Rundfunkarchive oder: Joseph K. vor dem Gesetz

  • Dieses Anmerkung in einem anderen Thread hat eine Diskussion ausgelöst, die sich mit Rundfunkarchiven befasst:

    Zitat

    Die Aufnahme mit der im Hintergrund ballernden Flak habe ich auch: sie ist immerhin eine der ersten stereo-Aufnahmen (ja doch es gab noch mehr davon, die allerdings alle nach dem Krieg in die Archive der Sowjetunion gewandert sind. Die genannte Aufnahme verblieb in Deutschland, wurde allerdings nicht offiziell veröffentlicht. Dir kuriserenden Mitschnitte waren alle mono. Bis das Original in den frühen 1990er Jahren tatsächlich stereo veröffentlicht wurde).

    Das Thema mit seinen unterschiedlichen Facetten scheint interessant genug zu sein, um es eigenständig zu führen und nicht als Randnote in einem Thread anderen Gegenstands zu belassen. Die entsprechenden Beiträge sind nun also nachstehend hier zusammengeführt. und können gerne vertiefend diskutiert werden.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Die Aufnahme mit der im Hintergrund ballernden Flak habe ich auch: sie ist immerhin eine der ersten stereo-Aufnahmen (ja doch es gab noch mehr davon, die allerdings alle nach dem Krieg in die Archive der Sowjetunion gewandert sind. Die genannte Aufnahme verblieb in Duetschland, wurde allerdings nicht offiziell veröffentlicht. Dir kuriserenden Mitschnitte waren alle mono. Bis das Original in den frühen 1990er Jahren tatsächlich stereo veröffentlicht wurde).


    Lieber Thomas,


    ist Dir da Genaueres bekannt?


    Ich las mal irgendwo, dass über 100 Stereoaufnahmen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft in den letzten Kriegsjahren entstanden sein sollen, u. a. von Knappertsbusch und Furtwängler, aber auch einigen anderen. Wenn da nur ein Bruchteil in UdSSR-Archiven überlebt hätte ... Gar nicht auszudenken, was uns da noch für Entdeckungen bevorstehen könnten. Aber vielleicht hört sich Wladimir Putin ja diese schon längst privat an und lacht sich ins Fäustchen. :D Da der Mann Geschmack hat, würde ich es ihm sogar zutrauen. :pfeif:


    Liebe Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Thomas,


    ist Dir da Genaueres bekannt?

    Diese Aufnahmen, lieber Joseph, sind 1990 zurückgeführt worden. Zu den frühen stereo-Aufnahmen haben, wenn ich die damaligen Fernsehbilder richtig im Kopf habe, zwei Sätzer von Bruckner 8 unter Karajan gehört. Die Mehrzahl der Aufnahmen dürfte allerdings mono gewesen sein, aufgrund der damals neuen Technik der Vormagnetisierung der Bänder allerdings in sehr guter Aufnahmequalität. Einzelne der Aufnahmen scheinen zu Sowjetzeiten auf dem Label "Melodija" veröffentlicht worden zu sein, wie man in diesem Beitrag hier nachlesen kann:
    Schätze der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft "Nur zu Archivzwecken"


    Auf da Thema mit den Schnitten, lieber Theo, bin ich hier bei Tamino gestoßen, is aber auch schon ein paar Jahre her. Eines unserer Mitglieder hat bei verschiedenen Aufnahmen von Beethoven 9 die Anzahl Schnitte aufgelistet (mit damals Barenboim als unrühmlichem Beispiel). Den Beitrag finde ich allerdings leider nicht mehr wieder.


    Liebe Grüß vom Thomas :hello:

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  • Zu den frühen stereo-Aufnahmen haben, wenn ich die damaligen Fernsehbilder richtig im Kopf habe, zwei Sätzer von Bruckner 8 unter Karajan gehört.


    Zumindest das Finale von 1944 mit der Staatskapelle Berlin ist ja auch veröffentlicht worden. Und das klingt schon gut.


    Ich habe den Beitrag zum Thema, den Thomas weiter oben verlinkt hat, gelesen. Sehr spannend. Dort heißt es auch unter der Zwischenüberschrift


    Rückgabe


    Erst die Wende bringt den Durchbruch in den Verhandlungen. Am 14. Dezember 1989 erhält die SFB-Intendanz ein Telegramm aus Moskau: "Gostelradio der UdSSR gibt an den SFB kostenlos, als Zeichen des guten Willens, 1.462 Musikbänder zurück." Im März 1991 werden die Bänder dann feierlich in Moskau an den SFB überreicht und im Haus des Rundfunks auf die damals modernste Technik umgeschnitten. So sind die damaligen Aufnahmen erhalten geblieben und können jetzt in der fast "ungeschminkten" Version - also so wie sie damals in den Äther geschickt wurden - wiedergehört werden.

    So weit und so gut der Aufzug aus dem Beitrag. Ich frage mich allerdings, was das für 1.462 Musikbänder sind, was da drauf ist und wo die wiedergehört werden können. Der RBB, Nachfolger des SFB ist dafür bekannt, so gut wie keine historischen Aufnahmen mehr zu senden. Das hauseigene Archiv ist abgeschottet wie bei keiner anderen öffentlich-rechtlichen Anstalt.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ist jetzt vielleicht ein wenig technisch, aber: die Bänder hatten eine Abspielgeschwindigkeit von 77cm/sec. Auf einem Wickelkern waren etwa 1.200 m Band, 30 cm Spulen vorausgesetzt. Das gab etwa 25 min Musik. Wir reden also von maximal 600 St. Aufzeichnungen..


    Wahrscheinlich ist auf den Bändern gar nicht mal nur (klassische) Musik zu hören. Der Reichsrundfunk nutzte ab 1940 die Tonbandtechnik, die seinerzeit auf dem Höchststand ihrem jungen Entwicklung war (außerhalb Deutschlands wurde auf Schalldraht oder Wachsplatte aufgezeichnet oder es wurde live übertragen), um nahezu rund um die Uhr zu senden (zur nicht geringen Irritation der Briten und der Amerikaner). Diese Sendungen inkl. der Propaganda des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda dürften wohl teilweise Inhalt der Bänder sein.


    Es ist leider richtig, dass im Rundfunk nicht mehr so viele historische Aufnahmen gesendet werden. Oder sagen wir es so: was in meiner Jugendzeit aus der Plattenpresse kam, also Böhm, Karajan, Bernstein, Leppard et alt. kündigen heute Musikjournalisten durchaus schon mal als historische Aufnahme an. Dafür erscheint auf dem CD-Markt so einiges aus den Archiven der Rundfunkanstalten. Bei einzelnen Wünschen könnte eine Anfrage an das Deutsche Rundfunkarchiv hilfreich sein. Sender sind da eher störrisch.


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  • Bei einzelnen Wünschen könnte eine Anfrage an das Deutsche Rundfunkarchiv hilfreich sein. Sender sind da eher störrisch.


    Genau. Das Deutsche Rundfunkarchiv ist nach meinen eigenen Erfahrungen sehr hilfreich. Nur liegen eben nicht alle Aufnahmen dort. Der RBB hingegen ist störrisch und tut so, als seien die Bänder seine privates Eigentum.


    Gruß Rheingold

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  • Der RBB hingegen ist störrisch und tut so, als seien die Bänder seine privates Eigentum.


    Eher das Gegenteil ist der Fall. Er kann sie eben nicht beliebig verwenden, da die Bedingungen der Nachnutzung bei den Verträgen zumeist ganz eindeutig geregelt werden.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Eher das Gegenteil ist der Fall. Er kann sie eben nicht beliebig verwenden, da die Bedingungen der Nachnutzung bei den Verträgen zumeist ganz eindeutig geregelt werden.


    Das verstehe ich jetzt nicht. Ist aber egal, da mich das Thema nur noch nebenbei interessiert, denn mein Ärger ist verflogen. Nur eines noch: Niemand kann sich das Recht anmaßen, derlei Kulturgut - aus welchen Gründen auch immer - zurückzuhalten und in Archiven zu verstecken (wir reden hier über Aufnahmen, die vor 70, 80 Jahren entstanden und nicht über Anna Netrebko), Rundfunkarchive sind schließlich kein Privatbesitz. Dieses Kulturgut muss unter allen Umständen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Und wenn es entsprechende verbieterische Verträge gibt, die Du zu kennen scheinst und in die ich leider keinen Einblick habe, dann gehören sie neu verhandelt. Ich lebe in Berlin und bin bisher noch in jedes Depot eines Museums vorgelassen worden, um ein Werk zu sehen, das nicht ausgestellt ist. Wenngleich das mitunter auch gewisse Mühen kostete. Wollte ich mir aber im RBB etwas anhören wollen, könnte ich mit Panzern anrücken und würde es nicht dürfen. ;) Nach meinen Beobachtungen ist der Unterschied zwischen Museumsdepots und gewissen Rundfunkarchiven der: In den Museen bewachen Experten die Schätze, die genug Verständnis dafür haben, dass jemand unbedingt etwas sehen möchte, und die dann sehr hilfreich sind - vor Archiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunk sitzt ein Zerberus, der für derlei menschliche Begehrlichkeiten nicht abgerichtet ist. :D Es waltet der uralte unsägliche Fafner-Geist: "Ich lieg' und besitz', lasst mich schlafen!"


    Gruß Rheingold

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  • Auch wenn wir uns jetzt weit vom Thema entfernen: durch ihre Sendung sind die Aufzeichnungen ja öffentlich gemacht worden. Eine Individualvorführung der Bänder ist nirgends im Drehbuch vorgesehen. Unabhängig von der rechtlichen lage ist es immer auch ein nicht unerheblicher Aufwand, ein Band herauszuholen und zur Verfügung zu stellen. Was ja auch eine entsprechende Katalogiesierung voraussetzt. Und auch Archivierung: viele Rundfunkbänder sind schon wieder gelöscht. Mal ganz abgesehen davon, dass die alte Abspieltechnik nich zwangsläufigh überall vorhanden ist. Auch werden wir kaum darüber entscheiden können, ob eine Aufnahme von Anna Netrebko in 70 Jahren nicht von Sammlern gesucht und geschätzt sein wird. Wenn die Bänder Eigentum des Runfunksenders sind hat der Sender auch das Recht, darüber zu verfügen.


    Nur am Rande angemerkt: ich kann ja auch schlecht bei der DGG anklopfen und um Herausgabe oder Kopie von längst vergriffenen Aufnahmen bitten. Und was das Museum betrifft: ein besuch im Depot ist ja schön, aber angesichts der üblichen personellen Engpässe kaum zu leisten. Freu' Dich, wenn das bei Dir von Fall zu Fall möglich ist.


    Bei den Rundfunksendern kann man weiterhin versuchen, die Dienstleistung zu erhalten, einzelen Bänder in Kopie zu bekommen. Und für diese Dienstleistung wird man auch zahlen müssen. Und Du musst selbstverständlich den ausschließlich privaten Hintergrund Deiner Anfrage unterschreiben. Komm' nicht auf die Idee, die Kopie im Web zu veröffentlichen. Oder anderswo.


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  • Weil wir schon vom Thema abrückten, will ich mich kurz auch noch dazu äußern:


    Es ist schon auffällig, dass sich diese Rundfunkarchive für den Normalsterblichen nicht öffnen, aber dann diverse Aufnahmen auf japanischen Labels erscheinen, oft noch mit dem offiziellen Siegel der jeweiligen Rundfunkanstalt. Ich könnte da einige Beispiele nennen.


    Fazit: Vermutlich regiert doch der Mammon. Wenn man eine genügend hohe Summe in Aussicht stellt, geht auf einmal einiges. Ich weiß von einigen Japanern, dass sie keine Kosten scheuen, um an eine bestimmte Aufnahme ranzukommen.

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  • Fazit: Vermutlich regiert doch der Mammon. Wenn man eine genügend hohe Summe in Aussicht stellt, geht auf einmal einiges. Ich weiß von einigen Japanern, dass sie keine Kosten scheuen, um an eine bestimmte Aufnahme ranzukommen.

    Ja was denn sonst? Niemand arbeitet umsonst. Es ist sichelrich effizienter, eine 500er Auflage einer Knappertsbusch-Aufzeichnung zu erstellen als dasselbe Band on demand 500 Leuten zu kopieren. Nach japan muss man da übrigens gar nicht schauen: hier im Forum gibt's auch so einige Sammelfexe, die im Laufe der Jahre berträchtliche Sümmchen an die diversen Rundfunkanastalten bezahlt haben. Teilweise sind die Dinge auch gar nicht präsise archiviert wie ich von einem maßgeblichen herausgeber des Hamburger Archivs für Gesangskunde weiß.


    Sammeln hat immer was mit Nerven, Suchen, Kosten und geduld zu tun. Wenn ich es nicht fertig bringe, die Verantwortlichen im BR derart zu nerven, dass sie mir Bruckners 9 Sinfonien unter Fritz Rieger verkaufen und rausrücken (Kopien, versteht sich), dann war's mir wohl nicht wichtig genug.


    Sollte zu diesem Thema weiterer Austauschbedarf bestehen - vielfältig genug ist es ja und bestimmt lassen sich die Sammler in einen solchen Thread locken - werde ich es zu einem eigenen Thread abtrennen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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