Polarisierende und weniger polarisierende Komponisten

  • In einem Forum, das nunmehr bald 10 Jahre existiert, ist es mitunter schwer, neue Themen zu finden. Aber manchmal fallen sie einem direkt in den Schoß - liegen sie auf der Straße - oder in Form von Statements in anderen Threads des Forums.......
    Felix Meritis legte mit folgender Aussage quasi den Grundstein zu diesem Thread:

    Zitat

    Brahms scheint mir ein Komponist zu sein, der mehr polarisiert als andere, obwohl mir nicht völlig klar ist warum.


    Eine Behauptung, die sofort Widerspruch bei mir auslöst - und zudem noch eine, die einen eigenen Thread wert ist.
    Hier kann man dann der Frage nachgehen, welche Komponisten außer Brahms noch polarisieren, bzw das Potential dazu haben - und WARUM dies der Fall ist......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Potential hat fast jeder Komponist!
    Brahms hatte ich immer als nicht allzu polarisierenden Komponisten gesehen.


    Meinem Eindruck nach sind zB
    stark polarisierend: Bruckner, Wagner und fast alle Komponisten des 20. Jhds.
    polarisierend: ital. Belcanto (Rossini, Donizetti, Bellini), Berlioz, Chopin, Tschaikowsky, Rachmaninoff, Reger


    vor 1800 ist fast kein Komponist polarisierend. Entweder ein unbestrittener Klassiker oder für die, die das anders sehen oder ihn weniger interessant finden, halt uninteressant, aber er wird nicht offensiv abgelehnt. Es mag viele Hörer geben, die Monteverdis Musik nicht interessiert, aber dass jemand Monteverdis Musik verabscheut wie Wagners oder Schönbergs halte ich für sehr unwahrscheinlich.


    Warum das so ist, weiß ich nicht genau, aber zumindest bei Wagner liegt es sicher auch an der Vehemenz der Fans.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Warum das so ist, weiß ich nicht genau, aber zumindest bei Wagner liegt es sicher auch an der Vehemenz der Fans.


    Was wiederum ein Resultat der wachsenden Subjektivierung sein könnte. Hinzu kommt noch die Rivalität der sich vermehrenden Stilrichtungen und der Einfluss der Kritiker.


    Bei Brahms war ich selbst etwas arglos. Die Attacke auf die Alt-Rhapsodie hat mich dann eines Besseren belehrt.


    Was man allerdings an Donizetti oder gar Bellini aussetzen könnte, ist mir ein Rätsel.

  • Ich pflichte in den Kernpunkten bei. Man darf natürlich Gustav Mahler nicht übersehen - und ebensowenig Pfitzner und Richard Strauss.
    Meine angestrebte Kernaussage "Brahms ist nur EINER von vielen 'polarisierenden' Komponisten " hätte ich somit an den Mann gebracht - aber dazu gibt es noch einiges zu sagen......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Was man allerdings an Donizetti oder gar Bellini aussetzen könnte, ist mir ein Rätsel.


    Hohles Geträller mit um-ta-ta-Begleitung. Wobei vielleicht hier auch schlichtes Desinteresse häufiger ist als Abneigung.


    Bei Wagner liegt es natürlich auch ein wenig an der Persönlichkeit des Komponisten und den Themen der Opern. Aber ganz gewiss auch an der Musik. Was Grillparzer über Webers "Euryanthe" schrieb, nämlich "Dieses [...] Notzüchtigen des Schönen würde in den guten alten Zeiten Griechenlands mit Strafen von Seiten des Staates belegt worden sein. Solche Musik ist polizeiwidrig", können bei Wagner vielleicht noch heute manche Hörer nachvollziehen. Oder sie sind gegenüber einem quasi-narkotischen Rausch skeptisch (vielleicht besser verständlich).


    Mahler und Strauss sind sicher auch zu nennen.


    Bin ich denn der einzige, der sich wundert, dass anscheinend doch nicht so wenige Brahms polarisierend finden?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • [quote='Johannes Roehl','index.php?page=Thread&postID=512557#post512557']



    Was man allerdings an Donizetti oder gar Bellini aussetzen könnte, ist mir ein Rätsel.


    Da kann man eine Menge aussetzen, und das weißt du auch von mir alter Schwede; aber ich lasse es heute mal so stehen.
    Zum Thema: mit der alten Musik ist es auch so, wie sich in den threads von Gombert und bachiana feststellen lässt: man liebt diese Musik oder hört sie gar nicht.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich kann mir nicht erklären, warum Brahms polarisiert, und vor allen Dingen, woran der geschätzte Felix das festmacht oder woran er das glaubt ablesen zu können.


    Was man allerdings an Donizetti oder gar Bellini aussetzen könnte, ist mir ein Rätsel.

    Mir auch! Ich liebe nämlich auch den "schönen Gesang". Deshalb kann ich das Rätsel auch nicht lösen. Aber ich bin sicher, dass uns Dr. Pingel mit Licht heimleuchten könnte - es liegt allerdings an uns, ob wir seine diesbezügliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen.


    Bei den Neutönern sehe (und höre) ich allerdings großes Polarisierung-Potential - ich habe es hier erfahren.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Hohles Geträller mit um-ta-ta-Begleitung. Wobei vielleicht hier auch schlichtes Desinteresse häufiger ist als Abneigung.


    :D:D:D:D
    Meine Oma hat immer gesagt: Wenn zwei das gleiche tun, so ist es nicht das gleiche. Ich denke genauso wie Johannes, aber ich hätte es nie gewagt, das so zu schreiben; bzw. ich hatte es ja mal gewagt (Lucia di Klammermoor), da bin ich ganz schön abgewatscht worden. Also, Johannes: tausend Dank!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • NB: ich denke nicht so, sondern gebe das gängige (Vor-)urteil wieder! Ulrich Schreiber referiert irgendwo mal die Ansicht, "Rossini werde/wurde als Mozart für die Armen im Geiste gesehen".
    Ich selbst habe keine rechte Position zu den Belcanto-Komponisten.


    Was ich noch vergessen habe, weil es im deutschsprachigen Raum vielleicht nicht so deutlich ist und kaum komplette Komponisten betrifft: Kunstlieder sind definitiv ein "acquired taste", was uns vielleicht nicht so klar ist, da wir außer Teleton niemanden kennen, der dieses Genre vehement ablehnt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Kunstlieder sind definitiv ein "acquired taste", was uns vielleicht nicht so klar ist, da wir außer Teleton niemanden kennen, der dieses Genre vehement ablehnt.

    Vehement ablehnen, wäre bei mir vielleicht übertrieben, aber ich habe es bisher trotz mehrfacher Versuche nicht geschafft, hörend durch einen der großen Zyklen von Schubert zu kommen, trotz Wunderlich und Fischer-Dieskau. Orchesterlieder von Berlioz, Mahler oder Strauss ja, Klavierlieder: Fehlanzeige bei mir.

  • Hohles Geträller mit um-ta-ta-Begleitung.


    Das stört Manchen bei Verdi auch. Mich allerdings nicht, nicht bei Verdi und vor allem nicht bei Bellini, weil ich gerade dessen Musik als alles andere als hohl finde, selbst nicht beim gelegentlichen um-ta-ta.
    So gehört das "Oh di qual sei tu vittima" des 1. Aktes der Norma zu dieser kritisierten Spezies, ist aber nichts weniger als ein melodisches Juwel. Man muss schon taub sein, das nicht zu hören.


    Der 2. Akt ist großes Musikdrama, ergreifend, in schlichter Einfachheit und wunderschön. Die Introduktion, das Duett "In mia man alfin tu sei" und das Finale mit Chor "Qual cor tradisti", wie lässt sich hier nur ansatzweise an Hohlheit denken?
    Mit dem gleichen Recht könnte man Purcells "When I am laid in earth" kritisieren, wenn man meint, Musik und Gefühl gehören nicht zusammen.
    Ich denke aber, nicht einmal Strawinskij würde dem zustimmen.


    Vielleicht sollten unsere Naserümpfer mal darüber nachdenken, wieso Verdi von Bellini so begeistert war : "melodie lunghe, lunghe, lunge."
    Und selbst Richard Wagner, von dem niemand sagen konnte, er hätte seine Konkurrenten über Gebür angehimmelt, erachtede die Norma als die musikalische Tragödie schlechthin.


    Es ist ja auch nicht schwer zu erkennen, dass hier eine Kontinuität ausgeht von Beethoven über Bellini, Weber, zu Wagner, vor allem in den Adagio-Partien, die bei den Genannten eine besondere Innigkeit ausstrahlen.


    Nun, ein Hund, den man zur Jagd tragen muss, wird nie ein richtiger Jagdhund. Nur sollte man sich besser in die Materie vertiefen, ehe man ein Urteil fällt.

  • Das von J.R. zitierte "Vorurteil" ist - wohl nicht nur bei dem genannten Ulrich Schreiber - tatsächlich vorhanden, dem kann man nicht ernsthaft widersprechen. Hami hat - meiner Meinung nach zu Recht - Korrekturen angebracht. Das ändert aber nichts daran, dass es jene ablehnenden Meinungen gibt und geben wird.


    Für mich trifft jene Bezeichnung von "hohlem Geträller" eher auf die "Musik" von Schönberg et al zu. Deren Musik fehlt aber das "Um-ta-ta" - obwohl das für meine Ohren auch nichts retten würde...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Rossini und der gesamte Belcanto Bereich stossen bei all jenen auf Ablehnung, denen die Oper als Unterhaltungsmedium zuwider ist. Diese Leute nehmen lieber eine Portion von Hässlichkeit, sei sie musikalisch, sei sie szenisch oder thematisch (warum fällt mir hier spontan "Wozzek" ein ?) als daß sie die Simplizität einer Oper als Vehikel zur "Unterhaltung" akzeptieren. Es geht ja bei vielen Belcanto-Opern mit "historischem" Hintergrund vor allem darum, eine Szene zu schaffen, wo die Primadonnen und Herren Tenöre ihre Koleraturen und hohen Cs vor einem jubelndem Publikum produzieren können, und wo ebendieses Publikum durch die prunkvolle historisierende Ausstattung zu Begeisterungsstürmen hingerissen wird.
    Ich würde mich dagegen verwahren, daß diese Leute "arm im Geiste" sind. Diesen Leuten ist die Oper als "Welt des Scheins" vielleicht bewusster, als jenen, die sich über "soziale" oder "menschliche" Konflikte in Opern aufregen können. Sie möchten in eine Scheinwelt eintauchen - das Schicksal eines Geistesgestörten oder einer gestrandeten Kreatur auf der Bühne interessiert sie eben nicht - passt nicht in ihre Welt - und man will es einfach nicht sehen - wo man es schon in der realen Welt negiert......
    Ich habe hier bewusst übertrieben und plakativ formuliert - eben um klarer zu machen, weshalb es in der Tat ein Spannungsfeld zwischen Belcanto & Co und problembelasteten Opern (oft mit entsprechendem klanglichen Umfeld) gibt.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Mit Musik vs. Gefühl oder prinzipieller Ablehnung von "Melodien" hat die Ablehnung der Belcanto-Opern sicher nicht so viel zu tun.
    Sonst müssten ja Mozart, Schubert, Wagner u.a. genauso abgelehnt werden.
    Sondern der Vorwurf sind wohl schon stereotype Machart oder primitive musikalische Faktur. Wie gesagt kenne ich selbst zu wenig davon gut genug und kann den Vorwurf daher nicht bewerten. Bei Verdi stimmte dieser Vorwurf jedenfalls lange nicht in diesem Umfang (Don Carlos, Otello, Falstaff, Requiem u.a.), aber man hat ihn natürlich auch vorgebracht. Dennoch habe ich den Eindruck, dass Verdi auf breiterer Front geschätzt wird als die früheren Belcanto-Komponisten.


    Aber außer vielleicht Mozart hat vermutlich fast jeder Opernkomponist recht hohes Polarisierungspotential. (Mal abgesehen vom Polarisierungspotential der Gattung!) Puccini oder Mascagni sicher in ähnlichem Maße wie Donizetti. Mir waren oben eben spontan die Belcantisten eingefallen, aber die Aufzählung erhob keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.


    Es gibt hier auch wohl kein System. Beethoven war seinerzeit hochgradig polarisierend, aber inzwischen als Klassiker in Erz gegossen. Natürlich gibt es einzelne Hörer, die Beethovens Musik (oder einzelne Werke) nicht mögen, aber insgesamt polarisiert sie wohl kaum noch.
    Es ist ja interessant, dass etliche Komponisten, obwohl durchweg als Klassiker geadelt, überhaupt noch Polarisierungspotential haben.


    NB: Schreiber vertritt nicht die Ansicht "Rossini sei Mozart für die Armen im Geiste", sondern gibt nur eine, besonder wohl im Deutschland des 19./frühen 20. Jhds. verbreitete Haltung wieder.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Vehement ablehnen, wäre bei mir vielleicht übertrieben, aber ich habe es bisher trotz mehrfacher Versuche nicht geschafft, hörend durch einen der großen Zyklen von Schubert zu kommen, trotz Wunderlich und Fischer-Dieskau. Orchesterlieder von Berlioz, Mahler oder Strauss ja, Klavierlieder: Fehlanzeige bei mir.


    Ich mochte früher, wohl aus Gewohnheit, Frauenstimmen nur bei Orchesterliedern. Es gibt ja Hörer, die mit klassischem Gesang, egal ob Lied, Oper etc. nicht viel anfangen können. Bei Liedern würde ich vielleicht nochmal einen Versuch mit einzelnen Klavierliedern unterschiedlicher Komponisten machen oder einem kürzeren Zyklus wie Schumanns Eichendorff-Liedern op.39, statt gleich mit einer Stunde am Stück.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Sondern der Vorwurf sind wohl schon stereotype Machart oder primitive musikalische Faktur.


    Danach müsste man sowohl Verdi wie auch Wagner dürftiges musikalisches Urteilsvermögen bescheinigen.


    Jedenfall, soweit es die Norma betrifft, kann ich von stereotyper Machart nichts verspüren. Bei Rossini könnte man den Vorwurf eher akzeptieren, fällt aber wohl kaum ins Gewicht.
    Ein kleiner Anteil Rutinearbeit im genialen Gesamtschaffen ist ja keine Katastrophe.


    Möglicherweise, es wurde schon angesprochen, haben die musikalischen Turnübungen der Primadonnen und der Ritter des Hohen C in der Urzeit des Belcanto dem Ruf der bezüglichen Komponisten geschadet.


    Im Übrigen glaube ich ebenfalls, dass hier die Vorlieben mit dem Zeitgeist wechseln. Vielleicht erwacht nach der Ära der Naziuniformen und Stahlhelme sogar der Belcanto oder die Spieloper wieder zum Leben.

  • Eigentlich meinte ich selbst im Thread zu den Brahms-Streichquartetten ganz etwas anderes - etwas, was sich nicht für einen Lästerthread eignet ;) . Ich finde Brahms' Musik changiert sehr zwischen den Polen "Lyrismus" und "klassische Strenge". Aus diesem Grund "polarisiert" Brahms die Freunde seiner Musik, von denen ein Teil eher den lyrischen Brahms schätzt, der andere den beethovesken. Ich gehöre zu ersterer Gruppe und finde, Brahms hat oft gegen seine eigene Veranlagung als lyrischer Romantiker komponiert.


    Allgemein zu Brahms: natürlich hat er polarisiert (früher viel mehr als heute) - schon aufgrund seiner Gegenstellung zu den Neudeutschen. Brahms wurde zur Ikone der Konservativen, Menbdelssohn zu deren"Urahn" (der schlechte Ruf des letzteren bis vor kurzem geht zu einem guten Teil darauf zurück) . Dazu hat Brahms aktiv durchaus beigetragen. Ich persönlich habe damit kein Problem, sondern eher mit den Brahms-Hagiographien der Musikwissenschaft bis vor kürzerer Zeit. Brahms wird da sehr oft als eine Art Beethoven zweiter Klasse gegen andere Komponisten ins Feld geführt und zum "Größeren" erklärt. Diese Art zu denken hat aber in jüngerer Zeit sehr abgenommen, weshalb das Polarisierungspotential doch stark abgenommen hat.

  • Um das Thema wieder aufzugreifen: Ich würde einen Komponisten polarisierend nennen, wenn er niemanden gleichgültig lässt, wenn man ihn (= seine Musik) entweder glühend liebt oder ebenso heftig ablehnt. Und da fällt mir nur einer ein, der diese Wirkung hat: der schon genannte Richard Wagner.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Und jetzt kommt dieser Thread in der Tat in Fahrt.
    Auch wenn Felix Meritis etwas anderes gemeint hat - und ich niemals auf die Idee gekommen wäre, den Belcanto als "polarisierend" zu bezeichnen - so hat der Thread eine Eigendynamik bekommen und deckt Dinge auf, die einem bislang nicht wirklich bewusst waren. Vielleicht aber weden sie nur übertrieben focussiert.
    Indes - Wagner ist - wir haben es in anderen Threads schon leidvoll erfahren müssen - in der Tat polarisierend.
    Indes -zu behaupten - er wäre der Einzige, das halte ich schon für ein wenig übertrieben.
    Brahms wurde schon genannt - er stellt einen Pol der beiden Gegenspieler Brahms-Bruckner dar, wobei ich nicht wirklich weiß inwieweit sich die Beiden selbst als Gegner sahen - oder ob dies nur eine Fiktion ihrer Anhänger und der Kritiker war (???)
    Gustav Mahler habe ich schon genannt - er war in weiten Kreisen (zumindest in Wien) bis in die späten 60iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts "verpönt" - oder sagen wir eher "ungeliebt" ?


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich bin von der heutigen Perspektive ausgegangen. Natürlich gab es im Laufe der Musikgeschichte auch andere polarisierende Komponisten, häufig solche, die als Repräsentanten verfeindeter Schulen galten. Aber sieht heute z.B. noch jemand Brahms und Bruckner als Gegenspieler - wenn man den einen mag, lehnt man den anderen automatisch ab? Und Mahler ist doch heute Mainstream wie Beethoven und Mozart, von Anfeindungen keine Spur mehr. Ich bleibe dabei: der einzige, der zeitungebunden Musikfreunde in Anhänger und Gegner spaltet und dies wahrscheinlich auch noch in hundert Jahren tun wird, ist Wagner.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich meinte oben mit "polarisierend" nicht in erster Linie die Rezeption zu Lebzeiten der Komponisten (oder kurz danach). Sondern, ob trotz Klassikerstatus Komponisten mitunter heftige Gegner (und entsprechende Anhänger) haben.


    Bei Wagner ist das offensichtlich. Weitere Kandidaten sind m.E. von etlichen Hörern als "schmalzig" und abgedroschen empfundene Spätromantiker wie Rachmaninoff und Puccini, vielleicht auch Tschaikowsky, die natürlich bei anderen Hörern außerordentlich beliebt sind. Es ist wohl auch kein Geheimnis, dass es sowohl Hörer gibt, die fast nur Opern hören als auch solche, die Opern weitgehend ablehnen. Und außer Wagner ist meinem Eindruck nach die "Klischee-Oper", die in solchen Fällen typischerweise abgelehnt oder parodiert wird, ital. Belcanto bis zum frühen Verdi, nicht Monteverdi oder Berg.


    Weitere Kandidaten: Bruckner, von den einen als zielloses Mäandern mit zu viel schwerem Blech abgetan, von den anderen in beinahe religiöser Weise glorifiziert. Chopin, für die einen der wichtigste Klavierkomponist überhaupt, für die anderen Salongeklimper ohne Gewicht.


    Klar, man wird heute weit seltener über Mahler lesen, dass sein Wollen das Können überstieg und sein zerrissenes Wesen keine geschlossenen Kunstwerke hervorbringen konnte o.ä. wie noch in bis vor wenigen Jahrzehnten nachgedruckten Konzertführern. Oder dass Mendelssohn geschmeidig, aber glatt sei, man bei späteren Werken Schumann schon die nachlassende Geisteskraft spüre. Aber zu Bach, Beethoven oder eben auch Brahms kann ich mich eben nicht an solche Seitenhiebe in semi-seriöser Einführungsliteratur erinnern.


    Mendelssohn, Schumann, Brahms scheinen mir jedenfalls heute weit weniger polarisierend als zB Liszt oder Mahler, selbst wenn die Klischee-Vorurteile zu letzteren heute auch nicht mehr in der Form geäußert werden wie noch bis vor wenigen Jahrzehnten.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bei Verdi sind natürlich die Passagen mit schematischer Begleitung (Um-Ta-Ta genannt) polarisierend.
    Ich fand das früher schrecklich und habe erst in diesem Jahr angefangen, abseits von Falstaff und Requiem Verdi kennen- und schätzenzulernen.


    Alte Musik vor dem Barock ist natürlich "immer gleich" und nach 2 Minuten muss man es ausschalten, weil das Gedudel nervt. Die habe ich mir vor 4 Jahren "erarbeitet". Allerdings erst ab der Notre-Dame-Schule, die Gregorianik muss noch warten.
    :rolleyes:

  • Eigentlich meinte ich selbst im Thread zu den Brahms-Streichquartetten ganz etwas anderes - etwas, was sich nicht für einen Lästerthread eignet ;) . Ich finde Brahms' Musik changiert sehr zwischen den Polen "Lyrismus" und "klassische Strenge". Aus diesem Grund "polarisiert" Brahms die Freunde seiner Musik, von denen ein Teil eher den lyrischen Brahms schätzt, der andere den beethovesken. Ich gehöre zu ersterer Gruppe und finde, Brahms hat oft gegen seine eigene Veranlagung als lyrischer Romantiker komponiert.


    Das kann ich zwar ansatzweise nachvollziehen, aber ich meine einerseits doch fast immer sehr deutlich einen persönlichen Stil zu hören, der diese Pole zusammenbringt, und sehe andererseits Brahms nicht unbedingt als Sonderfall. Es gibt auch Hörer, die sehr deutlich Lohengrin Tristan vorziehen (oder umgekehrt), Schuberts Forellenquintett und Streichquintett sind eher noch weiter auseinander als Brahms 1. und 3. Klaviertrio. Und ob alle Freunde von Beethovens Pastorale seine späten Quartette ebenso mögen (wenn sie sie überhaupt schon mal gehört haben), ist wohl auch eine offene Frage. Von Komponisten mit oft sehr unterschiedlichen Schaffensperioden wie Schönberg oder Stravinsky gar nicht anzufangen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Wie ich sehe, versteht (fast) jeder etwas anderes unter "polarisierend" im Sinne unseres Threads.
    Ich persönlich verstehe unter "polarisierend" (wieder im Sinne der Klassischen Musik verstanden) nicht unbedingt, die mangelnde Wertschätzung einerseits und die Bewunderung durch andere Gruppen andrerseits, sondern Fälle von Überschätzung einerseits gegenüber ausgeprägter Abneigung andrerseits - um es mal moderat auszudrücken. In der Tat ist hier Wagner ein ideales Beispiel.
    Das Spannungsfeld Bruckner versus Brahms ist - es wurde weiter oben schon angesprochen - eher als historisch zu sehen. Inwieweit Reste dieser Einstellungen noch existieren, das ist mir nicht bekannt.
    Mahler indes - heute (allzu ?) hoch bewertet - hat indes immer noch Feinde - wenngleich nicht in der Öffentlichkeit.
    Es gäbe prinzipiell auch heute noch derartige Feindbilder - vor allem in der Gegenwart zu suchen. Indes ist es aber so, daß die Gegner nicht allzu aktiv sind, weil der Marktanteil - gemessen an "geliebtem konservativem Repertoire" geradezu unbedeutend ist - und von ihnen nicht allzu ernst genommen wird - eine Einstellung die sich einst rächen könnte (siehe Regietheater)


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das kann ich zwar ansatzweise nachvollziehen, aber ich meine einerseits doch fast immer sehr deutlich einen persönlichen Stil zu hören, der diese Pole zusammenbringt, und sehe andererseits Brahms nicht unbedingt als Sonderfall. Es gibt auch Hörer, die sehr deutlich Lohengrin Tristan vorziehen (oder umgekehrt), Schuberts Forellenquintett und Streichquintett sind eher noch weiter auseinander als Brahms 1. und 3. Klaviertrio. Und ob alle Freunde von Beethovens Pastorale seine späten Quartette ebenso mögen (wenn sie sie überhaupt schon mal gehört haben), ist wohl auch eine offene Frage. Von Komponisten mit oft sehr unterschiedlichen Schaffensperioden wie Schönberg oder Stravinsky gar nicht anzufangen.


    Schönberg und Strawinsky treffen noch am ehesten, was ich gemeint habe (wobei der spätere Strawinsky ja eher ignoriert wird). Es ist mMn bei Brahms etwas anders als bei Beethoven und Schubert, denn diese beiden hielten mehr oder weniger an ihrem grundsätzlichen Kompositionsstil fest: thematische Arbeit bei Beethoven, Lyrismus bei Schubert. Brahms changiert aber zwischen diesen beiden fundamentalen Ansätzen. Ein gutes Beispiel wären eben die Klaviertrios. Während die einen meinen, das erste sei dem letzten turmhoch überlegen, da es das schönere Material habe, sagen die anderen, das erste wäre weniger interessant, da es weniger motivisch durchgearbeitet sei. Bei Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Dvorâk, Tschaikowsky, etc.. sehe ich solch eine Bipolarität des grundsätzlichen Ansatzes nicht (teilweise bei Dvorák, wenn er Brahms nacheifert).

  • Ich persönlich verstehe unter "polarisierend" (wieder im Sinne der Klassischen Musik verstanden) nicht unbedingt, die mangelnde Wertschätzung einerseits und die Bewunderung durch andere Gruppen andrerseits, sondern Fälle von Überschätzung einerseits gegenüber ausgeprägter Abneigung andrerseits - um es mal moderat auszudrücken. In der Tat ist hier Wagner ein ideales Beispiel.


    Ja, höchstens der Wagner liefert hier noch einige Zeit Gesprächsstoff. Doch nicht mehr lange.


    Welchen Kušej- oder Bieito-Jünger kann es schon interessieren, welcher Komponist die oder jene Oper geschrieben hat. Sicher kann man an baldiger Zukunft auch ohne jene Geräuschkulisse auskommen, die den Intentionen unserer Star-Regisseure so oft zuwiderlaufen.


    In Stockholm sind wir schon auf gutem Wege. Die Königliche Oper bietet neuerdings ihren Besuchern Einführungskurse vor Beginn der Vorstellung, wonach gewöhnlich bei niemandem mehr noch so geringe Zweifel an der Genialität des Regisseurs bestehen, schon auch deswegen, weil kein Besucher so dumm ist, sich mit kritischen Fragen der Lächerlichkeit preiszugeben.


    Die Originalmusik zum jeweiligen Spektakel mit kleingedruckter Erwähnung des Komponisten wird aber bisher noch gespielt. Vermutlich, weil die Musikergewerkschaft oder die Königin es so wollen.


  • Ich persönlich verstehe unter "polarisierend" (wieder im Sinne der Klassischen Musik verstanden) nicht unbedingt, die mangelnde Wertschätzung einerseits und die Bewunderung durch andere Gruppen andrerseits, sondern Fälle von Überschätzung einerseits gegenüber ausgeprägter Abneigung andrerseits - um es mal moderat auszudrücken. In der Tat ist hier Wagner ein ideales Beispiel.


    Ich meine, dass das zweite nur die Überspitzung des ersten ist. Daher oben meine Einteilung in zwei Gruppen. Sicher polarisiert Rossini nicht so wie Wagner. Aber die Verachtung der Belcanto-Komponisten, besonders Rossinis, (besonders) im deutschsprachigen Raum lässt sich vermutlich bis zu deren Lebzeiten zurückverfolgen, als Beethovens sich isoliert fühlte, weil Wien dem Rossini-Fieber erlegen war. Angeblich war selbst Verdi im deutschsprachigen Raum nicht allzu angesehen, bis Werfels Roman einen Anerkennungsschub auslöste. Der gesamte frühe Belcanto war doch anscheinend bis Mitte des 20. Jhds., als Callas, Sutherland u.a. ein Revival auslösten, von ganz wenigen Stücken wie Barbier v. Sevilla und Liebestrank abgesehen, doch stark an den Rand gedrängt bzw. auf Italien beschränkt gewesen. So ähnlich habe ich das jedenfalls irgendwann mal gelesen.


    Zitat


    Das Spannungsfeld Bruckner versus Brahms ist - es wurde weiter oben schon angesprochen - eher als historisch zu sehen. Inwieweit Reste dieser Einstellungen noch existieren, das ist mir nicht bekannt.


    Dann lies mal in Deinem eigenen Forum nach! :D
    Zu Lebzeiten der Komponisten lag Bruckner zwei Gewichtsklassen unter Brahms, das war überhaupt kein echter Wettkampf. Bruckner hatte beinahe durchweg Schwierigkeiten, seine Sachen zur Aufführung zu bringen, während Brahms der berühmteste Instrumentalkomponist war. Selbst wenn einzelne Wagnerianer wie Wolf Bruckner als Sinfoniker gegen Brahms ausspielten, war der große Gegner natürlich Wagner (der im Ggs. zu Bruckner von Brahms respektiert wurde).
    Zwar kann ich nur von meiner eigenen Erfahrung sprechen, aber als ich um 1990 Brahms' und etwas später Bruckners Musik kennenlernte, wäre mir eine Diskussion Brahms vs. Bruckner, wie sie in einigen Tamino-Threads geführt wurde, sehr schräg vorgekommen, weil völlig klar gewesen wäre, dass Brahms ein breit etablierter, unbestrittener Klassiker wäre, Bruckner dagegen ein ziemlicher Exot für Spezialisten. Brahms vs. Tschaikowsky hätte ich (damals) eher verstanden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose