Nummer 1 - Vivaldi: Die vier Jahreszeiten
Liebe Forianer,
seit gestern ist der Frühling da. Das ist ein guter Anlass, sich diesen Kompositionen zu widmen, aber es ist durchaus auch passend, diese Musik voran zu stellen, da viele Klassik-Liebhaber die "vier Jahreszeiten" mit als erstes gekauft haben, um das Fundament ihrer Klassik-Sammlung zu bauen.
Seit etwa 20 Jahren, seit dem der große Vivaldi-Boom einsetzte, werden wir auch mit den "Jahreszeiten" überhäuft. Da ist es schon schwierig den Überblick zu behalten. Wo man gestern noch dachte, mit dieser oder jener Aufnahme hat man die Referenz, der erlebt heute womöglich eine Überraschung der besonderen Art...
Wie erfolgte die Auswahl? - Die Antwort ist ganz einfach: Wenn ich die eine "Jahreszeiten"-CD gehört habe, möchte ich mit der nächsten in einen anderen Interpretations-Kosmos versinken und keine beliebige Variante der Vorgänger-CD hören.
Referenz 1960-1985
Künstler: Sparf, Drottningholm Baroque Ensemble
Label: BIS, DDD, 1984
Kaum zu glauben, dass diese Aufnahme jetzt schon 30 Jahre auf dem Buckel hat. Diese frisch-ruppige Interpretation aus dem Hause BIS hat bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Faszination verloren. Wenngleich diese Einspielung noch immer ein Geheimtipp ist, so gehört sie doch in Wirklichkeit in jede "Jahreszeiten"-Sammlung.
Alternativen 1960-1985
Künstler: Felix Ayo, I Musici
Label: Urania, ADD, 1959-1961
Wer die Tempis etwas breiter mag, der ist mit dieser Aufnahme sehr gut bedient. Jedenfalls finde ich sie interessanter als alle folgenden Einspielungen der "Jahreszeiten" durch das Ensemble I Musici. Selbst die Karajan-Aufnahme mit Schwalbé wird durch diese ausgestochen, weil sie nuanciert-abwechslunsreicher daher kommt. Erstaunlich ist die ausgezeichnete Aufnahmequalität, wenn man bedenkt, wie alt diese Produktion bereits ist.
Künstler: Academy of Ancient Music, Christopher Hogwood
Label: Decca, ADD, 1982
Hat man die vorhergehende Aufnahme gehört, dann bietet diese Einspielung einen wirklichen Kontrast: Voller Spielfreude setzen sich Hogwood und sein Ensemble in Szene. Man meint, neu-überraschendes zu entdecken, da können einige Originalklang-Ensembles einschließlich Pinnock dann doch nicht ganz mithalten.
Künstler: Alice Harnoncourt, Jürg Schaeftlein, Concentus musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt
Label: DAW, ADD, 1976
Auch wenn diese Einspielung gegenüber Hogwood etwas abfällt, hat sie jedoch ihre Meriten. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass sie 6 Jahre älter ist. Was jedoch viel wichtiger ist: Hier lässt Harnoncourt noch spannend musizieren. Temopverrückungen, Kunstpausen und andere Übertreibungen findet man da nicht. Zu Recht hat er dafür den "Grand Prix du Disque" erhalten.
Referenz seit 1986
Künstler: Sharman Plesner, Balkan Baroque Band, Jean-Christophe Frisch
Label: Arion, DDD, 2012
Wer da meint, eigentlich sei ja bei den "Jahreszeiten" jetzt alles ausgereizt, dem wird diese Aufnahme eines Besseren belehren. Dazu kommt: es ist eine hoch-aktuelle Einspielung. Schon die ersten Spiel-Sekunden dieser CD lassen einen ins Schwärmen kommen. Auch wenn im weiteren Verlauf das Zupfen der Saiten im "Winter" zunächst etwas gewöhnungsbedürftig erscheint, klingt das doch alles sehr reizvoll und detail-verliebt.
Alternativen seit 1986
Künstler: Viktoria Mullova, Chamber Orchestra of Europe, Claudio Abbado
Label: Philips, DDD, 1987
Mehr noch als mit Kremer gelingt Abbado mit der Mullova eine eindrucksvolle Interpretation, die ich in meiner Sammlung nicht missen möchte. Ebenfalls mit kleiner Besetzung des Chamber Orchestra of Europe kommt er zu ähnlichen Ergebnissen wie die Originalklang-Ensembles. Die Mullova spielt berückend schön!
Künstler: Giuliano Carmignola, Venice Baroque Orchestra, Andrea Marcon
Label: Sony, DDD, 1999
Wer Carmignola einmal live erlebt hat, ich habe das, der ist von seiner Virtuosität zutiefst beeindruckt. Man meint, nur so und nicht anders dürfe es sich anhören. Dazu kommt, dass dieser Solist mit dem Venice Baroque Orchestra zu einer vollendet anmutenden künstlerischen Einheit verschmilzt.
Künstler: Pavel Sporcl, Prague Philharmonia
Label: Supraphon, DDD, 2007
Hier weht nicht nur frischer Wind in die Stube, sondern es wird ideenreich und differenziert musiziert. Der tschechiche Jung-Geiger Pavel Sporcl wartet zudem mit interessanten Überraschungen auf: imposante Verzierungen und kleine Kadenzen, die mehr als nur aufhorchen lassen.
Bemerkungen
Derzeit gibt es so viele Einspielungen der "Jahreszeiten", die so schablonenhaft eintönig klingen - da kann schon schnell lange Weile aufkommen. Selbst die neue Kuijken-Aufnahme ist nicht so ganz frei davon. Die oben angeführten Aufnahmen verdeutlichen dann allerdings, dass es auch anders geht. Sehr interessant dürfte auch eine noch zu erwartende Einspielung durch das Ensemble Café Zimmermann werden!
Wer von den Forianern keine der beiden "Referenzen" besitzen sollte, der könnte ja mal aktiv werden...
LT