Der besondere Liederabend

  • Gerade habe ich wieder ein bisschen im Thread von JL "Heimliches Flüstern" gelesen, der wurde vor etwa einem Jahr ins Forum gestellt. Gegenstand der Betrachtungen war eine Veranstaltung in Hamburg.
    Natürlich ist es problematisch über einzelne Konzerte zu berichten, die andere nicht miterleben konnten, aber in dem angeführten Beispiel handelte es sich um etwas Besonderes, das heißt, um einen Abend, der kein eigentlicher Liederabend im üblichen Sinne war, JL sprach von einem gestalteten Liederabend. Auch ich kenne solcherart Gestaltungen, denen ich jedoch eher kritisch gegenüberstehe, aber das ist ein anderes Thema...


    Der besondere Liederabend kann natürlich auch grundsätzlich jeder Liederabend sein, der irgendwo mit irgendjemandem mit irgendeinem Programm stattfindet, wenn man das jeweils aus rein persönlicher Sicht so empfindet. Vielleicht wenn Max Mustermann im Gemeindehaus von Hinterdorf die Winterreise singt...


    Anfang dieses Monats war ich beispielsweise in einem Liedernachmittag gewesen, wo neben Beethoven und Strauss auch sechs Lieder von Gabriel Fauré dargeboten wurden - das war aus meiner Sicht dann auch schon etwas Besonderes, weil man es nicht an jeder Ecke hört.


    Wir tauschen uns hier normalerweise über Musikkonserven aus, weil sie praktisch jedem zugänglich sind. In diesem Thread sollte die reale Welt von Lieder-Veranstaltungen ein Podium haben; ich bin ganz sicher, dass sich hieraus Anknüpfungen für durchaus interessante Diskussionen ergeben können.


    Mit einem Beispiel von gestern Abend möchte ich beginnen; wobei ich subjektiv sicher bin, dass es ein ganz besonderer Liederabend war, und objektiv ließe es sich wahrscheinlich auch beweisen, wenn man aktuelle Programme vergleicht.
    Das »Besondere« war ja schon, dass es - genau gesehen - kein Lieder- sondern ein Balladenabend war. Christoph Prégardien - der Sängerinterpret des Abends - erklärt, dass die Unterscheidung nicht immer so ganz einfach sei, aber meint: »Jede Ballade ist ein Lied, aber nicht jedes Lied ist eine Ballade« (so in einem Gespräch mit Sabine Fallenstein SWR2).


    SWR2 Abendkonzert - LIVE
    Christoph Prégardien (Tenor)
    Michael Gees (Klavier)


    Carl Loewe:
    "Der Nöck" op. 129 Nr. 2 (August Kopisch)
    Franz Schubert:
    "Der Zwerg" D771 (Matthäus von Collin)
    Franz Liszt:
    "Es war ein König in Thule" R 594 / S278 (J. W. von Goethe)
    Carl Loewe:
    "Der Erlkönig" op. 1 Nr. 3 (J. W. von Goethe)
    Franz Lachner:
    "Die Meerfrau" (Nr. 8) aus "Sängerfahrt" op. 33 (Heinrich Heine)
    Michael Gees:
    "Der Zauberlehrling" (J. W. von Goethe)
    Franz Liszt:
    "Die Loreley" R 591 (Heinrich Heine)
    Hugo Wolf:
    "Ritter Kurts Brautfahrt" (J. W. von Goethe)
    Franz Lachner:
    "Der wunde Ritter" (Nr. 5) aus "Sängerfahrt" op. 33 (Heinrich Heine)
    Wilhelm Killmayer:
    "Schön Rohtraut" (Eduard Mörike)
    Franz Lachner:
    "Ein Traumbild" (Nr. 12) aus "Sängerfahrt" op. 33 (Heinrich Heine)
    Carl Loewe:
    "Edward" op. 1 Nr. 1 (Johann Gottfried Herder)
    Robert Schumann:
    "Belsazar" op. 57 (Heinrich Heine)
    Carl Loewe:
    "Tom der Reimer" (Theodor Fontane)
    Hugo Wolf:
    "Der Feuerreiter" (Eduard Mörike)


    Musikjournalisten fragen ja stets nach, ob die Ballade noch en vogue sei - eine Mode aus der Großväterzeit? Frau Dr. Brüning formulierte letztes Jahr in einen Gesprächskreis von Musikjournalisten: »Die Ballade ist noch verschwundener als das Lied«.
    Und nun tauchen diese Balladen wieder auf - wie Phönix aus der Asche, gleich zum Beginn der SCHWETZINGER SWR FESTSPIELE. Das Abendprogramm einfach beeindruckend, die Interpreten ebenfalls bestens disponiert, und das Publikum nicht minder.
    Wann hört man heute noch Lieder von Franz Lachner? »Tom der Reimer« von Loewe?
    Für Leute, die sonst alles kennen, gab es als Überraschung »Der Zauberlehrling« in der Komposition von Michael Gees, der Pianist des Abends in Personalunion mit dem Komponisten.
    Das Publikum war von den Darbietungen enthusiastisch begeistert und durfte zu diesem auch quantitativ großen Programm noch drei Zugaben genießen:

    Gustav Mahler

    "Rheinlegendchen" aus des Knaben Wunderhorn
    Franz Schubert
    "Der Erlkönig" D328 (J. W. von Goethe)
    Franz Schubert
    "Nacht und Träume" D827 (Matthäus von Collin)


    Hier erschien dann ein an diesem Abend noch nicht gehörter Komponist - Gustav Mahler. Die zwei ersten Zugaben wurden heftig beklatscht; aber nach dem Ende des letzten Stückes rührte sich zunächst keine Hand...
    es war eine auffordernde Handbewegung Prégardiens nötig - erst dann taten die Leute kund, dass ihnen auch dieses so sensibel vorgetragene Stück gefallen hatte. Es war ein besonderer Abend; auch wenn man es nicht nur subjektiv betrachtet.


    Auch andere Forianer werden ähnliche Erlebnisse haben; mit etwas gutem Willen lässt sich immer etwas Besonderes heraushören - bitte berichtet darüber, dann besteht die Chance, dass das ein Thread wird, der über längere Zeit Bestand hat.

  • Lieber hart, Du hast wirklich immer so schöne Ideen! Dein neues Thema gefällt mir sehr gut. Zunächst möchte ich aus einer ganz fremden Ecke darauf zugehen. Es gab diese hoch interessante Mundartdichterin Lene Voigt (bitte jetzt nicht gleich abwenden, diese Frau ist wirklich interessant), die hat berühmte Balladen ins Sächsische gedreht. Ihr Werk und ihr Wirken, das auch starke soziale Bezüge hat, werden längst von seriösen Wissenschaftlern erforscht. Jedenfalls stellte kürzlich einer von diesen Sprachforschern fest, dass diese Arbeiten heutzutage kaum mehr Wirkung hätten, weil niemand mehr die originalen Balladen und deren Inhalte kenne. Genau darin sehe ich auch einen Grund, warum vertonte Balladen so selten anzutreffen sind in Konzertprogrammen. Das Abendkonzert, auf dass Du Dich beziehst, ist ein Hoffnungsschimmer, mehr sicher nicht. Leider habe ich es in der Mediathek des SWR, wo diese Abendkonzerte sechs Monate lang nachgehört werden können, nicht mehr gefunden. Ich hätte es zu gern selbst gehört, obwohl wir ja die betreffenden Lieder sehr gut kennen. In meiner Schulzeit wurden Balladen noch analysiert, gelernt und vorgetragen. Von daher kann ich viele auswendig. Balladen sind ja oft voll von historischen, biblischen oder geographischen Bezügen und Andeutungen. Sie sind wie bestimmte Gemälde, wo das auch so ist. Wenn wir die Balladen aus diesem Konzert hervornehmen, werden wir bald feststellen, dass wir einiges wieder nachschlagen müssen. Es nützt nichts, darüber hinwegzuhören. Dann haben wir nichts verstanden von diesen Kunstwerken. Nur die Musik und die Stimmung reichen nicht. Eine meiner liebsten von Carl Loewe vertonten Balladen ist diese:


    Zelte, Posten, Werda-Rufer!
    Lust'ge Nacht am Donauufer!
    Pferde stehn im Kreis umher
    Angebunden an der Pflöcken;
    An den engen Sattelböcken
    Hangen Karabiner schwer.


    Um das Feuer auf der Erde,
    Vor den Hufen seiner Pferde
    Liegt das östreichsche Pikett.
    Auf dem Mantel liegt ein jeder;
    Von den Tschackos weht die Feder,
    Leutnant würfelt und Kornet.


    Neben seinem müden Schecken
    Ruht auf einer wollnen Decken
    Der Trompeter ganz allein:
    "Laßt die Knöchel, laßt die Karten!
    Kaiserliche Feldstandarten
    Wird ein Reiterlied erfreun!


    "Vor acht Tagen die Affaire
    Hab ich, zu Nutz dem ganzen Heere,
    In gehör'gen Reim gebracht;
    Selber auch gesetzt die Noten;
    Drum, ihr Weißen und ihr Roten!
    Merket auf und gebet Acht!"


    Und er singt die neue Weise
    Einmal, zweimal, dreimal leise
    Denen Reitersleuten vor;
    Und wie er zum letzten Male
    Endet, bricht mit einem Male
    Los der volle, kräft'ge Chor:


    "Prinz Eugen, der edle Ritter!"
    Hei, das klang wie Ungewitter
    Weit in's Türkenlager hin.
    Der Trompeter tät den Schnurrbart streichen
    Und sich auf die Seite schleichen
    Zu der Marketenderin.


    Der Text stammt von Freiligrath. Da kommt man nun ohne gewisse Geschichtskenntnisse, die auch Militärhistorisches streifen, gar nicht aus. Kann man die heute überhaupt noch vortragen? Balladen sind letztlich eine Bildungsfrage. Nun sind Menschen heute ja nicht grundsätzlich ungebildet. Gott sei Dank, nicht. Sie wissen nur anderes. Noch etwas: Es gibt beim Label Litraton eine Sammlung der - wie es heißt - schönsten deutschen Balladen, gelesen von Gert Westphal. Beim Händler schrieb dazu ein Kunde in einer Rezension sinngemäß, seine Kinder seien schreien davon gelaufen. Es sei schrecklich, was der Vorleser da produziere usw. Das war hart. Natürlich ließ ich mich nicht beeindrucken, weil ich Westphal schätze und seine vielen Hörbücher in Teilen gut kenne. Mit den Balladen wurde aber auch ich nicht richtig warm, weil er sich zu oft in einer Art Rollenspiel erging und keine vortragende Distanz herstellen konnte. Gerade sein "Prinz Eugen" war derart übertrieben und am Rande der Lächerlichkeit. Das machte mich auch nachdenklich, was die Wirkung von Balladen in unserer Zeit anbetrifft. Soweit einige Gedanken zum Thema.


    Herzlich grüßt Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich habe ihn erlebt, diesen Liederabend. Er hat mich beeindruckt, - allein schon deshalb, weil es für mich der erste war, der sich ausschließlich um Balladen drehte. Auch die Leistung der Interpreten war beeindruckend, obgleich es des „Beeindrucken-Wollens“ für mich zuweilen etwas zu viel war.


    Will sagen: Die Neigung Christoph Prégardiens, in wortorientierter Weise die melodische Linie der Singstimme in expressiver Weise deklamatorisch zu stark zu akzentuieren, ist mir auch dieses Mal wieder unangenehm aufgefallen. Es ist ein Trend bei ihm, der sich immer mehr verstärkt und bei einer nachlassenden Stimme mehr und mehr problematisch wird, - aus meiner Sicht wohlgemerkt.


    Aber was soll´s? Es war ein Erlebnis.
    Überrascht bin ich freilich, darüber hier in diesem Forum nicht etwa nur einen Bericht – im Sinne einer gleichsam journalistisch-kritischen Stellungnahme - , sondern sogar einen eigenen Thread vorzufinden.


    Welchen Sinn soll das haben?, frage ich mich. An einem regelrechten Thread können sich ja doch nur solche Mitglieder des Forums beteiligen, die diesen Liederabend erlebt haben.
    Gibt es die, - außer mir?


    Ich selbst könnte mich auf die Interpretation einzelner Balladen durch Christoph Prégardien und ihre exzellente Begleitung durch Michael Gees einlassen, - aus der Erinnerung sozusagen, das heißt nicht sonderlich detailliert also. Womit die Sache schon problamatisch würde.
    Interessant wäre auch eine Diskussion, die sich um die Frage der Aktualität von Balladen drehte. Dazu brauchte es aber einen entsprechend thematisch ausgerichtete Thread und keinen „Erlebnisbericht“ über einen Liederabend.


    Apropos Michael Gees: Seine Vertonung des „Zauberlehrlings“ wäre auch einen eigenen Thread wert, - unter dem Aspekt „Vertonbarkeit von Lyrik“. Die großen Liedkomponisten wussten sehr gut, warum sie sich auf diese Ballade nicht eingelassen haben.
    Michael Gees wusste es offensichtlich nicht.

  • Was Christoph Prégardien betrifft, lieber Helmut, so habe ich ihn vor drei oder vier Jahren noch als Evangelist in der Matthäus-Passion unter Herreweghe erlebt, da habe icvh aber von einer nachlassenden Stimme noch nichts bemerkt. Wohl aber habe ich vor einiger Zeit auf Classica eineschöne Müllerin von ihm erlebt, ebenfalls mit Michael Gees, der mir da sehr gut gefallen hat. Was mir nicht so gut gefallen hat, waren die Verzierungen, die Prégardien bei etlichen Liedern an den Enden einer Phrase angefügt hat. Ich habe zur Sicherheit noch mal Fritz Wunderlich gegengehört, obwohl ich es eigentlich schon wusste, dass Schubert das nicht komponiert hatte. (Wie sagte doch so schön seinerzeit Mozart auf einen fremdgesteuerten Einwurf des Österreichischen Kaisers, seine "Nozze" habe zu viele Noten: "Majestät, sie hat gerade so viel Noten, wie es gehört, keine zu viel und keine zu wenig". :D )


    Wie dem auch sei, auf Grund dieser Prégardienschen "Eigenkompositionen" war das natürlich auch ein besonderer Liederabend.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nur weil Du mich angesprochen hast, lieber Willi, melde ich mich hier noch einmal zu Wort.
    Was ich in meinem obigen Beitrag schrieb, sind ganz und gar subjektive Eindrücke, die zudem noch besonders problematisch sind, weil ich von der Sangeskunst nicht viel verstehe. Sie bedürften dringend einer möglichst aus verschiedenen Ecken kommenden Stellungnahme, um auf ihren objektiven Gehalt hin überprüft zu werden.
    Genau dieses ist aber in einem Thread von dieser Art aus prinzipiellen Gründen nicht möglich. Und darin sehe ich ein Problem.


    Es ist ja richtig, dass das wahre Leben der Musik sich im Konzert ereignet. Und verständlich ist, dass man von einem Konzerterlebnis derart – positiv oder negativ - beeindruckt sein kann, dass man darüber berichten möchte. Mir ist das jedenfalls schon mehrfach so ergangen (zum Beispiel in dem besonders interessanten Fall der Interpretation der „schönen Müllerin“ durch den Sohn von Hermann Prey, Florian Prey). Aber ich habe mich jedesmal gefragt: Was brächte das?


    Solche Berichte von Hörerfahrungen haben nur dann einen Sinn, wenn im Forum die Grundlage für eine Kommunikation darüber vorhanden oder herstellbar ist. Und dazu braucht es die Tonkonserve, so viel Einwände man auch immer gegen sie haben mag. Sie, nicht das Live-Konzert, ist die Basis für diskursive Prozesse in diesem Forum. Was aber keinesfalls ausschließen muss, dass konzertbedingte subjektive Hörerfahrungen in diese eingebracht werden. Das kann sogar höchst befruchtend sein, - wie das alles auf beeindruckende Weise bei euren Vergleichen der Beethoven-Klaviersonaten-Interpretationen zu erfahren und zu erleben ist.


    Einen Nachtrag habe ich noch zu machen: Goethes "Zauberlehrling" wurde u.a. von Zelter, Zumsteeg und Loewe vertont.

  • Zunächst einmal zur wichtigsten Frage überhaupt:

    Welchen Sinn soll das haben?, frage ich mich. An einem regelrechten Thread können sich ja doch nur solche Mitglieder des Forums beteiligen, die diesen Liederabend erlebt haben.

    Ich hatte versucht in meinem Eingangsstatement darzulegen, dass es jedem, der einen Liederabend besucht möglich ist, seine Eindrücke an dieser Stelle zu schildern. Ausnahmsweise darf ich mich mal selbst zitieren:


    Zitat

    Der besondere Liederabend kann natürlich auch grundsätzlich jeder Liederabend sein, der irgendwo mit irgendjemandem mit irgendeinem Programm stattfindet, wenn man das jeweils aus rein persönlicher Sicht so empfindet. Vielleicht wenn Max Mustermann im Gemeindehaus von Hinterdorf die Winterreise singt...

    Genau so steht es im ersten Beitrag...
    Das Thema ist also kaum eingegrenzt, sondern sehr weit gefasst, damit sich viele beteiligen können, denn solcherart Veranstaltungen finden ja auch in Wien, Zürich, Berlin, Hamburg, München... und im Gemeindehaus von Hinterdorf statt.


    Es ist keine Frage, dass Liederabende längst nicht mehr den Stellenwert von einst haben. So schreibt zum Beispiel Edda Moser in ihrem Buch Ersungenes Glück (Seiten 109 / 110):
    »Was ich meine, ist der Schwund der Liederabende im täglichen Musikleben. Das Lied droht immer mehr zu einem Nischenprodukt für Liebhaber und Experten zu werden. Als ich in Berlin studierte (Anmerkung 1956-1960), waren Liederabende selbstverständlicher Teil des Musiklebens. Da verging keine Woche ohne einen Liederabend, und man hörte regelmäßig die Besten des Metiers: Fischer-Dieskau, Grümmer, Seefried, Prey, Schwarzkopf, Rothenberger, Streich und viele andere«


    Den Threadstarter interessiert es einfach - und ich hoffe, nicht der einzige Interessierte zu sein - welche Live-Erlebnisse heute noch möglich sind; dies real zu erfahren ist hier der richtige Ort.

  • Was mir nicht so gut gefallen hat, waren die Verzierungen, die Prégardien bei etlichen Liedern an den Enden einer Phrase angefügt hat.


    Lieber William B.A.
    In der Beurteilung der Stimme Prégardiens schließe ich mich gerne Deiner Meinung an.
    Was die verzierte Müllerin betrifft, beziehe ich mich auf eine Aufnahme mit dem Label Challenge Classics - als Aufnahmedatum wird October 2007 angegeben.
    Dort erschien Schuberts »Die schöne Müllerin« (mit Michael Gees), die bei der MIDEM 2009 sowohl den »Record of the Year Award« als auch den »Vocal Recital Award« erhielt. Im Booklet dieser CD werden ja diese Verzierungen thematisiert und in dem Thread »Franz Schubert - Kunstlieder modifiziert, arrangiert, manipuliert und verziert« finden sich ab Beitrag Nr. 118 einige Gedanken dazu.
    Sicher wäre es auch interessant gewesen, wenn Du Prégardiens erste Aufnahme mit der späteren verglichen hättest, das lässt sich ja immer noch machen - anbei einen Teilbericht aus der Zeitung zu diesem Thema.


    Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.04.2008, Nr. 82, S. 36

    Der Tenor Christoph Prégardien legt nun, begleitet von Michael Gees, eine Neuaufnahme der "Schönen Müllerin" vor, die sensationell zu nennen ist gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er vor sechzehn Jahren mit seiner ersten "Müllerin"-Einspielung Interpretationsgeschichte geschrieben hatte. Prégardien und sein damaliger Begleiter Andreas Staier (an einem Wiener Hammerflügel) versuchten, den Zyklus von allem Didaktischen, auch von jedem großäugig romantischen Blauton, zu reinigen. Als Oratoriensänger groß geworden, stellte Prégardien das Schubertlied quasi ins Licht der musikalischen Rhetorik im Sinne der Klangrede, was zu mehr Klarheit und Transparenz führte - trotz der eher mageren Dokumentenlage, was eine "authentische" Praxis des Liedgesangs anbelangt. Seither hat sich die sogenannte "historische Aufführungspraxis", damals ultima ratio, weiterentwickelt zur allenfalls "historisch informierten" Aufführungspraxis - und die zweite Aufnahme Prégardiens fasziniert noch mehr als die seinerzeit hochgelobte erste.

  • Lieber hart,


    dann werde ich mir die Schöne Müllerin Prégardiens mit Gees doch mal zulegen müssen, um sie mit der ersten (mit Staier) zu vergleichen, die ich seit vielen Jahren in meiner Sammlung habe. Weil du Prégardiens Tätigkeit als Oratoriensänger ansprachst, da habe ich ihn auch kennen gelernt, mehrmals in der Schöpfung, im WO und in der Matthäus-Passion.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Da bis jetzt noch kein Bericht von einer anderen Konzertveranstaltung eingestellt wurde, möchte ich den vorhandenen Freiraum nutzen, um im Rückblick auf diesen Abend (siehe Beitrag Nr. 1), hier einige Zitate aus der Presse mitzuteilen und gehe einmal optimistisch davon aus, dass man nicht unbedingt dabei gewesen sein muss, um daran Interesse zu haben.


    Im Übrigen höre ich zeitgleich - während ich hier schreibe - den Liederabend nochmal hier am PC, SWR2 macht das erfreulicherweise möglich. So hat jeder Tamino-Liedfreund die Gelegenheit diesen zeitversetzten Live-Mitschnitt zu hören. Die Mitarbeit muss sich also durchaus nicht nur auf die Leute beschränken, die im Schwetzinger Mozartsaal einen Stuhl besetzt hatten. Helmut Hofmanns Befürchtungen können zerstreut werden.


    Zudem erfährt der Hörer noch den besonderen Service, dass in der Konzertpause umfangreiche und hochinteressante Interviews mit Christoph Prégardien und Michael Gees gesendet werden, die den beim Konzert Anwesenden verborgen bleiben, wenn sie es versäumen, sich dies im Nachhinein zu beschaffen.
    In diesen Gesprächen geht es um die Unterschiede von Lied und Ballade, die Art der Programmgestaltung und den Dialog mit dem Publikum - wie ich finde, ein außerordentlich inhaltreiches Gespräch!
    Im Zuge der Pausenüberbrückung ist sogar als Kostprobe noch ein Ausschnitt der Arie des Lenski aus Tschaikowskis Oper Eugen Onegin "Wohin seid ihr entschwunden" zu hören (Prégardien / Gees), also mit Klavierbegleitung.
    Es wird das gesamte Konzert gesendet, jedoch nur die erste Zugabe - wollte man alle drei hören, musste man schon persönlich erscheinen...


    Hier einige Teile aus der Presseberichterstattung:


    Prégardien und Gees präsentieren höchste Balladenkunst
    Sehr schnell im Laufe des Abends erfasste einen ein leises Bedauern, dass dieser herrliche Eröffnungssamstag mit Tenor Christoph Prégardien und seinem Begleiter am Klavier, Michael Gees, naturgemäß einigen Musikfreunden entging, die auch gerne in altvertrauten Balladen geschwelgt hätten. Irgendwie müsste da ein "da capo" für Nachzügler möglich sein.


    »Völlig neu, stilgerecht und konsequent durchkomponiert erschien Michael Gees´ Vertonung von Goethes "Zauberlehrling". Sie passte sehr gut in den Rahmen der übrigen Stücke und war eine hübsche Visitenkarte dieses stets heiteren Magiers am Klavier.«


    »Während der hochversierte Michael Gees zunehmend zu einem superagilen Bauteils des Klaviers wurde, kam als Besonderheit des Abends hinzu, dass der Sänger Christoph Prégardien während all der wunderlichen oder maliziösen Berichte einen lebhaften mimischen und gestischen Kontakt mit dem Publikum hielt.«


    Schaurige Balladen
    »Längst ist Christoph Prégardien ein Festspiel-Magnet, ob er Vertrautes singt oder neue Wege beschreitet. Eine Rarität ist dieser ausverkaufte Abend, ein Geschenk für die Liebhaber der fantastischen Welt der Ballade, wozu auch der brillante Mitgestalter Michael Gees sein Teil beitrug. Ja, Prégardien kann auch das. Er steigt in baritonale Abgründe und schafft in exponierten Tenorhöhen atemberaubende Diminuendi. Sein Registerausgleich ist so perfekt wie seine Diktion, sein Legato, seine gestalterische Flexibilität.«


    So, nun ist Aktivität angesagt...

  • Ich lese oben das Zitat aus der Presse, die Vertonung von Goethes Zauberlehrling betreffend: »Völlig neu, stilgerecht und konsequent durchkomponiert erschien Michael Gees´ Vertonung von Goethes "Zauberlehrling". Sie passte sehr gut in den Rahmen der übrigen Stücke und war eine hübsche Visitenkarte dieses stets heiteren Magiers am Klavier.«


    ... und denke: Da ist über die spezifische Eigenart dieser Komposition eigentlich - wie so oft! - nichts gesagt. Ich hatte allerdings einen Eindruck von ihr, - und der war keineswegs positiv. Auf schiere "Eindrücke" sollte man sich aber nicht verlassen. Also habe ich mich hingesetzt und einen Vergleich mit der Ballade von Carl Loewe angestellt. Sie findet sich - soeben eingestellt - im Thread "Carl Loewe, Meister der Ballade und des Liedes".

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  • Natürlich darf man von einer Tageszeitung nicht zu viel verlangen...
    Einem Konzert-Berichterstatter auf dieser Ebene würden es wohl die meisten Zeitungsleser verübeln, wenn er solcherart tiefgründige Betrachtungen zu Papier brächte, wie das nun im Loewe-Thread nachzulesen ist. Dort ist eine solche Analyse natürlich am richtigen Ort. Erfreulicherweise kann man die Geessche Vertonung nachhören, dann macht das durchaus Sinn, wenn das so im Detail beschrieben wird.
    Der Pianist Gees wandte sich schon recht früh auch der Komposition zu; ich finde zum Beispiel die Vertonung von Goethes Gedicht »Gegenwart« als die gelungenere Komposition, wenn ich mir diese kurze Abschweifung gestatten darf.

  • Zit. hart: „ich finde zum Beispiel die Vertonung von Goethes Gedicht »Gegenwart« als die gelungenere Komposition, wenn ich mir diese kurze Abschweifung gestatten darf.“


    Das ist eine der für mich erfreulichsten Feststellungen, auf die ich seit langem hier im Forum gestoßen bin. Warum? Sie zeigt, dass der äußere Anschein trügen kann und dass zwei Liedfreunde doch nicht so weit auseinander oder gar über Kreuz liegen, wie das ihre (vor allem meine!) Beiträge hier in diesem Forum zuweilen vermuten lassen.


    Eben wollte ich gerade einen Nachtrag zu meiner Rezension der Vertonung des „Zauberlehrlings“ im Loewe-Thread machen. Er bezieht sich …
    auf das Lied „Gegenwart“ von Michael Gees!
    Und das werde ich jetzt auch tun.


  • Liederabend Heike Wessels am 14. Mai 2014


    Programm des Liederabends:


    Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1874)
    Die Liebende schreibt op. posth. 86,3
    An die Entfernte op. 71,3
    Frage op. 9,1
    Frühlingslied op. 47,3


    Johannes Brahms (1833-1897)
    Liebestreu op. 3,1
    Die Mainacht op. 43,2
    An eine Äolsharfe op. 19,5


    Viktor Ullmann (1898-1944) - Liebeslieder nach Ricarda Huch op. 26
    Nr. 1: Wo hast du all die Schönheit hergenommen
    Nr. 2: An mein Klavier
    Nr. 4: Wenn je ein Schönes mir zu bilden glückte


    Erich W. Korngold (1897-1957) - Vier Lieder nach Shakespeare op. 31
    Desdemona´s Song
    Under the greenwood tree
    Blow, blow, thou winter wind
    When birds do sing


    Gustav Mahler (1860-1911) - Lieder aus des Knaben Wunderhorn
    Aus! Aus!
    Wo die schönen Trompeten blasen
    Starke Einbildungskraft
    Urlicht
    Es sungen drei Engel einen süßen Gesang


    Zugaben:


    Franz Liszt (1811-1886)
    Ihr Glocken von Marling


    Johannes Brahms (1833-1897)
    Och Moder, ich well en Ding han op.107,33


    Etwa vor einem Jahr wurde in einem Thread über die Form von Liederabenden diskutiert; in meinem zweiten Beitrag, der von einem Liederabend berichtet, möchte ich nun hier einen kleinen Einblick in eine ganz andere Form der Liederabendgestaltung geben, damit man an praktischen Beispielen sehen kann, was überhaupt geboten wird und welche Möglichkeiten der Hörer heutzutage hat, Kunstlieder live zu erleben.
    Ganz im Gegensatz zum barocken Ambiente bei den Schwetzinger SWR-Festspielen, ging es hier betont nüchtern zu. Anstatt einer Eintrittskarte gab es ein grünes Bändchen...
    Das Nationaltheater Mannheim kündigte an, dass dieser Liederabend in der Montagehalle stattfinden werde, wobei das Publikum zwischen gerade entstehenden Bühnenbildern sitzen würde.
    Vor Beginn der Liedvorträge trat jedoch eine Dame vor die gespannte Hörerschaft und entschuldigte sich dafür, dass aufgrund technischer Gegebenheiten aktuell keine Kulissen vorhanden sind. Es blieb also bei der fast leeren Halle, dem Bösendorfer Flügel mit Klavierstuhl und einem Hocker mit einer Sprudelflasche nebst Trinkglas - so die Ansicht des Publikums.
    Aus Sicht der beiden Interpreten waren sieben Stuhlreihen mit Publikum zu sehen - ein angemessen intimer Rahmen, optimale Voraussetzungen für einen Liederabend.
    Die Holzwand hinter dem Flügel wirkte wie eine Hommage an Schwarzenberg, wo eine solche permanent auf der Bühne steht... natürlich aus edlerem Holz.


    Die Ausführenden waren die Mezzosopranistin Heike Wessels, am Flügel begleitete Martin Günther, ein promovierter Musikwissenschaftler, der mit der Künstlerin schon seit der Studienzeit zusammenarbeitet. Da bei einem Liederabend die Sängerin naturgemäß im Vordergrund steht, füge ich die wesentlichen Daten von Heike Wessels hier ein:


    2006 gewann Heike Wessels den Internationalen Wettbewerb für junge Wagnerstimmen in Venedig. Sie studierte Gesang in Essen und Strasbourg und belegte Meisterklassen bei Ks. Brigitte Fassbaender, Thomas Hampson und Dame Gwyneth Jones. Nach Engagements in Wuppertal und Braunschweig ist sie seit 2008/2009 Ensemblemitglied am NTM, wo sie sich seither mit Magdalene, Ulrica, Maddalena, Gertrud, Fricka, Waltraute, Brangäne, Ortrud und Eboli zentrale Partien des dramatischen Mezzofaches ersang. Gastverpflichtungen führten sie als Venus nach Graz und als Orlofsky an die Volksoper Wien. In Mannheim debütierte sie zuletzt vielbeachtet als Sieglinde im neuen Ring. Als Konzertsolistin trat sie bereits beim Menuhin-Festival Gstaad, beim Rheingau-Musikfestival, an der Accademia di Santa Cecilia Rom, dem Teatro La Fenice Venedig und in der Berliner Philharmonie auf. In Zemlinskys Florentinischer Tragödie gastierte sie 2012 erstmals beim London Philharmonic Orchestra. 2013 debütierte sie als Kundry im Mannheimer Karfreitags-Parsifal, als Ortrud an der Oper Frankfurt und an der Opera Bastille in Strauss’ Elektra. 2014 ist sie am NTM u. a. als Fata Morgana zu erleben und wird als Sieglinde an der Deutschen Oper am Rhein gastieren.


    Meine Einschätzung der Stimme ist so, dass Heike Wessels über einen wundervoll warmen, dunkel timbrierten Mezzosopran verfügt, der auch jederzeit dramatische Akzente zu setzen vermag, wenn das notwendig ist; ja auch nicht verwunderlich, bei dieser Vita. Das Programm darf man wohl als anspruchsvoll bezeichnen; Lieder von Viktor Ullmann (er kam am 18. Oktober 1944 in Auschwitz um) waren mir zum Beispiel vor dieser Veranstaltung kein Begriff - und sie waren schön und wurden brillant dargeboten, denn der Sängerin steht eine reichhaltige Farbpalette zur Verfügung. Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, wollte man auf den Vortrag jedes Liedes eingehen, denn die Mitleser haben ja in diesem Falle keine Möglichkeiten, das Programm nachträglich zu hören, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Es geht mir hier eher um die Berichterstattung von Möglichkeiten, die es in diesem Genre gibt.


    Aber den Schlusspunkt des Konzertes muss man besonders würdigen, dieses Lied war so entzückend und in allen Belangen gekonnt vorgetragen, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass das irgendwo auf der Welt besser dargeboten wird - und wir durften das in einer Montagehalle erleben - Bravo!

  • Also schon wieder ein besonderer Liederabend, aber er war wirklich etwas ganz Besonderes, der SWR hat den Sänger unter anderem wie folgt annonciert:

    »Diese Bühnenpräsenz ist umwerfend. Florian Boeschs Liederabende gleichen dramatischen Szenen, in denen der Zuhörer unversehens von einem Strom von Emotionen mitgerissen wird. Der österreichische Bariton mit der unverwechselbaren Stimme gehört zu den wenigen Sängern, die sich vor allem auf den Konzertpodien einen Namen gemacht haben. Und was für einen: Aktuell singt er in der Carnegie Hall New York, der Wigmore Hall London und bei den Schwetzinger SWR Festspielen, davor war er bei den Salzburger Festspielen und in Edinburgh zu Gast. «


    Der Name Boesch ist in Musikerkreisen seit vielen Jahren ein Begriff; Christian Boesch, also Florians Vater, war in den 1970/80ger Jahren der Papageno. Florian Boesch erhielt den ersten ernsthaften Gesangsunterricht von seiner Großmutter, Kammersängerin Ruthilde Boesch, die ihn spontan unter ihre Fittiche nahm. Sein Gesangsstudium an der Wiener Musikuniversität begann er erst im Alter von 26 Jahren.


    Gestern Abend sang er also hier mit kerniger Stimme im vollbesetzten Schwetzinger Mozartsaal. Natürlich ohne Frack, wie ein Mann von der Straße stand oder lehnte er am Flügel und erzählte seinem Publikum Geschichten von Liebe und Leiden. Gleich nach den ersten Tönen bemerkte man, dass Schöngesang Boeschs Sache nicht ist, bei »Berg und Burgen schaun herunter« wurde es besonders deutlich, aber solches strebte der Sänger auch nicht an. Er hat - wie man aus einem Interview weiß - eine gewisse Affinität zu ramponierten Stimmen aus der Popwelt, wobei von ramponierter Stimme bei Boesch natürlich keine Rede sein kein. Aber so gesungen hörte ich diese Lieder des Liedkreises noch nie. Beim Lied geht es dem Sänger, so mein Empfinden, vor allem um Identifikation mit dem Text - "die Stimme als Träger des klingenden Worts", wie Boesch meint.


    Nach den Schumann-Liedern erwies man dem Jubilar des Jahres seine Reverenz; fünf Lieder von Richard Strauss wurden eingefügt; gleich zu Beginn - nach einer kleinen Beifallspause - dann das opulente »Breit über mein Haupt«, wo ein Sänger Stimme zeigen kann, und Boesch zeigte sie!


    Nach der großen Konzertpause standen die Schubert-Lieder auf dem Programm; auch diese ungewohnt dargeboten, wenn man es mit den vielen Liederabenden der Vergangenheit vergleicht. Besonders genau habe ich beim »Abschied« hingehört (weil ich mich dieser Tage mit dem Lied in der Interpretation von Robert Holl etwas intensiver befasst hatte). Florian Boesch war ja ein sehr eifriger Schüler bei seinem verehrten Lehrer Robert Holl gewesen.
    Es ist schön, dass es diese Interpretationsunterschiede gibt. So gesehen, war es ein beglückender Abend, den man hier live erleben durfte. Nun ist man gespannt, wie das im Radio rüber kommt, wenn man im Konzert nur die Stimme hört, denn die Gesamtdarstellung war ein wesentlicher Bestandteil dieses Konzertabends.
    Beim von diversen Liederabenden langjährig bekannten Malcolm Martineau ist die Sache mit der Übertragung natürlich kein Problem...


    In der Wiener Zeitung hat sich Florian Boesch mal zur Situation beim Liederabend so geäußert:
    »" ... auch die Liederabend-Situation ist ja von "merkwürdiger Rigidität": "Ich hab’ einen schönen Anzug an, verbeuge mich, fange an, alle sitzen unten still . . ." Allerdings: "Wenn man das überwindet und sich beim zweiten, dritten Lied völlig natürlich fühlt, ist das toll." In diesem kleinen Möglichkeitsraum persönliche Freiheit zu entwickeln: "Das ist die Herausforderung."«


    Die Programmfolge:


    Robert Schumann:
    Liederkreis op. 24


    Morgens steh ich auf und frage
    Es treibt mich hin, es treibt mich her
    Ich wandelte unter den Bäumen
    Lieb Liebchen, leg`s Händchen aufs Herze mein
    Schöne Wiege meiner Leiden
    Warte, warte, wilder Schiffsmann
    Berg und Burgen schaun herunter
    Anfangs wollt ich fast verzagen
    Mit Myrten und Rosen, lieblich und hold


    Richard Strauss:
    Breit über mein Haupt op. 19 Nr. 2
    All meine Gedanken op. 21 Nr. 2
    Die Nacht op. 10 Nr. 3
    Ruhe, meine Seele op. 27 Nr. 1
    Allerseelen op. 10 Nr. 8


    P A U S E


    Franz Schubert:
    Der Tod und das Mädchen D 531
    Lachen und Weinen D 777
    An die Musik D 547
    Widerspruch D 865
    An mein Herz D 850
    Nachtviolen D 752
    Der Wanderer D 649
    Meeres Stille D 216
    Abschied D 475
    Strophe aus "Die Götter Griechenlands" D 677


    Nach langanhaltendem Beifall gewährten die Künstler noch zwei Zugaben:


    Franz Schubert: An den Mond D 259
    Robert Schumann: Mein Wagen rollet langsam op. 142/4


    Konzertübertragung:
    Montag, 2. Juni 2014 - 20:03 - 22:00 Uhr in SWR2

  • Auch zu diesem Liederabend soll noch die Resonanz der Presse nachgereicht werden. Die »Schwetzinger Zeitung« überschreibt ihren Konzertbericht mit:
    Florian Boesch begeistert
    Spannend und effektvoll


    »Es gibt Sänger, die ihr Publikum auf Anhieb in ihren Bann ziehen. Der österreichische Bassbariton Florian Boesch ist so einer. Er begann seinen Schwetzinger Liederabend mit Robert Schumanns Liederkreis Opus 24, und wie unmittelbar, wie natürlich und unprätentiös dieser große athletische Mann die inneren Erregungszustände der Heine-Texte über die Rampe brachte, das unterschied sich doch gewaltig von den kultivierten Interpretationen lyrischer Tenöre und Baritone. Boesch singt beileibe nicht unkultiviert, aber schon die tiefe Tessitura (an Stelle der gewohnten Ausgabe für die mittlere Stimme) im Verein mit manch rückhaltlosem Ausbruch gaben dem Zyklus eine archaische, extrovertierte, aber ungeheuer spannende Note.
    Nicht minder effektvoll unter den folgenden Liedern von Richard Strauss jene drei, die in verborgene Seelenwinkel leuchten ("Die Nacht", "Ruhe meine Seele", "Allerseelen") und die Boesch mit hoher Sensibilität in feinen Pianonuancen gestaltete. Malcolm Martineau, Boeschs bevorzugter Klavierbegleiter, stimmte mit dem Sänger agogisch und dynamisch wohltuend überein. Dieser Umstand und sicher auch akribische Probenarbeit waren wohl der Grund für die nahezu perfekte Kongruenz in den Parallel-Passagen.
    Zehn ausgewählte, meist unpopuläre Schubert-Lieder erklangen zum Finale. Die spürbar bewegten Zuhörer ließen den Schlussapplaus in stetem Crescendo anschwellen und wurden mit zwei Zugaben belohnt.«

  • Konzertübertragung des Liederabends von Florian Boesch:
    Montag, 2. Juni 2014 - 20:03 - 22:00 Uhr in SWR2

  • Wenn der Liederabend heute Abend gesendet wird, war er vermutlich nicht - wie weiter oben in Beitrag 14 steht - am 27. Juni 2014, sondern am 27. Mai?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • @ Stimmenliebhaber:


    Das ist richtig. Der Liederabend fand am 27. Mai um 19.30 Uhr im Mozartsaal statt. Ich hatte den Fehler in harts Beitrag auch bemerkt, hielt es aber nicht für geboten, darauf hinzuweisen (geschweige denn gar, einen Kommentar zu diesem Liederabend abzugeben).

  • Wenn der Liederabend heute Abend gesendet wird, war er vermutlich nicht - wie weiter oben in Beitrag 14 steht - am 27. Juni 2014, sondern am 27. Mai?


    Danke für den Hinweis; da bin ich zwischen den Monaten bei den vielen Terminen etwas durcheinander gekommen, natürlich war der Liederabend, der heute übertragen wird, bereits am 27. Mai. Wie man weiß, besteht für den gemeinen Schreiber leider keine Möglichkeit so etwas nachträglich zu ändern.

  • I have a dream...


    ... eben gerade hören sich einer oder eine - oder gleich mehrere - der Liedfreunde dieses Forums die Übertragung des Liederabends an, der in diesem Thread als ein "besonderer" vorgestellt und - der Thematik dieses Threads entsprechend - eingestuft und bewertet wurde.


    Und dann geben sie Kommentar dazu und reflektieren dabei, ob diese Einstufung und Bewertung tatsächlich berechtigt war. Und sie tun das, indem sie nicht einfach einschlägige Presse-Rezensionen zitieren und ihnen zustimmen, sondern indem sie der Frage nachgehen, wie die Lieder im einzelnen interpretiert wurden, - ob die Interpretation ihnen gerecht wurde und wie sie unter diesem Aspekt zu beurteilen ist.
    Ob das alles also die Bewertung "besonderer Liederabend" wirklich verdient hat.


    I have a dream...

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich schon wieder, Helmut Hofmanns moralisches Alter Ego. Kleiner Scherz.


    Im Ernst: Was war das jetzt? Bist Du beleidigt, weil dem User hart ein Liederabend gefallen hat?


    Ich fasse es nicht.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Man kann natürlich den Standpunkt vertreten, dass grundsätzlich jeder Liederabend etwas Besonderes ist, man kann es aber auch ganz anders sehen, das mag jeder halten wie er mag. Aber dieser Liederabend war tatsächlich etwas ganz Besonderes, das hat nämlich mit meiner Person oder mit speziellen Bevorzugungen überhaupt nichts zu tun, das lässt sich ganz objektiv feststellen.
    Es könnte ein Paradigmenwechsel sein - könnte, das heißt noch lange nicht, dass es einer ist oder wird, das ist schließlich ein großes Wort.
    Aber es ist objektiv feststellbar, dass hier - und Schwetzingen ist ja nur ein Veranstaltungsort unter vielen - eine völlig neue Art der Interpretation angeboten wurde. Spontan fiel mir am Abend der Aufführung in Schwetzingen die Stelle aus Beethovens Zyklus »An die ferne Geliebte« ein, wo es heißt:
    »Und du singst, was ich gesungen,
    Was mir aus der vollen Brust
    Ohne Kunstgepräng erklungen,
    Nur der Sehnsucht sich bewußt«
    Ja, was Boesch angeboten hat, waren Kunstlieder ohne Kunstgepräng, aber auch das kann Kunst sein! Deshalb braucht man die vielen herrlichen Stimmen, die es gibt, ja nicht gleich aussortieren, da bin ich viel zu viel Stimmenliebhaber, um so etwas auch nur anzudenken; aber dass beide Stilarten nebeneinander bestehen könnten, das ist schon vorstellbar.

    Bisher kannte ich Florian Boeschs Stimme nur aus der deutschen Schubert-Lied-Edition von Naxos, wo Boesch auf einer CD (31) 14 Schubert-Lieder singt.
    Nun hörte ich heute die Konzertübertragung im Rundfunk und muss feststellen, was ich insgeheim auch befürchtete, dass der Mitschnitt doch ein großes Stück vom Live-Erlebnis weg ist.


    Übrigens: Wenn die Moderatorin der Sendung zum Schluss sagte, dass das Konzert mit der Zugabe von Schuberts Lied »An den Mond« zu Ende gegangen sei, dann ist das nur die halbe Wahrheit und trifft allein für die Rundfunkübertragung zu. Am Konzertabend sagte Florian Boesch nämlich zwei Zugaben an und sang sie auch. Das letzte Lied war eine Komposition von Robert Schumann: »Mein Wagen rollet langsam«
    Falls jemand von mir eine Rechtfertigung oder Begründung für diesen Thread verlangt:
    Ich möchte zeigen, dass das Kunstlied nicht so tot ist, wie es manchmal kolportiert wird und ich möchte etwas von wirklichen Geschehnissen abbilden.


  • Auf der Bühne im »Kasten« kann der »Kreuzgang« nur angedeutet werden


    Mit etwas Geschick kann man jeden Liederabend mit dem Attribut des Besonderen ausstatten, aber dieser Abend hat einige Alleinstellungsmerkmale, die unbestreitbar sind, denn wenn gleich vier Personen auf der Bühne agieren, ist das nicht das Übliche. Auch für den Veranstalter nicht, der mit diesem Liederabend Neuland betrat.


    Feuchtwangen, ein kleines Städtchen in Mittelfranken, bietet seit 1949 Festspiele mit einem recht breiten Spektrum an. Auf dem Spielplan stehen üblicherweise Schauspiel- und Musical-Klassiker - und in diesem Sommer nun auch ein Liederabend mit der Sopranistin Christiane Karg, die 1980 in Feuchtwangen geboren wurde und nun die Festspiele mit der Konzeption »KunstKlang«, einer Konzertreihe, die in der ersten Spielzeit 2014/15 vier Abende umfasst, erweiterte - auch die künstlerische Leitung liegt in Händen von Frau Karg. Am ersten Abend dieser Reihe waren neben der Sopranistin auch der renommierten Bass-Bariton Robert Holl zu hören. Die Klavierbegleitung lag in Händen von Burkhard Kehring und die Rezitationen sprach Manutscher Radin, ein im Iran geborener Künstler, der in seinem Kulturkreis einen gewissen Bekanntheitsgrad hat.


    Die Festspiele finden idealerweise im Klostergarten vor den Arkaden des romanischen Kreuzgangs des ehemaligen Benediktinerklosters statt. Frau Karg ist im direkt angrenzenden »Café am Kreuzgang« aufgewachsen und hat natürlich dadurch eine ganz besondere Beziehung zu dieser Spielstätte.

    Mit der Spielzeit 2010 haben die Festspiele eine neue Zuschauertribüne mit 511 gepolsterten Sitzplätzen erhalten, die rundum den Blick auf den Kreuzgang freigibt.


    Aber Feuchtwangen - nomen est omen - hatte ausgerechnet zur Premiere von »KunstKlang« seinem Namen alle Ehre gemacht, es goss in Strömen. So wurde das Konzert in den in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden »Kasten« verlegt, ein langgezogener historischer Fachwerkbau am Rande des Kirchplatzes, der als Stadthalle des Ortes dient. Die Verlegung der Aufführung hatte zur Folge, dass es in der Stadthalle einfach zu dunkel war - die Kritik spricht hier irrigerweise von »stockdunkel« - um das Programm mitlesen zu können, wer hat schon diese Texte auswendig parat? Es war ja schließlich kein Schubert-Abend, sondern im Wesentlichen eine Gegenüberstellung der Gedichte von Hafis und Goethe. Goethes Gedichte dieser Art sind ja erst durch den Einfluss von Hafis, der im 14. Jahrhundert lebte, entstanden.


    Diese »Begegnung« ist übrigens in Weimar am Rande des Ilmparks in Form eines Denkmals visualisiert, das zwei aus Granitsteinen gefertigte überdimensionale Sitzgelegenheiten zeigt, die sich auf west-östlicher Achse gegenüberstehen. Würde man die beiden »Stühle« wieder zusammenfügen, ergäbe sich die vorige Form des ursprünglichen Steinblocks. Auf der bronzenen Sockelplatte findet man Verse der beiden Dichter.


    Es war also kein Nachteil, wenn man etwas vorbereitet zu diesem Konzertabend erschien und es ist den ausführenden Künstlern wohl nicht anzulasten, wenn da Leute hingehen, die ihre Eintrittskarte im Radio gewonnen haben und vielleicht lieber Darsteller eines ganz anderen Genres gehört hätten. Die Kritik von Uwe Mitsching beginnt so:


    »Selbst die Zuhörerin, die ihre Karte im Radio gewonnen hatte, war enttäuscht: "Wenn ich das hätte bezahlen müssen." Sie war nicht die einzige, die vom ersten Abend der neuen "Kunst & Klang" - Reihe in Feuchtwangen wenig begeistert war. Trotz Sopranstar Christiane Karg«


    Über Höreindrücke kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber ich stelle sachlich fest, dass diese neue Konzertreihe »KunstKlang« und nicht »Kunst & Klang« heißt. Es war auch nicht »stockdunkel« im Saal, sondern das vorhandene Licht reichte nicht aus, um im Programmheft mühelos lesen zu können. Den Begriff »Sopranstar« im Rahmen dieses Liederabends zu verwenden ist dann eher eine Geschmacksfrage...


    Interessant ist auch, dass ein Kritiker die Verlegung in den »Kasten« als das Übel des Abends bezeichnete, was der andere Kritiker wiederum völlig anders sah und meinte bezüglich des Umzugs in die Stadthalle durch Wettereinflüsse:


    »Nachdem sich Petrus zum Auftakt der neuen Konzertreihe KunstKlang Feuchtwangen ziemlich uneinsichtig zeigte, musste von der der Kreuzgang-Freilichtbühne in den "Kasten" umgezogen werden, was der Atmosphäre des "Diwans der Lieder" keinen Abbruch tat.«


    Die Protagonisten des Abends:


    Christiane Karg erhielt ihre Gesangsausbildung am Salzburger Mozarteum, wo sie auch ihren Master Lied / Oratorium und den Abschluss im Fach Oper/Musiktheater absolvierte; als besondere Anerkennung gab es die Lilli-Lehmann-Medaille, die seit 1916 jährlich an junge, talentierte Musikerinnen verliehen wird.
    Die Künstlerin debütierte im Sommer 2006 bei den Salzburger Festspielen und erhielt seitdem als Opern- und Konzertsängerin international Anerkennung. Ab 2008 war sie Ensemblemitglied der Frankfurter Oper.
    2009 wurde sie von der Zeitschrift Opernwelt zur Nachwuchskünstlerin des Jahres gewählt. Im Oktober 2010 erhielt sie darüber hinaus den renommierten Musikpreis "Echo Klassik" der Deutschen Phono-Akademie für ihre erste bei Berlin classics erschienene Lied-CD Verwandlung - Lieder eines Jahres (Klavier: Burkhard Kehring). Im August 2012 erschien ihre zweite CD Amoretti mit Arien von Mozart, Gluck und Grétry unter Jonathan Cohen und seinem Ensemble Arcangelo.


    Robert Holl, 1947 in Rotterdam geboren, ist einer der ganz großen Liedersänger, live hatte ich ihn 2007 erstmals mit Graham Johnson in Schwarzenberg gehört, 2009 und 2010 dann mit Andreas Schiff, wo Holl dann neben Schubert auch Lieder von Modest Mussorgsky zu Gehör brachte. Nun standen in Feuchtwangen auch andere Komponisten auf dem Programmzettel.
    Obwohl Holls Schwerpunkt in der Liedgestaltung liegt, sang er bei den Bayreuther Festspielen 2011 und 2012 wieder den König Marke und im März 2011 hat er in Prag in einer Neuinszenierung des "Parsifal" den Gurnemanz gesungen. (Es ist kaum möglich, in diesem Rahmen den Liedsänger Robert Holl ausreichend zu würdigen, ich werde diesbezüglich mal einen Extra-Thread ins Leben rufen).


    Burkhard Kehring hat seit 2002 eine Liedprofessur an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und initiierte dort auch einen Masterstudiengang für Liedgestaltung. In der Vergangenheit hat Burkhart Kehring mit fast allen Großen im Genre Liedgestaltung zusammengearbeitet, auch mit Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau, um einmal zwei besonders prominente Namen zu nennen.


    Manutscher Radin ist 1944 im Iran geboren und ist eine bekannte Persönlichkeit der iranischen Kunst- und Kulturlandschaft. Seine Karriere begann im Alter von 16 Jahren als Synchronsprecher für Filme; später konnte man ihn auf der Theaterbühne erleben.


    Wie bereits in der Kopfzeile erwähnt, stand der Abend unter dem Motto »Divan der Lieder«
    Am Anfang waren fünf Lieder der Komponisten Maurice Ravel und Charles Koechlin, die von Christiane Karg vorgetragen wurden, zu hören.


    In der Fränkischen Landeszeitung meinte der Kritiker Uwe Mitsching dazu:


    »Zum Einhören waren Lieder von Maurice Ravels oder seinem Landsmannes Charles Koechlin eher ungeeignet«
    Das sehe ich genau so, füge jedoch hinzu, dass es an der gebotenen »stimmlichen Qualität« absolut nichts zu mäkeln gab.


    Der Kritiker Hans von Draminsky der Fränkischen Zeitung Mittelfranken sah das so:
    »Christiane Karg, die auf den Opern- und Konzertbühnen der Welt längst zum Star geworden ist, gefällt bei fragilen Kunstliedern wie Ravels "Asie" oder Koechlins "Chanson d´ Engaddi" nicht nur mit noblem Ton, sondern auch mit ihrem absolut idiomatischen Französisch. Die Sängerin versteht es, ihre farb- und leuchtstarke Stimme, die einen profunden rotgoldenen Mezzo-Kern hat, stets inhaltsdienlich einzusetzen«


    Nach diesem fremdsprachigen Einstieg war nun Robert Holl zunächst mit den Brahmsliedern »Botschaft« und »Wie bist du, meine Königin« an der Reihe; ich war gespannt, weil ich ihn nun schon längere Zeit nicht mehr live hören konnte und er natürlich in aller Regel Schubert sang. Seine Wortdifferenzierung war für mich auch hier in Feuchtwangen ein Erlebnis, eine leichte Indisposition war nicht zu verbergen (ein Sänger, den ich nächsten Tag im Sängermuseum traf, war der gleichen Meinung), aber was beide Zeitungskritiken zu Holls Beitrag schrieben, hätte ich so nicht für den Druck freigegeben, mir klingt das etwas zu negativ, aber wir haben ja Meinungsfreiheit...


    Hans von Draminsky schreibt:
    »Inspiration alleine reicht leider nicht, wenn das Wetter die Stimme angreift. Der an sich für seine Gestaltungskraft und sein druckvolles Timbre bekannte Bass Robert Holl kann in Feuchtwangen leider nicht glänzen, klingt bedeckt, gaumig und über Gebühr angestrengt, was auch der fraglos gegebene Wille zur differenzierten Interpretation, der beispielsweise in Johannes Brahms´ "Wie bist du, meine Königin" oder Othmar Schoecks "Ich habe mich dem Heil entschworen" spürbar wird, nur teilweise wettmachen kann.
    Schade, denn ein Robert Holl auf der Höhe seines Könnens hätte den altpersischen Bilderbogen nahe ans gedachte Ideal herangeführt. Immerhin gelingt es Holl vor allem in den bekannten "Suleika"-Gedichten aus Goethes West-östlichem Diwan, Liebesglut und feine Ironie zusammenzubringen und klarzumachen, wie Musik und Text ineinander zahnen können.«


    Uwe Mitsching, der auch sagt, dass es im Konzertsaal "stockdunkel" gewesen sei, meint - anknüpfend an den persischen Teil - :
    »Davon hatte man nicht viel mehr als einen eher exotischen Eindruck, auch nicht von den Liedinterpretationen des verdienstvollen Bassisten Robert Holl: einst an allen großen Bühnen berühmt für seinen Marke oder Sachs. Heute ist davon ein eher rezitativischer Gesangsstil mit viel Gestik und in vager Intonation übrig geblieben - dabei hatte er durchaus interessante Stücke auf dem Notenständer liegen: von Johannes Brahms, Viktor Ullmann oder Othmar Schoeck allein schon im ersten Teil«


    Wenn der Rezensent hier von "viel Gestik" spricht, kann ich das nachvollziehen, wenn von "vager Intonation" geschrieben wird, fällt mir nur Hugo Wolfs "Abschied" ein...


    Um bei Hugo Wolf zu bleiben - Christiane Karg sang im zweiten Teil des Abends auch das Lied »Als ich auf dem Euphrat schiffte« - das war gekonnter Liedgesang, und davon gab es reichlich an diesem langen, langen Abend.


    Zu lang waren - zumindest nach meinem Geschmack - die gesprochenen Einlagen, die im Grunde so einen Abend mit einem ganz anderen Sprachduktus bereichern können, aber die Hörenden auch überfordern kann.


    Es wurde in diesem Forum schon oft über Alternativen zu der bisher üblichen Form des Liederabends nachgedacht - hier war so eine Möglichkeit aufgezeigt. Mir ist der »reine« Liederabend lieber, aber ich konnte durch diese Art der Darbietung Erkenntnisse gewinnen, die mir bisher nicht zugänglich waren, und das ist ja schließlich auch etwas...


    Das Konzert wurde von BR Klassik aufgezeichnet.

  • In der Fränkischen Landeszeitung meinte der Kritiker Uwe Mitsching dazu:


    »Zum Einhören waren Lieder von Maurice Ravels oder seinem Landsmannes Charles Koechlin eher ungeeignet«


    Verstehe ich nicht. Muß es denn immer deutsches Liedgut sein? Die Ravel-Lieder (besonders >Asie<) sind doch wrklich sehr einnehmend um nicht zu sagen betörend und deshalb bestens geeignet für eine beglückende Eröffnung. :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Man weiß das natürlich nicht genau, aber ich vermute, dass die meisten Leute an diesem Abend wohl gekommen sind, weil die inzwischen zu einer gewissen Berühmtheit gelangte »Tochter« der Stadt auf dem Podium stand.
    In der Pädagogik geht man ja normalerweise vom Bekannten zum Unbekannten und nicht umgekehrt.


    Ich war im April dieses Jahres bei einem Liedernachmittag in der Alten Aula der Universität Heidelberg; da sang Maximilian Schmitt sechs Lieder von Gabriel Fauré, hatte jedoch Beethovens »An die ferne Geliebte« vorangestellt; ich fand das von der Methode her geschickter, aber man muss diese Meinung nicht teilen...



  • Schon oft wurde der Ortsname Schwarzenberg in diesem Liedforum erwähnt; es ist nun an der Zeit, dass man den Liedfreunden hier ein paar Informationen zu diesem enorm wichtigen Eldorado dieses Genres gibt.
    Ab Mitte der 1970er Jahre hörte ich das erste Mal von einer Schubertiade in Hohenems, dann von Feldkirch, auch dass Hermann Prey bezüglich der künstlerischen Belange als Spiritus Rector fungiere; Preys Gedanke war, an einem geeigneten Ort das Gesamtwerk von Schubert zu präsentieren; er wollte innerhalb von zwölf Jahren in chronologischer Reihenfolge Schuberts Werke aufführen, was sich jedoch in der praktischen Umsetzung als problematisch erwies. Der damals noch blutjunge Gerd Nachbauer (*1951), der ursprünglich selbst Musiker werden wollte, war der Organisator, und der Kulturmanager ist es noch heute.
    Die erste Schubertiade begann am 8. Mai 1976 in Hohenems mit einem Liederabend von Hermann Prey, am Klavier begleitet von Leonard Hokanson. Zwischenzeitlich hatte Prey gesundheitliche Probleme. Am Ende eines seiner Konzerte gab Hermann Prey 1980 bekannt, dass er die künstlerische Leitung des Festivals zurücklege, doch trat er 1981 nochmals bei der Schubertiade auf.
    Unter dem Motto »Schuberts Vorbilder« werden ab 1984 neben Schubert auch andere Komponisten in das Programm aufgenommen.
    Kurz nach dem Jahr 2000 kam dann plötzlich der Name Schwarzenberg ins Spiel, eine Gemeinde mit knapp 2000 Einwohnern im Bregenzerwald, etwa 30 Kilometer von Bregenz entfernt. Dort gab es schon seit einigen Jahren den Angelika-Kauffmann-Saal (benannt nach einer berühmte Malerin und Tochter der Gemeinde) einen Gemeindesaal, der jedoch vordem lediglich für Feierlichkeiten und Konzerte der Bevölkerung aus Schwarzenberg und der Region genutzt wurde.
    Nun fanden - ganz im Stile Schuberts - »Landpartien« auch nach Schwarzenberg statt. Den Gästen hat der Bregenzerwald in Kombination mit Schubert-Konzerten so gut gefallen, dass die Idee entstand alle Konzerte in Schwarzenberg aufzuführen. Diesen Ansprüchen konnte der vorhandene Saal nicht genügen. Also wurde behutsam umgebaut: Der Konzertsaal wurde um sieben Meter verlängert und die Nebenräume, insbesondere das Foyer, großzügig erweitert.
    Der Saal besteht im Wesentlichen aus Tannen- und Buchenholz, einem Material, das aus der Region stammt. Dadurch entstand eine warme, klare Atmosphäre in der man sich auf Anhieb wohl fühlt. Die Akustik ist hervorragend und braucht keinen Vergleich mit anderen Konzertsälen zu scheuen. Die Konzertbestuhlung bietet 600 Personen Platz.


    Im Frühjahr 2004 war ich dann zum ersten Male in Schwarzenberg, und mit mir noch 50.399 Besucher: Es war die bisher umfangreichste Schubertiade seit Festivalgründung, mit 99 Veranstaltungen.
    Heutzutage wird eine unwahrscheinlich große Anzahl von Kammerkonzerten sowohl in Hohenems als auch in Schwarzenberg - zeitversetzt, nicht gleichzeitig - angeboten. Am 31. August gingen nun die Tage in Schwarzenberg zu Ende, erst im Juni 2015 wird hier wieder musiziert.


    Wenn Konzerte so lange im Voraus geplant werden, kommt es natürlich immer wieder vor, dass ein Künstler/Künstlerin absagen muss, so auch Elisabeth Kulmann, die ihren Liederabend am 25. August absagen musste. In aller Regel erklärt sich dann jemand bereit einzuspringen; an diesem Tag war es der junge Tenor Mauro Peter, der am Flügel von Helmut Deutsch begleitet wurde. Das ist dann für den Interpreten eine besondere Situation, wenn er die Bühne in dem Wissen betritt, dass die Leute nicht wegen ihm gekommen sind.


    Der Tenor Mauro Peter wurde 1987 in Luzern geboren, sammelte erste Erfahrungen bei den Luzerner Singknaben und studierte ab 2008 an der Hochschule für Musik und Theater München Gesang. 2012 debütierte er als Teilnehmer des »Young Singers Project« bei den Salzburger Festspielen. Im gleichen Jahr gewann er auch den ersten Preis sowie den Publikumspreis des Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerbs in Zwickau.
    Als Liedsänger hatte er im Mai 2012 mit Schuberts »Die schöne Müllerin« sein Debüt bei der Schubertiade Hohenems und im September 2012 sprang er schon einmal in Schwarzenberg ein, beide Male begleitet von Helmut Deutsch. Danach folgten Liederabende in Tokio und im Wiener Musikverein sowie der Wigmore Hall in London, um nur die wichtigsten Stationen diese jungen Sängerkarriere zu nennen, zum Beispiel Oratorien und Opernpartien. Für die Spielzeit 2013/14 wurde er als Ensemblemitglied an das Opernhaus Zürich engagiert.

    Mauro Peter bot seinem Publikum vier Komponisten an, die Konzertfolge gestaltete sich so:


    Franz Schubert
    Der Wandrer an den Mond (Seidl), D 870
    An die Laute (Rochlitz), D 905
    Der Einsame (Lappe), D 800
    Abendstern (Mayrhofer), D 806
    Nacht und Träume (M. v. Collin), D 827
    Auf der Bruck (Schulze), D 853


    Robert Schumann
    Abends am Strand (Heine), op. 45/3
    Venetianisches Lied I (Moore), op. 25/17
    Venetianisches Lied II (Moore), op. 25/18
    Der Einsiedler (Eichendorff), op. 83/3
    Nachtlied (Goethe), op.96/1


    - Pause -


    Johannes Brahms
    Meerfahrt (Heine), op. 96/4
    Nachtigall (Reinhold), op. 97/1
    Versunken (F. Schumann). op. 86/5
    Wie Melodien zieht es (Groth), op. 105/1
    Feldeinsamkeit (Allmers), op. 86/2
    Geheimnis (Candidus), op. 71/3


    Hugo Wolf - Lieder nach Gedichten von Eduard Mörike
    Lied eines Verliebten
    Der Knabe und das Immlein
    An die Geliebte
    Nimmersatte Liebe
    Der Tambour
    Abschied


    Schon nach dem ersten Block von sechs Schubert-Liedern wurde der Sänger mit donnerndem Applaus in die kleine Ruhepause verabschiedet. Allerspätestens nach dem wunderschön gesungenen »Nacht und Träume« wusste wohl jeder im Saal, dass sich dieser Sänger dauerhaft einen Platz auf der Konzertbühne erobern wird.
    Bei den fünf Schumann-Liedern konnte dann der Sänger vor allem bei »Der Einsiedler« die ganze Bandbreite seiner Nuancierungsfähigkeit zeigen. Mit Brahms »Meerfahrt« wurde der zweite Teil des Konzerts eröffnet. Diesen sechs Liedern folgten schließlich noch fünf Hugo Wolf-Lieder nach Texten von Eduard Mörike.
    Dieser Textdichter passt ja besonders gut nach Schwarzenberg - hat er sich doch am 2. Juli 1857 ins Gästebuch des Gasthofs »Hirschen« eingeschrieben und sich die Landschaft erwandert.
    Natürlich, wie könnte es auch anders sein, bot der »Abschied« den erwarteten fulminanten Schlusspunkt. Das Publikum musste fürchten, dass Helmut Deutsch während der Schlusstakte vor Begeisterung vom Klavierstuhl fällt...


    Jubel erfüllte den Saal und die beiden Interpreten hatten sich diesen Applaus redlich verdient. Natürlich endete das Konzert nur offiziell nach diesem »Abschied«, denn es gelang der Zuhörerschaft noch drei Zugaben zu erbitten:


    Verborgenheit (Mörike) - Hugo Wolf
    Der Mond steht hinter dem Berge (Kugler), op. 106/1 - Johannes Brahms
    Mondnacht (Eichendorff), op. 39/5 - Robert Schumann


    Mauro Peter sagte einmal in einem Interview:

    »Ich habe eben ein Mitteilungsbedürfnis. Ich will auch jedes Lied als meine Geschichte erzählen. Da ist es eben schwierig für mich, distanziert zu bleiben.«


    Nun, da war an diesem Nachmittag auch keinerlei Distanz festzustellen. Eingangs wurde erwähnt, dass wunderschön gesungen wurde - scheinbar ein Allerweltsbegriff, aber das ist eben das, was der Zuhörer empfindet, wenn der Sänger da oben steht, seinen Vortrag souverän gestaltet und eine angenehm klingende Stimme zur Interpretation von Text und Musik zur Verfügung stellt. Dieser lyrische Tenor wird seinen Weg machen - als Mozartsänger auf der Opernbühne und als Liederinterpret im Konzertsaal.

  • Am Montag Mauro Peter, Dienstagabend Michael Volle, welch großer Unterschied in der Karriereplanung...


    Den Namen Michael Volle hörte ich erstmals, als der Sänger im Jahre 1990 ans Nationaltheater Mannheim engagiert wurde. Michael Volle wurde 1960 in Freudenstadt geboren und gilt, auch nach eigenem Bekunden, als sogenannter Spätzünder, weil er eigentlich erst mit 25 so richtig anfing. Er erhielt seine Ausbildung zum Sänger an den Musikhochschulen von Trossingen und Stuttgart bei Josef Sinz und Georg Jelden und war auch Schüler von Josef Metternich und von Rudolf Piernay.
    Zuletzt hörte ich Michael Volle im April 1998 mit dem »Schwanengesang«, das ist nun 16 Jahre her, eine relativ lange Zeit, da verändert sich eine Stimme schon. Nach meinem Wissensstand ist Michael Volle sehr der Oper verbunden, und das hört man.


    Da betritt ein Sänger die Schwarzenberger Bühne, der gerade in den letzten Jahren große Erfolge feiern konnte. Neben Schwarzenberg tauchen nämlich Namen wie Bayreuth, Wien, Salzburg, Zürich, Mailand auf und letztendlich sogar die Metropolitan Opera New York; diese Auflistung ist allerdings nicht vollständig.
    Die »Vorarlberger Nachrichten« sahen den Abend so (Auszug):
    »Mit seiner mächtigen Erscheinung ist Volle ein Bild von einem Mann, mit phänomenaler Ausstrahlung und im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte. Sein Wanderer durch Schuberts bedrückende Seelenlandschaften stemmt sich damit zunächst gegen das unvermeidbar scheinende Schicksal, das ihm die Liebe verweigert und am Ende nur noch den Leiermann als Todesboten bereithält. Volle lässt wortdeutlich seinen vollmundig runden Bariton einfach strömen, seine Ausbrüche sind gut überlegt, seine Körpersprache bleibt wohltuend sparsam.«
    Das kann man als Gast vor Ort voll und ganz unterschreiben. Der Aussage des Rezensenten, dass diese »Winterreise« zum Weinen schön gewesen sei, mag ich so pauschal nicht folgen, denn das muss wohl jeder Zuhörer individuell mit sich ausmachen. Fakt ist allerdings, dass es nach dem »Leiermann« eine gefühlte Ewigkeit lang mucksmäuschenstill war, bevor dann die beiden Künstler mit Beifall überschüttet wurden.
    Natürlich war das eine gut gesungene »Winterreise«, aber jeder Hörer hört anders und so habe ich eben noch Volles erste Lehrer Prof. Josef Sinz und Georg Jelden im Ohr...
    Aber sicher produziert ein solcher Abend die unterschiedlichsten Eindrücke und der Vortragende muss seinen eigenen Weg gehen, und als Volle beim »Leiermann« angekommen war, hatte er auch in Schwarzenberg wieder bewiesen - sein Debüt hier war im Jahre 2005 -, dass er auch das Liedfach beherrscht, was besonders beim sensiblen »Der Leiermann« zum Ausdruck kam.

  • Benjamin Bruns begann seine Sängerlaufbahn als Alt-Solist im Knabenchor seiner Heimatstadt Hannover. Nach einer vierjährigen privaten Gesangsausbildung bei Prof. Peter Sefcik studierte er an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei Kammersängerin Renate Behle.
    Seine Opernkarriere führte zunächst über Bremen, Köln, Dresden zur Wiener Staatsoper, der er seit 2010 angehört und wo man ihn als Tamino, Don Ottavio und Ferrando hört.


    Zu der Situation des Sängers vor dem Auftritt sagte Benjamin Bruns einmal in einem Interview:
    »Was ist das Singen auf der Bühne? Ich empfinde es so: Man geht hinaus, zieht sich nackt vor 3000 Menschen aus, öffnet sich die Brust, reißt das Herz heraus, reicht es diesen 3000 Personen im Zuschauerraum, gibt ihnen ein Messer in die Hand und bittet sie, im richtigen Moment zuzustechen. Das Publikum, das mitgeht, sticht auch im richtigen Moment zu. Das flaue Publikum ergreift das Messer nicht einmal.«


    Nun, so blutig ging es in Schwarzenberg nicht zu, aber der eifrige und routinierte Konzertbesucher stellte verwundert fest, dass bei einer Aufführung von »Die schöne Müllerin« neben dem obligaten Handy-Verbotsschild auch ein Notenständer stand, was ein Accessoire ist, das zum Einsatz kommt, wenn Schuberts »Taucher« oder etwas ähnliches dargeboten wird. Die Kritikerin Silvia Thurner meinte dazu:


    »Allerdings wirkte Benjamin Bruns’ Werkdeutung auf mich allzu sehr einstudiert und die einzelnen Nummern vorgetragen. Dies lag nicht zuletzt auch am Notenpult, das der Tenor bei sich hatte. Den Vortrag der "Schönen Müllerin" mit der Unterstützung von Noten sollte bei der Schubertiade tabu sein.«


    Es war ein Schubertiade-Debüt an diesem Nachmittag und es ist durchaus verständlich, dass ein junger Sänger, der vorwiegend auf der Opernbühne agiert, hier eine völlig andere, ungewohnte Situation vorfindet. Natürlich bringen die »alten Hasen«, die diesen Zyklus schon hundertfach gesungen haben, das souveräner über die Bühne, das ist keine Frage. Aber da ist bei Benjamin Bruns schon stimmliches Potenzial vorhanden und gerade die beiden letzten Lieder waren vorzüglich gesungen, da hatte ich den Eindruck, dass alles stimmte.
    Und Beifall gab´s auch, sogar an der falschen Stelle, nämlich nach Gerold Hubers intensivem Schlusspunkt bei »Mein«. Das könnte man ja schon als einen gewissen Abschluss deuten und schließlich steht dann ja auch noch »Pause« im Programmheft...
    Der Sänger schaute etwas verdutzt und sang den Zyklus ohne weiteren Zwischenfall zu Ende und das Publikum bedankte sich neun Lieder später lautstark und ausgiebig bei Benjamin Bruns und Gerold Huber.

  • Übertragung im Österreichischen Rundfunk


    Sendetermin:


    Montag, 15. September 2014, 10:05


    Benjamin Bruns, Tenor; Gerold Huber, Klavier.
    Franz Schubert: »Die schöne Müllerin«, Liederzyklus D 795
    (aufgenommen am 29. August im Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg). Präsentation: Chris Tina Tengel


    http://oe1.orf.at/programm/382234


  • Auf der Abbildung ist links das Tuch zu sehen, das Johnsons Schubert-Bücher verhüllt. Rechts davon die Stuhlreihe, die - von links nach rechts - in dieser Reihenfolge besetzt war:
    Held, Schreier, Johnson, Weidner (Moderatorin), Fassbaender, Widmer, Holl


    Diskussionsrunde »Die Zukunft des Liedes II«
    Eine Ouvertüre gibt es eigentlich nur in der Oper, jedoch nicht bei einem Liederabend. Aber das war ein Liederabend mit einem mehrtägigen Vorspann, der so umfangreich war, dass man hier nicht umfassend und lückenlos berichten kann, dennoch soll der Versuch gemacht werden, Interessierten einen kleinen Einblick zu geben.
    Im Rahmen des diesjährigen Internationalen Wettbewerbs für Liedkunst in Stuttgart fand unter der Moderation von Dr. Cornelia Weidner am 26. September 2014 eine Podiumsdiskussion mit KS Brigitte Fassbaender, Graham Johnson, KS Robert Holl, KS Prof. Peter Schreier, KS Kurt Widmer und dem Bariton Johannes Held statt.
    Es ging also wieder einmal um die Zukunft des Liedes und man war sich im Prinzip in der Runde darüber einig, dass für erfolgreiche Liederabende in den letzten Jahren der entscheidende Unterbau in Familie und Schule verlorengegangen ist. Brigitte Fassbaender berichtete aus ihrer aktiven Zeit, wo sie in Fulda, Regensburg, Neuss, Bonn und anderen Städten dieser Größenordnung Liederabende gab. Heute seien solcherart Veranstaltungen sogar in Wien und München äußerst selten. Frau Fassbaender meinte, dass das Publikum nur noch mit großen Namen anzulocken sei, der qualifizierte Nachwuchs hätte es schwer und müsste sich in der Regel eher auf den Opernbetrieb einstellen.
    Graham Johnson plädierte mit Nachdruck darauf, dass in Schulen Gedichte, Poesie und Musik den ihnen eigentlich gebührenden Platz einnehmen müssten. Brigitte Fassbaender fragte:
    »Wer liest heute noch Lyrik?«
    Kurt Widmer bemerkte, dass die 68er zwar manch Tolles, aber auch viel kaputt gemacht hätten, es würde ja schon als Delikt gelten, gebildet zu sein.
    Robert Holl meinte: »Wenn die deutsche Literatur in der Schule mit Thomas Mann anfängt und alles vorher als altmodisch gilt, haben wir mit dem Lied keine Chance.«
    Natürlich wurde immer wieder das mangelnde Interesse des Publikums angesprochen und man schaute neidvoll nach London, wo die Wigmore Hall mit ihren 500 Plätzen übers Jahr viele Liederabende bietet und immer ausverkauft ist. Frau Fassbaender bezeichnete diesen Ort als einen Solitär, das Mekka des Liedgesangs - sowohl bezüglich der Akustik als auch wegen des Publikums »mit das besterzogenste und wissendste«
    Graham Johnson gab zu bedenken, dass 200 oder 300 Leute in Stuttgart im Verhältnis zur Riesenstadt London ganz ordentlich sei. Peter Schreier meinte, dass man nicht so schwarzmalen sollte, man müsse ja nicht Säle mit 1000 Leuten füllen, 200-300 wären auch gut und der bessere intime Rahmen.
    In der Diskussionsrunde saß auch der junge Bariton Johannes Held aus Sindelfingen, der in seiner Heimatstadt ein Festival für das Kunstlied aus der Taufe hob, das sich unter dem Namen »Der Zwerg« präsentiert und in diesem Jahr einen ganz guten Start hatte und er tut auf jeden Fall einiges dafür, dass es am Leben bleibt. Der 31-Jährige ist Initiator und künstlerischer Leiter.
    Zum Kunstlied sagt Held: »Das Niveau der Texte, die Kraft der Musik, die Einfachheit der Mittel und die absolute Nähe zum Publikum machen für mich den Reiz dieser Gattung aus.«
    Nachdem die gestandenen und langjährig erprobten Profis auf dem Podium ihre Statements abgegeben hatten, wurde das Mikrofon ins Publikum gereicht. Den Beitrag einer Dame fand ich besonders originell. Sie ist nicht nur begeisterte Liederabendgeherin, sondern auch eine engagierte Joggerin. Während ihres sportlichen Tuns spricht sie Leute an und fragt ob diese Interesse an klassischer Musik und an einem geplanten Liederabend hätten. Die Liste sei schon auf über fünfzig Interessenten angewachsen, so wurde berichtet.


    Graham Johnson
    Im Rahmen dieser Diskussionsrunde erfolgte die Vorstellung des dreibändigen Standardwerks zu Franz Schuberts Gesängen mit Klavierbegleitung. Dieses Prachtwerk war mit einem weißen Tuch bedeckt und wurde enthüllt, wie ein Denkmal. Stolz erklärte Frau Dr. Weidner: »Wir haben hier etwas, was es sonst noch nicht gibt.«
    Auf drei Mal tausend Seiten findet man die Texte von über 700 Liedern ausführlich kommentiert, mit detaillierten Erläuterungen zu den poetischen Quellen und mit Biografien von 120 Dichtern sowie Artikeln zu Begleitung, Tonalität, Transkriptionen, Sängern... zudem ist diese Enzyklopädie reich illustriert.
    Graham Johnson ist sehr emotional, wenn er von der weltweit großen Bedeutung der Schubertlieder spricht, die gerade auch in England hoch geschätzt sind.


    Diese Diskussion kann zurzeit noch im Internet abgerufen werden und ist natürlich interessanter, als mein Versuch der Zusammenfassung. Wer sich dazu Zeit nimmt bekommt auch mit, dass die Moderatorin bedauert, dass die Musikwissenschaft Hugo Wolf kaum wahrnimmt. Bezüglich der Wolf-Biografien werden zwar Autoren wie Frank Walker und das Buch der Französin Stéphane Goldet genannt, aber die Wolf-Biografie, die Dietrich Fischer-Dieskau 2003 vorgelegt hat, sparte man leider aus.

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