W.A.Mozart: Fantasie c-moll KV 475

  • Mozart hat bei der Erstveröffentlichung die Fantasie der Sonate KV 457 vorangestellt und beide der gleichen Person gewidmet. Beide Werke entstanden auch in zeitlicher Nähe zueinander. Die Fantasie und die Sonate trifft man in Notenausgaben und auf Tonträgern häufig zusammen an.
    Das lange als verschollen geglaubte Autograph beider Werke wurde Ende 1990 bei einer Auktion für 1,8 Millionen US-Dollar versteigert. Dass das Autograph zeitnah zum 200. Todestag Mozarts in den USA „entdeckt“ und versteigert wurde, war wohl mehr als nur ein Zufall. Auf jeden Fall konnte die Stiftung Mozarteum in Salzburg ihre Autographensammlung um ein bedeutendes Exemplar erweitern.


    Doch möchte ich mich jetzt nur auf die Fantasie beschränken.


    Gewidmet ist die Fantasie Therese von Trattner, die viele Jahre lang eine von Mozarts Klavierschülerinnen war.
    Was Mozart zu dieser exzentrischen Komposition antrieb, ist in der Musikwissenschaft umstritten. Auch eine unglückliche Liebe zur Widmungsträgerin scheint nicht unmöglich.
    Geschrieben und veröffentlicht wurde sie 1785.


    Die Spieldauer liegt bei ca. 13 Minuten.


    Die Grundstimmung der Fantasie ist düster, verzweifelt und melancholisch; unterbrochen von temperamentvollen, grimmigen Ausbrüchen. Ein richtig romantisches Klavierstück. Etwas wie Freude, Erlösung oder Hoffnung gibt es in diesem Stück nur selten.
    Die Fantasie ist wohl Mozarts dunkelste Komposition. Zumindest ist sie eine seiner emotionalsten.


    Die Fantasie ist von der Dynamik her äußerst kontrastreich und vom Stil mozart-untypisch. Sie besteht aus fünf ineinander gehenden Abschnitten:


    Adagio – Allegro – Andantino – Più Allegro – Primo tempo


    Kaum ein Musikstück aus dem Bereich der Klassik bewegt mich so sehr, wie diese Fantasie. Sie hat schon einen Ohrwurmcharakter für mich.
    Guldas Aufnahme aus dem Münchner Herkulessaal, 1978 eingespielt, gefällt mir bisher am besten.




    Was haltet ihr von dieser Fantasie?
    Welche Interpretationen kennt oder bevorzugt ihr?
    Hat einer von euch die Fantasie schon selbst gespielt?

  • Lieber Alex,


    die Fantasie c-moll ist ein wirklich bewegendes Stück! Ich hörte sie im Konzert mit Alfred Brendel in seinem vorletzten Jahr vor seinem Rückzug vom Konzertpodium. Er zelebrierte das sehr "rhetorisch" - mit extrovertierten Gesten wie dem Wegwerfen der Arme. Sehr beeindruckend war das! Eine meiner absoluten Lieblingsplatten ist diese Aufnahme von Wilhelm Kempff:




    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo Alex,


    ein geniales Werk und eines meiner Lieblingsklavierstücke! Sowohl alleine, als auch mit der Sonate Nr. 14 c-Moll KV 457, der sie vorangestellt war. Auch wenn sie als fertiges und wunderbares Opus dasteht, gibt sie wohl auch einen Einblick, wie es gewesen sein muss, wenn Mozart improvisiert hat.


    Bzgl. Gulda: Der hat sie auch (zusammen mit der Sonate) bei seinem Recital in Montpellier gebracht. Kennst du die Aufnahme? Die ganze CD vermittelt eine schöne Lebendigkeit: Ein Sommerabend in Frankreich, mit Hintergrundbegleitung: Ein Hund bellt, ein Kind lacht, ein Flugzeug landet (!). Herr Gulda kündigt seine Stücke selbst auf Französisch an. Toll!



    Herzliche Grüße
    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Die c-Moll Fantasie habe ich vor Urzeiten im Klavierunterricht gespielt, ein mitreißendes Stück, in das man sich so richtig versenken kann. Die melancholische Grundstimmung, gepaart mit den fast verzweifelt klingenden Ausbrüchen, ist wirklich meisterhaft.


    Die von Holger Kaletha erwähnte Aufnahme Kempffs gehörte zu meinen ersten Einspielungen, auch Gulda schätze ich sehr, aber aktuell gehört die Aufnahme von Schiff zu meinen Lieblingen. Er trägt sie äußerst leidenschaftlich aber zugleich differenziert vor. Ich hatte einmal geschaut, ob Buchbinder die Fantasie eingepeilt hat, bin aber bisher nicht fündig geworden.



    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

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  • Das Stück ist natürlich auch dem Mozart-Schänder nicht entgangen ,ich ziehe aber deutlich Frau Pires vor


    Ja, das Stück ist natürlich auch den Langweilern nicht entgangen... ;)


    Man höre selbst, wie es ihr ab Minute 1:07 NICHT gelingt, aus dem Staccato Stringenz und Spannung herauszuholen.... Das bleibt so folgenlos wie ein Handlungsknoten in einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung...



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Aus dem oben erwähnten Gulda-Recital von 1993 habe ich mir eben ein paar Klangschnipsel angehört. Ein doch anderer Zugang Guldas zu KV 475, als die von mir erwähnte Münchner Aufnahme. Gefällt mir irgendwie nicht so richtig. Die oben verlinkte Pires (Youtube) reist mir etwas lieblos durch die Fantasie.


    Hier übrigens nochmal Gulda, zweigeteilt auf Youtube (Konzertmitschnitt von 1981):
    Interessant auch Guldas Körperhaltung: Keine Show, keine Faxen, eher ruhig versunken in das Stück.




    Eine weitere sehr schöne Einspielung der Fantasie habe ich noch von Alicia de Larrocha:
    Eine etwas langsamere Interpretation.

  • Zitat von sagitt

    Das Stück ist natürlich auch dem Mozart-Schänder nicht entgangen


    Da würde ich natürlich gern wissen, warum sagitt das meint ;) D. h. ich würde gern eine wirklich begründete Meinung hören, die Äußerung allein kann mich nicht überzeugen :no: . Pires hat die Fantasie im Übrigen mehrfach aufgenommen, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe die Aufnahme der DGG, die ich insgesamt zwar schön gespielt aber etwas "schlaff" (d. h. das dynamische Spektrum nicht ausschöpfend) im Ohr habe. Ich müßte es aber noch einmal mit meinen alten Noten nachhören, um ein fundierteres Urteil abgeben zu können.


    Beste Grüße
    JLang


    PS Das ist die Box, aus der meine Aufnahme ist


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  • Ich habe die Aufnahme der DGG, die ich insgesamt zwar schön gespielt aber etwas "schlaff" (d. h. das dynamische Spektrum nicht ausschöpfend) im Ohr habe.


    Hallo JLang,


    diese deine Einschätzung gilt für mich für die meisten Einspielungen aus der Box. Da ziehe ich Leygraf, Brendel, Eschenbach und zT Gulda deutlich vor.


    Herzliche Grüße


    Christian

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  • Zitat hasiewicz

    Zitat

    Da ziehe ich Leygraff, Brendel, Eschenbach und zT Gulda deutlich vor.


    Brendel hatte ich ganz zu erwähnen vergessen (vielleicht weil ich schon immer bei Beethoven mit Brendel daherkomme), gehört für mich aber auch weit nach vorne. Von Gulda habe ich leider nicht so viele Mozartsonaten. Leygraff habe leider nicht (ist auch nicht ganz so billig zu haben) und Eschenbach kenne ich nicht (ich habe nur Aufnahmen als Liedbegleiter von ihm)


    @ Holger Kaletha und Piano-Mann: Larrocha würde mich auch interessieren, ich versuche mal hineinzuhören.


    Herzliche Grüße
    JLang

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  • Leygraf, KV 475 via Spotify hier.


    Herzliche Grüße


    Christian

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  • Herzlichen Dank :)
    Beste Grüße
    JLang

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  • Sagitt meint:


    Ich hatte ja einen link gesetzt, auf welche Aufnahme der Pires ich mich beziehe. Man darf nix im Dunklen lassen, damit nicht Spekulationen wuchern: ich meine Glenn Gould mit seinem schwer erträglichen Mozart.


    Bei Mozart ist mir Anschlagskultur besonders wichtig, das berühmte jeu perlé. Das konnten Haskil und das kann Pires besonders gut. Mag sein, dass andere das als "schlaff" empfinden. So ist das mit den unterschiedlichen Geschmäckern.

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  • Lieber Holger, Du irrst!


    <-- noch ohne Abbildung


    Das freut mich, lieber Alex. Da kommt nun Gott sei Dank bald eine Neuauflage. Gestern noch schaute ich bei Amazon, und da gab es nur ein gebrauchtes Angebot für über 50 Euronen... :) :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat sagitt


    Zitat

    Ich hatte ja einen link gesetzt, auf welche Aufnahme der Pires ich mich beziehe. Man darf nix im Dunklen lassen, damit nicht Spekulationen wuchern: ich meine Glenn Gould mit seinem schwer erträglichen Mozart.


    Bei Mozart ist mir Anschlagskultur besonders wichtig, das berühmte jeu perlé. Das konnten Haskil und das kann Pires besonders gut. Mag sein, dass andere das als "schlaff" empfinden. So ist das mit den unterschiedlichen Geschmäckern.

    Lieber sagitt,


    und ich hatte aus versehen die Äußerung auf Schiff bezogen, bei dem ich diese Bemerkung so gar nicht verstehen konnte, das Mißverständnis tut mir leid :yes: Gould und Mozart paßt für mich irgendwie auch nicht, es hört sich immer ein an, als ob er Schreibmaschine spielt. Pires werde ich in der kommenden Zeit sicher nochmal im direkten Vergleich mit Schiff hören. Daß sie eine hohe Anschlagskultur hat, steht außer Zweifel, ich habe gerade dieses Stück ein wenig zu rund in Erinnerung. Aber es wäre in der Tat langweilig, gefielen uns allen dieselben Dinge.


    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
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  • Andreas Staier hat die Fantasie c-Moll KV 475 auf einem Fortepiano-Nachbau eingespielt. (Monika May, Marburg 1986 nach Anton Walther, Wien um 1785) Wolfgang Amadeus Mozart spielte auf Instrumenten dieses Fortepiano-Herstellers.


    Staier bringt auf diesem Instrument vielfältige Klänge mit grosser Subtilität hervor, die auf den modernen Instrumenten nicht erzeugt werden können. Mit den Forte Passagen hat Staier zu kämpfen aufgrund der Grenzen, die das Instrument besitzt. Dies macht er mit dem leidenschaftlichen Ausdruck seines Spiels wett. Staier scheut die dynamischen Kontrasten nicht. An einigen Stellen klingt es , als ob er die Grenzen des Fortepianos voll auslotet. Seine Interpretation ist eine Alternative oder Ergänzung zu den Einspielungen auf modernen Flügeln, von denen ich einige, auch der hier vorgestellten, besitze. Wenn man seine Interpretation mit dem Notentext verfolgt, zeigt sich, dass er sich an die Angaben penibel hält. Was ich nicht weiss, ob die Dynamikangaben alle von Mozarts Hand stammen. Ich habe eine im Internet zugängliche Version benutzt.


    Die Mikrophone waren sehr wahrscheinlich weit entfernt vom Instrument aufgestellt. Der Raumklang der SACD Einspielung weist auf einen grösseren Aufnahmeraum hin. Da das Fortepiano eher einen dünnen und zerbrechlichen Klang besitzt, muss sich der Hörer von Gewohnheiten trennen.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928