Einführungstext zur Sonate Nr. 27 e-moll op. 90 von Ludwig van Beethoven
Diese Sonate, die fünf Jahre nach "Les Adieux" entstand (Sommer 1814) und zu der kleinen Gruppe der zweisätzigen Sonaten gehört, ist dennoch von den Sonaten Nr. 19, 20, 22 und 24 zu unterscheiden, weil sie nicht nur von der Dauer erheblich länger ist als die genannten, sondern auch, weil sie in einer Zeit entstanden ist, als Beethoven wiederum seinem Sonatenschaffen eine neue Richtung gab bzw. die musikalische Form weiterentwickelte.
Außerdem ging er in den Satzbezeichnungen noch einen Schritt weiter als in "Les Adieux" op. 81. Standen in dieser noch deutsche und französische Satzbezeichnungen sowie die normalen italienischen temporalen Satzbezeichnungen, so verwendete Beethoven hier erstmals nur deutsche Bezeichnungen, die darüber hinaus noch recht ausufernd waren.
Auch, wenn die Sache nicht so einfach ist wie in den normalen klassischen Sonaten, kann man hier, zumindest im ersten Satz, doch Bestandteile eines Sonatenhauptsatzes erkennen:
Exposition: Takt 1 - 24,
Überleitung: Takt 25 bis 44,
Seitensatz: Takt 45 bis 66,
Schlussgruppe: Takt 67 bis 81.
Erstmals lässt Beethoven jedoch in diesem Satz die Wiederholung der Exposition weg, auch weil die einzelnen Teile dieses Satzes mehrfach zu deuten waren. Da die o. a. Satzteile jedoch äußerlich, durch Pausen oder Fermaten gut zu unterscheiden sind, ist der Aufbau des Satzes klar erkennbar.
Der erste Satz steht in e-moll, ist im 3/4 -Takt und umfasst 245 Takte. Die Satzüberschrift lautet:
Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck.
Im Gegensatz zum op. 81 a haben hier Durchführung und Reprise durchaus mehr Raum und lediglich die Coda, die durch ein hinreißendes Diminuendo eingeleitet wird, ist sehr kurz und steht im Pianissimo.
Der zweite Satz ist langsamer als der erste, steht in E-dur, ist im 2/4-Takt und besteht aus 290 Takten. Daher ist er auch temporal ausgedehnter.
Er trägt die Satzüberschrift:
Nicht zu geschwind und sehr singbar vorzutragen.
Wegen seines überragenden thematischen Materials steht er der Musik Schuberts sehr nahe, obwohl das von Beethoven sicherlich nicht beabsichtigt war, aber Beethoven war sicherlich nach Mozart der Einzige, der eine ähnliche Fülle von wunderschönen Melodien komponiert hat wie Schubert. Zudem ist der Satz, von einigen Forti und Sforzandi abgesehen, weitgehend im Piano und Pianissimo gehalten, und er steht in E-dur.
Beethoven hat nur zwei Sonaten in E-dur komponiert, und zwar die Nr. 9 op. 14 Nr. 1 und die erste der Schlusstrias, die Nr. 30 op. 109, dagegen mehrere in Es-dur (Nr. 4, Nr. 13, Nr. 18 und Nr. 26).
Der zweite Satz ist das letzte Sonatenrondo, das Beethoven komponiert hat und ist von daher auch nicht so auf eine Sonatenhauptsatzform festzulegen. In ihrem Ende weist sie m. E. auf die Neunte Bruckner und die Neunte Mahler voraus, die jeweils in einem "Morendo" enden.
Jedenfalls ist diese Sonate eine weitere Station auf Beethovens Reise durch die Welt des Klaviers, die in der Arietta endet.
Aus Gründen, die im zweiten Satz liegen, gehört diese Sonate zu meinen Lieblingssonaten Beethovens.
(Quellen: Siegfried Mauser, S. 119 ff., Wikipedia)
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Willi