Über das "Verfallsdatum" einer Operninszenierung

  • Angeregt durch den Thread Petition zum Erhalt klassischer Inszenierungen in Wiesbaden und dort den Beitrag von Holger, der sicherlich zu Diskussionen führen kann, habe ich mal schnell einen neuen Thread aufgemacht ;)


    M.E. kann man die Frage, wie lange denn eine Inszenierung laufen sollte, nicht einfach ignorieren, aber es gibt dabei sicherlich verschiedene Aspekte: Ganz banal z.B. wird die Ausstattung irgendwann "bröselig". Auch hat ein Opernhaus für mich eine kulturelle Verantwortung, d.h. es muss sich in seinen Arbeiten auch an den gesellschaftlichen Entwicklungen orientieren, also einen Zeitbezug herstellen. Andererseits kann es auch nicht sein, alte Inszenierungen damit abzuqualifizieren, sie hätten keinen künstlerischen Wert; genau dies scheint der neue Wiesbadener Intendant Herr Laufenberg wohl zu tun, womit er sich in meinen Augen für seine Arbeit a priori disqualifiziert.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Und vor allem wird es der neue Intendant merken, wenn in Wiesbaden die Aboverkäufe zurückgehen. Menschen sind halt Gewohnheitstiere und haben sich an bestimmte Sachen gewöhnt. Und es ist heutzutage nicht mehr so das nur noch ältere Leute in konventionelle Inszenierungen gehen. Als ich in den 80 Jahren angefangen habe in die Oper zugehen, da war des noch der Fall. Da war ich dann fast immer der jungste Besucher. Mittlerweile hat sich das zum Glück geändert, so das das Argument das man mit modernen Inszenierungen die jungen Leute in die Oper holen will, nicht gelten kann. Ich frage mich häufig warum es immer entweder das eine oder andere Extrem geben muss, und man sich nicht in der Mitte treffen kann.

  • Hallo, Michael!


    Dein Beitrag, Deine Fragestellung und die Antwortansätze sind in ihrer dialektischen Offenheit, vulgo in ihrem Verzicht auf einen theoretischen versus einen pragmatisch orientierten Quasi-Fundamentalismus erfrischend und wohltuend.


    Mehr wollte ich gar nicht gesagt haben.


    :hello: Wolfgang


    PS: Rodolfo kann ich auf die Schnelle zustimmen. :P :)

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat

    Dass die beiden aus den Achtzigern stammenden Produktionen beim Publikum äusserst beliebt sind und immer für ausverkauftes Haus sorgen, stört ihn dabei gar nicht, er begründet seine Entscheidung damit, er könne in diesen Inszenierungen keinen künstlerischen Wert sehen...

    Es geht nicht um die Laufzeit der Werke, sondern um die Begründung für die Absetzung durch den Hausherrn. Der spricht ganz klar und destruktiv den "Altvorderen" jeden künstlerischen Anspruch ab und erhebt sich zum alleinigen Herrscher der Deutungshoheit. Und merkt nicht die Lächerlichkeit seiner Begründung.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Andererseits kann es auch nicht sein, alte Inszenierungen damit abzuqualifizieren, sie hätten keinen künstlerischen Wert; genau dies scheint der neue Wiesbadener Intendant Herr Laufenberg wohl zu tun, womit er sich in meinen Augen für seine Arbeit a priori disqualifiziert


    Sehr wohltuend, das von Dir zu hören. Was nützt Herrn Laufenberg eine neue Boheme, die keiner sehen will (was natürlich noch zu beweisen wäre), wenn er eine funktionierende, offenbar immer gut besuchte und damit anerkannte Inszenierung hat?


    Mein Anerkennung gilt dem, der das Protestschreiben eingestellt hat. Hoffentlich hat er das auch in der örtlichen Presse getan, denn ich glaube nicht, daß Herr Laufenberg Proteste zu seinem Opernhaus ernst nimmt, die aus weit entfernten Regionen kommen und von Leuten stammen, die noch nie in Wiesbaden waren. Letztendlich sind die Wiesbadener im Zugzwang. Unsere Meinung kann nicht entscheiden, was Herr Laufenberg tut, sie kann ihn höchstens nachdenklich machen (was ich persönlich nicht glaube). Allenfalls die Kölner haben noch eine gewisse Kraft in ihrer Meinung.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber MSchenk,


    vielen Dank für die Eröffnung des neuen thread, der den anderen sicher etwas entlasten wird.
    Ich hatte in der Tat überlegt, auf Holgers Beitrag zu antworten, die Idee aber verworfen, weil dort vielleicht nicht der richtige oft ist, um es zu diskutieren.



    Zitat von Holger Kaletha

    Wie lange sollen denn diese inzwischen 30 Jahre alten Inszenierungen noch laufen an diesem Haus? 50 Jahre, 100 Jahre, 1000 Jahre? Ist es nicht einfach ein Gesetz des Lebens, daß man irgendwann mal auch etwas Neues machen möchte, anstatt dasselbe unendlich zu wiederholen?

    Lieber Holger,


    das ist im Prinzip eine wichtige Frage, die sich aber, zugespitzt, wie sie gestellt wurde, gar nicht beantworten läßt. Ich würde als Antwort auf zwei Ebenen argumentieren:
    1) eine emotionale Ebene: eine liebgewonnene, erfolgreiche Inszenierung zu verlieren, ist einfach nicht schön. So sehr sich die Welt verändert, warum dürfen wir nicht hin und wieder fragen, was an diesem Wandel eigentlich in eine Richtung führt, mit der wir uns arrangieren können. Mein Beruf wäre z. B. nicht existent, wenn man der Meinung wäre, alles Alte müsse zwangsläufig dem Neuen weichen (Stichwort: Denkmalschutz). Daß ein Interesse an der Erhaltung von Kulturgut besteht, sieht man aber: warum diese Stimmen ignorieren?
    2) Eine wissenschaftliche Ebene: Du selbst hast vehement und m. E. zu recht den Status des Regisseurs als Künstler verteidigt: dem stimme ich unbedingt zu! Aber warum darf nun Deiner Meinung nach ein neuer Intendant hingehen, und alten Inszenierungen den künstlerischen Wert absprechen? Das finde ich nicht konsequent argumentiert. Die Oper lebt durch einen performativen Akt (von Dir immer wieder betont), warum darf ich den einen als nicht künstlerisch hinstellen? Das ist das, was Du den Gegnern des RT immer wieder vorgeworfen hast: auch zu recht, wie ich finde. Aber da gilt doch dann gleiches Recht für alle.


    Bitte versteht mich nicht falsch, ich liebe neue Inszenierungen, aber Oper ist für Menschen gemacht. Ich mag es nicht, wenn bestimmte Zugänge "abgekanzelt" werden, in keine Richtung.



    Zitat von MSchenk

    Inszenierungen damit abzuqualifizieren, sie hätten keinen künstlerischen Wert; genau dies scheint der neue Wiesbadener Intendant Herr Laufenberg wohl zu tun, womit er sich in meinen Augen für seine Arbeit a priori disqualifiziert.

    :jubel: Eben, weil er anscheinend seiner Aufgabe anders nicht gewachsen ist. M. E. ist dafür nämlich nicht allein großes Fachwissen, sondern ein feines Gespür für Werke und Menschen notwendig.



    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Wie ein anderes Forumsmitglied uns bereits mitgeteilt hat, möchte man öfter etwas Neues sehen. JA, aber .....


    Wenn man an die alten Inszenierungen der Staatsoper denkt, denkt man wehmütig an die so oft gescholtenen Wallmann - Inszenierungen. Heute haben wir davon nur noch die "Tosca" und "Butterfly". Diese Inszenierungen hatten jeweils ein Bild, dass durch ihre Schönheit in Erinnerung geblieben ist. Ich erinnere mich gerne an das Schlussbild des "Don Carlos", das von einem übergroßen stimmungsvollen Glasmosaikbild beherrscht war. Über die "Boheme" von Zeffirelli brauche ich nichts sagen, sie ist gut dokumentiert. Auch die zeitlose "Barbier" Inszenierung wurde aus praktischen Gründen vereinfacht, wodurch einige Effekte verloren gegangen sind, aber sie wurde dadurch nicht verfremdet.


    Mann kann erneuern, aber wieviele Regisseure gibt es, die qualitätvolle, stimmige Inszenierungen auf die Bühne stellen können - da bin ich ich skeptisch!


    Das Ablaufdatum ist meiner Ansicht nach dann gegeben, wenn eine Aufführung darin nur mehr mit Schwierigkeiten möglich ist, bzw. sie der Lächerlichkeit anheimfällt.



    Aber es ließe sich darüber noch mehr sagen, doch möchte ich nur einige Anstösse geben.


    Viele Grüße an alle Liebhaber von guten Inszenierungen -


    Erich

  • Die Frage ist aus meiner Sicht einfach zu beantworten - allerdings nur näherungsweise - so wie man bei Verwendung der Zahl Pi die Fläche eines Kreise nur näherungsweise berechnen kann, insbesondere dann, wenn man Pi auf zwei Kommastellen begrenzt.


    Es ist in der Regel so, daß "Kunstwerke" gewissen Moden unterworfen sind - Andrerseits muß ich mir schon die Frage stellen, was denn ein Direktor des Louvre täte, der mit modernen Malern ihn nahem Kontakt stünde und über ein weitverzweigtes Mediennetz verfügte. Würde er die Mona Lisa übermalen lassen ? Würde er - so das rechtlich möglich wäre - das Bild einem Japanischen Investor überlassen und den Platz durch ein Bild seines Freundes oder eines ihm ideologisch oder ästhetisch nahestehenden Malers belegen ?


    An dieser Stelle sollte nun der Satz stehen: "Ich glaube kaum."
    Aber ehrlich gesagt - ich bin mir da nicht so sicher.


    Kommen wir zur Kernfrage bei Operninszenierungen. Haben sie ein Ablaufdatum - und wenn ja - wann ist es anzusetzen ?
    Sie haben natürlich ein Ablaufdatum - das ist letztlich nichts neues. Inszenierungen wurden immer schon durch andere ersetzt.


    Jedoch fragt sich : WODURCH ?


    Ich will einmal mehr andere Lebensbereiche zum Vergleich heranziehen.


    Wenn ich mit heute einen neuen Computer- komplett mit Peripherie - kaufe, so kann ich davon ausgehen daß er gegenüber einem 10 Jahre alten Modell einen erheblichen Fortschritt darstellt. Er ist schneller, leiser, kann mehr Speicher verwalten, Der Monitor ist flach, die Auflösung besser, die Farbwiedergabe natürlicher und die Strahlenbelastung geringer.


    Kaufe ich hingegen eine Hose, oder HIFI Equipment oder wäre ich gezwungen in einen Neubau einzuziehen, dann müsste ich auf zahlreiche Features verzichten die ich als wichtig betrachte. CD-Neuaufnahmen von klassischem Kernrepertoire werden "betont jugendlich" aufgenommen - und so klingen sie leider auch. Alles soll für alle möglich sein - Texte soll der Dümmste verstehen.


    Zurück zu den Operniszenierungen: Sie waren natürlich auf verschiedenen Bühnen verschieden - und wurden gelegentlich durch neuere ersetzt - Dies war aber vorzugsweise dem Fortschritt zu verdanken.
    Allein die Beleuchtungsmöglichkeiten der letzten 200 Jahre. Von der gegenüber dem Publikum abgeschirmtrn Kaskade von Petroleumlampen über Gaslicht, der Kohlenfadenlampe, der Auer-Welsbach Metallfadenlampe bis hin zum hochleistungschweinwerfer mit Tageslicht-Imitation. Laserlicht sei an dieser Stell nicht vergessen.
    Ebenso von der Pappkulisse zu naturnahen Nachbildungen mittelalterlicher Städte., Blitz und Donner war plötzlich Machbar - und man konnte dem Film in der Tat ernstlich Konkurrenz machen. Sänger standen nur mehr in Ausnahmefällen an der Rampe. In meiner Jugend war die Zeit gekommen, wo jede neue Inszenierung die vorangehende zu übertreffen versuchte - Mehr Statisten, mehr Ballet, raffiniertere Beleuchtungseffekte, Regen und Schnee auf der Bühne, Historisch frappant nachempfundene oder gar getreue Kostüme. Sogar Fackeln und reales Feuer war wieder erlaubt - unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen.
    Wenn sich der Vorhang hob gab es stets Szenenapplaus.


    So gesehen habe ich bestimmt nichts gegen neue Inszenierungen und neue Ausstattungen, aber sie sollen sich an die Vorgaben
    halten. Sie sollen prunkvoll und begeisternd sein. Und mich unterhalten und Vergnügen bereiten. Ich sehe Oper als Museum, wo ich der Gegenwart für einige Stunden entfliehen kann - nicht um mit der Sichtweise von einigen Regisseuren konfrontiert zu werden, die mich nicht interessiert.


    RT ist dazu gemacht um
    a) das bürgerliche Theater zu zerstören
    b) eigene Ideologien unter die Leute zu bringen
    c) dein "eigenen Leuten" Geld zuzuschanzen


    Fazit: Ich glaube nicht, daß jemand was gegen die Ablöse 30 Jahre alter - totgelaufener - Inszenierungen hätte, wenn man davon ausgehen könnte, daß die neue prunkvoller und publikumswirksamer wäre. Das ist aber nicht der Fall.
    Uns so sehe ich lieber etwas aus den 60iger Jahren als das was man sich heute zu zeigen traut.


    Neuinszenierungen ? Ja aber beispielsweise solche von Pier Luigi PIZZI (am Opernhaus Astona)


    http://de.nachrichten.yahoo.co…6ffnet-der-102716528.html



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • So gesehen habe ich bestimmt nichts gegen neue Inszenierungen und neue Ausstattungen, aber sie sollen sich an die Vorgaben halten. Sie sollen prunkvoll und begeisternd sein. Und mich unterhalten und Vergnügen bereiten. Ich sehe Oper als Museum, wo ich der Gegenwart für einige Stunden entfliehen kann - nicht um mit der Sichtweise von einigen Regisseuren konfrontiert zu werden, die mich nicht interessiert.

    Lieber Alfred
    Chapeau! Vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag, der es in vielem auf den genauen Punkt bringt. Hier sind wir in unserer Meinung und Ansicht ganz dicht beieinander.
    Niemand will und wird sich gegen neue Technik sträuben, wenn sie sinnvoll dem Werk dienend eingesetzt wird.
    Nur ein kurzes Beispiel: Ich habe vor Kurzem hier von einer Rusalka berichtet. Neben Lichteffekten waberte Nebel über die Bühne. Rusalka und Wassermann kamen mittels Lift aus dem Bühnenboden hoch gefahren, was optisch so täuschend echt aussah, als würden sie aus dem See steigen. Die Illusion mittels moderner Technik war perfekt und beeindruckend.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ich weiß, das gehört nicht hierher (oder doch?):


    Ich höre mir Bach unter/mit Karl Richter oder Albert Schweitzer nicht mehr an.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Aus eigener Anschauung kenne ich Inszenierungen, die um die dreißig Jahre auf den Spielplänen standen, darunter sogar Inszenierungen die das, was heute Regietheater genannt wird, maßgeblich begründeten: "Der Freischütz" und der deutsch gesungene "Barbier von Sevilla" in der Regie von Ruth Berghaus an der Berliner Staatsoper zu DDR-Zeiten. Aus einst sehr kontrovers aufgenommenen, heftig attackierten aufmüpfigen Deutungen, die alles, was man von diesen Werken kannte, auf den Kopf stellten, wurden mit den Jahren lieb gewordene Klassiker. Das ist für sich genommen schon mal sehr interessant. Höchste Zeit, dass sie abgeräumt wurden, denn der Pfeffer von einst war raus, der Beifall kam plötzlich von ganz unerwarteter Seite. Inszenierungen werden - wie das Michael am Anfang nannte - gern "bröselig". Nichts stimmt mehr, die Kulissen wackeln. Oft ist der Regisseur gar nicht mehr am Leben. Es wird irgendetwas nachgestellt. Inszenierungen können auch zum verstaubten Museum erstarren. Menschen lieben an diesen Saurieren vielleicht auch die eigene Jugend. Das kann ich sogar nachvollziehen. Aber das kann nicht Sinn und Zweck von Theater sein, das einen aktuellen Wirklichkeitsbezug braucht.


    Über das aktuelle Beispiel weiß ich viel zu wenig, um irgend eine Petition, die gewiss gut gemeint ist, zu unterstützen. Niemand in diesem Kreis hat die "Bohéme" und den "Hänsel" gesehen. Ich habe auch die Begründungen, die zur Absetzung führen, nicht im Original gefunden, nur das Zitat des Zitats. Wir reden also wie der Blinde über die Farbe. Der neue Intendant Laufenberg ist ein streitbarer Zeitgenossen, der in Köln rausgeflogen ist. Er hat ja auch einen Schlüsselroman darüber geschrieben, den ich aber auch nicht kenne.


    Grundsätzlich bin ich dafür, Inszenierungen abzusetzen wenn sie am schönsten sind.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • 2) Eine wissenschaftliche Ebene: Du selbst hast vehement und m. E. zu recht den Status des Regisseurs als Künstler verteidigt: dem stimme ich unbedingt zu! Aber warum darf nun Deiner Meinung nach ein neuer Intendant hingehen, und alten Inszenierungen den künstlerischen Wert absprechen? Das finde ich nicht konsequent argumentiert.

    Lieber JLang,


    ich selber habe mal die Erfahrung mit einem durchaus nicht unbekannten Journalisten gemacht, der etwas von mir mit "Anführungszeichen" abdruckte, wo ich mich hinterher fragte: Habe ich das überhaupt gesagt? Ich konnte meine Worte jedenfalls kaum wiedererkennen. Von daher wäre ich etwas vorsichtig mit solchen Pressemeldungen. Vielleicht ist das alles tendentiös und entstellt wiedergegeben. Ein neuer Intendant schaut natürlich: Wo investiere ich mein (begrenztes) Geld für eine Neuinszenierung. Und die "Kandidaten" sind dann erst einmal die "Oldtimer". Vielleicht hat man ihn genervt von wegen die Aufführungen waren gut besucht und er hat sich genötigt gesehen das zu rechtfertigen mit der Qualität. Die Rechtfertigung einer Uralt-Inszenierung wird natürlich von Jahr zu Jahr schwieriger - je weniger sie eine alles überragende Qaulität hat, desto größer ist die Chance der Ablösung. Bsonders klug waren diese Äußerungen sicher nicht, wenn sie so in den Medien ausgeschlachtet werden. Aber auch hier kann man das schwer beurteilen, wenn man a) die Inszenierung gar nicht kennt und auch den genauen Wortlaut des Interwievs nicht. Zweifelhafte Quellen - Informationen aus zweiter Hand - sind mir da einfach zu wenig zuverlässig. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Rheingold,


    Grundsätzlich bin ich dafür, Inszenierungen abzusetzen wenn sie am schönsten sind.

    ein schönes Postulat. Wie denn ja auch der Sänger dann abtreten sollte, wenn er am besten singt. Wenn denn bei der letzten Vorstellung noch eine Konservierung auf Blu Ray sowie eine rauschende Finissage stattfindet - warum nicht?


    Hier:

    Aber das kann nicht Sinn und Zweck von Theater sein, das einen aktuellen Wirklichkeitsbezug braucht.

    etwas Ergänzung: Ich gehe davon aus, dass du hier NICHT die Notwendigkeit der "Tagesaktualität" meinst. Diese benötigt große Kunst nicht. Kunst schafft erst einmal ihre eigene Wirklichkeit. Wagners Welt z.B. ist nicht die des 19. Jahrhunderts oder unsere, es ist ein Wagnersches Raum-Zeit-Gebilde. Es ist aus meiner Sicht weniger wichtig, dass Regie eine Linie zwischen Kunstwelt und dem gibt, was wir Wirklichkeit nennen (die wiederum auch sehr subjektiv ist); sondern dass diese Kunstwelt in sich stimmig dargestellt und vermittelt wird. Dies ist mE nach das Ziel guter Regie, hier mit ihren Ansätzen etwas zu erreichen, das diese innere Stimmigkeit bietet, ohne die Werktreue zu vernachlässigen.


    In diesem Sinne verstehe ich z.B. den Ansatz des New Yorker Rings, mit hochmodernen Mitteln ("The Machine") Wagners Vorstellungen von Bewegung und Effekten adäquat umzusetzen, als dennoch werktreu. Auch eine Entrümpelung und Reduzierung zugunsten des Herausarbeitens zentraler Motive kann für mich im Sinne der Stimmigkeit und Vermittlung in Richtung Publikum adäquat sein. Nicht mehr dabei bin ich allerdings bei bewusster Entfremdung und vordergründigen Schockeffekten, welche die Originalität und Eigenständigkeit der Regie in den Mittelpunkt stellen, ohne zum Werk etwas beizutragen.



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • P.S. Es ist natürlich Unfug, einer Inszenierung per se den künstlerischen Wert abzusprechen. Pragmatisch verfährt man aber so, daß sich der Verantwortliche fragt und auch fragen darf: Welche der Repertoire-Inszenierung sind nach wie vor unverzichtbar und welche anderen vielleicht nicht? Und da spielen zwangsläufig auch subjektive Wertungen eine Rolle. Letztlich ist eine Entscheidung dann gut, wenn man hinterher sagen kann: Die Neuinszenierung hat sich gelohnt. Und es ist immer besser, für das Neue zu werben anstatt das Alte abzuwerten.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat von Holger Kaletha

    Ich selber habe mal die Erfahrung mit einem durchaus nicht unbekannten Journalisten gemacht, der etwas von mir mit "Anführungszeichen" abdruckte, wo ich mich hinterher fragte: Habe ich das überhaupt gesagt? Ich konnte meine Worte jedenfalls kaum wiedererkennen. Von daher wäre ich etwas vorsichtig mit solchen Pressemeldungen. Vielleicht ist das alles tendentiös und entstellt wiedergegeben. Ein neuer Intendant schaut natürlich: Wo investiere ich mein (begrenztes) Geld für eine Neuinszenierung. Und die "Kandidaten" sind dann erst einmal die "Oldtimer". Vielleicht hat man ihn genervt von wegen die Aufführungen waren gut besucht und er hat sich genötigt gesehen das zu rechtfertigen mit der Qualität. Die Rechtfertigung einer Uralt-Inszenierung wird natürlich von Jahr zu Jahr schwieriger - je weniger sie eine alles überragende Qaulität hat, desto größer ist die Chance der Ablösung. Bsonders klug waren diese Äußerungen sicher nicht, wenn sie so in den Medien ausgeschlachtet werden. Aber auch hier kann man das schwer beurteilen, wenn man a) die Inszenierung gar nicht kennt und auch den genauen Wortlaut des Interwievs nicht. Zweifelhafte Quellen - Informationen aus zweiter Hand - sind mir da einfach zu wenig zuverlässig.

    Letztlich kann man sich die Texte vorher geben lassen und seriöse Journalisten tun das auch, ich habe da nur gute Erfahrungen gemacht. Mit Pressemeldungen vorsichtig zu sein ist selbstverständlich. Und daß ein Intendant schauen muß, wo er Geld für neue Inszenierungen herbekommt, ist auch in Ordnung. Nicht in Ordnung ist ein pauschales Urteil über die Qualität. Letztlich ist doch die Frage, wer die Qualität beurteilt? Ich bin der Meinung auch der Erfolg einer konventionellen Inszenierung ist eine Qualität. Sie hat die Qualität, Menschen in ihren Bann zu ziehen. Die Inszenierung muß ich dafür in diesem besonderen Fall nicht kennen. Denn es geht hier nicht um die Beurteilung einer Inszenierung: es geht um das Urteil des Intendanten und das Urteil eines Publikums. Ich nicht der Meinung, daß der Intendant hier per se recht haben muß, weil er vom Fach ist. Den Wortlaut von Laufenberg müßte ich jetzt heraussuchen: sein Nachtreten im Streit in Köln scheint mir allerdings dafür zu sprechen, daß er kein Experte für ausgewogene Urteile ist. Und das ist mir auch nicht sonderlich sympathisch. Und letztlich könnte er ohnehin bei jeder Äußerung behaupten, es nicht so gemeint haben. Aber er ist doch kein Amateur, er weiß die Klaviatur der Medien ebenso zu spielen, wie andere. Und er sollte sich der Gefahren, die unbedachte Äußerungen verursachen können, auch bewußt sein.
    Es geht mir nicht um die Verurteilung einer Person, sondern um die Missbilligung eines Verhaltens in einer bestimmten Situation. Und ich halte es zudem für legitim, daß Sänger abweichende Vorstellungen artikulieren: sie sind doch nicht bloße Staffage, sondern mehr noch als der Intendant die konkreten Träger von Oper. Daher meine Unterschrift. Man muß meine Meinung ja nicht teilen, aber so ganz naiv und unbegründet war sie nicht ;)



    Zitat von Holger Kaletha

    Und es ist immer besser, für das Neue zu werben anstatt das Alte abzuwerten.

    Eben :), das sehe ich ganz genauso.



    Mit besten Grüßen
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich gehe davon aus, dass du hier NICHT die Notwendigkeit derTagesaktualität meinst.


    Du hast mir richtig verstanden, lieber Christian. Wir stimmen in diesem Punkt völlig überein. :)


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Und ich halte es zudem für legitim, daß Sänger abweichende Vorstellungen artikulieren: sie sind doch nicht bloße Staffage, sondern mehr noch als der Intendant die konkreten Träger von Oper. Daher meine Unterschrift. Man muß meine Meinung ja nicht teilen, aber so ganz naiv und unbegründet war sie nicht ;)


    Ja, lieber JLang. Legitim ist das natürlich. Aber mich würde mal interessieren, wie die anderen Mitglieder des Ensembles denken. Sind sie alle derselben Ansicht wie dieser Tenor? :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich denke nicht, dass man sagen kann, eine Inszenierung habe ihr Verfallsdatum überschritten, nur weil sie alt ist. Oft ist das,
    was folgt bei der Premiere bereits dagegen derart altabgedroschen, dass man nur den Kopf schütteln kann. Bestes Beispiel: Everdings zeitlose Meistersinger in München, die beim Publikum äußerst beliebt und ständig ausverkauft waren. Fünfundzwanzig Jahre waren sie ein würdiger traditioneller Saisonabschluss der Münchner Opernfestspiele, die Sänger waren in diesem etwas älteren, aber zeitlos-frischem Rahmen meist hervorragend. Und dann meinte der damalige Intendant Peter Jonas (aus Bösartigkeit oder Profilierungssucht???) plötzlich es sei nicht mehr zeitgemäß und wohl zu schön für ihn und das Haus - und ersetzte dieses Vermächtnis Everdings aller Proteste zum Trotz kurzerhand durch ein sündhaft teures (!!!) Monstrum im Betonlook mit Skinheadaufmärschen auf der Festwiese. Platter und langweiliger geht's kaum. Diese Inszenierung hielt sich, welche Überraschung, genau zwei Jahre mit insgesamt 9 Vorstellungen, dann wurde das Bühnenbild verschrottet. Dies führte dazu, dass es im zweihundertsten Geburtsjahr Wagners keine Meistersinger in München gibt, zum Ärger vieler Wagnerfreunde hier. Beispiele wie diese gibt es viele. Und eines ist ärgerlicher als das andere... Ich möchte das jetzt gar nicht vom Standpunkt Regietheater (das ich aus Prinzip ablehne) vs Traditionell zu Bedenken geben, sondern ausschließlich von dem einer gewissen Vernunft!

  • Die Frage nach einem Verfallsdatum und eine Diskussion darüber entbehrt für mich jeglichen Sinnes. Alfred hat in seinem Beitrag alles Wesentliche gesagt. Es gibt keine Begründung, Bewährtes einfach auf den Müll zu werfen, es sei denn, es gäbe entscheidende Verbesserungen, die wichtige Vorteile mit sich bringen, wie Alfred es am Beispiel des Computers erläutert hat und man kann diese Verbesserungen auch gebrauchen. In Bezug auf die Oper aber gibt es seit Jahren nur noch immer schlimmere Entstellungen und Verunstaltungen. Es liegt also keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung des Produkts vor. Und einem Herrn Laufenberg traue ich nach den Erfahrungen aus Köln keine Verbesserungen zu. Niemand benötigt aber Verschlechterungen. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn es Sonderveranstaltungen (die als solche auch angekündigt werden und vorher erkennbar gemacht wird, dass es sich nicht um das Originalwerk handelt) gibt für die wenigen Intellektuellen, die die Werke in ihrer Originalform nicht mehr zu verstehen in der Lage sind und unbedingt der "Deutung" durch einen "Schlaueren" bedürfen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • In Bezug auf die Oper aber gibt es seit Jahren nur noch immer schlimmere Entstellungen und Verunstaltungen. Es liegt also keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung des Produkts vor.

    Das ist eine sehr subjektive Wertung und in dieser Absolutheit wohl kaum geeignet, allgemein konsensfähig zu sein.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn es Sonderveranstaltungen (die als solche auch angekündigt werden und vorher erkennbar gemacht wird, dass es sich nicht um das Originalwerk handelt) gibt

    Aus einem Essay von Hans Wollschläger ("Von Sternen und Schnuppen"):



    Zitat

    "- ich habe unlängst im Katalog eines angesehenen Musikantiquariats die Maßnahme getroffen sehen, die Knalleffekte des zeitgenössischen Treibens durch die Rubrik >Geräuschsachen< zu separieren: das scheint mir ein sehr gangbarer Weg zu sein;"


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich denke mal dem Opernbesucher der nur selten ins Theater geht, dem wird es egal sein, wie alt die Inszenierung ist und von wem und das sind leider nicht wenige. Wir die sich mit Oper beschäftigen und auch regelmäßig , manchmal auch mehrmals im Monat, in die Oper gehen gehören doch der Minderheit an. Nur solange die Opernhäuser trotzdem voll sind, wird es den Intendanten relativ egal sein. Und für jeden Besucher hat eine Inszenierung einen ganz anderen Stellenwert. Und man wird es leider nie allen recht machen können. Ich bin zum Beispiel von der neunen Duisburger Inszenierung der Kosky Zauberflöte völlig begeistert und habe sie jetzt schon als eine meiner neuen Liebelingsinszenierungen entdeckt, obwohl ich vorher kein so großer Fan von der Zauberflöte war und meistens wegen der Besetzung in die Oper gegangen bin ( hauptsächlich dann wenn Kurt Moll oder Walter Fink den Sarastro gesungen haben ). Jetzt werde ich wegen der Inszenierung Aufführungen besuchen.

  • Aus eigener Anschauung kenne ich Inszenierungen, die um die dreißig Jahre auf den Spielplänen standen, darunter sogar Inszenierungen die das, was heute Regietheater genannt wird, maßgeblich begründeten: "Der Freischütz" und der deutsch gesungene "Barbier von Sevilla" in der Regie von Ruth Berghaus an der Berliner Staatsoper zu DDR-Zeiten. Aus einst sehr kontrovers aufgenommenen, heftig attackierten aufmüpfigen Deutungen, die alles, was man von diesen Werken kannte, auf den Kopf stellten, wurden mit den Jahren lieb gewordene Klassiker. Das ist für sich genommen schon mal sehr interessant. Höchste Zeit, dass sie abgeräumt wurden, denn der Pfeffer von einst war raus, der Beifall kam plötzlich von ganz unerwarteter Seite.

    Lieber "Rheingold", die Reihenfolge war doch eine andere: der "Barbier" kam 1968 heraus der "Freischütz" 1970. So kontrovers umstritten wie der "Freischütz" war der "Barbier" wohl nie, sondern wurde auch von Joachim Herz als der "perfekte Anti-Felsenstein" gefeiert, was ja auch nicht verkehrt ist, denn Felsenstein und Rossini ging nun wirklich nicht zusammen (er inszenierte lieber den keuscheren Paisiello-"Barbier")


    "Der Freischütz" lief bis 1994 und erlebte deutlich mehr als 100 Aufführungen in dieser Inszenierung. Einiges war recht witzig, manches auch "provokativ", aber letztlich muss ich sagen, dass ich seitdem kaum eine "klassischere" Inszenierung dieser Oper gesehen habe (außer 2001 in Eutin, aber "indoor" nie).


    Der "Barbier" läuft hingegen erfreulicherweise immer noch und es ist kein Ende absehbar - auch wenn er seit 1992 in italienischer Sprache gespielt wird. Ich habe ihn 1991 noch einmal in deutsch gesehen (noch mit Reiner Süß als dem Premieren-Bartolo) und seitdem sehr häufig auf Italienisch.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber, die Reihenfolge war mir jetzt nicht mehr aus dem Stehgreif erinnerlich. Nun ja, was Herz sagte, war noch nicht das führende SED-Blatt "Neues Deutschland". Das mit dem Anti-Felsenstein ist sehr interessant und einleuchtend. Das höre ich sehr gern, weil ich kein Felsenstein-Anhänger (mehr) bin. Er machte ja nur die Stücke, die in sein Schema passten. Leider geben diese Opernfilme nicht annähernd das wieder, woran ich mich selbst noch aus eigenem Erleben erinnre. Sie sind doch sehr hausbacken und bieder.


    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Leider geben diese Opernfilme nicht annähernd das wieder, woran ich mich selbst noch aus eigenem Erleben erinnre. Sie sind doch sehr hausbacken und bieder.

    Das würde ich so pauschal nicht unterschreiben wollen! Natürlich geben die Verfilmungen das Faszinosum des Live-Erlebnisses nur bruchstückhaft wieder, das sagen ja alle, die live drinnen waren. Aber die Filme haben durchaus unterschiedliche Qualität: "Fidelio" finde ich furchtbar, aber das ist auch noch nicht Komische Oper (generell mag ich nicht, wenn er anfängt, mit filmischen Elementen zu spielen, die so in einer Bühneninszenierung gar nicht möglich sind), "Otello" ist szenisch durchaus eindrucksvoll, leidet aber unter einigen unzureichenden sängerischen Leistungen, "Hoffmann" wirkt tatsächlich unglaublich antiquiert und ist von der "Hoffmann"-Entwicklung einfach überrollt worden (so würde da mit heutigen Wissenstand von der Fassung her niemand mehr akzeptieren!), "Figaro" und "Giovanni" sind keine Filme, sondern Aufzeichnungen von Vorstellungen bzw. im "Giovanni"-Fall der Generalprobe.
    "Füchslein" und "Blaubart" halte ich wegen ihrer packenden Darsteller aber nach wie vor für herausragend und absolut sehenswert! Natürlich erschließt sich der Felsensteinsche Bühnenzauber des Tierwaldes in dieser Verfilmung so nicht, aber das, was etwa im Wirtshaus zwischen Förster, Schulmeister und Pfarrer vor sich geht, ist absolut packend und alles andere als "hausbacken und bieder". Das gilt ebenso für den "Blaubart" (abgesehen von den durch filmische Mätzchen verunglückten Anfang), insbesondere für den 2. Akt, wo auch Gefährlichkeit in der Karikatur hervorblitzt (unveregssen Werner Enders als König Bobèche, der 1971 in einem Dokumentarfilm des DDR-Fernsehens(!) erklärte, dass das durchaus auch Karikaturen auf Hitler (Bobèche, hier wirkte natürlich auch Charly Chaplins großartiger Film "Der große Diktator mit hinein) und Stalin (Blaubart) gemeint waren. Das wirkt auf mich heute immer noch packend, wie besagter Chaplin-Film ja auch! Und den 3. Akt in der Gruft empfinde ich immer noch als Krimi, bei dem mich eiskalte Schauer anfassen. Also: In toto sollte man diese Felsenstein-Filme meines Erachtens nicht verdammen, sondern sich insbesondere am "Füchslein" und am "Ritter Blaubart" erfreuen und laben! :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Also: In toto sollte man diese Felsenstein-Filme meines Erachtens nicht verdammen, sondern sich insbesondere am "Füchslein" und am "Ritter Blaubart" erfreuen und laben! :)

    Sie sind besser als alles, was sich heute so unter den Titeln dieser Opern auf den Bühnen "herumtreibt". Diese Filme sind die einzigen, die ich NICHT vorrangig wegen der Sänger anschaue, denn wegen denen würde es sich nun in der Tat nicht lohnen. Dass sie nicht die ganze Wirklichkeit der hervorragenden Inszenierungen wiedergeben (im Hoffmann wurden sogar auch einige Änderungen getätigt), ist wohl leider dem Medium Film geschuldet, aber damit kann ich mich abfinden.



    Er machte ja nur die Stücke, die in sein Schema passten

    Woran nichts Verwerfliches ist. Wenigstens hat Felsenstein nur Stücke inszeniert, mit denen er etwas anfangen konnte. Von anderen hat er die Finger gelassen. Wäre schön, wenn das heutige "Regisseure" auch so halten würden. Wobei - dann gäbe es wahrscheinlich fast nur noch konzertante Opernaufführungen.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Diese Filme sind die einzigen, die ich NICHT vorrangig wegen der Sänger anschaue, denn wegen denen würde es sich nun in der Tat nicht lohnen.

    Liebe Strano,


    deinen Nachsatz finde ich viel zu hart! Gerade Felsensteins Konzept war es, denn Gesang als notwendige Entäußerung des DARSTELLERS wie selbstverständlch zu machen, bei ihm stand der Darstellung absolut im Mittelpunkt seiner Inszenierung, die Kulissen waren (vielelicht mit Ausnahme des Waldes im "Füchslein" eher sekundär, gerade beim "Blaubart" waren es (live wie im Film) eher ein paar Versatzstücke, aber: Was wäre Felsensteins "Füchslein" ohne den Förster des Rudolf Asmus und die Füchsin der Irmgard Arnold, was der "Blaubart" ohne den unvergleichlichen Werner Enders als Bobèche? Natürlich lohnen gerade diese wunderbaren Sängerdarsteller das Ansehen dieser Filme!


    Schwieriger wird es, wenn wie beim "Fidelio" oder "Othello" nicht nur grandiose Sänger-Darsteller benötigt werden, sondern auch Stimmen mit Qualitäten, welche diese exponierten Rollen erst einmal achtbar bewältigen müssen! Daher wurde die als Füchsin so wunderbare Irmgard Arnold (die meines Wissens trotz ihres Jahrgangs 1919 immer noch lebt!) trotz ihrer berührenden "Traviata" nach wenigen Jahren durch die Muszely abgelöst, daher ließ Felsenstein Opern wie "Turandot" (Herz) oder "Aida" (Friedrich) lieber von anderen Regisseuren inszenieren.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Liebe Strano,


    deinen Nachsatz finde ich viel zu hart! Gerade Felsensteins Konzept war es, denn Gesang als notwendige Entäußerung des DARSTELLERS wie selbstverständlch zu machen, bei ihm stand der Darstellung absolut im Mittelpunkt seiner Inszenierung, die Kulissen waren (vielelicht mit Ausnahme des Waldes im "Füchslein" eher sekundär, gerade beim "Blaubart" waren es (live wie im Film) eher ein paar Versatzstücke, aber: Was wäre Felsensteins "Füchslein" ohne den Förster des Rudolf Asmus und die Füchsin der Irmgard Arnold, was der "Blaubart" ohne den unvergleichlichen Werner Enders als Bobèche? Natürlich lohnen gerade diese wunderbaren Sängerdarsteller das Ansehen dieser Filme!


    Schwieriger wird es, wenn wie beim "Fidelio" oder "Othello" nicht nur grandiose Sänger-Darsteller benötigt werden, sondern auch Stimmen mit Qualitäten, welche diese exponierten Rollen erst einmal achtbar bewältigen müssen! Daher wurde die als Füchsin so wunderbare Irmgard Arnold (die meines Wissens trotz ihres Jahrgangs 1919 immer noch lebt!) trotz ihrer berührenden "Traviata" nach wenigen Jahren durch die Muszely abgelöst, daher ließ Felsenstein Opern wie "Turandot" (Herz) oder "Aida" (Friedrich) lieber von anderen Regisseuren inszenieren.


    Ok, Rudolf Asmus ist auch im Hoffmann sehr gut, das ist richtig. An ihn hatte ich bei meiner Aussage nicht gedacht, denn z.B. Hanns Nocker und Vladimir Bauer "überstrahlen" - leider im negativen Sinne - so ziemlich alle anderen. Felsenstein hätte weltbekannt werden können, wenn er seine Regie - so gut sie auch war - nicht über die Hauptkomponente der Oper, die nun einmal die Musik ist, gestellt hätte. Diesen Irrtum teilt er mit den "Regisseuren", die sich auf ihn berufen, ohne allerdings auch nur ansatzweise sein Können aufzuweisen. So aber hat er leider nie echte Stars an seine Komische Oper holen können, denn u.a. die lange Probezeit (mit vollem Aussingen bei nahezu allen Proben) war unzumutbar.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Felsenstein hätte weltbekannt werden können,

    Er IST weltbekannt geworden! :)


    Gerade weil er seine Sicht von Theater an einem kleinen Haus verwirklicht hat, anstatt über die großen Bühnen zu jetten.



    wenn er seine Regie - so gut sie auch war - nicht über die Hauptkomponente der Oper, die nun einmal die Musik ist, gestellt hätte.

    Felsenstein forderte eine GLEICHMÄSSIGE Gewichtung von Musik und Szene, die gleichberechtigte Bedeutung spiegelt sich bei dem von ihm verwendeten Begriff "Musiktheater" wieder. Für die damalige Zeit war das insofern neu, weil die Szene bis dato der musikalischen Umsetzung eher unter- und nachgeordnet war.



    Diesen Irrtum teilt er mit den "Regisseuren", die sich auf ihn berufen,

    Wer beruft sich denn heute ernsthaft auf ihn? Felsenstein wollte ein spannendesm packendes und verständliches Musikthesater für jeden. Was "Lieschen Müller" nicht auf Anhieb verstand, kam nicht auf seine Bühne. Wer beruft sich den diesbezüglich heute auf ihn?


    Im Übrigen empfinde ich die Forderung nach Gleichrangigkeit von Musik und Theater auf der Opernbühne als alles andere als einen "Irrtum", im Gegenteil, eher als Ideal! Vor Felsensteinw ar die Szene der Musik klar untergerodet, heute erscheint sie wichtiger als die Musik. Die Musik ereicht nicht mehr aus, kaum noch eine Neuinszenierung ohne "Stumme Jule" vor dem Einsatz der Musik, gerade wieder in der Münchner "Frau ohne Schatten" zu "bewundern". Diesbezüglich, also mit derForderung nach einer Herrschaft der Szene über die Musik, kann man sich nicht wirklich auf Felsenstein berufen!



    ohne allerdings auch nur ansatzweise sein Können aufzuweisen.

    Tja, die "grandiose" neue Konzeption blendet leider viel zu oft über das unzureichende handwerkliche Können hinweg.



    So aber hat er leider nie echte Stars an seine Komische Oper holen können,

    Stimmt nicht! Otto Klemperer dirigierte "Carmen", Elisabeth Grümmer und Josef Herrmann machten zusammen "Die Kluge", Anny Schlemm, Rudolf Schock und Heinrich Pflanzl zusammen "Die verkaufte Braut", Richard Holm und Benno Kusche wurden aus München für "Die Zauberflöte" geholt, die Geszty, die Muszely, viele andere wären zu nennen. Zwei bedeutende spätere Heldentenöre wurden in diesem Ensembe groß: Ernst Kozub und Hermin Esser!



    denn die lange Probezeit

    Beim legendären "Füchslein" betrug sie ganz normal 6 Wochen! Bei manch anderen Produktionen dauerte es länger, aber es gab keine Regel.



    (mit vollem Aussingen bei nahezu allen Proben)

    Wo hast du denn das her, dass Felsenstein das angeblich wollte? :D


    Es gibt Mitshcnitte von Proben in Dokumentarfilmen, da singt trotz Anwesenheit der Filmkameras kein Mensch aus! 8-)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wer beruft sich denn heute ernsthaft auf ihn?

    Na unter anderem ja die Komische Oper, die das, was man da heute zu sehen bekommt, allen Ernstes als in der "Felsenstein'schen Tradtion stehend" verkauft.



    Zitat

    Im Übrigen empfinde ich die Forderung nach Gleichrangigkeit von Musik und Theater auf der Opernbühne als alles andere als einen "Irrtum", im Gegenteil, eher als Ideal!

    Das aber nur in den seltensten Fällen umzusetzen sein wird und wenn, dann meistens zu Ungunsten einer der Komponenten.



    Zitat

    Stimmt nicht! Otto Klemperer dirigierte "Carmen", Elisabeth Grümmer und Josef Herrmann machten zusammen "Die Kluge", Anny Schlemm, Rudolf Schock und Heinrich Pflanzl zusammen "Die verkaufte Braut", Richard Holm und Benno Kusche wurden aus München für "Die Zauberflöte" geholt, die Geszty, die Muszely, viele andere wären zu nennen. Zwei bedeutende spätere Heldentenöre wurden in diesem Ensembe groß: Ernst Kozub und Hermin Esser!

    Und was war mit internationalen Stars, die an seinem Gebot der deutschsprachigen Aufführungen "scheiterten"? Hinzu kommt, dass die von dir genannten Größen dort nie Dauergäste waren, der "Opernalltag" sah ganz anders aus und bestand dann eben aus Nocker und Co.
    Es gab z.B. eine Turandot, in der wohl ein etwas fülligerer, aber stimmlich guter Kalaf singen sollte. Felsenstein sah ihn und meinte "Elefanten treten bei uns nicht auf!". Im Endeffekt sang dann wieder Nocker, obgleich der ja nun auch alles andere als Idealmaße hatte und über dessen stimmliche "Qualitäten" wir uns nicht unterhalten müssen.



    Zitat

    Wo hast du denn das her, dass Felsenstein das angeblich wollte? :D

    Das Aussingen war in der Tat üblich, mein Vater, der in ganz jungen Jahren Regieassistent bei Felsenstein war, hat mir das bestätigt. Felsenstein forderte generell vollen Einsatz, stimmlich und szenisch. An sich nichts Schlimmes, aber da konnte oder wollte halt nicht jeder mithalten.


    Aber generell gibt es gegen Felsenstein schon aufgrund seines immensen Könnens vor allem im Vergleich zu seinen heutigen "Kollegen" wenig zu sagen, besonders unerreicht ist er in seiner Chorarbeit (man beachte den Eingangschor im Otello), die ich so noch von keinem anderen Regisseur erlebt habe.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

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