Von aufführungssensitiven und weniger aufführungssensitiven Werken

  • Komischer Titel - und was soll das bedeuten ?
    Nun ja - es gibt in der klassischen Musik Werke, die quasi immer gefallen, beeindrucken, mitreissen - was auch immer....
    Egal welcher Dirigent, welches Orchester, welcher Interpret hier im Einsatz ist - das Ergebnis ist immer zufriedenstellend (im schlimmsten Falle) bis begeisternd. Das Gesagte gilt natürlich auch für Kammermusik und Klaviersonaten etc...
    Andere Werke sind indes weit empfindlicher. Man hört sie in einer bestimmten Besetzung - und findet sie eher lahm und nichtssagend - ein Gelegenheit eines Komponisten aus der zweiten Reihe (?) Monate - oder aber auch Jahre - später wird man abermals mit dem Werk (auf Tonträger) konfrontiert - und man ist begeistert. Aha - vermutlich hat sich der Geschmack gewandelt.(?) - aber nein - lediglich dieses eine bestimmte Aufnahme ist es die das Werk zum Leuchten bringt. Woran liegt es nun ? Ein mittelmäßiges Werk wird durch eine Superkonstellation zum Blühen gebracht ? Oder sind hier andere Ursachen der Grund ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das gilt nicht nur für Bach, der ja sogar Glenn Gould verkraftet :hahahaha: (zumindest wird das oft behauptet ;):stumm: ) - sondern auch
    auch für die Wiener Klassiker- speziell für Mozart. Aber auch ihn kann man durch allzu sprödes Musikzieren ruinieren. Bei Mozart wird das allerdings nicht auffällig, weil man dessen Werke ja weitgehend "im Ohr" hat - und zwar in exzellenten Interpretationen. Abgeschreckt wurde ich allerdinga im Falle von Rosetti, den ich vorerst in jenen schrillen gehetzten Interpretationen zu hören bekam, wie sie heute so in Mode sind. Durch einen glücklichen Zufall geriet mir dann eine arte nova Aufnahme mit Hornkonzerten in die Hände....
    Aber das sind Extremfälle die eigentlich nicht das Thema betreffen. Ich rede von "üblichen" Standard-Einspielungen.
    Mir fällt hier spontan Vivaldi ein, der meiner Meinung nach (im Gegensatz zu zahlreichen anderen Komponisten) durch etwas "gewagtere" Interpretationen deutlich an Farbe und Charakter hinzugewonnen hat.


    Großer Zeitsprung: Auch Schostakowitsch ist sehr von der Interpretation abhängig. Sehr gut zu hören bei den Einspielungen von Evgeny Mravinsky, die tontechnisch alles andere als zufriedenstellend sind, die aber das "Bissige" der Werke optimal hörbar machen - wie bei keinem anderen mir bekannten Dirigenten....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Besonders empfindlich gegenüber der Art der Aufführung sind m.E. Barock-Werke. Man denke nur an die berüchtigten "Nähmaschinen"-Aufführungen von Werken wie den Händelschen Concerti grossi, wo alle Stücke irgendwie gleich und gleich langweilig klingen, während in gelungeneren Interpretationen vom ersten Takt an die Funken sprühen. Auch der schon genannte Vivaldi ist ein Komponist, der besonders unter misslungenen Interpretationen gelitten hat.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Als eine Faustregel kann man vermutlich sagen, dass Musik bis Mitte/Ende des 18. Jhds., die vom Interpreten sowohl Wissen über die Aufführungspraxis als auch Phantasie für die Umsetzung (u.a. Verzierungen) verlangt, eher stärker "aufführungssensitiv" ist. Bach, besonders die Instrumentalmusik, ist eine Ausnahme, u.a. da vergleichsweise ausführlich mit Aufführungsvorschriften versehen. (Von Bach-Chorwerken habe ich aber schon CDs weggegeben, weil ich den Aufführungsstil nicht ertragen konnte.) Auch ein paar Werke Händels wie der Messias haben die Bearbeitungen von Mozart bis ins 20. Jhd. ganz gut überstanden.
    Beethoven ist auch ziemlich robust. Haydn kann in flauen Interpretationen langweilig oder banal wirken (Mozart auch, aber dessen Musik ist dann meistens immer noch hübsch). Ähnliches gilt m.E. auch für andere Komponisten der zweiten Hälfte des 18. Jhds. wie Bach-Söhne usw. Andererseits kann vielleicht auch, wie Alfred sagt, eine zu sehr auf "Sturm und Drang" gebürstete Lesart nach hinten losgehen.


    Schubert ist nicht so ohne. Ein paar Stücke wie das d-moll-Quartett sind kaum kaputtzukriegen, vielleicht auch die h-moll-Sinfonie. Bei den frühen Sinfonien besteht m.E. oft die Gefahr, sie entweder banal, uninteressant erscheinen zu lassen oder zu überfrachten. Sogar bei der großen C-Dur kann ich zwar Interpretationen schätzen, die das Stück "brucknerisieren" (wie viele traditionelle), als auch solche, die es eher klassizistisch nehmen (wie die HIPisten oder auch schon Szell), aber eigentlich erfordert es eine Gratwanderung, die den Absturz nach einer dieser Seiten vermeidet.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat von Johannes Roehl

    Beethoven ist auch ziemlich robust.


    Meinst Du das bezogen auf alle Werke oder die sinfonischen? Ich empfinde nämlich die Sonaten keineswegs als robust gegenüber der Art der Aufführung, im Gegenteil. Insbesondere in ihrer Gesamtheit aufgeführt sind es für mich eher sehr sensible Werke und anfällig gegenüber weniger inspirierten Interpretationen.


    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich meine das "vergleichsweise" ggü. zB Haydn und hatte nicht unbedingt konkrete Werke/Werkgruppen im Blick. Es gibt Interpretationen einiger Sinfonien, die ich ziemlich vehement ablehne, aber ich meine, dass diese Werke insgesamt recht robust sind. Beim Violinkonzert bin ich mir das nicht so sicher, das wird in meinen Ohren sehr häufig verschleppt und verschmalzt, aber vielen Hörern scheint das ja anscheinend zu gefallen.


    Es wären bei der Fragestellung m.E. mehrere Aspekte zu unterscheiden. Einmal, ob man einem Stück in recht unterschiedlichen Interpretationen etwas abgewinnen kann oder ob man eine recht genaue Vorstellung davon hat, wie es überzeugend gespielt werden sollte. Das ist aber natürlich etwas für einen ziemlich fortgeschrittenen Hörer, der auf irgendeine Weise eine Vorstellung von dem Stück gewonnen hat. Da kann man sicher auch bei Beethoven bei unterschiedlichen Stücken sehr verschiedener Meinung sein.
    Dann ob ein Stück eine allzu routinierte (oder im Gegenteil? eine exzentrische) Interpretation "überlebt". (Technisch vollkommen unzureichende Interpretationen sind ja vermutlich eh nicht gemeint.)
    Hierbei meine ich schon, dass viele Stücke von Beethoven auch noch ganz gut wirken, wenn sie "lieblos runtergespielt" werden, während das zB bei Vivaldi (oder vielleicht auch Haydn und sicher auch einigen Komponisten des 19. Jhds.) nicht funktioniert. Dazu würde ich vermutlich auch die meisten seiner Klaviersonaten zählen.


    Es ist aber sicher eine starke Vergröberung so etwas für das ganze Oeuvre eines Komponisten zu behaupten. Ich kann nicht von allen zentralen Werken Beethovens (oder Mozarts o.a.) spontan sagen, ob ich sie für eher robust oder eher sensibel halte. Und es hat sicher auch mit persönlichen Präferenzen zu tun. Ich bin zB bei der Eroica für ein breiteres Spektrum an Interpretationen offen als bei der 5. Sinfonie Beethovens, würde aber zögern, kategorisch zu behaupten, sie sei "robuster".

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  • Zitat von Johannes Roehl

    Beim Violinkonzert bin ich mir das nicht so sicher, das wird in meinen Ohren sehr häufig verschleppt und verschmalzt, aber vielen Hörern scheint das ja anscheinend zu gefallen.

    Lieber Johannes Roehl,


    hab vielen Dank für Deine einleuchtende Erläuterung. Beim Violinkonzert gebe ich Dir gern recht, das kann man durchaus im Schmalz ertränken (ähnlich - und das halte ich sogar für noch gefährdeter - wie dasjenige Mendelssohns). Bei den Sonaten existieren Beispiele, die - salopp gesagt - "heruntergespielt" auf jeden Fall noch anzuhören sind, andere jedoch nicht: die Waldstein-Sonate hat immer einen gewissen Effekt, aber m. E. sieht das schon bei Les Adieux oder bei op. 106 und 111 etwas anders aus. Man muß aber natürlich sagen, daß die Beethoven Sonaten die guten Pianisten einfach anziehen, d. h. selbst wenn man nicht mit der Interpretation einverstanden ist, "schaden" sie dem Stück nicht. Da kann ich mit dem Begriff "robust" auch anfreunden.



    Zitat

    Ich kann nicht von allen zentralen Werken Beethovens (oder Mozarts o.a.) spontan sagen, ob ich sie für eher robust oder eher sensibel halte.

    Das geht mir auch so. Und Dein Hinweis auf eigene Hörerfahrung und v. a. -erwartung trifft die Problematik gut. Bei Mozarts Klavierwerken gibt es im Übrigen nicht so arg viele, die ihn mir verleiden können ... Gould schafft es allerdings hin und wieder schon ;)


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • hab vielen Dank für Deine einleuchtende Erläuterung. Beim Violinkonzert gebe ich Dir gern recht, das kann man durchaus im Schmalz ertränken (ähnlich - und das halte ich sogar für noch gefährdeter - wie dasjenige Mendelssohns). Bei den Sonaten existieren Beispiele, die - salopp gesagt - "heruntergespielt" auf jeden Fall noch anzuhören sind, andere jedoch nicht: die Waldstein-Sonate hat immer einen gewissen Effekt, aber m. E. sieht das schon bei Les Adieux oder bei op. 106 und 111 etwas anders aus.


    Alfred gibt oben ja als Beispiel (allerdings wohl eher im Hinblick auf "Komponisten der zweiten Reihe"), dass man ein Stück "lahm und nichtssagend" erlebt. Das hielte ich bei den von Dir genannten Sonaten für ziemlich ausgeschlossen. Natürlich hängt das von vielen Faktoren (u.a. auch der musikalischen Sozialisation) ab, aber das meiste beim mittleren und späten Beethoven finde ich so offensichtlich emotional aufgeladen und auch von der musikalischen Struktur so klar, dass selbst eine flaue Interpretation immer noch genügend davon miterleben lässt.


    Sensibler fände ich eher einige andere Werke wie zB die Sonaten op. 7, op.14, op.22, op.27/1, op.31/1, dann natürlich die eigentümliche Sonate op.54, die beiden kurzen opp. 78 und 79 und vielleicht auch op.90 und op.101. Die Cellosonaten op.102. Insofern gäbe es wohl schon eine Reihe von Werken, bei denen ich Dir zustimmen würde.
    Aber verglichen mit der drohenden Banalität bei Haydn und Mozart oder den Gratwanderungen bei Schubert und Schumann, scheinen mir Beethovens Klavierwerke insgesamt ziemlich robust.


    Ich würde den Punkt, dass Beethoven "gute Pianisten" anzieht, dahingehend verschärfen, dass wir ersten normalerweise nur die ziemlich guten Pianisten erleben und zweitens Beethovens Musik in solchem Maße als außerordentlich anerkannt ist, dass die meisten Interpreten sich entsprechend Mühe geben (bzw. sonst in der Konkurrenz gar nicht bestehen). Natürlich sollte man Musikern, die sich für weniger bekannte Musik einsetzen, erst einmal unterstellen, dass sie sich dafür begeistern, aber die Erwartungshaltung und Konkurrenzsituation ist bei der Einspielung einer Sonate von Clementi oder Haydn sicher nicht in dem Maße gegeben wie bei Beethoven. Weil diese Musik aber nicht so offensichtlich wirkungsvoll ist wie Beethovens, brauchte es gerade eine Interpretation, die über Routine hinausgeht.

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Alfred gibt oben ja als Beispiel (allerdings wohl eher im Hinblick auf "Komponisten der zweiten Reihe"), dass man ein Stück "lahm und nichtssagend" erlebt. Das hielte ich bei den von Dir genannten Sonaten für ziemlich ausgeschlossen.


    Ich finde, daß hier einiges hervorragend beobachtet wurde - so beispielsweise, wie langweilig eine Haydn Sinfonie klingen kann, die nicht ädiquat interpretiert wird. Ähnliches gilt auch für Vivaldi (dessen Ruf ja speziell darunter litt) und an den FRÜHEN Mopzart-Sinfonien - die Liste liesse sich fortsetzen.


    Und nun zur "zweiten Reihe" der Komponisten. Das Problem hierbei ist, daß diese Komponisten - bzw ihre Werke - weitgehend unbekannt sind. Die Interpretation der "Ersteinspielung" ist gewissermaßen die "Visitenkarte" des Komponisten. Während wir beispielsweise bei Haydn wisasen, daß er hervorragende Sinfonien komponiert hat - und wie die idealerweise klinge - hat der unbekanntere Komponist diese Chance nicht. Oft schreiben ja Musikkritiker, man habe ihm mit der "Ersteinspielung" einen Bärendienst erwiesen....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ja - es gibt Werke, wie z. B. den Radetzky-Marsch, die Petersburger Schlittenfahrt und anspruchsvoller "Die Moldau" mit eingebauter Erfolgsgarantie. Es wird kaum einem Orchester gelingen diese "Reisser" tot zu spielen. Allerdings sind sie auf Grund ihrer Zugkraft so "abgenudelt", dass von daher wieder Bedenken kommen können.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!