Aus meiner Sicht gibt es in den letzten zwanzig Jahren zwei Tenöre im Bereich des Liedgesangs, die über den Zeitraum von einigen Jahren durch die hohe Qualität ihres Vortrages aufgefallen sind - Christoph Prégardien (*1956) und Christian Elsner (*1965).
Der junge Prégardien sang bei den Limburger Domsingknaben und der junge Elsner wirkte bei den Freiburger Domsingknaben mit. Beide haben bei dem hervorragenden Gesangspädagogen Martin Gründler (2004 im Alter von 85 Jahren verstorben) in Frankfurt studiert.
Hier soll jedoch die Parallelität enden. Im Folgenden möchte ich auf einige Aufnahmen mit Christian Elsner aufmerksam machen, von denen ich glaube, dass sie einem größeren Personenkreis zugänglich sein sollten, denn Elsners Liedproduktion auf CD ist bei weitem nicht so umfangreich, wie die Prégardiens. Von den Platten, die ich von Elsner habe, möchte ich einige Einzelstücke vorstellen, die ich für besonders hörenswert halte - natürlich aus ganz subjektiver Sicht. Vielleicht finden sich Forianer, die etwas zu diesem Thread beitragen können und wollen...
Wenn man letztendlich einen Thread zu irgendeinem Thema eröffnet, dann liegen die Erstberührungen oft schon viele Jahre zurück und der Gedanke wird selten spontan geboren, Zufälle spielen mitunter eine Rolle.
Meine erste Liedplatte von Christian Elsner hatte ich mir in der Schweiz gekauft, weil ich die Wartezeit bis zur Zugabfahrt irgendwie überbrücken musste; es war Anfang der 1990er Jahre. Den Namen des Sängers kannte ich nicht, hörte aber zuhause gleich beim ersten Ton, dass das kein Fehlkauf war.
Natürlich wollte ich diesen Tenor auch einmal live im Konzertsaal hören. Da traf es sich gut, dass man in Köln Schuberts 200. Geburtstag so feierte, dass 1996/1997 in dichter Reihenfolge 36 Schubert-Liederabende geboten wurden (es kamen fast alle einstimmigen Lieder zur Aufführung, die Schubert hinterlassen hatte - und es war an Sängerinnen, Sängern und Pianisten alles da, was Rang und Namen hatte, aber unter Mitwirkung von Dietrich Fischer-Dieskau wurden auch die besten Nachwuchsinterpreten ausgewählt, die in der breiten Öffentlichkeit noch keinen großen Namen hatten.
Am Montagabend des 21. April 1997 hörte ich dann Christian Elsner erstmals im großen Sendesaal des WDR, er sang im offiziellen Programm 14 Schubert-Lieder.
Seitdem war ich immer bemüht, seine Liedeinspielungen zu bekommen, musste jedoch vor einiger Zeit feststellen - offenbar Stimmfachwechsel im Jahr 2007 - dass Christian Elsner nun Triumphe als Wagner-Sänger feiert. und das an Häusern wie der Wiener Staatsoper oder der Semperoper in Dresden.
Christian Elsner ist 1965 in Freiburg im Breisgau geboren, machte, wie eingangs schon erwähnt, erste Gehversuche im Domchor; die ersten richtigen Gesangsstunden absolvierte er bei Richard Riffel. Danach folgte die Ausbildung an der Musikhochschule Frankfurt.
Er war auch Schüler bei Dietrich Fischer-Dieskau. Auf der Opernbühne stand er erstmals als Lenski in Tschaikowskys »Eugen Onegin« in Heidelberg.
Seit 2006 ist Christian Elsner Professor für Gesang an der Hochschule für Musik in Würzburg
Dieser Thread sollte jedoch die neueren Aktivitäten des Sängers in der Opernwelt nicht tangieren, sondern sich ausschließlich auf das vorhandene Liedrepertoire konzentrieren.
Ich verstehe das erste vorgestellte Stück als eine Art Paukenschlag, denn es ist unbestritten ein großes Stück im wahrsten Wortsinn. Es handelt sich um Conradin Kreutzers Vertonung »Des Sängers Fluch«, einem Gedicht von Ludwig Uhland. Im Thread »Der Sänger im Lied« wurde schon einmal im August 2013 auf diese Ballade Bezug genommen (Beitrag Nr. 27), aber hier soll die sängerische Leistung im Vordergrund stehen.
Des Sängers Fluch
Das Klaviervorspiel von 23 Sekunden macht dem Hörer bereits deutlich, das hier eine bedeutende Geschichte erzählt werden wird.
Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr,
Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
D'rin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.
Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich.
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
Nach diesen brutalen Wortwiederholungen folgt die allerlieblichste Musik als Zwischenspiel
Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar:
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmucken Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.
wieder ein feines Zwischenspiel
Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk' unsrer tiefsten Lieder, stimm' an den vollsten Ton,
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz;
Es gilt uns heut' zu rühren des Königs steinern Herz."
Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl;
Der König furchtbar prächtig, wie blut'ger Nordlichtschein,
Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.
wieder ein feines, dahinperlendes Zwischenspiel
Da schlug der Greis die Seiten, er schlug sie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll.
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.
Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit,
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit;
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.
Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott,
Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.
Nun ist die Idylle zu Ende...
"Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?"
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib.
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt,
Draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstrahl hoch aufspringt.
Und wie vom Sturm zerstoben ist all' der Hörer Schwarm;
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,
Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.
Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis,
Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:
"Weh' euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!
"Weh' euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht,
Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiecht,
Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.
"Weh' dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums!
Umsonst sei all' dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms;
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
Sei, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!"
Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört;
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwund'ner Pracht,
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
Und rings, statt duft'ger Gärten, ein ödes Heideland:
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand;
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch:
Versunken und vergessen! - das ist des Sängers Fluch.
von Ludwig Uhland
Zum Schluss unterstreicht der Sänger nochmals durch Wortwiederholungen seinen Fluch, danach endet das Stück mit rasch folgenden Klavierschlägen.
[color=#000000]Hier kann ein Sänger alles reinlegen, was er zur Verfügung hat, und das tut Christian Elsner in diesem Stück ausdrucksstark. "D´rin s p r a n g e n" wird springend gesungen, und wenn er "bleich" singt, dann ist die Stimme auch bleich. "Die Königin süß und milde..." stellt Elsner wirklich zuckersüß dar; eine Strophe später dann im Kontrast des Alten Sang...
Das sind nur einige Beispiele, wie die unterschiedlichsten Stimmungen dieser 16 Strophen ausgemalt werden. Ich finde, dass Christian Elsner diese Geschichte optimal erzählt. Spitzentöne werden hier nicht benötigt, aber Einfühlsamkeit in den Text. Mir ist keine andere Aufnahme dieser Textvertonung bekannt.