Vom Revolutionär zum Konservativen

  • Anlass sei diese kleine Diskussion:


    Beide Werke entstanden zwischen 1910 und 1915. Da war Kodály zwischen 28 und 33 Jahre alt, also nicht gerade ein Methusalem. Es stimmt schon: die meisten Komponisten werden im Alter milder, aber bei Kodály setzt dieser Prozess schon sehr früh ein. Bei Bartók ist ab einem Alter von 50 Jahren eine gewisse "Verweichlichung" bemerkbar, obwohl manche Spätwerke, etwa die Soloviolinsonate, hammerhart sind.


    Für mich war es nicht überraschend, dass Kodály bereits vor seinem 40. Geburtstag jugendliches "Experimentieren" gegen eine konservativere Musiksprache tauscht. Ich glaube, dass das gerade im frühen 20. Jahrhundert oft vorkommt. Hier sollen also Beispiele versammelt werden für "Rückbesinnungen" im Hinblick auf das Alter, in dem sie stattgefunden haben. Oder auch Gegenbeispiele: Komponisten, die immer "am Puls der Zeit" bleiben - als Alternative.
    :hello:

  • Im Falle Kodálys finde ich die Entwicklung eben besonders auffällig, da er zu einer Zeit wieder konservativ wurde, als es um ihn herum immer wilder wurde. Als Höhepunkt des Expressionismus kann man wohl die 1920er Jahre bezeichnen. Da war Kodály schon längst wieder konservativ (Psalmus hungaricus stammt aus 1923). Das Thema ist ziemlich komplex, da bei manchen Komponisten, eine Rückbesinnung erzwungen wurde. Ganz sicher bei den sowjetischen Komponisten, aber im Falle Kodálys würde ich das auch nicht ganz ausschließen. Ich habe auch gelesen, dass Bartók sein 3. Klavierkonzert deshalb so mild im Ton verfasste, damit seine Frau nach seinem Tode gut davon in den USA leben könne. Ob das eine Legende ist oder nicht, weiß ich nicht, allerdings ist es schon auffällig, dass sich Bartóks Situation in den USA deutlich besserte als er mehr Kompromisse machte (z.B. Konzert für Orchester).

  • Zwar kein Musiker, aber ein anderer Künstler (Maler) fiele mir da sofort ein: Giorgio de Chirico (1888—1978).


    In den 1910ern galt er als progressiv und als Hauptvertreter der sog. Metaphysischen Malerei. Später distanzierte er sich immer mehr vom Abstrakten. "Er wandte sich einer betont barocken und pathetischen Malweise zu, kritisierte die moderne Malerei scharf und malte fortan in einem klassizistischen, akademischen Stil" (Wikipedia). Diese Spätphase wird meist abfällig als künstlerisch nicht mehr wertvoll angesehen, doch kann ich persönlich dem Urteil nicht folgen.


    Im Folgenden ein früher de Chirico und ein später:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die zweite Wiener Schule (wenigstens Schönberg) wurde schon nach dem Kriege, ab ca. 1920 auch "konservativer".


    Klar, andere Komponisten liefen in dieser Zeit erst zur Form auf, Hindemith zB. Der wird aber auch schon mit Ende 30 deutlich konservativer (Mathis-Sinfonie 1934).


    Bartok ist zwar in den 1930er Jahren auch etwas "klassizistischer" als vorher (zB 5.+6. SQ gegen 3.+4.). Eine gewisse "Rücknahme" sehe ich aber höchstens in den letzten Lebensjahren (Konzert f. Orchester, 3. KK, Bratschenkonzert, wie Felix schon sagt, ist die Violin-Solo-Sonate aber auch aus der Zeit und passt eigentlich nicht zu einer solchen Entwicklung) und das mag auch mit Alter, Krankheit und dem, was im amerikanischen Exil an den Mann zu bringen war, zu tun haben (Das Konzert f. Orchester war ein Auftragswerk für Boston/Kussevitzky)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Im Falle Kodálys finde ich die Entwicklung eben besonders auffällig, da er zu einer Zeit wieder konservativ wurde, als es um ihn herum immer wilder wurde. Als Höhepunkt des Expressionismus kann man wohl die 1920er Jahre bezeichnen.

    Eigentlich nicht die 20er sondern die 10er. Schönberg macht um 1920 bereits die Wende zum Klassizismus die Formen betreffend, Hand in Hand mit der Einführung der Zwölftontechnik. Strawinsky lässt gleichzeitig den Expressionismus zurück und begründet etwa mit seinem Oktett von 1923 den neuen Stil des Neoklassizismus. Aber es stimmt schon, dass die größere Menge der "Wilden" erst später zum Klassizismus "einlenkt".


    Besonders interessant sind da für mich auch die amerikanischen "Ultramodernisten" wie Cowell, Antheil oder Ornstein, die in sehr jungen Jahren ihre Clusterstücke machten (Cowell, der "Erfinder" bereits als Teenager) womit sie heute noch bekannt sind, während die neoklassizistischen Spätwerke eher vergessen sind. Wirklich berühmt sind von Antheil eigentlich nur Werke, die er geschrieben hat, bevor er 25 war. Ives, Ruggles und Varèse haben nie eingelenkt, sind eher halb verstummt.

  • Ein hier passendes Beispiel liefert der polnische Komponist Krzysztof Penderecki, geb. 1933. Er führte einst die Avantgarde an und entwickelte die Postserielle Musik. Heute - nach seiner Rückwendung zum tonalen Komponieren - steht er zunehmend in der Kritik von Kollegen und Kritikern, dafür wächst seine Akzeptanz beim Konzertpublikum. Er wird inzwischen mehr als andere zeitgenössische polnische Komponisten aufgeführt.


    Er selbst beschreibt seine Entwicklung so:


    "Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, neue Klänge zu suchen und zu finden. Gleichzeitig habe ich mich mit Formen, Stilen und Harmonien der Vergangenheit auseinandergesetzt. Beiden Prinzipien bin ich treu geblieben ... Mein derzeitiges Schaffen ist eine Synthese."



    Liebe Grüße


    Portator

  • Ein weiteres Beispiel wäre Witold Lutoslawski, dessen späte Stücke (3. + 4. Symphonie) auch fast wieder tonal sind.

  • Ich glaube die Entwicklung ist eine eher allgemeine.:
    Eine neue Generation tritt an, das alte zu verwerfen und durch ihre eignen Werte zu ersetzen. Das ist ein mühseliger Prozess, weil das Establishment mit allem seinem Einfluß, diese Entwicklung blockieren zu versucht. Endlich ist es aber geschafft. Die führenden Köpfe der "alten Garde" sind verstorben oder aber haben resigniert. Das "Neue" hat sich durchgesetzt. Nun kann man - durch Erfahrungen geläutert - und selbst ein wenig müde geworden - auf radikales verzichten. Aber siehe da - in den Startlöchern steht bereits die nächste Generation - willens das alte zu verwerfen... Die Revolutionäre von einst sind nun selbst zum Establishment geworden.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Interessant, dass DAS Paradebeispiel für diese Entwicklung noch nicht genannt wurde: Richard Strauss. Nach Elektra erfolgt praktisch eine Vollbremsung. In dieser Vehemenz ziemlich einmalig, obwohl auch Saint-Saens ein ähnlich gelagerter Fall ist.

  • Ich glaube die Entwicklung ist eine eher allgemeine.:
    Eine neue Generation tritt an, das alte zu verwerfen und durch ihre eignen Werte zu ersetzen. Das ist ein mühseliger Prozess, weil das Establishment mit allem seinem Einfluß, diese Entwicklung blockieren zu versucht. Endlich ist es aber geschafft. Die führenden Köpfe der "alten Garde" sind verstorben oder aber haben resigniert. Das "Neue" hat sich durchgesetzt. Nun kann man - durch Erfahrungen geläutert - und selbst ein wenig müde geworden - auf radikales verzichten. Aber siehe da - in den Startlöchern steht bereits die nächste Generation - willen das alte zu verwerfen... Die Revolutionäre von einst sind nun selbst zum Establishment geworden.....


    mfg aus Wien
    Alfred


    Es gibt natürlich Beispiele dafür, dass Neuerer überholt werden, etwa Debussy von Strawinsky oder Mahler von Schönberg, allerdings würde ich das nicht als die Regel ansehen. Beethoven, Janácek, Wagner, Liszt - alles Komponisten, die mit zunehmendem Alter immer radikaler in ihren Ausdrucksmitteln wurden.

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  • Das 20. Jhd. mit seinen vielen unterschiedlichen Stilen ist sicher ein Sonderfall.
    Man kann wohl schon sagen, dass jemand wie Stravinsky sich "treu geblieben" ist, weil er ungeachtet seiner vielen "Stilwandel" durchweg einen "antiromantischen" Zug hat, jedenfalls ab Petrouchka und Le Sacre. Nur war das eben anfangs ein "barbarischer" Stil, dann "trockener" Neoklassizismus. Sogar bei Hindemith könnte man vermutlich Züge wie die Betonung des Handwerklichen, eine gewisse Nüchternheit durchgehend finden.


    Für Alfreds Modell ging es im ersten Drittel des 20. Jhds. m.E. zu schnell (auf andere Zeiten mag es teilweise zutreffen). Es kann wohl kaum die Rede davon sein, dass 1920 die frei atonalen Werke Schönbergs oder auch Stravinskys Le Sacre sich "durchgesetzt" hätten, so dass man etwas anderes radikal Neues hätte machen müssen, um sich vom neuem Establishment abzusetzen. Ich weiß natürlich nicht genau, was alles für Faktoren eine Rolle spielten, aber eine übliche (wenn auch umstrittene) Antwort ist ja, dass mit freier Atonalität nur schwer organisch-schlüssige längere Werke zu komponieren waren und deswegen eine "Methode" gesucht wurde. Manche Kommentatoren (wie etwa Adorno) haben die 12tonmusik aber immer als Verlust an Freiheit und eigentlich eher als "Rückschritt" gesehen.


    Schumann wird ja manchmal auch als Beispiel genannt, da vielen die relativ frühen Klavierwerke weit origineller, kühner, "moderner" scheinen als etwa die folgenden Sinfonien. Die Tendenz sehe ich ebenfalls, aber m.E. kann man nicht sagen, dass Schumann zum "Konservativen" wurde. Nur war es für ihn unmöglich, bei Stücken wie Sinfonien NICHT an Beethoven (und Schuberts Große C-Dur) anzuknüpfen, das wäre ihm wohl ein Versagen vor der Gattungstradition erschienen. Wie er das tat und auch die relative Neuartigkeit von Stücken wie dem anderswo angesprochenen "Das Paradies und die Peri" zeigen aber, dass man ihn kaum als "konservativen" Komponisten in dem Sinne bezeichnen kann wie vielleicht Strauss 1913-48. Teilweise liegt das auch ganz banal daran, dass kaum ein Komponist vor dem 20. Jhd. so alt geworden ist wie Strauss oder Stravinsky. Allerdings gibt es unter denen, die so alt wurden, stilistisch sehr wandelbare oder auch in Alterswerken noch Innovative wie Telemann und Verdi.


    Bei JS Bach wird ja oft behauptet, er sei konservativer geworden. Das kann man so m.E. aber auch nicht sagen. Zum einen hatte Bach schon immer einen "konservativen" Zug, jedenfalls war er nie ein Revolutionär, wenn auch auf der Höhe der Zeit. Zum anderen gibt es in späten Werken wie den Goldbergvariationen und einigen Präludien des WTK II
    "moderne" Stücke, durchaus kompatibel mit dem Zeitstil. Nur lag der Fokus auf "theoretischen" Projekten überhaupt ziemlich quer zum Zeitstil. Dass ein Komponist um die 60 als altmodisch gelten kann, war aber wohl auch nicht gemeint.

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  • Schumann wird ja manchmal auch als Beispiel genannt, da vielen die relativ frühen Klavierwerke weit origineller, kühner, "moderner" scheinen als etwa die folgenden Sinfonien.


    Diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, vergessen leider auch immer wieder, dass Schumanns Spätwerk (etwa die Gesänge der Frühe) nicht gerade klassizistisch sind. Auch die späte, düstere Kammermusik entfernt sich ziemlich weit vom Stil der Symphonien 1-3. Für Mendelssohn gilt eigentlich ähnliches.


    Bach würde ich auch nicht als konservativ im sinne Straussens verstehen. Denn seine Publikationen waren auf der Höhe der Zeit (Clavierübung), v.a. das Italienische Konzert, die Partiten für Cembalo oder die Französische Ouvertüre. Auch Bachs weltliche Kantaten sind im Stile der Zeit verfasst.

  • Naja, der späte Bach geht nicht in die Galanterie mit sondern verbeißt sich umso intensiver in den gelehrten Stil. Die jüngeren Komponisten sind da schon ganz woanders.

  • Eher GB Sammartini, Pergolesi, Galuppi, Jommelli, J Stamitz, Richter, Monn, Wagenseil, vielleicht auch Hasse und Graun.
    Bin aber überfragt, was genau wer vor 1750 geschaffen hat.

  • Eher GB Sammartini, Pergolesi, Galuppi, Jommelli, J Stamitz, Richter, Monn, Wagenseil, vielleicht auch Hasse und Graun.
    Bin aber überfragt, was genau wer vor 1750 geschaffen hat.


    Ich glaube, das war alles so um 1750 herum. Allerdings passt Bach hier sowieso nicht herein, denn Revolutionär war er wohl nie.

  • Zumindest bei Sammartini kenne ich Sinfonien aus den 30er Jahren, die schon viele Eigenschaften des frühklassischen Stils aufweisen. Pergolesi starb 1736, Monn 1750 (also im selben Jahr wie Bach), J Stamitz auch schon 1757. Die neapolitanische Oper ist aber auch schon früher eher einfach-gesanglich-fasslich, man denke an Bachs Generationsgenossen Vinci. Wenn man dann Galuppi, Jommelli, Piccinni hört, bekommt man ein Gefühl dafür, dass hier die Entwicklung des damals "modernen Stils" lief, während Bach erstmal ein Ausläufer war. Das ist aber natürlich verkürzt, da durch seine Söhne und spätestens durch Haydns op. 20 in den 70er Jahren eine Verbindung stattfindet, die Bach als einen Bezugspunkt im klassischen Stil festmacht. Auch Monn hat gerne Fugati.


    Soweit so kompliziert.

  • Zitat

    Soweit so kompliziert.

    Das läßt sich ausbauen! "Revolutionär" und "konservativ" sind an dieser Stelle noch nicht definiert worden. Die Dodekaphonie ist m.W. eigentlich von Anfang an auf "conservare" ausgelegt, der von Adorno konstatierte Verlust an Freiheit ist ja kaum besteitbar. Gleichzeitig ist sie sicherlich eine Art Revolution b.z.w. stellt eine Progression im Sinne einer teleologischen Perspektive dar. Nun tragen die Mehrzahl der mir gegenwärtigen Revolutionen einen konservativen, wenn nicht "rückschrittlichen" Impuls mit sich (mal abgesehen vom "Verlust an Freiheit"...). Die neapolitanische Oper der 1740er ist "progressiv", Bachs Spätwerk ist hingegen nicht selten "radikal". Zählt nur die unmittelbare musikhistorische Wirkung? Die "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" findet sich doch bereits objektiv z. B. im Falle einer beträchtlichen zeitlichen Distanz zwischen der Enstehung einer Komposition und der Uraufführung (Wagner, Ives etc.). R. Strauss greift in seinen konservativen Opern nicht selten auf jene filigranen Mikrostrukturen zurück, welche erstmalig im späten Orchesterwerk von Brahms auftauchen, auf die sich auch Schönberg beruft. Ist Strawinskys Sacre "oevreintern" wirklich wesentlich "unkonservativer" als Apollo oder v.a. Agon (Johannes Roehl hat diese Frage angeschnitten)? Mit reinen "Progressionsmessungen" kommt man hier nicht weiter. Viele Alte neigen nach langer Kompositionserfahrung zu einer fast autistischen, jedenfalls in paradoxer Weise in sich ruhenden, "aus der Zeit gefallenen" Altersradikalität. Die Kargheit des Spätwerks der theoretisch konservativen Sibelius oder Schostakowitsch gehört dazu, erst recht die sich nicht den Konventionen und der Chronologie der Musikwissenschaft beugenden Alterswerke von Bach und Beethoven.

  • Viele Alte neigen nach langer Kompositionserfahrung zu einer fast autistischen, jedenfalls in paradoxer Weise in sich ruhenden, "aus der Zeit gefallenen" Altersradikalität.


    Ich stimme zu, wobei ich "Radikalität" hier in seiner Grundbedeutung verstehe: "bis an die Wurzel gehend". Das Alterswerk einiger Komponisten weist starke Reduktionstendenzen auf: Kunst der Fuge, Beethovens Streichquartette, Schostakowitschs Bratschensonate, etc...

  • Das Alterswerk einiger Komponisten weist starke Reduktionstendenzen auf: Kunst der Fuge, Beethovens Streichquartette, Schostakowitschs Bratschensonate, etc...


    Ad Beethoven:
    Obwohl er in seinen Fünfzigern schon etwas kränkelte und wohl in keinem Fall sehr alt geworden wäre (da stand seine Leberzirrhose davor), ist er doch ziemlich abrupt aus seinem Leben gerissen worden. Daher ist sein Spätwerk nicht unbedingt als "Alterswerk" zu bezeichnen. Und wo bitte gibt es da Reduktionstendenzen? Etwa bei der 9. Symphonie, der Missa Solemnis, der Sonate für Hammerklavier, den Quartetten Opus 127, 130, 131, 132, der Großen Fuge?
    Nein, wohl nicht. In seinen großen Werkkomplexen - den Symphonien, den Klaviersonaten und den Streichquartetten - ging Beethoven weit über das hinaus, was vor ihm realisiert worden war, er dehnte die Formate in alle Richtungen aus und schaffte zuvor nicht bekannte Extrema - ohne zu einem sichtbaren Ende gekommen zu sein. Vielleicht mit einer Ausnahme: nachdem er mit seinen späten Streichquartetten unvorstellbar komplexe Gipfel erreicht hatte, kehrt er mit Opus 135 zur vollendeten klassischen Form zurück. Mit diesem Werk hat er bei den Quartetten sozusagen das gelobte Land erreicht - Rückkehr ja, Reduktion nein...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Man weiß eben nie, was noch gekommen wäre, wenn zB Beethoven länger gelebt hätte. Ich stimme zu, dass das "Spätwerk" nicht (wie im Falle Bachs) ein "Alterswerk" ist. Sicher meint man, mit op.111 und auch mit op.135 einen Abschluss in der jeweiligen Gattung vor sich zu haben. Aber das schließt ja keineswegs aus, dass er nach der 10. Sinfonie (oder was auch immer das nächste Projekt gewesen wäre) sich diesen Gattungen wieder zugewendet hätte. Die Skizzen der 10. deuten darauf hin, dass dies jedenfalls wieder eine "normale" Sinfonie ohne Chor geworden wäre, insofern ist auch die Deutung der 9. als eines "Abschlusswerks" fragwürdig.


    (Evtl. ist im Falle von 135 auch nicht abwegig, dass es ein "Kontrastpartner" zu op.131 sein könnte und deswegen bewusst knapp und eher heiter gehalten ist.)


    Das hat aber mit revolutionär vs. konservativ nicht viel zu tun, denn was auch immer das Spätwerk Beethovens sein mag, es ist nicht konservativ, auch wenn es sich natürlich auch nicht unter die seinerzeitige Frühromantik, zB Webers subsumieren lässt. Bei Bach könnte man schon eher sagen, dass überhaupt solche "Lehrwerke", wenn auch als Meisterstücke gedacht, zu komponieren, wie die Kunst der Fuge, ein "konservativer" Zug ist.

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  • Obwohl er in seinen Fünfzigern schon etwas kränkelte und wohl in keinem Fall sehr alt geworden wäre (da stand seine Leberzirrhose davor), ist er doch ziemlich abrupt aus seinem Leben gerissen worden. Daher ist sein Spätwerk nicht unbedingt als "Alterswerk" zu bezeichnen.

    Ab wann darf man denn von Alterwerk sprechen, ab dem Pensionsantritt für Beamte mit 65 LJ? :D Als Beethoven seine letzten Streichquartette schrieb, hatte er mehr als 40 Jahre Kompositionserfahrung. Da gilt in Österreich bereits die "Hacklerregelung".



    Und wo bitte gibt es da Reduktionstendenzen? Etwa bei der 9. Symphonie, der Missa Solemnis, der Sonate für Hammerklavier, den Quartetten Opus 127, 130, 131, 132, der Großen Fuge?

    Stimmt schon, natürlich hat Beethoven in der Spätzeit auch großformatige Mammutwerke geschrieben. Das gilt übrigens ebenso für Bach. Trotzdem, für mich ist die Wahl des Mediums Streichquartett für die intimsten und individuellsten Gedanken eine reduktionistischte. Da kann man sich als Komponist nirgendwo verstecken. Die oftmalige Stille und Introspektion der der späten Beethovenquartette begreife ich als Reduktion.

  • Die Dimensionen der Streichquartette selbst sind aber natürlich nicht reduziert ;)


    Beethoven hat aber anscheinend Quartette als die "kleinste große Besetzung" gesehen. Ich habe eine Briefstelle o.ä. in Erinnerung, wonach er nach den letzten Sonaten geäußert haben soll, jetzt nur noch Quartette, Sinfonien etc. zu komponieren. Wieviel man darauf geben soll, da er ja noch die Diabelli-Variationen und Bagatellen geschrieben hat, weiß ich auch nicht. Für Beethoven dürfte jedenfalls Klavier solo die "intimste" Gattung gewesen sein, als höchstens semiprofessioneller Streicher war Quartett für ihn persönlich nicht so naheliegend.
    Ich würde es auch nicht als reinen Zufall sehen, dass Beethoven die letzten Quartette (und eben Quartette) komponiert hat. Aber auch nicht als eine bewusste Entscheidung für diese Gattung, angesichts des wahrscheinlich nahenden Lebensendes.
    Zum einen gab es den Anlass, die Anfrage von Galizyn (da musste aber zuerst die 9. fertigkomponiert werden), zum anderen wären Quartette ohnehin mal wieder "dran" gewesen. Nach der Eroica komponierte Beethoven op. 59, nach der 5./6. op.74, eigentlich "fehlen" schon Quartette um 1814/15 nach der 7./8. Sinfonie (das f-moll wurde schon 1810 komponiert, aber lange zurückgehalten). Damals geriet Beethoven aber in eine persönliche und vielleicht auch künstlerische Krise und hatte vielleicht einfach nicht die Energie oder war sich zu unsicher. Dass sowohl die Werke der "dürren Jahre" um 1815 als auch der "Durchbruch" zum Spätwerk (op.106 1818) aufs Klavier fokussieren, ist vermutlich kein Wunder bei einem Pianisten-Komponisten, der Beethoven trotz alledem auch gewesen ist.
    Und dann scheint er Geschmack gefunden zu haben, so dass er nach den ohnehin versprochenen dreien noch gleich zwei weitere Quartette komponiert hat.

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  • Laut diverser medizinhistorischer Studien dürfte man einen ca. 55-Jährigen des frühen 19. Jahrhunderts durchaus als alten Menschen bezeichnen, zumal unter Berücksichtigung von Beethovens Gesundheitszustand. Bach ist ungefähr acht Jahre älter geworden, begann aber schon vor 1742 mit der Arbeit an "Alterswerken". Entscheidend scheint mir, ebenso wie Felix Merites, die "akkumulierte" Kompositionserfahrung. In seinem letzten Lebensjahr hatte selbst Mendelssohn bereits annähernd dreißig Jahre an hochwertiger Kompositionsarbeit hinter sich. Auch Beethoven begann früh, wenn auch nicht auf diesem qualitativen Level.


    Beethovens op. 111 oder 135 scheinen mir durchaus Alterswerke zu sein, eine unabwendbar anachronistische Sichtweise. Von Relevanz ist die Reduktion auf eine "Essenz des Personalstils" b.z.w. eine - wie von F.M. definierte - "Radikalität" . Sibelius "Tapiola" erfüllt m.E. durchaus die genannten Kriterien, obwohl das Werk für ein spätromantisch besetztes Orchester und mehrere Dekaden vor Ableben des Komponisten verfasst wurde.


    Apropos Besetzungsstärke:

    Zitat

    Die Dimensionen der Streichquartette selbst sind aber natürlich nicht reduziert ;)

    Richtig. Man denke nur an das leider verschollene späte Doppelquartett Beethovens, besetzt mit 2 Violinen, 1 Bratsche, 1 Cello, 2 Wassermühlen, 1 Hammerwerk und 1 Windmühle (frühindustrielle Anlagen waren damals für Musikveranstaltungen noch tabu). Im Falle einer Wiederentdeckung ist mit der Uraufführung durch die Ardittis zu rechnen, selbstverständlich einmal mehr in Kombination mit einem Maschinenquartett aus der Schweiz.

  • Ab wann darf man denn von Alterwerk sprechen, ab dem Pensionsantritt für Beamte mit 65 LJ? :D Als Beethoven seine letzten Streichquartette schrieb, hatte er mehr als 40 Jahre Kompositionserfahrung. Da gilt in Österreich bereits die "Hacklerregelung".

    Von Alterswerk spricht man bei einem Künstler in der Regel dann, wenn er weder durch Krankheit noch Unfall beeinträchtigt ein entsprechend hohes Alter erreichte und dabei sehr lange künstlerisch tätig sein konnte. Beethoven wurde mitten aus seiner Arbeit herausgerissen und für mich sind im bestehenden Werk kaum Tendenzen eines Alterswerk sichtbar.
    Das kann auch durch Vergleiche mit anderen Komponisten belegt werden. Sind etwa die Pariser Symphonien Alterswerke? Oder die Meistersinger, Aida, Requiem, Brahms 3. und 4.? Nein, sicher nicht. Und dass man bei einer Großen Fuge an Reduktion denken kann, löst bei mir nur Kopfschütteln aus...


    Besser gefällt mir Gomberts Gedanke. Ohne den verhängnisvollen Sonntagsausflug, der Beethoven eine schwere Lungenentzündung einbrachte, von der er nicht mehr auf die Beine kam, hätte er locker noch fünf wenn nicht sogar zehn Jahre leben können. Und ja, bei einem hypothetisch erweiterten Lebenswerk hätte man hinterher Op. 135 vielleicht (oder sogar als wahrscheinlich) als Eintrittstüre zum Alterswerk definiert. Bei Op. 111 könnte das nur im Zusammenhang mit den Klaviersonaten gelten. Was macht Op.111 zu einem Alterswerk? Die Zweisätzigkeit findet sich auch in den Sonaten 19, 20, 22 und 24. Op.135 ist aber sowohl formal als auch inhaltlich eine echte Zäsur du den Quartetten davor und könnte als Neuausrichtung verstanden werden. Alles davor hat für mich weder mit Alterswerk und schon gar nicht mit Reduktion zu tun...



    Laut diverser medizinhistorischer Studien dürfte man einen ca. 55-Jährigen des frühen 19. Jahrhunderts durchaus als alten Menschen bezeichnen, zumal unter Berücksichtigung von Beethovens Gesundheitszustand.

    Nein, nicht in dieser verallgemeinernden Formulierung. Da muss man differenzieren. Zum Einen gab es jede Menge Krankheiten, an denen man sterben konnte, die heute mit einer kleinen Tablettenkur behoben werden können. Zum Anderen gab für manuell schwer arbeitende Menschen oft unsägliche Arbeitsbedingungen, die sie sehr viel schneller altern ließen als den Durchschnitt damals und natürlich auch heute. Drittens gab es regelmäßige Kriege, die viele junge Opfer kosteten. Aber wenn man Krankheiten vermeiden konnte und gefährliche Zeiten glücklich überlebte, waren 70 oder gar 80 Jahre keine Seltenheit oder gar aufsehenerregend (man denke z.B. an Goethe, Telemann, Haydn, Verdi).

    Ciao


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  • Da muss man differenzieren.


    Genau, und deswegen verstehe ich nicht, weshalb man partout ein Greis sein muss, um ein "Alterswerk" zu schreiben. Was macht denn das Alter aus? Nachlassen der Gesundheit, Vereinsamung und Einschränkungen des alltäglichen Lebens. Genau das alles trifft auf den späten Beethoven zu, da er seit mehr als 10 Jahren völlig ertaubt und daher isoliert war. Beethoven war vollkommen auf sich alleine geworfen. Dazu kommt noch seine 40-jährige Kompositonserfahrung. "Alterswerk" passt da schon. Uebrigens: wie Gombert richtig sagt, hatte auch Bach als Mittfünfziger einen grossen* Teil seines Alterswerk bereits komponiert.


    Weshalb sollte die "Grosse Fuge" nicht reduziert sein? Sie ist ja für vier Streicher geschrieben und nicht für grosses Orchester. Ausserdem bedingt die Fuge als strenge Form ohnehin eine Reduktion der Audrucksmittel.


    *ich schreibe diesen Text von einer schweizer Tastatur aus und muss mich noch ein wenig orientieren.

  • Genau, und deswegen verstehe ich nicht, weshalb man partout ein Greis sein muss, um ein "Alterswerk" zu schreiben. Was macht denn das Alter aus? Nachlassen der Gesundheit, Vereinsamung und Einschränkungen des alltäglichen Lebens. Genau das alles trifft auf den späten Beethoven zu, da er seit mehr als 10 Jahren völlig ertaubt und daher isoliert war. Beethoven war vollkommen auf sich alleine geworfen. Dazu kommt noch seine 40-jährige Kompositonserfahrung. "Alterswerk" passt da schon. Uebrigens: wie Gombert richtig sagt, hatte auch Bach als Mittfünfziger einen grossen* Teil seines Alterswerk bereits komponiert.


    Wenn das die "Altersfaktoren" sind, dann trafen sie aber vermutlich auf Beethoven mit Mitte 40 schon weit eher zu als auf viele andere Komponisten Anfang 60. Meinem Eindruck nach hängt eine Einordnung als "Alterwerk" nur sehr bedingt mit dem tatsächlichen Alter zusammen. Bei Beethoven und Bach bietet sich das beinahe unabhängig vom Alter an, weil man bei Beethoven eine ziemlich deutliche Zäsur, bedingt durch einige Jahre mit sehr wenigen Kompositionen sowie persönlich-familiärer Schwierigkeiten (ca. 1814-17) und die zunehmende Taubheit hat. Bei Bach die Konzentration auf den "Clavierübung"-Aspekt, wovon er zwar schon einige Werke mit Mitte 30 komponierte, der aber die letzten Jahre dominiert.


    Bei Haydn könnte man ebensogut die "Londoner" Sinfonien, die beiden großen Oratorien und späten Messen usw. als "Alterswerke" einordnen. Das mag man auch mal lesen, es ist aber nicht besonders signifikant, obwohl er bei allen davon über 60 war. Niemand setzt die letzten 8-10 Oratorien Händels als "Alterswerk" ab, bloß weil er über 60 war, weil es keine solche Zäsur gibt bzw. diese früher liegt, nämlich schon Ende der 1730er.



    Zitat

    Weshalb sollte die "Grosse Fuge" nicht reduziert sein? Sie ist ja für vier Streicher geschrieben und nicht für grosses Orchester. Ausserdem bedingt die Fuge als strenge Form ohnehin eine Reduktion der Ausdrucksmittel.

    Das ist beides falsch und op.133 ist ein besonders schlagendes Gegenbeispiel :D
    Wie schon einmal gesagt, ist es m.E. anachronistisch zu meinen, Beethoven habe Streichquartette als "reduziert" gegenüber Orchesterwerken gesehen. Und abgesehen von der Besetzung sind die späten Beethovenquartette außer dem letzten in keiner Weise "reduziert", ganz im Gegenteil und auch äußerlich umfangreicher als seinerzeitige Sinfonien, mit Ausnahme von Beethovens eigener 9. (und evtl. 3.) Sinfonie.

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  • Genau, und deswegen verstehe ich nicht, weshalb man partout ein Greis sein muss, um ein "Alterswerk" zu schreiben. Was macht denn das Alter aus?

    Man muss kein Greis sein, aber alt - es heißt eben Alterswerk und ist auch so gemeint. Wenn du das nicht verstehst, dann verstehst du es eben nicht...



    Genau das alles trifft auf den späten Beethoven zu, da er seit mehr als 10 Jahren völlig ertaubt und daher isoliert war. Beethoven war vollkommen auf sich alleine geworfen. Dazu kommt noch seine 40-jährige Kompositonserfahrung.

    Aber durch die Ertaubung ist er nicht "alt" geworden sondern krank. Du solltest schon auch musikalische Merkmale ins Treffen führen, die den Begriff "Alterswerk" rechtfertigen.



    Weshalb sollte die "Grosse Fuge" nicht reduziert sein? Sie ist ja für vier Streicher geschrieben und nicht für grosses Orchester. Ausserdem bedingt die Fuge als strenge Form ohnehin eine Reduktion der Audrucksmittel.

    Mit dieser Begründung beginnt Beethovens Alterswerk bei Op.18. Ich wiederum kann nicht verstehen, dass du die Unhaltbarkeit dieser Argumentation nicht begreifen willst.


    ;)


    (Übrigens war die Große Fuge ursprünglich Teil des Streichquartetts Op. 130, das formal alles bisherige sprengte und in dieser Form eines der umfangreichsten Streichquartette der gesamten Musikliteratur ist; es passt daher von der Dimension her sehr gut zur kurz davor veröffentlichten 9. Symphonie - von wegen Reduktion...)



    Bei Haydn könnte man ebensogut die "Londoner" Sinfonien, die beiden großen Oratorien und späten Messen usw. als "Alterswerke" einordnen. Das mag man auch mal lesen, es ist aber nicht besonders signifikant, obwohl er bei allen davon über 60 war.

    Bei einem Künstler mit so langer Schaffensperiode wie Haydn versucht man ganz natürlich eine Unterteilung z.B. in frühe, mittlere und späte Werke durchzuführen. Hier drängt sich die Entlassung aus den Esterhazyschen Diensten und "offizielle" Pensionierung als Beginn des Alterswerks förmlich auf. Haydns Lebensumstände und damit die Voraussetzungen für seine Arbeit änderten sich grundlegend. Es ist eine echte Zäsur in vielerlei Hinsicht. Musikalisch ist das aber nicht ganz so einfach zu belegen, immerhin kann man eine Reduktion in der Vielfalt der Werke feststellen. Es gibt ab diesem Zeitpunkt keine Opern, Solistenkonzerte und Klavierwerke mehr. Die Kammermusik reduziert sich auf die Quartette ab Op.71 und einige Trios. Dafür kommen die beiden großen Oratorien dazu...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Man muss kein Greis sein, aber alt - es heißt eben Alterswerk und ist auch so gemeint. Wenn du das nicht verstehst, dann verstehst du es eben nicht...


    Was Du meinst, würde ich eher "Spätwerk" nennen und nicht "Alterswerk". Wenn der Begriff "Alterswerk" nur bedeuten soll, dass der Komponist zum Zeitpunkt der Komposition überdurchschnittlich alt war, halte ich ihn für ziemlich inhaltslos. Alterswerk hat für mich vor allem eine psychische Komponente, und zwar entlang den Leitlinien wie von mir bereits dargestellt. Prinzipiell empfinde ich "Alterswerke" als introspektiv und weltabgewandt. Gombert weist nicht zu Unrecht auf Mendelssohn hin, der zwar mit 38 starb aber inseinen letzten jahren nach Aussagen von Freunden stark gealtert und resignativ geworden war. Mendelssohn hatte auch keine Lust mehr öffentlich aufzutreten. Nicht sein ganzes Spätwerk würde ich als "Alterswerk" bezeichnen, aber sicherlich seine a capella Motetten op. 78 und op. 69. So etwas hätte er 10 Jahre vorher nicht geschrieben.


    ad Beethoven: völlig ertaubt ist Beethoven so um 1815 herum und nicht um 1800 als er die op. 18 Streichquartette schrieb. Nochmals: das Streichquartett selbst ist eine reduzierte Form der Musik, da es auf klangliche Effekte weitgehend verzichten muss. Viel mehr steht die musikalische Substanz selbst im Vordergrund. Die Länge des Werks selbst ist da unerheblich. Weiters mag es schon sein, dass die späten Streichquartette von Aussen an Beethoven herangetragen wurden, das heisst aber nicht, dass er nicht, dass er bei der Komposition nicht seinen ureigensten Bedürfnissen folgte (die Streichquartette Beethovens waren immer persönlicher als seine Symphonien, also ist völlig klar, dass er das SQ als Genre anders bewertete). Beispiele bei anderen Künstlern sind Legion - auch die Kunst der Fuge entstand auf Zuruf Matthesons.

  • Du trägst eine sehr eigentümliche und m.E. unhistorische Sichtweise von Streichquartetten als "reduziert" an Beethovens Schaffen heran.


    Das einzige "Muster", was sich bei Beethoven in den unterschiedlichen Phasen (wenn man sie denn für eine sinnvolle Einteilung hält), ergibt, ist, dass immer Werke mit Klavier (meistens Klavier solo) am Beginn einer neuen Phase stehen. Nicht nur der junge Beethoven fühlte sich hier anscheinend besonders sicher und sah anscheinend auch keine so deutliche "Last" durch Werke der Vorgänger wie bei der Sinfonie und dem Streichquartett. Am deutlichsten ist das am Beginn seiner Karriere. Vor der ersten Sinfonie und op.18 hat er 2 Klavierkonzerte, mindestens 4 Klaviertrios, ca. 10 Klaviersonaten und 5 Violin- bzw. Cellosonaten komponiert/veröffentlicht. Quartette und Sinfonien folgen dann beinahe gleichzeitig.
    Es gibt m.E. weder bei Haydn noch Mozart noch Beethoven (und vermutlich auch nicht bei Komponisten wie Mendelssohn oder Brahms) Hinweise darauf, dass sie Kammermusik, insbesondere Streichquartette als bewusste "Reduktion" gegenüber "eigentlich großen" Werken wie Sinfonien verstanden hätten. Eine einzige Äußerung, die man so verstehen könnte, findet man bei Schubert, als der, vermutlich bezogen auf die Quartette a-moll und d-moll und evtl. auch das Oktett, schreibt, er wolle sich so den Weg zur großen Sinfonie bahnen.


    Für Beethoven wäre "Reduktion", ein Rückzug ins Private m.E. eine Beschränkung auf Klavier solo gewesen, wenn er das angestrebt hätte. Es mag zwar sein, dass er bei der 9. Sinfonie merkte, dass seine Taubheit hier ein größeres Handicap darstellte als bei kleiner besetzter Musik. Ungeachtet dessen gibt es ja Skizzen zu einer 10. Sinfonie und überdies gibt es Berichte, dass Beethoven an Proben Schuppanzighs für die späten Quartette teilgenommen hat und teilweise sogar noch Veränderungen vorgenommen hat. Letztlich hatte Beethoven genügend Erfahrung und ein entsprechendes "inneres Ohr" um auch als Tauber noch klanglich außerordentliche Effekte zu komponieren, wofür sowohl Missa und 9. Sinfonie als auch die späten Quartette Belege sind.


    Wie oben angedeutet, habe ich die ganz banale Hypothese, dass Quartette eh "dran" waren. op.95 stammt schon von 1810 oder 1812, wurde aber erst Jahre später veröffentlicht. Es wäre seltsam gewesen, wenn Beethoven nun nach den späten Sonaten und der 9. Sinfonie nicht auch noch Quartette komponiert hätte.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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