Warum hören Menschen "Klassische Musik" ??

  • Das könnt ein heisser Thread werden, denn die Meinungen gehen darüber sicher weit auseinander.
    Da gibt es viele Motive, viele Vorurteile und viel Wunschdenken
    Boshaft wie ich nun mal bin lege ich einige klischeehafte Antworten vor:


    Weil sie unvergleichlich schöne Melodien im Angebot hat
    Weil das die Musik der gebildeten und kultivierten Menschen ist
    Weil sie ein Stück unserer Kultur ist
    Weil sie mir gefällt
    Weil sie Depressionen bekämpft
    Weil sie mich erschüttert und aufrüttelt
    Weil man den ausübenden Künstlern unter die Arme greifen will
    Weil man sich gerne selbst quält


    Wie man sieht sind viele der Möglichkeiten nicht ganz ernst gemeint. Auslösender Satz für diesen Thread war allerdings folgender:


    Zitat

    Das sehe ich als Bestätigung ... Menschen studieren und üben jahrelang, um dem werten Publikum ein Klangbad zu bereiten... das ist eine ziemlich unerträgliche Kunstauffassung.


    Nun - darüber könnte man diskutieren...
    Was wäre die Alternative ?


    Einem werten Publikum etwas vorzutragen, das es gar nicht sehen will ?


    Das Publikum ist unbarmherzig - ihm ist egal wie lange der Künstler studiert oder geübt hat
    Er muß GEFALLEN
    Das klingt nun sehr unfreundlich - aber es ist die Wahrheit


    "Gib uns Brot und Spiele"


    Man könnte das an Hand einiger Beispiele belegen - und vermutlich werden wir das im Laufe des Threads - so er auf Resonanz stößst - auch tun. Die meisten wirklichen Künstler sind sich dieser Tatsache auch bewusst und haben sich damit mehr oder weniger abgefunden - jene die diese Spielregeln negierten flüchteten sich in diverse Ausreden für ihren Mißerfolg und zogen sich verbittert in ihren Trotzwinkel zurück.
    "Meine Zeit wird kommen" - Ja. das mag schon sein - aber zumeist ist der Künstler dann schon tot. Auch kein Idealfall


    Aber es geht ja eigentlich um den Spezialfall "Klassische Musik" Auch sie muß Anreize bieten - ein Zielpublikum erreichen - ansonst ist "Sendepause"
    Klassische Musik hat seit der Renaissance immer wieder ihre Liebhaber gefunden - und es waren nie sehr viele - das aber stabil.
    Um die "Zukunft der Klassischen Musik" sorgen sich vor allem jene, die davon leben.
    Aber die Zeiten sind heute nicht schlechter als vor 200 Jahren. Auch damals - man liest es immer wieder in Komponistenbiographien - musste so mancher Adelige oder Monarch wegen Geldknappheit sein Orchester oder seine Operntruppe auflösen - fast so wie heute.
    Es ist aber natürlich so, dass das was seiner Zielgruppe gefällt seine Position besser verteidigen kann.
    Subventionen für klassische Musik werden eher gewährt, wenn man damit das eigene politische Image aufwerten kann und auf dankbre Wähler hoffen kann. Daher ist es sicher sinnvoll zu fragen WARUM die Leute eine gewisse Musikrichtung favorisieren oder ablehnen....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Frage ist zunächst einmal sinnvoll, weil sich wohl die meisten Leute bewußt für klassische Musik entscheiden - sie wird nicht nichthörend gehört, wie so manche Popmusik, die am Arbeitsplatz oder zu Hause vor sich hindudelt, ohne daß jemand tatsächlich zuhört.


    Also: Klassik ist meist nicht Berieselung.


    Warum MAN sich dieser Musik aussetzt, kann ich nicht sagen, da ich bedauerlicherweise außerhalb Taminos nur sehr wenige Leute kenne, die ernsthaft Klassik hören.


    Von den wenigen, die ich kenne, hören wohl alle deshalb und NUR deshalb Klassik, weil sie die Musik mögen. Bildungsmotive kann ich nirgends erkennen, ebensowenig Kulturpflege, Depressionsbekämpfung, oder weil man altruistisch den Künstlern unter die Arme greifen will. Das macht man vermutlich auch nur dann, wenn einem die Kunst grundsätzlich zusagt.


    Musik, die gefällt, gefällt wohl auch unter anderem deshalb, weil sie das eine oder andere mal erschüttert und aufwühlt.


    Ich weiß ziemlich genau, warum ICH Klassik höre (eigentlich höre ich fast gar keine Klassik, sondern fast ausschließlich Barock und Renaissance). Ich höre sie, weil ich sie schön finde, so wie man sich gern schöne Bilder, Filme (oder Personen) ansieht; weil die Musik mich berührt, weil sie eine sinnvolle Verwendung von Zeit ist - und keine Zeitverschwendung wie RTL II gucken oder Formel I (sorry, ich weiß, hier gibt es ein paar Fans, aber ich finde schnell im Kreis fahren öööööde). Also weil sie mich im besten Sinne des Wortes unterhält.

  • Ich finde es bedenklich, dass in solchen Zusammenhängen häufig ein starker Puritanismus erscheint. Wenn etwas gefällt, dann kann ja nicht wirklich gut sein, gut ist es nur, wenn es Mühe macht, wenn die große Masse außen vor bleibt.
    Ich habe gar nichts dagegen, wenn man mir ein Klangbad bereitet, das ist doch schön. Wenn ich mit den Jahren immer raffiniertere Schaumbäder goutiere, um so besser. Aber nochmal: es muss nicht immer schwierig sein.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Für mich ist die Antwort zur Threadfrage sehr einfach


    weil sie die Musik gebildeter und kultivierter Menschen ist (auch wenn unser Doktor von einer bestimmtem Gruppe von Opernfreunden das Gegenteil behauptet), aber nicht , weil ich mich zu einer Elite zähle


    weil ich beim Hören das Sehen nicht brauche und damit bestimmten optischen, mir nicht zusagenden Störungen aus dem Wege gehe


    weil sie ein Stück unserer Kultur ist, und zwar der Kultur, die mir besser gefällt als manche (nicht alle) Form seichter Unterhaltung


    weil sie bei mir Emotionen erweckt, in alle Richtungen außer Aggressivität (ich brauche ja beim Hören nichts zu sehen, siehe oben, sonst könnte mich schon die Wut packen)


    weil ich gerne schöne, aufrüttelnde oder besänftigende Musik mag. Und da hat jeder sein eigenes Bild im Kopf.


    Ich höre Musik nicht,


    um Künstler zu ernähren, sondern aus egoistischen Gründen. Ich glaube, das verstehen die meisten Künstler auch so.


    um Depressionen zu bekämpfen. Die habe ich glücklicherweise nicht.


    um mich selbst zu quälen.. Selbstkasteiung überlasse ich anderen. Wenn mir a Musi net gfallt, mach ich sie aus.


    So einfach ist das. Manche dieser Für- und Widermeinungen treffen aber nicht nur auf Klassik zu, auch auf bestimmte Arten von Rockmusik, ja sogar Schlagern.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Na, da schreibe ich doch auch mal etwas dazu.


    Bei mir ergibt sich aus meiner Antwort auf Alfreds Frage gleich die nächste Frage. Meine Antwort lautet 'ich höre (gute) Klassische Musik, weil sie mir gefällt'.


    Und warum gefällt sie mir ? Gut komponierte Klassische Musik hat eine Struktur, die natürlich von Komponist zu Komponist, von Werk zu Werk verschieden ist, aber diese Struktur herauszufinden und zu entdecken und dann an ihr teilzuhaben, das kann sehr viel Freude bereiten. Natürlich unterscheidet sich zum Beispiel die Struktur einer Beethoven-Symphonie grundlegend von der eines Bartók-Klavierkonzertes, aber sie ist vorhanden. Bei einem Künstler zieht sich die feste Struktur durch das ganze Werk, bei dem anderen besteht die Struktur darin, dass sie sich laufend ändert. Aber wenn diese Struktur für mich erkennbar und erfassbar ist, dann finde ich darin auch ein Stück Sicherheit, dann gefällt mir diese Musik. Je komplizierter um so besser, Hauptsache nachvollziehbar.


    Einen von Alfred erwähnten Punkt möchte ich hier noch ansprechen : der gute Einfluss bei psychischen Erkrankungen. Ich bin Meinung und Überzeugung, meine gute Verfassung hat einige Ursachen; eine davon sind meine Glückspillen, eine andere ist die Klassische Musik. Es ist jetzt nicht so, dass ich eine Symphonie höre und dann geht es mir gut - es ist die immer wieder kehrende Zufuhr von positiven Impulsen, die mich immer wieder ein bisschen von der Krankheit wegschubst. Es ist wie bei einer Therapie, da wird man auch nicht durch eine Sitzung zum glücklichen Menschen - viele kleine Impulse sind der Weg zum Erfolg.


    rolo (Herr der Psychosen) :hello:

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

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  • Ich stimme auch für die schlichte Antwort: Weil sie ihnen gefällt.


    Es mag ja sein, dass es einige Leute gibt, die Konzerte oder Oper besuchen, um die Juwelen mitsamt der Gattin auszuführen oder weil die anderen Leute aus dem Rotary-Club halt auch hingehen. Oder die eine "Karajan Adagio" CD einlegen, weil das so entspannend ist oder Chopin zum Candlelight Dinner usw.


    Aber die allermeisten, zumal die, die ein über solche Sampler hinausgehendes Spektrum anhören, tun das doch wohl, weil ihnen die Musik gefällt, sie begeistert, rührt, aufwühlt usw.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ICh war eigentlich überrascht, dass - nach einiger Anlaufzeit - sich doch einiger getraut haben hier zu antworten. Denn es gehört sicher Mut oder Selbstüberwindung dazu hier zu antworten, weil man mit der Antwort doch einiges von sich preis gibt.


    Zitat

    Ich höre sie, weil ich sie schön finde, so wie man sich gern schöne Bilder, Filme (oder Personen) ansieht;


    Das ist eine Antwort, die faktisch wie maßgeschneidert ist auf meine Frage (andere haben das dann mehr oder weniger bestärkt)


    Ich will mich unterhalten - im Besten Sinne des Wortes , war dann am Ende des Beitrags zu lesen.
    Ich stimme in diesem Punkte zu. Ich brauche keine Totenmessen, keine schwerverdaulichen atonalen Konstrukte, will auch nicht mit den Existenzkrisen des Komponisten konfrontiert werden (Als Forenbetreiber oder "Hobbymusikhistoriker oder Hobykunsthistoriker etc etc natürlich schon - aber als "Musikfreund" NICHT)
    Mag sein - und bei mir ist das gelegentlich so - daß man aus Neugier Musik hört, die einem gar nicht liegt - aber am Ende entscheidet man sich dennoch immer wieder für "seine" Musik.
    Mit welchem Argument vermag ich einen latent Klassikinteressierten zu überzeugen, daß es die richtige Musik für ihn ist.
    Mit einem atonalen zeitgenössischen Stück. Mit einem zwar tonalen aber unsäglich langweiligen Stück ? Mit einer Totenmesse ?
    Mit Politliedern von Eisler ? Oder besser doch mit Mpzarts Klavierkonzert "Elvira Madigan"?


    Soll Musik "schön" sein, durch Liebreiz "betören" (ich nehme BEWUSST diese altmodische Sprachliche Wendung, denn der Inhalt kann durch heutige Sprache gar nicht mehr vermittelt werden) oder soll sie "aufrütteln" - "erschüttern" - "den satten Bürger aus seiner heilen Welt holen"? Zu letzterem sage ich - nein danke. Weil mit dieser Betrachtungsweise vergrault man das PT Publikum.....


    später mehr....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eine scheinbar simple Frage, auf die es vermutlich ebenso viele Antworten wie Klassikliebhaber gibt.
    Eine einfache Antwort für mich vermag ich nicht zu geben.


    Zitat Alfred Schmidt

    Zitat

    Soll Musik "schön" sein, durch Liebreiz "betören" (ich nehme BEWUSST diese altmodische Sprachliche Wendung, denn der Inhalt kann durch heutige Sprache gar nicht mehr vermittelt werden) oder soll sie "aufrütteln" - "erschüttern" - "den satten Bürger aus seiner heilen Welt holen"?


    Ich greife daher – ganz bewußt verkürzt – den letzten Beitrag auf.
    Ja, Musik darf mich gern durch Liebreiz betören, warum denn nicht, warum darf ich mir nicht ein Stück "heile Welt voller Liebreiz" gönnen? Ich gönne mir das – bisweilen – gern. Aber eben nur bisweilen, das reicht mir nicht immer. Ich will aufgewühlt werden, will in tiefer Trauer versinken dürfen, will aufgebaut werden, will auch manchmal gern über verzwirbelte Kompositionen des 20. Jhs. nachdenken, bei denen ich erst einmal mit einem großen :?: zurückbleibe. Die Vielfalt klassischer Musik, ihre Klangfarben, ihre Rhythmik, ihre feine Konstruktion (rolo betman hat das sehr schön als Struktur beschrieben) die ich je nach Stimmung wählen kann und die ihrerseits meine Stimmung unzweifelhaft positiv beeinflusst, das ist einer meiner Hauptgründe, warum ich sie so unglaublich gern höre, eigentlich nie genug bekommen kann und kein wirkliches Hörerprofil (im Sinne einer Vorliebe für bestimmte Entstehungszeiten oder Werkarten) habe.


    Wenn durch solche Vorlieben auch Künstler ernährt werden können, schön. Altruistisch ist meine Musikhören aber nicht ;)


    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Warum Menschen klassische Musik hören, ist an einigen Beispielen deutlich geworden. Warum ich klassische Musik höre, habe ich vor drei Jahren im Vorstellungsthread (kurz gefasst) mal so beschrieben: Weil ich aus dem Elternhaus einfach nichts anderes kannte. Und weil es mir so gefiel, dass ich auch nichts anderes wollte. Daraus ergab sich, dass ich auch nichts anderes brauchte. Bis heute nicht.


    Sagte mir einer: Das ist für mich so, als würde ich nur ein bestimmtes Gericht essen.
    Sagte ich ihm (im Wissen seiner Prioritäten im Musikhören): Du kennst dich ja damit aus.


    Ich liebe die klassische Musik - bis zu einem bestimmten zeitlichen Punkt; alles was danach kommt, fällt für mich nicht mehr unter Klassik. Der Begriff ist dann - für reine Klangerzeugung - falsch gewählt.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Mich hätte man mit 15 ziemlich sicher nicht mit dem "liebreizenden" "Elvira Madigan" andante aus KV 467 für Klassik begeistern können. Da musste erst einmal Dvorak, Tschaikowsky, dann Beethoven und danach auch mal Mozart ran. Aber ich habe vorher auch kaum Musik gehört und mich hat auch später nur selten und vereinzelt andere Musik so begeistert wie Klassik.


    Auch wenn die "best-of" oder Wunschkonzert-Sampler meist immer wieder dieselben Stücke enthalten, so gibt es sicher manchen, den man eher mit Eisler-Liedern (die ja in vieler Hinsicht Liedermacher oder Popsongs näher stehen als Beethovensinfonien) oder ungewöhnlicher "atonaler" Musik des 20. Jhds. erreichen kann als mit "In mir klingt ein Lied" oder "Elvira Madigan". Es kommt auf den jeweiligen Hintergrund an.

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  • Zu dem Threadthema hab ich eine ganz einfache und kurze Antwort: Weil sie freude an klassischer Musik haben. Und Freude und Begeisterung sind schließlich das Wichtigste um sich mit etwas näher zu bschäftigen.

  • Nur ganz kurz: Meine Laufbahn dürfte derjenigen von Johannes Roehl vergleichbar sein, vielleicht mit dem geringfügigen Unterschied, dass ich als Zwölfjähriger - als Vierzehnjähriger nicht mehr - durchaus die sogenannten Charts am Freitagabend rauf und runter gehört habe. Statt "Elvira Madigan" - ich weiß schon, wie das gemeint ist, aber dennoch - wollte ich als Siebzehnjähriger auch gerne KV 467 hören. Der Begriff "Klassische Musik" gefällt mir schon seit längerer Zeit aus hier oftmals diskutierten Gründen nicht sonderlich.


    Und die Frage nach dem Warum? Da gibt es zahllose Gründe, keinen möchte ich missen, und der Liebreiz ist dabei - an erster Stelle gewiss nicht.


    :angel: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich stimme auch für die schlichte Antwort: Weil sie ihnen gefällt.


    Ich auch.


    Sicherlich gefällt mir auch, daß es sich bei Klassischer Musik nicht gerade um die tiefsten Niederungen unserer Kultur handelt. Sicher gefällt es mir ebenso, mich bisweilen von der Musik berühren, aufrütteln, niederschmettern, belustigen oder fordern zu lassen. Es gefällt mir ebenso, zum Lebensunterhalt derer beizutragen, die mich mit meiner Musik versorgen.


    Unter dem Strich steht aber immer als notwendige Bedingung: die Musik gefällt mir.

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    Lieber Alfred,


    die Frage ist eigentlich falsch. Um sie zu beantworten, muss man ja die klassische Musik kennen. Aber die "lernt" man ja nicht mal so eben kennen, sondern man "lernt" sie zu lieben. An vielen geht sie auch vorbei, obwohl sie versucht haben, sich dafür zu interessieren. Es gehört meiner Ansicht nach eine besonders ausgeprägte Empfindung für die Liebe zur klassischen Musik. Deshalb möchte ich auch die schablonisierten Antworten für mich teilweise in Anspruch nehmen. Dies wären folgende: (Die Begründung liefere ich noch dazu)


    Warum hören Menschen "Klassische Musik"??
    Weil sie mir gefällt
    Weil sie unvergleichlich schöne Melodien hat
    Weil sie ein Stück unserer Kultur ist
    Weil sie mich erschüttern und aufrütteln kann


    Antwort zu 1. Klassische Musik gefällt mir, weil sie mein Leben positiv beeinflußt!
    Antwort zu 2. Weil sie auf mich wohltuend wirkt.
    Antwort zu 3. Ich empfinde einen gewissen Stolz (ohne überheblich zu sein) in einem Land geboren worden zu sein, das solche "künstlerischen Menschen" hervorgebracht hat.
    Antwort zu 4. Ja, Musik muss mich zu Tränen rühren können, ohne das gleich Sentimentalität im Spiel ist, aber sie muss auch ein Glücksgefühl erzeugen können. Das finde ich nur in der klassischen Musik. In unserer hektischen, wechselvollen Zeit erzeugt sie bei mir einen ruhenden Pol, der mir ein Wohlgefühl schafft, ohne das ich nicht leben könnte. Sie erzeugt aber auch die "Nachdenkliche" Seite in mir, die ich für mein Leben brauche.


    Es gibt einen wunderbaren Absatz in Kurt Pahlens "Oper der Welt" (in der Auflage von 1963) Das Zitat ist von Peter Tschaikowsky :


    "Glauben sie nicht jenen, die Sie zu überzeugen suchen, der musikalische Schaffensvorgang wäre kühle Verstandesarbeit. Nur solche Musik kann rühren und erschüttern, die in der Tiefe einer durch Erleuchtung aufgewühlten Künstlerseele empfangen worden ist."


    Und deshalb liebe ich die klassische Musik - Weil sie meine Seele streichelt!


    Gruß


    Bernard :hello:

    Keine Kunst wirkt auf den Menschen so unmittelbar, so tief wie die MUSIK,
    eben weil keine uns das wahre Wesen der Welt so tief und unmittelbar erkennen lässt



    Arthur Schopenhauer


  • Sicherlich gefällt mir auch, daß es sich bei Klassischer Musik nicht gerade um die tiefsten Niederungen unserer Kultur handelt. Sicher gefällt es mir ebenso, mich bisweilen von der Musik berühren, aufrütteln, niederschmettern, belustigen oder fordern zu lassen.


    Sicher benutzt man Interessengebiete auch als Distinktionsmerkmal. Ich halte es aber eher für unwahrscheinlich, dass 1) heutzutage jemand sich mit Klassik befasst, um sich sozial auszuzeichnen (dazu ist Klassik einfach zu marginal geworden) und dass 2) jemand so etwas machen würde, wenn nicht ein starkes Interesse geweckt wäre (denn bloß um kultiviert zu wirken, gäbe es "gleichwertige" und heute weniger randständige Gebiete, zB Theater, Kabarett, bildende Kunst o.ä.).


    Ich meine allerdings auch, dass man dazu kommen sollte, nicht von unmittelbarem Gefallen abhängig zu sein. Es ist eher unwahrscheinlich, dass einem Bachs Johannespassion, Beethovens Quartette, Tristan, Le Sacre du Printemps usw. alle spontan beim ersten Hören gefallen...

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  • Ich meine allerdings auch, dass man dazu kommen sollte, nicht von unmittelbarem Gefallen abhängig zu sein.



    Absolut! Wenn man genügend gute Werke eines Komponisten gehört hat (manchmal reichen zwei überraschende und interessante Werke aus - geht mir gerade bei Lully so), wird man Neugier entwickeln, Neugier auf weitere Werke, die gefallen könnten, da man dann bei diesem Komponisten vermutet, einen bisher unbekannten Schatz heben zu können.

  • Warum "Menschen" klassische Musik hören, kann ich nicht sagen, vielleicht gibt es auf diese Frage so viele Antworten wie Menschen.
    Ich kann nur sagen, warum ICH klassische Musik höre. Ich höre überhaupt Musik, weil die, seit ich zurückdenken kann, immer eine entscheidende Rolle in meinem Leben gespielt hat. Spätestens seit meinem 10. Lebensjahr war Musik für mich ein ganz zentrales Element in meinem Leben, sozusagen die wichtigste aller Nebensachen. Das war die Zeit als die Beatles und die Stones und die Who und wie sie alle hiessen, bekannt wurden. Wenn ich mich an meine Jugend, an erste Verliebtheiten, ersten Liebeskummer erinnere, tue ich dies immer im Kontext mit bestimmter Musik. Und mich interessierte alles, was mit Musik zusammenhing (außer sie selbst zu machen). Ich kannte alle Gruppen, alle Songs, alle Richtungen. Und die Musik, die ich hörte, wurde im Laufe der Jahre komplexer und komplizierter und der klassischen Musik immer ähnlicher. Die Band Yes benutzte als Konzertopener den letzten Satz aus Stravinskys Feuervogel, Emerson, Lake und Palmer machten aus Bartok und Janacek anspruchsvolle Pophits. Das ging so bis ca 1975. Da kam der große Bruch, die Popmusik erfand sich noch einmal neu und fing mit Punk wieder ganz von vorne an. Das interessierte mich nicht mehr und dann machte ich halt direkt bei Stravinsky, Bartok und Janacek weiter. Und bis heute treibt mich die Lust um, neue Musik, neue Klänge zu entdecken. Deshalb meine Vorliebe für bestimmte Formen der zeitgenössischen Musik oder für die vielen unbekannten Komponisten. Klassische Musik ist für mich Grundnahrungsmittel geworden; ohne 1-2 Stunden Musik am Tag fehlt mir einfach etwas. Im nächsten Leben werde ich sicher beruflich etwas mit Musik machen. ^^

  • Ich meine allerdings auch, dass man dazu kommen sollte, nicht von unmittelbarem Gefallen abhängig zu sein


    Absolut meine Meinung. Um an Richard Strauß (Oper und Konzert) heranzukommen, hat es sicher 20 Jahre gebraucht. Anfangs fand ich die Musik als zu schräg (Vergleich der Opern von Verdi zu Strauß), dann stellte ich doch zwischen Puccini, Mascagni und Strauß etliche Gemeinsamkeiten fest und auf einmal gefiel mir gerade die Salome.


    Wagner habe ich in jungen Jahren höchstens den Holländer gemocht. Wie oben geschrieben, den Tristan und auch den Ring fand ich unausstehlich. Aber nach mehrmaligen Erleben (wozu auch das Anrecht als Pflichtveranstaltung beigetragen hat!) fand ich die Musik immer besser, jetzt bekenne ich mich als Wagner- und Straußanhänger. Um diese Musik zu hören, fahre ich bis nach Garmisch zu den Straußfesttagen.


    Bei Mahler und Bruckner war es ebenso, nur hat mein Reifeprozeß noch länger als 20 Jahre gedauert. Jetzt frage ich mich, warum mir Bruckners 4. oder 7. oder 8. nicht schon vor 20-30 Jahren gefallen hat?


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich meine allerdings auch, dass man dazu kommen sollte, nicht von unmittelbarem Gefallen abhängig zu sein.


    Dieses Zitat bezieht sich ausschliesslich auf das Erleben von Musik, oder?
    Das Erleben von Opernbesuchen passiert ja nach anderen Kriterien. :)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Das Erleben von Opernbesuchen passiert ja nach anderen Kriterien



    Ohne Dein "Lach"-Smiley ein richtig guter Beitrag!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ach ja...


    Bei Musik darf man etwas schräg finden und mehrere Jahre brauchen, um heranzukommen, bei Bildern weiss man sofort, woran man ist??



    La Roche[/quote]

    Boshaft wie ich nun mal bin lege ich einige klischeehafte Antworten vor:


    Weil sie unvergleichlich schöne Melodien im Angebot hat
    Weil das die Musik der gebildeten und kultivierten Menschen ist


    Das ist der eigentliche Lacher in diesem harmlosen Thread...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Dieses Zitat bezieht sich ausschliesslich auf das Erleben von Musik, oder?
    Das Erleben von Opernbesuchen passiert ja nach anderen Kriterien. :)


    Das bezieht sich auf alles Mögliche (nur ging es hier eben erstmal um Musik, nicht um Kandinsky oder Beuys).


    Rein praktisch ist eben so, dass ich eine einmal gekaufte CD o.ä. leicht zwanzigmal anhören kann, wenn mich die Musik spontan eher befremdet, während es einigermaßen ins Geld geht, sich eine Opernvorstellung fünf oder zehnmal anzuschauen.
    Aber es hat wohl fast jeder auch schonmal erlebt, dass man ein Buch zuerst nach einigen Seiten weggelegt hat, Jahre später dann aber durchgelesen und große Freude daran hatte.


    Freilich ist die Geduld und Ausdauer bei jedem verschieden. Ich halte es auch für, höflich ausgedrückt, kurzsichtig, eine Opernaufführung zu verwerfen, nachdem man ein Foto gesehen hat, das einem nicht zusagt. Und bei Musik habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass es Jahre dauern konnte, bis ein bestimmtes Stück gezündet hat. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass jemand keine Lust oder Ausdauer hat, ein Stück, von dem er/sie nicht erwartet, dass es jemals gefallen wird, zehnmal anzuhören. Ich würde das auch nicht bei jedem Stück machen.

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  • Ich halte es auch für, höflich ausgedrückt, kurzsichtig, eine Opernaufführung zu verwerfen, nachdem man ein Foto gesehen hat, das einem nicht zusagt.


    Ein herzliches Vergelt's Gott für die Aussage. (meine katholische Prägung ist z.T noch vorhanden...)



    Und bei Musik habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass es Jahre dauern konnte, bis ein bestimmtes Stück gezündet hat. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass jemand keine Lust oder Ausdauer hat, ein Stück, von dem er/sie nicht erwartet, dass es jemals gefallen wird, zehnmal anzuhören. Ich würde das auch nicht bei jedem Stück machen.


    Man muss bestimmt nicht alles in seinem Leben gehört haben. Aber eine starre Erwartungshaltung kann viele Erkenntnisse verhindern, wenn nicht gar die Erleuchtung.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
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  • Zitat

    Aber eine starre Erwartungshaltung kann viele Erkenntnisse verhindern, wenn nicht gar die Erleuchtung.


    Schönes Wort zum Sonntag mit ausgeprägtem Hang zum Bonmot für DUDEN Band 12.


    Ersetze "Erwartungshaltung" durch einen weniger modischen Begriff und schreibe "Kant-Lichtenberg" dahinter oder wer Dir halt einfällt.


    Vergelt's Gott, alle Götter und Intellektuellen auf Erden.


    :thumbsup: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Dass "Leere" eine Voraussetzung für Erleuchtung ist, wissen wir seit zweieinhalbtausend Jahren oder so von Buddha & Co.

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  • gibt es nicht verschiedene Arten von Leere? ;)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Ja, hohl im Kopf ist leider nicht gemeint...

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  • Sicher benutzt man Interessengebiete auch als Distinktionsmerkmal. Ich halte es aber eher für unwahrscheinlich, dass 1) heutzutage jemand sich mit Klassik befasst, um sich sozial auszuzeichnen (dazu ist Klassik einfach zu marginal geworden) und dass 2) jemand so etwas machen würde, wenn nicht ein starkes Interesse geweckt wäre (denn bloß um kultiviert zu wirken, gäbe es "gleichwertige" und heute weniger randständige Gebiete, zB Theater, Kabarett, bildende Kunst o.ä.).


    Ich meine allerdings auch, dass man dazu kommen sollte, nicht von unmittelbarem Gefallen abhängig zu sein. Es ist eher unwahrscheinlich, dass einem Bachs Johannespassion, Beethovens Quartette, Tristan, Le Sacre du Printemps usw. alle spontan beim ersten Hören gefallen...


    Janein, da stimme ich Dir natürlich zu - und so war es von mir auch nicht gemeint.


    Natürlich ist es, und gerade bei klassischer Musik, so, daß manches Stück viel Zeit und eine intensive Auseinandersetzung erfordert, bis man ihm wirkliche Sympathie entgegenbringen kann. Nur diesen Prozess zu ermöglichen und zu forcieren bedingt bei mir schon, daß mir die betreffende Musikrichtung (hier also Klassik) per se eben gefällt.


    Oder anders gesagt: ich würde kaum versuchen, verborgene Schönheiten in einem Techno-Track oder einem Ballermann-Schlager zu entdecken, nachdem sich meine bisherigen Sympathien für alles aus dieser Musik-Ecke gehörte mit einem Kreis ganz gut darstellen lassen...

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