiu Celibidache recht, wenn er Karajan mit Coca Cola verglich.
    Aber nun sind wir bereits eine geraume Anzahl von Jahren im 21. Jahrhundert - Karajans Ableben jährt sich zum 25. Mal - und er ist immer noch präsent - fast bin ich geneigt zu sagen allgegenwärtig.
    Natürlich muß man Karajan als Kind seiner Zeit sehen. Polierte Elegance und allgegenwärtiger Schönklang waren positive Attribute, die vom luxusdurstigen Publikum natürlich goutiert wurden. Wer hätte 1963 gewagt einen René Leibowitz mit Karajan zu vergleicht, bzw ihn Seite an Seite zu stellen ? Desgleichen seine monumental angelegten Bach-Einspielungen, oder Vivaldis Jahreszeiten mit Anne Sophie Mutter. Es gab damals eine Reihe von Künstlern, die der Meinung waren, man müsse die Werke an die Gegenwart anpassen (irgendwie kommt mir die Argumentation bekannt vor ?), da dem Publikum der Klang alter Instrumente nicht zumutbar sei. Karajan hat GANZ BEWUSST Barockmusik "modern" interpretiert - nicht, wie oft behauptet wird aus historischer Unkenntnis heraus. Waren doch sein Bruder, Wolfgang von Karajan und dessen Frau, Hedy von Karajan geradezu Spezialisten für alte Musik und Barockmusik. (Wer kennt die heute noch ?). Karajan und etliche Kollegen seiner Zeit waren geradezu stolz darauf die alten Werke in "zeitgemäßer" Interpretation dem Publikum näher zu bringen.
    Ob man heute Herbert von Karajan noch geniessen kann ist vor allem eine Frage der persönlichen Einstellung. Wie ich durch dieses Forum erfahren habe, geht es ja nicht nur ausschliesslich um Musik - sondern auch um Weltanschauungen.


    Im Laufe des Threads werde ich gerne darauf zurückkommen, welche Interpretationen ich auch heute für interessant erachte - und welche eher nicht. ZEITLOS - das muss man sich vor Augen führen - ist in Wirklichkeit überhaupt keine Interpretation, jeder trägt unauslöschlich den Stempel der Zeit ihres Entstehens....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Herbert von Karajan war nie vorne auf meiner Dirigentenliste, da standen Namen wie Furtwängler, Kubelik, Böhm, Kleiber oder auch Keilberth - um nur einige Namen zu nennen. Prägend war er bei mir nie. Seine Omnipräsenz wirkte auf mich eher abschreckend, der Bogen um ihn konnte nie groß genug sein. Zum Negativbild gehörten auch manche in der Presse genüßlich breitgetretenen Meldungen, wie z. B. das Beharren auf eine nur für ihn zu reservierende Toilette in den Theatern.
    Oder auch die schon erwähnte Eigeninszenierung mit schnellen Autos, Yacht und Villen hier und da. Daran hat auch die 1970 in Salzburg zufällig im großen Festspielhaus erfolgte Begegnung, die nicht mehr als ein Händeschütteln war und durch den Bariton Siegfried Rudolf Frese zustande kam, nichts geändert.


    Aber das ist nun lange her. Das abgespeicherte Bild hat schon vor langer Zeit begonnen, Risse zu bekommen. Einige seiner Aufnahmen haben da doch einiges ins Wanken gebracht. Momentan bin ich mit der beim Label Documents erschienenen Anthologie "HvK - 1938 bis 1960" angestrengt beschäftigt. Die Bücher von Richard Osborne und Franz Enders über Karajan sind schon seit geraumer Zeit meine Lektüre über ihn. Das negative Urteil ist, das kann ich sagen, längst gewichen. Aber so einige Spitzen gegen ihn, die Nilsson ist mir da unvergeßlich, lese ich noch immer mit innerem Vergnügen.


    Doch wie heißt es schon in Billy Wilders "manche mögens heiß": Kein Mensch ist vollkommen!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Karajan hat GANZ BEWUSST Barockmusik "modern" interpretiert - nicht, wie oft behauptet wird aus historischer Unkenntnis heraus. Waren doch sein Bruder, Wolfgang von Karajan und dessen Frau, Hedy von Karajan geradezu Spezialisten für alte Musik und Barockmusik. (Wer kennt die heute noch ?).

    Ja, diese Frage ist wirklich berechtigt, aber nicht verwunderlich, denn Wolfgang von Karajan war wohl in der Außendarstellung der geradezu krasse Gegenentwurf zu seinem Bruder. Als ich, 1970 in Salzburg, den Namen Karajan auf der Besetzungsliste von Emilio de Cavalieris "Rappresentazione di Anima e di Corpo" (aufgeführt in der Kollegienkirche) las, hatte es mich förmlich zum Augenreiben gezwungen. Erst beim zweiten Hinsehen las ich dann Wolfgang statt Herbert. Bis zu diesem Augenblick wußte ich nicht, daß der "Chefdirigent der Welt" einen Bruder hatte. Übrigens hat auch die Archiv-Produktion das "Ensemble Wolfgang von Karajan" bei der Aufnahme des "Spiels von Seele und Körper (unter Sir Charles Mackerras) eingesetzt. Aber das nur so am Rande erwähnt.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • sowie Caruso DER Tenor des 20. Jahrhunderts war - oder zumindest als solcher gesehen wird.

    Wirklich, ist das so? Er begann seine Karriere im 19. Jahhundert und starb bereits 1921. Er war ein "Jahrhundertsänger", keine Frage, aber die konkrete Zuordnung "des 20. Jahrhunderts" passt in seinem Fall halt nicht so ideal wie etwa im Falle der Callas.



    Kleiber

    Welcher? Vater? Sohn? Heiliger Geist? :D


    Bitte bei diesem Dirigentennachnamen möglichst immer den Vornamen mit angeben. Vielen Dank! :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Als ich begann, mich für klassische Musik zu interessieren, war Karajan geradezu der Inbegriff dessen, was man ablehnte in meinen Studentenkreisen. Er stand für Restauration, Verdrängung der Nazizeit, Kommerz der übelsten Sorte, für Leute mit fragwürdiger Vergangenheit, die mit dicken Zigarren und Pelzmänteln in Salzburg sich selbst darstellen ohne an der Musik wirklich Interesse zu haben. Natürlich war das aus dem Rückblick auch nur ein Klischee, aber es hat mich lange geprägt. Zu der Zeit fand ich die Außenseiter, die Knorrigen gut, Barbirolli, Klemperer, Scherchen, Horenstein und den Antityp zu Karajan, Leonard Bernstein.


    Inzwischen sehe ich das natürlich etwas differenzierter, vor allem nachdem ich eine relativ ausgewogene Karajan Biografie gelesen habe und viele seiner Aufnahmen gehört. Ich finde nach wie vor, dass er von vielen für das falsche Repertoire verehrt wird. Seine Mozart, Beethoven, Brahms und Bruckneraufnahmen halte ich überwiegend für verzichtbar, nicht aber seinen Sibelius, seine wenigen Aufnahmen der zweiten Wiener Schule, seinen Strauss und seinen Wagner. Ich habe ihn nur einmal live erlebt, kurz vor dem Tode, in New York mit den Wienern und Bruckner 8. Das war schon ein sehr eindrucksvolles Erlebnis.

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  • In einem Interview sagte Karajan, dass er bestimmt wiederkommen werde, denn für das, was er noch alles vorhabe, was in ihm sei, reiche ein Leben nicht aus. Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, dass seine Zeit noch kommen wird. Genug Aufnahmen und Dokumente aller Art gibt es ja. Nach meiner Überzeugung suchte er mit fortschreitendem Alter nicht die Wahrhaftigkeit in der Musik sondern die Schönheit. Ob ihm das gelungen ist, muss sich vielleicht erst noch zeigen in einer Zukunft, die nach meiner Befürchtung immer sachlicher und emotionsloser werden wird. Dann fragt auch niemand mehr danach, auf welcher Seite er in finsterster Zeit stand und ob er ein guter Mensch gewesen ist, als reichte es nicht, dass er wunderbare Musik gemacht hat mit wunderbaren Orchestern. Gelegentlich seines 25. Todestages, gehen mir solche Dinge durch den Kopf. Seit einiger Zeit höre ich wieder mehr Karajan. Ich habe mir sogar Vivaldis „Quattro Stagioni“ zugelegt, eine Aufnahme, die ich vor zehn Jahren noch in die Tonne geworfen hätte und die hier im Forum auch nicht gut weggekommen ist. Wie dumm und töricht von mir. HIP hin, HIP her, diese Musik klingt so betörend, so üppig und rasant unter seiner Leitung, dass ich plötzlich hin und weg bin. Wer weiß, was mir noch so alles widerfährt mit Karajan. Ob ich aber je seinen Sibelius lieben werde, weiß ich nicht. Ein ganz bedeutender Mann ist er gewesen. Daran gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel. Dass er Widerspruch in sich trug, auch historische Schuld, macht ihn nicht kleiner. Er ist gewesen wie seine Zeit, ist deren Ausdruck. Er konnte keinen ebenbürdigen Nachfolger finden. Es sein denn, er kommt tatsächlich selbst zurück.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich habe Karajan anders "erlebt" - obwohl ich ein Karl Böhm-Anhänger war.
    Er war der Inbegriff der "High Society" - anerkannt von den Mächtigen und den meisten Kritikern. Von allen wurde er hofiert.
    Eigentlich war er von Natur aus eher introvertiert - kein Salonlöwe - aber irgendwann hatte er erkannt, daß er sich den Gesetzen der einflußreichen Gesellschaft zu unterwerfen hatte, wenn er sein künstlerisches Credo durchsetzen wollte.
    Seine Photos am Cocpit eines Flugzeugs waren von der Werbeinduistrie gewollt und gemacht. Er selbst hatte keine Affairen, weder mit Frauen, noch mit Männern und auch keine Alkohol- oder Rauschgiftexzesse. Partys und die vielen dummen Menschen die dort waren sollen ihn gelangweilt haben - und er blieb nie lange - erkannte aber, daß sie für seine Karriere unverzichtbar waren. Sein Beethoven-Zyklus ist in meinen Augen nach wie vor maßstabsetzend. Als er neu am Markt war, erschien er mir indes als zu "sportlich" -"Beethoven in Turnschuhen" - das war meine diesbezügliche Aussage.
    Hingegen galt schon in seiner Glanzzeit, daß er kein idealer Mozartdirigent sei - er wurde als zu kühl und lieblos eingestuft.
    Hier bekam Karl Böhm unangefochten die Siegespalme - Und eigenartigerweise akzeptierte Karajan das.
    Heute sehe ich seinen Mozart etwas positiver - wahrscheinlich bezogen auf die heutige Mozart-Szene......
    Ich hatte nie Affinität zu "linken" Studenten- oder Arbeiterkreisen. Meine Bekannten und ich, wir waren alle um die 20, versuchten sich in der Schickeria zu etablieren - was teilweise sogar gelang. Kommerz sahen wir nicht als übel an, irgendwie musste man ja zu Wohlstand kommen. Was zählte war einzig der Erfolg. Die sogenannte 68 Bewegung habe ich nicht mal wahrgenommen.
    Und die genannten "Aussenseiter" auch nicht (allenfalls noch Bernstein) Meine Dirigenten waren damals Böhm, Jochum, Fricsay, Levine, Kubelik und Karajan.
    Ich war aber seinerzeit kein glühender Karajan-Verehrer - die virtuelle Allmacht hat mich ein wenig abgeschreckt......


    Heute ist es mir ein Anliegen, Karajan vor Verunglimpfungen zu schützen,
    denn, er der zu Lebzeiten so gut wie unangreifbar war,
    kann sich heute natürlich nicht mehr wehren


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ob ich aber je seinen Sibelius lieben werde, weiß ich nicht.

    Ich habe als Jugendlicher 1988 Sibelius überhaupt erst durch eine Karajan-Aufnahme (damals noch eine Kauf-MC) kennen und lieben gelernt. Der 5. Sinfonie folgten noch "Finlandia" und "Valse Triste". :rolleyes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zit. Rheingold 1876: "Nach meiner Überzeugung suchte er mit fortschreitendem Alter nicht die Wahrhaftigkeit in der Musik, sondern die Schönheit."


    Karajan würde darauf antworten:
    "Wieso >sondern<? Das ist doch keine Alternative! Im Gegenteil: In der Schönheit der Musik liegt und gründet ihre Wahrhaftigkeit. Diese wollte ich als Dirigent immer realisieren. Sie begegnet einem im Konzertsaal als "Klangschönheit". Aber das ist nur der Vordergrund. Dahinter steht die hochdifferenzierte und überaus sorgfältige und genaue Herausarbeitung der Struktur eines musikalischen Kunstwerkes. Nur wenn diese gelungen ist, begegnet es einem als ein schönes und zugleich wahres."


    So, stelle ich mir vor, würde er Rheingold antworten, - wäre er noch unter uns, was ja nun leider seit 25 Jahren nicht mehr der Fall ist.

  • Das Problem ist, dass "schön" bei Karajan leider oft ein durchgehendes Klangideal zu bezeichnen scheint: perfekter, ansatzloser Mischklang, kaum je ein "richtiges" staccato oder sforzato. Wie schon in zig anderen Threads geschrieben, steht kaum ein Interpret so deutlich auf der Seite der "Klangmalerei" gegenüber der "Klangrede".


    Natürlich ist es ein Vorurteil zu behaupten, dass sei durchweg der Fall. Es gibt für mich mindestens ein Beispiel einer Karajan-Aufnahme, die ich aufgrund ihrer Schroffheit ähnlich problematisch finde wie andere aufgrund der Glätte: Schuberts Große C-Dur-Sinfonie. Und es gibt ohne Zweifel auch viele sehr gelungene Aufnahmen, entweder weil das Klangideal zur Musik passt (Strauss, evtl. Sibelius u.a.) oder weil ungeachtet dessen noch genügend Klarheit und Artikulation übriggeblieben sind. Freilich stößt man auch immer wieder auf frappierende Beispiele, die das Vorurteil bestätigen, so zB beim letzten Rätsel der Ausschnitt aus Mendelssohns Violinkonzert, in dem das Seitenthema derart langsam und legatissimo gespielt wird, dass man Schwierigkeiten hat, den Rhythmus zu erkennen (ähnliches gilt für seine Interpretationen des allegretto aus Beethovens 7.).
    Und schnelle Sätze weisen mitunter die maschinenmäßige starre Perfektion auf, die einen Celis Polemik, der Mann sei gar kein Musiker, im Ansatz verstehen lassen kann. (Selbst Karajan-Fans fanden das anhand eines Vergleichs Celi-Karajan beim 4. Satz aus Tschaikowskys 5., den wir letztes Jahr oder so mal mittels Youtube-Videos verglichen haben, nachvollziehbar, wenn auch polemisch überspitzt.)


    In der Tat stört mich aber mehr als einige misslungene und viele überschätzte (was bei der Breite des Feldes für die meisten anderen Musiker gilt) Interpretationen die Beförderung des Starkultes, Selbstinszenierung, Klassik als Hochglanz-Schicki-micki-Vergnügen. Noch mehr Festivals für die Reichen und Schönen anstatt Jugendkonzerte usw. Weitgehendes Ignorieren zeitgenössischer Musik usw. Den Unterschied zu Generationsgenossen wie Bernstein oder Fricsay finde ich hier schon deutlich (und das waren auch keine "linksaußen" wie Scherchen oder der jüngere Abbado...).


    (Nach ein oder zwei Videos, allerdings des schon recht alten Karajan, die ich mal gesehen habe, scheint er mir dagegen im Umgang mit anderen Musikern, Nachwuchssängern o.ä. keineswegs ein "Tyrann", sondern freundlich und umgänglich gewesen zu sein.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wieder nur ein paar kurze Anmerkungen

    Zitat

    Wie schon in zig anderen Threads geschrieben, steht kaum ein Interpret so deutlich auf der Seite der "Klangmalerei" gegenüber der "Klangrede".

    D' accord - aber gerade das ist es was seine Anhänger (und deren gibt es auch posthum noch viele) an ihm so schätzen.
    Musikfreunde wollen in der Regel keine Brüche und Probleme, keine Dissonanzen, keine "Aufschreie" hören - sondern Wohlklang pur, das kann dann durchaus auch Dramatik beeinhalten, wie man bei Beethoven und Verdi sehr gut hören kann.
    Karajan hat (von Ausnahmen abgesehen) durchaus gewusst, welche Komponisten seinem Dirigierstil entgegenkamen.



    Zitat

    In der Tat stört mich aber mehr als einige misslungene und viele überschätzte (was bei der Breite des Feldes für die meisten anderen Musiker gilt) Interpretationen die Beförderung des Starkultes, Selbstinszenierung, Klassik als Hochglanz-Schicki-micki-Vergnügen. Noch mehr Festivals für die Reichen und Schönen anstatt Jugendkonzerte usw

    Die Tonträgerindustrie würde sich alle Finger abschlecken, wenn sie HEUTE einen Künstler zur Verfügung hätte, der die Reichen und Schönen zu zu faszinieren wüsste wie Karajan. Denn weder mit Jugendkonzerten noch mit zeitgenössischer Musik lässt sich heutzutage Staat machen - auch wenn manche das nicht hören wollen. Karajan hatte irgendwann das Rezept heraußen, populär zu sein und DENNOCH elitär zu bleiben.



    Zitat

    Weitgehendes Ignorieren zeitgenössischer Musik usw.

    Es muß das Recht eines jeden Musikers sein zeitgenössische Musik zu spielen, aber auch zu negieren und sogar verbal zu bekämpfen. Der Gedanke, Musiker könnten verpflichtet sein zeitgenössische Musik aufzuführen - egal ob sie ihnen gefiele oder nicht - hat für mich etwas Gruseliges. Das Gleiche gilt natürlich für das Publikum. Ich beanspruche das Recht Musik die mir nicht gefällt zu negieren - ohne daß der verschmähte Komponist mich schulmeistert.....


    Wie immer man es dreht: Karajan hatte ein Erfolgsrezept, das noch bis heute, 25 Jahre nach seinem Tod nachwirkt...
    Was will man mehr ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Zitat: Weitgehendes Ignorieren zeitgenössischer Musik usw.


    Wenn es umgekehrt kommt, kräht kein Hahn danach.


    Günter Wand hat, vor allem in seiner Zeit als Gürzenich-Kapellmeister, also in gut 30 Jahren, jede Menge an zeitgenössischer Musik nicht nur aufgeführt, sondern auch uraufgeführt, aber er hat z. B. nie Mahler dirigiert. Er sagte dazu in seinen Erinnerungen: "Zur Musik Mahlers habe ich keinen Zugang gefunden". Punktum.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wieder nur ein paar kurze Anmerkungen

    D' accord - aber gerade das ist es was seine Anhänger (und deren gibt es auch posthum noch viele) an ihm so schätzen.
    Musikfreunde wollen in der Regel keine Brüche und Probleme, keine Dissonanzen, keine "Aufschreie" hören - sondern Wohlklang pur, das kann dann durchaus auch Dramatik beeinhalten, wie man bei Beethoven und Verdi sehr gut hören kann.
    Karajan hat (von Ausnahmen abgesehen) durchaus gewusst, welche Komponisten seinem Dirigierstil entgegenkamen.

    Ausnahmen: Bach, Händel, Vivaldi, Haydn, Mozart, Beethoven, Mahler, Bartok, Stravinsky...?


    Dissonanzen stehen in der Musik drin (übrigens auch bei Mozart), daran kann ein Dirigent überhaupt nichts ändern. Es geht hier nicht um den Unterschied zwischen Karajan und Giardino Armonico, sondern zwischen Karajan und Klemperer oder Kleiber jun. + sen.



    Zitat

    In der Tat stört mich aber mehr als einige misslungene und viele überschätzte (was bei der Breite des Feldes für die meisten anderen Musiker gilt) Interpretationen die Beförderung des Starkultes, Selbstinszenierung, Klassik als Hochglanz-Schicki-micki-Vergnügen. Noch mehr Festivals für die Reichen und Schönen anstatt Jugendkonzerte usw

    Die Tonträgerindustrie würde sich alle Finger abschlecken, wenn sie HEUTE einen Künstler zur Verfügung hätte, der die Reichen und Schönen zu zu faszinieren wüsste wie Karajan. Denn weder mit Jugendkonzerten noch mit zeitgenössischer Musik lässt sich heutzutage Staat machen - auch wenn manche das nicht hören wollen. Karajan hatte irgendwann das Rezept heraußen, populär zu sein und DENNOCH elitär zu bleiben. [/quote]Wenn man in den 1960ern und 70ern mehr für die Jugend gemacht hätte, würde vielleicht jetzt nicht drohen, dass die Nachfrage für klassische Musik einbricht. Genau ab diesen Jahrgängen gibt es da nämlich ein erhebliches Defizit. Die Frage ist doch, ob man Menschen für Musik gewinnen will oder "Fans" eines glamourösen Jetsets, bei dem Karajan letztlich austauschbar mit Brigitte Bardot wird ;)
    Und natürlich könnte man Karajan nicht einfach in die heutige Zeit verpflanzen und meinen, er hätte denselben Erfolg. Dieser Erfolg war ziemlich sicher nur in einer bestimmten Epoche möglich. Dirigenten wie Toscanini oder Furtwängler u.a. waren 40 Jahre vorher genauso berühmt, aber keiner von denen hatte ein Privatflugzeug. Gut 20 Jahre jüngere Dirigenten, deren Karriere eher noch steiler begann als Karajans, wie etwa Maazel (der ebenfalls gut aussehend, technisch souverän usw. gewesen ist), wurden schon nicht mehr zu solchen Ikonen.



    Zitat

    Es muß das Recht eines jeden Musikers sein zeitgenössische Musik zu spielen, aber auch zu negieren und sogar verbal zu bekämpfen.

    Darum geht es doch gar nicht. Sondern dass in 300 Jahren in der Encyclopaedia Galactica Monteux als Dirigent der Uraufführung von Le Sacre erwähnt wird, Koussevitsky als Auftraggeber von Bartoks Konzert für Orchester, usw., während Karajan vermutlich in der Sektion mit Bardot und Romy Schneider aufgeführt wird :D Der Rang eines Dirigenten bemisst sich für mich nicht nach seinem Bankkonto oder der Anzahl der verkauften Platten, sondern u.a. auch im Einsatz für neuere (oder weniger bekannte) Musik. Karajan hat da sogar ein wenig vorzuweisen (wenn auch mehr aus seiner sehr frühen Zeit in den 40er/50er Jahren, verglichen mit vielen anderen, auch jüngeren (zB Abbado), insgesamt aber sehr wenig.



    Zitat

    Wie immer man es dreht: Karajan hatte ein Erfolgsrezept, das noch bis heute, 25 Jahre nach seinem Tod nachwirkt...
    Was will man mehr ?

    Dass die Musik im Vordergrund steht? Beim kommerziellen Erfolg gäbe es dutzende von Populärmusikern, die erfolgreicher waren als Karajan.

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Freilich stößt man auch immer wieder auf frappierende Beispiele, die das Vorurteil bestätigen, so zB beim letzten Rätsel der Ausschnitt aus Mendelssohns Violinkonzert, in dem das Seitenthema derart langsam und legatissimo gespielt wird, dass man Schwierigkeiten hat, den Rhythmus zu erkennen (ähnliches gilt für seine Interpretationen des allegretto aus Beethovens 7.).
    Und schnelle Sätze weisen mitunter die maschinenmäßige starre Perfektion auf, die einen Celis Polemik, der Mann sei gar kein Musiker, im Ansatz verstehen lassen kann. (Selbst Karajan-Fans fanden das anhand eines Vergleichs Celi-Karajan beim 4. Satz aus Tschaikowskys 5., den wir letztes Jahr oder so mal mittels Youtube-Videos verglichen haben, nachvollziehbar, wenn auch polemisch überspitzt.)

    Da sprichst Du mir aus der Seele, lieber Johannes! Das Allegretto aus der 7. Beethoven ist einfach schrecklich und seine überdrehten Tempi in den Scherzi nehmen der Musik die ekstatische Ausgelassenheit, das, was Wagner die "Apotheose des Tanzes" nannte. Da wirkt Karajan in der Tat wie ein höherer Militärkapellmeister - die Musik zwanghaft "gedrillt" und nicht ungezwungen. Bei Beethoven hat er immer da Schwierigkeiten (wie in der Eroika), wo polyphone Tendenzen auftauchen, welche den homophonen Orchstersatz aufbrechen. Natürlich ist er unbestreitbar ein großer Dirigent - aber eben jemand, der die Musik, egal welche, mehr oder weniger rücksichtlos seinem ästhetischen Ideal unterwirft - ob es nun paßt oder nicht. Die Zeit, wo Menschen vielleicht eher darüber hinweg sehen (wollten), nur weil es Karajan war, die sind eben endgültig vorbei. ;)



    Musikfreunde wollen in der Regel keine Brüche und Probleme, keine Dissonanzen, keine "Aufschreie" hören - sondern Wohlklang pur, das kann dann durchaus auch Dramatik beeinhalten, wie man bei Beethoven und Verdi sehr gut hören kann.

    Und was ist mit Bernstein, lieber Alfred? Er ist mit seinen "Aufschreien" ja nicht weniger populär als Karajan gewesen, galt und gilt als sein Gegenentwurf.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich will gar nicht bestreiten, dass das "maschinenmäßige" gerade in Scherzo-Sätzen u.ä. seinen Reiz haben kann. Es ist aber eben so, dass wenn man so deutliche Präferenzen (u.a. den Klang betreffend) hat wie Karajan, manches auf der Strecke bleiben kann und geblieben ist. Bei besagtem Tschaikowsky-Finale waren diese Defizite natürlich bei den lyrischeren Passagen, die bei Celibidache alle viel "sprechender" wirkten, deutlich. Nun mag es auch sein, dass hier eine nicht allzu gelungene Karajan-Interpretation gewählt wurde. Aber die Tendenz höre ich schon in etlichen seiner Aufnahmen heraus.


    Die Pastorale habe ich seinerzeit mit Karajan 196oer kennengelernt und ohne Zweifel sind viele Stellen klanglich berückend. Aber es ist vermutlich die am wenigsten "rustikale" Pastorale, die man zu hören bekommt. Die Landschaft zieht gedämpft im Mercedes Coupé oder Porsche auf glatter Autobahn fahrend vorüber, nicht in der Kutsche oder auf Schusters Rappen ;)


    Wem es gefällt, meinetwegen. Mich nervt aber schon, dass diese Einspielungen immer wieder als mustergültig, unübertroffen usw. dargestellt werden. Allein aufgrund der Vielfalt von Alternativen wäre das weit überzogen.

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    (Bob Dylan)

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  • Mit großem Werberummel präsentiert seine Plattenfirma zum Jubiläum diese über 50 Jahre alte Aufnahmen:

    Zitat

    Das Projekt war ein Meilenstein in der Schallplattengeschichte. Jetzt legt Deutsche Grammophon Karajans legendären Beethoven-Zyklus aus dem Jahre 1963 in einer limitierten Edition neu auf.


    Nachzulesen ist die Geschichte hier: http://www.klassikakzente.de/h…ign=dgg-ka-nwl-kw-29-2014

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Mich nervt aber schon, dass diese Einspielungen immer wieder als mustergültig, unübertroffen usw. dargestellt werden. Allein aufgrund der Vielfalt von Alternativen wäre das weit überzogen.

    Das sehe ich genauso. Die kurz vorher entstandene Leibowitz-Aufnahme ist aus heutiger Sicht sicher die maßstabsetzendere.

  • Leibowitz kann teils auch etwas "maschinenmäßig" sein. Die Transparenz ist aber erheblich besser als bei Karajan (ich hatte irgendwann mal die 2. Sinfonie verglichen, dachte hätte auch hier was dazu geschrieben, finde es aber nicht mehr, das Forum wird zunehmend unbenutzbar...) und die meisten Tempi überzeugender (besonders Eroica, 8. Sinfonie). Ich muss zugeben, dass ich nicht alle der 63er Karajan-Aufnahme gut kenne (6 und 9 seit 25 Jahren, 5 und 7 auch schon recht lange, den Rest eher oberflächlich); die 5. und 9. finde ich nach wie hervorragend, auch wenn es natürlich bei diesen Werken nicht wenige, mindestens gleichwertige Alternativen gibt, und typische Schwächen Karajans wie "Klangwand" hier teilweise auch auftreten. Wobei die hochgeschätzte C. Kleiber-Aufnahme der 5. darin leider auch kaum besser ist (wenn auch ausdrucksstärker in etlichen lyrischen Passagen); als ich mal verglichen habe, war von den dreien die transparenteste E. Kleibers Mono-Einspielung! Man könnte hier durchaus von einem Fehleinsatz modernerer Klangtechnik sprechen...


    Ich glaube, kaum jemand bestreitet, dass Karajan ein technisch hervorragender Dirigent war und seine Vorstellungen perfekt umsetzen konnte. Das würde auch niemand bei dem kürzlich verstorbenen Maazel bestreiten (oder einer Reihe anderer). Aber daraus und aus dem großen kommerziellen Erfolg folgt eben nicht, dass das er tollste Dirigent überhaupt ist und alle seine Aufnahmen in die engere Auswahl gehören sollten.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    ich erkenne gerne an, daß die Taminos, die Karajan eher kritisch gegenüberstehen, dennoch um eine faire Würdigung bemüht sind und ihre Kritikpunkte an einzelnen Aufnahmen nachvollziehbar begründen.
    Daß es solche Kritikpunkte gibt, ist bei einer reichen künstlerischen Hinterlassenschaft kaum zu verwundern, denn wie sagte schon Brecht so schön (Leben des Galilei): "groß ist nicht alles, was ein großer Mann tut."


    Störend und neben der Sache finde ich allerdings den häufigen Hinweis auf Karajans angebliches Jetset-Leben.
    Abgesehen davon, daß Karajans Hauptwirkungszeit in die erste Hochphase der "journalistischen" Vermarktungsindustrie fiel, die sich natürlich wir eine Schar Geier auf einen sonst schwer für die Kreise der einschlägigen Leser- und Zuschauerschaft fassbaren Großmeister der klassischen Musik stürzte und abgesehen davon, daß Karajans Marketingstrategen diesen Umstand -nicht nur zum Vorteil des Künstlers-versucht haben für sich zu instrumentalisieren, sehe ich nicht ein, warum ein hoch begabter Mensch die Früchte seiner Leistung, die er durch harte Arbeit errungen hat, nicht auch genießen soll, ohne sich schmallippiger Kritik (vor allem in Deutschland) ausgesetzt zu sehen.
    Außerdem hatte er auch sehr prominente Vorgänger die sich nicht viel anders (und zu recht!) verhalten haben.
    Der ober erwähnte Furtwängler z.B. verlangte bei seinen Dirigaten in Bayreuth die Unterbringung in einer eigens angemieteten Villa sowie ein Reitpferd für seine morgentlichen Ausritte.
    Gustav Mahler verlangte -und erhielt- nicht nur für damalige Verhältnisse sehr hohe Honorere für seine Dirigate außerhalb der Hofoper, sondern ließ seine Konzertagentur vertraglich die Unterbringung im teuersten Hotel am Platze sowie Extraabteile erster Klasse (später Salonabteile) vereinbaren. Nach Amerika reiste er (samt englischer Gouvernante für seine Tochter,Zofe und Butler) in einer Staatskabine, auch die Gouvernante wurde in einer Kabine erster Klasse untergebracht. Richtig-Flugzeuge hatten diese Künstler zwar nicht, aber Mahler zählte zum exklusiven Kreis der Wiener Autobesitzer der automobilen Frühzeit.
    Waren Mahler und Furtwängler Jetsetter, war es Caruso, Bruno Walter etc.?


    Ich denke, man sollte bei der Beurteilung großer Künstler solch "kleine Münze" besser steckenlassen!


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Mahler zählte zum exklusiven Kreis der Wiener Autobesitzer der automobilen Frühzeit.
    Waren Mahler und Furtwängler Jetsetter, war es Caruso, Bruno Walter etc.?

    Lieber Joachim,


    mir ist Karajans Jetset und der Kult um seine Person völlig egal - dasselbe gilt übrigens auch für Bernsteins Lifestyle. Ich glaube aber kaum, dass man Furtwängler oder Mahler als Jetseter bezeichnen kann. Man kann Furtwänglers Bedürfnis nach Pferden in Bayreuth selbstherrlich oder schrullig finden - aber mehr ist das auch nicht. Mahler stammte aus sehr erbärmlichen Lebensverhältnissen und er war zudem Jude, der sich mit antisemitischen Ressentiments konfrontiert sah. Bei ihm war es sicher eine Frage des Stolzes, das Einklagen sozialer Achtung, wenn er auf solchem Luxus bestand. (Aus ähnlichem Grund hat mal Schönbergs Witwe einen deutlich überhöhten Preis für eine Paritur verlangt, weil sie meinte, nur so werde ihrem Gatten die Achtung der Welt zuteil, die ihm zusteht.) Zudem war Mahler ein sehr sozial denkender Mensch. Bezeichnend bekam das Dienstpersonal in den Genuß desselben Luxus! Wenn er hörte, dass es irgend einem Bühnenarbeiter schlecht ging, half er ihm mit Geld aus und verhandelte höhere Löhne. Ich glaube kaum, dass man von Karajan ähnliches berichten kann. Jetseter sind auf Abstand bedacht, die Ausgrenzung einer (Geld-)Elite dem gemeinen Volk gegenüber - Mahlers Verhalten bezeugt genau das Gegenteil.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo, Holger,


    Du hast, was Mahler betrifft, völlig recht mit Ausnahme der "erbärmlichen Lebensumstände", die aus Mahlers Jugend gerne kolportiert werden.
    Die Stadt Iglau (Jihlava) hat vor einigen Jahren den Hinterlassenschaftsakt von Mahlers Vater veröffentlich, den die IGMG in einer ihrer Schriften wiedergegeben hat.
    Danach war Bernhard Mahler als durchaus wohlhabend zu bezeichnen, da er neben seinem Grundbesitz ein Geldvermögen von mehr als 40.000 Kronen hinterlassen hat, wobei sich allerdings etliche Außenstände (bei Händlern, Wirten, die Bernhard aus seiner Schnapsfabrik beliefert hat, etc.) befanden.
    Typischerweise hat Mahler seinen Geschwistern ihren Anteil am Erbe selbst aus seinem Privatvermögen ausgezahlt, damit diese gleich über das Geld verfügen konnten und dann die Außenstände durch seine Anwälte eintreiben lassen.
    Dier Mär vom bitterarmen Mahler wurde -wie so vieles- von Alma verbeitet und von vielen seiner Anhänger damals auch gerne geglaubt.


    Wenn also Mahler sicher nicht dem "Jetset" im heutigen Sinne angehörte, hatten er und einige andere Spitzendirigenten seiner Zeit, z.B. Weingartner, durchaus auch karajaneske Züge.
    Interessanterweise gibt es einen Zeitzeugen,der sowohl Mahler persönlich gekannt hat als auch für die Frühzeit Karajans von Bedeutung war: Bernhard Paumgartner.
    Dieser erklärte einmal in einem Interview, daß ihn Karajans Dirigierweise ebenso wie sein Klangverständnis an Mahler erinnere.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Danach war Bernhard Mahler als durchaus wohlhabend zu bezeichnen, da er neben seinem Grundbesitz ein Geldvermögen von mehr als 40.000 Kronen hinterlassen hat, wobei sich allerdings etliche Außenstände (bei Händlern, Wirten, die Bernhard aus seiner Schnapsfabrik beliefert hat, etc.) befanden.


    Sehr aufschlußreich, lieber Joachim. Aberr offenbar war das Familienleben alles andere als erfreulich. Zuletzt muß Bernhard Mahler ziemlich viel getrunken haben - und von seinem Geld kam bei seiner Ehefrau zur Bestreitung des alltäglichen Familienhaushalts wohl nicht viel an, wenn ich mich recht erinnere. Das sind natürlich biographische Details - dass Alma Mahler vieles ausgeschmückt hat, ist keine Frage! Krenek z.B. hat sich über ihre "Phantasie" heftig beschwert! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • "Mein" Dirigent bleibt neben Karl Böhm - insbesondere bei den Beethoven Sinfonien, doch Herbert von Karajan.
    Natürlich spielte bei seinem Ruhm auch sein gesellschaftliches Umfeld eine Rolle - und Leibowitz mit ihm in einem Satz zu nennen, werden viele Konzertbesucher als Beleidigung für den Maestro empfinden.
    Leibowitz stand der Avantgarde nahe, hatte lt. Wikipedia ein Naheverhältnis zum Kommunismus.
    Ein fast nicht wahrnehmbares Naserümpfen der "besseren Musikwelt" ist hier zu erwarten


    Hier eine Kritik des Spiegel (bei unsem Werbepartner jpc veröffentlicht)


    'Spiegel' vom 25.11.85: "Radikaler als Leibowitz, der bei Webern und Ravel studierte und seinerseits Boulez und Henze unterrichtete, dürfte wohl noch kein Dirigent die Schönfärbereien gängiger Beethoven-Feiern entlarvt haben. Alle thematischen Strukturen werden rigoros trockengelegt, die rhythmischen eisern durchgehalten. So erlebt Beethoven sein längst fälliges Comeback als Avantgardist."


    Wollte das gehobene Konzertpublikum von 1961 (aus dieser Zeit stammten sowohl die Karajan - als auch die Leibowitz Aufnahmen) Einspielungen, die diesem Ideal entsprachen, wirklich hören? - Ich glaube nicht.
    Deshalb hat sich die damals führende Schallplattengesellschaft der Welt Karajan geholt - und nicht Leibowitz, der für ein Billiglabel (die CDs waren - so ich mich richtig erinnere - ein Nebenprodukt von "Readers Digest") dirigiert hat.
    Klemperers Beethoven Sinfonien für EMI haben nicht mal Walter Legge wirklich gefallen. Legge war ja ein Bewunderer Karajans.


    Karajan hat die meisten Dirigate nicht - wie immer behauptet wird - allein seinem persönlichen Geschmack angepasst, sondern dem des einflußreichen Klassikpublikums. Und natürlich wird er medial alle seine Konkurrenten überleben - nein - er hat sie schon überlebt.



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Leibowitz stand der Avantgarde nahe, hatte lt. Wikipedia ein Naheverhältnis zum Kommunismus.
    Ein fast nicht wahrnehmbares Naserümpfen der "besseren Musikwelt" ist hier zu erwarten

    Erst einmal ist nicht jeder Avantgardist ein Kommunist - siehe Boulez! Und zweitens ist Maurizio Pollini, der bekanntlich sogar Mitglied der KPI war, regelmäßig bei den Salzburger Festspielen aufgetreten - vor Karajans Stammpublikum also. Und er war und ist dort äußerst beliebt. Niemand hat sich für seine politische Einstellung überhaupt interessiert oder daran Anstoß genommen - auch der Jetset nicht. Ich glaube, lieber Alfred, das Klassik-Publikum ist längst nicht so "politisiert", wie Du annimmst! ;)



    Karajan hat die meisten Dirigate nicht - wie immer behauptet wird - allein seinem persönlichen Geschmack angepasst, sondern dem des einflußreichen Klassikpublikums.

    Es gibt doch nicht einen Musikgeschmack im luftleeren Raum - er wird gemacht von künstlerischen Personen, die einen solchen Stil prägen. In der Werbung ist es ganz genau so - Bedürfnisse werden erst künstlich erzeugt, dann hält sie der Konsument für unverzichtbar und das Angebot reagiert schließlich wieder darauf. Eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Ich glaube, lieber Alfred, das Klassik-Publikum ist längst nicht so "politisiert", wie Du annimmst!


    Das ist eine gute Frage, die ich mir selbst gestellt habe. Ursprünglich bin ich davon ausgegangen, daß das Klassikpublikum politisch fast völlig desinteressiert ist. Aber dann gab es Artikel - auch hier im Forum, die mich daran zweifeln liessen.
    Ich bin zu folgendem (vorläufigen) Schluss gekommen: Dem Publikum ist die politische Haltung eines Dirigenten, bzw Pianisten etc, solange weitgehend egal, solange sie sich nicht in seinem Programm oder seiner Interpretation niederschlägt, bzw bestehende hierarchische Systeme nicht in Frage stellt.
    Meist - und hier stimme ich überein - weiss das Publikum über die poltischen Vorlieben ihrer Lieblinge wenig bis nichts - und will es auch gar nicht wissen. Karajans "Jet-Set" -Werbelinie - denn etwas anders war es ja wohl kaum - stammte natürlich nicht von ihm - sondern von den PR -Managern seines Labels. Man zielte ganz bewusst auf ein bestimmtes Publikum, welches einen konservativen Geschmack, Geld und Einfluß hatte. Die Rechnung ist IMO aufgegangen.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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