Das oben genannte Zitat stammt von keinem Geringeren als Otto Klemperer. Bei den EMI-Aufnahmen zum "Don Giovanni" 1966 wurde er auf einen Verspieler hingewiesen und dass man die entsprechende Stelle nochmal aufnehmen müsste. Daraufhin brach es aus dem 81jährigen heraus:
"Dafür sind S' ja 'n Mensch! Mein Gott! Nun kommt mal 'ne falsche Note. Schad't ja nichts. Ich find's kein Unglück, wenn mal 'ne falsche Note kommt."
Damit lässt sich Klemperer wohl entgegen heutiger Annahmen auch in die Reihe der intuitiven Dirigenten einordnen, denen der Ausdruck über die Perfektion ging. Im Studio mussten sich diese Dirigentenpersönlichkeiten plötzlich umstellen. Da wurde für die Ewigkeit festgehalten, daher sollten Fehler eben vermieden werden. Klemperer hat sich damit arrangiert, auch wenn er sich über "diese [Tonträger-]Gesellschaften heutzutage" und ihren Perfektionismus herrlich aufregen konnte.
Auch Furtwängler und Horenstein gehörten zu diesem Schlag. Man merkt geradezu, dass ihnen die Live-Momente viel mehr gaben und die Live-Mitschnitte bis auf wenige Ausnahmen vorzuziehen sind. Den Extremfall der Alten stellt Knappertsbusch dar, der geradezu eine Aversion gegen zuviel "sch... Geprobe" hatte und sich bekanntlich auch nicht scheute, seinen Unmut gegenüber der Decca offen zu äußern, was in der geplanten "Ring"-Aufnahme zum Eklat und zum Abbruch des Projektes mit diesem Dirigenten führte (Solti sprang ein). Celibidache ging gleich gar nicht erst in ein Studio. Er dürfte der letzte gewesen sein.
Das "perfekte Studioprodukt" hat dann Karajan zur Vollendung gebracht. Fortan galten die anderen Dirigenten als ungenau oder gar "Schlamperer". Und doch, heute, wo wir auch die Live-Aufnahmen Karajans vorliegen haben, sind diese im direkten Vergleich trotzdem vorzuziehen.
Ist dieser ganze Perfektionismus letztlich ein Irrweg? Ist das nur mehr ein steriles Kunstprodukt, das aus hunderten Einzelteilen zusammengeschnitten wurde und manchmal auch so klingt? Entsteht Musik nicht eigentlich im Moment der Aufführung?
Mittlerweile geht man ja offenbar wieder dazu über, live mitzuschneiden, oft an mehreren Tagen, und daraus gewissermaßen die Vorzüge einer Live-Aufnahme mit den Vorteilen einer Studioaufnahme zu kombinieren. Ein guter Kompromiss?
Liebe Grüße
Joseph