Die folgende Frage ist sehr subjektiv und richtet sich an alle Hörer und Begeisterten der Vokalpolyphonie. Sie hat nichts mit Kompositionstechnik und Musiktheorie zu tun.
Die Vokalmusik des (späten) Mittelalters und der Renaissance unterscheidet sich in ihrem Klang und ihrer Tonsprache, wohl auch in ihrem Ausdruck substantiell von allem, was später an Musik komponiert wurde. Dies betrifft zunächst besonders (aber nicht nur) die Tatsache, dass in dieser Musik die Dur-Moll-Tonalität keine Rolle spielt, da die Musik auf Kirchentönen aufgebaut ist und somit Dur und Moll nur eine von (de facto sieben) Grundtonleitern darstellen, die jede für sich wieder einen ganz eigenen und für uns oft eigentümlichen Charakter besitzen.
Zudem ist die Rhythmik dieser vokalen Musik gänzlich von den uns später vertrauten Rhythmen verschieden. Diese Musik ist in ständigem Fluss, angepasst an eigene, komplexe Gesetzmäßigkeiten, mit wenig Zäsuren und kaum markanten Punkten. Dennoch ist es eine hochgeistige Musik: bis in alle Details durchdacht und GLEICHZEITIG so angelegt, dass sie in uns intensive Gefühle zu wecken vermag. Dies wird wohl jeder anders erleben, jedoch wohl immer in irgend einer Weise mit der Empfindung verknüpft, „in einer anderen Welt“ zu sein.
Ich möchte nun mein persönliches Erleben nicht beeinflussend vorweg nehmen. Denn es interessiert mich sehr:
Wie nehmt IHR diese Musik wahr ? Was unterscheidet euer Hörerlebnis von Josquin, Brumel, Gombert, Palestrina (und vielen anderen) von eurem Erlebnis bei Bach oder Mozart oder gar Brahms und Bruckner ? Ja selbst von Monteverdi ?
Was erlebt ihr in diesem polyphonen Fluss ? Warum hört ihr diese Musik überhaupt, die für viele Menschen gar keinen Zugang bietet, wenn man sich nicht bewusst auf sie einlässt ? Wie kamt ihr dazu, sie zu hören ?
Ich freue mich sehr auf eure Antworten !
Herzliche Grüße
Bachiania