Kann man über Musik der Epoche "Klassik" überhaupt diskutieren ?

  • Dieser Threadtitel benötig einige Erklärungen:
    Zum einen sind im Rahmen dieses Threads die Sparten "Vorklassik" - "Wiener Klassik" - "Mannheimer Klassik" und alle verwandten Richtungen gemeint
    Zum zweiten wird mancher der Meinung sein, daß man über "klassische Musik" im ALLGEMEINEN nicht schreiben kann - das Medium Musik widersetze sich dem. Diese Meinung - man bekommt sie oft von Musikern zu hören, die sich nicht an ein Klassikforum anschliessen möchten - dürfte durch ca 480.000 Beiträge bei uns im Forum weitgehend widerlegt sein.


    Aber WORÜBER wird immer wieder gestritt .. ähhh diskutiert ?


    Da gibt es Diskussionen über Mahler, über Regietheater, über geliebte oder gehasste Moderne - über Oper und ihre Protagonisten, über Richard Wagner im Speziellen, über Pultgrößen wie Karajan, Böhm oder Bernstein, über Klangqualität von CDs, über HIFI, über Liedinterpretation oder Umsetzbg von Gedichten zum Lied, über Crossover, über Stile.


    Lediglich der Bereich um Mozart und Haydn, ergänzt durch zahlreiche Zeitgenossen und "Kleinmeister" scheint entweder niemanden zu interessieren oder aber durch allzu großen Konsens als Diskussionsstoff ungeeignet. Immer wieder bekam ich Mitteilungen, daß dieser Bereich eigentlich viel zu wenig zu Worte käme - aber wenn dann dort wirklich etwas geschrieben wird, dann kommt keine Reaktion darauf.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lediglich der Bereich um Mozart und Haydn, ergänzt durch zahlreiche Zeitgenossen und "Kleinmeister" scheint entweder niemanden zu interessieren oder aber durch allzu großen Konsens als Diskussionsstoff ungeeignet. Immer wieder bekam ich Mitteilungen, daß dieser Bereich eigentlich viel zu wenig zu Worte käme - aber wenn dann dort wirklich etwas geschrieben wird, dann kommt keine Reaktion darauf.


    Gerade unlängst gabe es in einem Hindemith-Thread (deplatzierterweise) eine Diskussion, ob Mozart "größer" als Haydn sei. Wir beide diskutieren gerade, ob Ries wirklich ganz vorne mitspielt, und Mozart wird gerne gegen Schönberg in Position gebracht. Also, insgesamt verorte ich hier schon beträchtliches Interesse.

  • Hallo Alfred,
    du meinst vielleicht ob man den eigentlichen Inhalt und das Wesen von Musik aus vergangenen Zeiten diskutieren kann.
    Und nach meiner Ansicht kann man das nicht.
    Mir ist es doch schnurz-piepe-egal, in welche Ecken oder Komponisten vergangener Zeiten geschoben werden oder welcher Komponist von wem auch immer als "besser" betrachtet wird.
    Es gilt Dinge zu akzeptieren, die man einfach nicht mehr seriös hinterfragen kann. Jede These erzeugt hier eine Antithese, darüber lässt sich natürlich diskutieren, aber ohne Einfluss auf die Musikliteratur.
    In der Gegenwart komponierte Musik ist immer von allgemeinen Einflüssen in der Gesellschaft geprägt. Die Interpreten von heute interpretieren die klassische Musik in der Gegenwart und spielen auch die Musik mit dem Einfluss durch die heutige Gesellschaft.
    Wer hier aber mal darauf wartet, das über die Gründe des Erfolges eine Artemis-Quartettes diskutiert wird und wie der zustande kommt, kann hier lange warten.

  • Ich sehe hier keinen prinzipiellen Unterschied. Sicher fällt es vielen leichter, über die Meriten von Sängern o.ä. zu diskutieren. Aber zumindest von Mozart-Opern, Fidelio, Missa solemnis u.a. liegen genügend Einspielungen vor, dass man das tun könnte (und auch tut).


    Natürlich gibt es von frühen Haydn-Sinfonien, den "Mannheimern" o.a. oft nicht so viele Aufnahmen, jedenfalls kann man nicht unterschiedliche Mitschnitte Klemperers vergleichen wie bei Bruckner. Aber liegen ja durchaus Einspielungen vor, manchmal auch unterschiedliche.


    Ob sich nun mal mehr Leute für Vanhal und Spohr oder für spätere Musik, zB. aus den "romantischen" Hyperion-Reihen, begeistern können, halte ich für zufällig.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Ob sich nun mal mehr Leute für Vanhal und Spohr oder für spätere Musik, zB. aus den "romantischen" Hyperion-Reihen, begeistern können, halte ich für zufällig.


    Genau das ist es. Es wird zuwenig über Vanhal, Haydn, Boccherini, Cannabich, Vranicky, Dittersdorf, Eberl und Rosetti geschrieben - vermutlich interessiert sich niemand mehr wirklich für sie - oder sie werden als "harmlose" Untwerhaltungsmusiker klassifiziert.
    Wenngleich das Forum bei seiner Gründung eigentlich vor allem auf jene Komponisten zugeschnitten war ist hier der Durchbruch nie wirklich gelungen. Damit habe ich mich längst abgefunden. Jedoch erreichen mich immer wieder Klagen, wo beanstandet wird, daß diesen Komponisten zuwenig Aufmerksamkeit im Forum geschenkt wird. Eröffne ich aber dann Threads mit Themen zu diesen Komponisten, dann verfallen gerade diese Leute in beharrliches Schweigen.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo,


    das letzte Statement von Alfred erinnert mich an ein Diktum anlässlich der Mahlergedenkjahre 2010/2011, nämlich daß Mahler "zum Klassiker geworden" sei.
    Dies wurde in den Feuilletons allerdings weniger als positive Nachricht behandelt, sondern eher als eine bedenkliche Entwicklung gesehen.
    Offenbar existiert tatsächlich eine Tendenz, "Klassiker" ( wobei dieser Begriff sicher mehr umfasst als eine musikalische Gattungsbezeichnung bzw. musikhistorische Verortung), als gewissermaßen ausdiskutiert und insofern als der weiteren -positiven wie kritischen- Betrachtung enthoben anzusehen.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Zitat

    durch allzu großen Konsens als Diskussionsstoff ungeeignet.

    Das trifft es sicherlich. Ich schätze die entsprechenden threads sehr und habe auch einige Endeckungen auf dieser Basis machen können. Subjektiv handelt es sich um Musik zum hören :P , d.h. weniger zum spielen oder lesen. Wer verfügt schon über Noten von Eberl oder Rosetti? Ich könnte also wenig sinnvolles zu Substanz oder Struktur eines dieser Werke beitragen und bleibe beim passiven thread-Konsum. Bei Haydn sähe es anders aus, doch ist das wunderbare Haydn-Projekt :hail: ja bereits abgeschlossen [hmm, vielleicht mal was zur Kammermusik....].


    Zudem mangelt es, wie Johannes Roehl bemerkte, vielfach an Vergleichsaufnahmen, wodurch eine weitere potentielle Diskussionsgrundlage entfällt.


    Der Wert eines threads liegt doch nicht in der Zahl der Beiträge!

  • Bei Haydn sähe es anders aus, doch ist das wunderbare Haydn-Projekt :hail: ja bereits abgeschlossen


    Es ist leider noch nicht ganz abgeschlossen ;( ; Du bist herzlich eingeladen, Dich einiger Sinfonien aus Nr. 51-57 anzunehmen, die fehlen nämlich noch... 22 haben noch keine Antwort (d.h. nur das "nullte" Posting), nicht einmal 20 Sinfonien haben eine zweistellige Anzahl von Antworten...

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  • Meine Lieblingswerke !!! :D


    Wenn erlaubt oder gar erwünscht würde ich mich gerne einer der Fünfziger annehmen.
    Das müßte dann wohl im entsprechenden thread koordiniert werden, oder gibt's keine weiteren Interessenten?


    Zitat

    22 haben noch keine
    Antwort (d.h. nur das "nullte" Posting), nicht einmal 20 Sinfonien haben
    eine zweistellige Anzahl von Antworten...

    Etliche Beiträge sind ja auch schön in sich abgerundet und erheischen keine Antwort - ich hätte jedenfalls in vielen Fällen nichts hinzuzufügen.

  • In der Übersichtsliste mit allen Sinfonien sind links zu den schon bestehenden Threads. Bei den noch offenen stehen zwar Namen dabei, aber die kannst Du ignorieren und vorstellen, was immer Dir gefällt. (Spradow/Frank ist ab und zu noch im Forum, aber ich bin sicher, wenn er einen starken Drang verspürt hätte, hätte er irgendwann in den letzten 3 Jahren die threads gestartet.)

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  • @ Johannes Roehl
    Ich bin sehr froh, daß Du darauf aufmerksam gemacht hast.
    Ich finde, Gombert soll ruhig die 50er Eröffnungsbeiträge - nach dem Muster der bisherigen - übernehmen . Ich freue mich darüber.
    Zudem war ich - wie vermutlich viele andere auch - der Überzeugung daß zu den anderen Sinfonien bereits alles Wichtige geschrieben worden ist. Ich nehme die Information, daß dem nicht so ist - als willkommenen Anlass - den Bereich durchzustöbern und gelegentlich einen Beitrag zu schreiben....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Meinen Dank für den Vertrauensvorschuss, ich würde vorerst aber, wie gesagt, nur eine Sinfonie übernehmen wollen. Es freut mich, wenigstens einen kleinen Teil zu diesem schönen Projekt beitragen zu dürfen, doch sind in diesem Forum zweifellos und nachweislich kompetentere Haydn-Kenner aktiv. Das feedback zu meinem noch zu verfassenden Beitrag bleibt zunächst abzuwarten...


    Beste Grüße!

  • Ich möchte zu diesem Thema nur kurz sagen, dass die Klassik längst nicht mehr meine Lieblingsmusik ist. Bei den Sinfonien gefallen mir die Haydn - Sinfonien (ich kenne alle 104) besser als die Mozarts. Die geistliche Musik der Renaissance, des Barock (Bach) und die von Brahms ist mir sehr viel lieber als die von Mozart, Haydn, Schubert und Beethoven. Die da-Ponte-Opern sind grandios, aber Janacek ist mir lieber. Und weil das so ist und weil ich außer bei Chormusik auch von der Analyse nicht so viel verstehe, schreibe ich im Klassik-Bereich so gut wie nicht. Da gibt es einfach viel bessere Leute.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Fang eben mal mit einer der noch freien Sinfonien an.


    Zwar hat uns im Jubliäum dann die professionelle Seite
    http://www.haydn107.com/index.php?id=2
    "überholt", aber die ist zB für die Noten immer noch ganz praktisch.

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  • Ich glaube schon, daß sich nicht nur zufällig viel trefflicher über Mahler oder Wagner als über die Komponisten der Wiener Klassik streiten lässt.

    vermutlich interessiert sich niemand mehr wirklich für sie - oder sie werden als "harmlose" Untwerhaltungsmusiker klassifiziert.


    Man muß die "Klassiker" nicht als harmlose Unterhaltungsmusiker verstehen, aber Haydns Sinfonien (die ich sehr schätze und alle 104 [und die noch 1-2 ohne Zählung] immer wieder mal nach und nach durchhöre) fordern einfach nicht dazu heraus, groß darüber zu diskutieren. Das ist eben einfach wunderbare Musik, aber erstens ist eine Haydn-Sinfonie kein annähernd so individuelles Werk wie schon jede der vier Brahms Sinfonien, von Mahler ganz zu schweigen. Und zweitens beginnt eben ab Beethoven doch so etwas wie "Weltanschauungsmusik" - man hat das Gefühl, da geht's noch um ganz andere Dinge als nur um Musik, die sich selbst genügt. Und unser Reden über Musik knüpft doch am ehesten dort an, wo sie über sich hinausweist.


    Natürlich ist Haydn in seinem Rahmen auch abwechslungsreich, voller Einfälle und humorvoll. Aber da ist nichts groß strittig oder fraglich. Wenn, dann lässt sich am ehesten noch über Haydn im allgemeinen reden, den man dann mit Mozart oder anderen Zeitgenossen im allgemeinen vergleicht. Aber eine große Diskussion über die Haydn Sinfonie XY führen? Da fehlen meiner Meinung nach die großen Fragen.


    Gruß aus Freiburg,
    Byron

    non confundar in aeternum

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  • Man muß die "Klassiker" nicht als harmlose Unterhaltungsmusiker verstehen, aber Haydns Sinfonien (die ich sehr schätze und alle 104 [und die noch 1-2 ohne Zählung] immer wieder mal nach und nach durchhöre) fordern einfach nicht dazu heraus, groß darüber zu diskutieren. Das ist eben einfach wunderbare Musik, aber erstens ist eine Haydn-Sinfonie kein annähernd so individuelles Werk wie schon jede der vier Brahms Sinfonien, von Mahler ganz zu schweigen.


    Wenn das richtig wäre, warum fordern sie deshalb weniger Diskussion heraus?
    Allein aufgrund der Anzahl und ihrer Entstehung über mehr als 35 Jahre sind Haydns Sinfonien erheblich vielfältiger als bei den meisten Komponisten des 19. Jhds. Es gibt konzertante Sätze, programmatisches (in den "Tageszeiten" sogar beides) und eine Fülle von Formen und individuellen Gestaltungen (m.E. weit mehr als zB bei Bruckner).


    Zitat


    Und zweitens beginnt eben ab Beethoven doch so etwas wie "Weltanschauungsmusik" - man hat das Gefühl, da geht's noch um ganz andere Dinge als nur um Musik, die sich selbst genügt. Und unser Reden über Musik knüpft doch am ehesten dort an, wo sie über sich hinausweist.


    Und wird nicht selten zum Geschwafel. Natürlich lässt sich über Außermusikalisches leichter reden als über Musik.


    Man könnte bei jeder nicht offensichtlichen oder vorgeblichen Weltanschauung-Musik argumentieren, dass sich darüber nicht diskutieren ließe. Es gibt allerdings genügend Threads im Forum, auch zur Kammermusik, zu wenigstens einigen Haydn-Sinfonien und zuletzt Beethovens Klaviersonaten, die zeigen, dass man auch über solche Musik diskutieren kann.

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  • Man könnte bei jeder nicht offensichtlichen oder vorgeblichen Weltanschauung-Musik argumentieren, dass sich darüber nicht diskutieren ließe.


    Ich finde auch, dass die Diskussionen über spätromantische Symphonien oder gar Symphonien aus der Sowjetunion zu sehr weltanschaulich geprägt sind. Am schlimmsten ist es fast bei Schostakowitsch. Da geht es fast immer nur um das politische Umfeld. Ich halte das für verfehlt, denn Schostakowitsch war ja wohl mehr als ein politisches Subjekt.

  • Immerhin wurde heute durchaus kontroversiell über den Bekanntheitsgrad von Ferdinand Ries geschrieben. Ich finde, das ist schon eine interessante Feststellung. Mal sehen ob sich sowas auch bei den ganz berühmten Komponisten der Wiener Klassik realisieren lässt ?
    Ich pflichte übrigends - ungern aber doch - bei, wenn behauptet wird, dass das war man als "politische" oder "weltanschauliche" Wirkung einer Komposition bezeichnet, von den meisten als für Diskussionen geeigneter betrachtet wird, als die reine Musik an sich...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !