Kontext(un-)abhängigkeit von Dissonanzen, Gewöhnungs- und "Schockeffekte"

  • Wer hat Angst vor Neuer Musik? (Zitat von Holger Kaletha)

    Zitat

    Eine Dissonanz fällt ja nur in einem konsonanten Kontext als solche auf. Wenn eine Musik nur noch aus Dissonanzen besteht, dann hört sie auch auf, dissonant zu sein - d.h. sie schockiert auch niemanden mehr.


    hier brauch ich die Hilfe anderer Menschen... ich versteh nicht, wie man so einen Satz formulieren kann.


    eine kleine None bleibt eine kleine None egal in welchem Zusammenhang

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Ich bin unverbesserlich dumm - ich gehe schon wieder auf einen Beitrag von Dir ein.


    Schon mal Musik mit Sitar und Tabla gehört oder solche, die neben Halbton- auch Viertel- und Achteltonschritte kennt.


    Dabei braucht man Mitteleuropa nicht verlassen - in der Musikinstrumentensammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg steht der Nachbau eines "Flügels", auf dem Achteltonschritte spielbar sind.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Also ich bin kein Musikwissenschaftler und auch kein Musikethnologe, aber ich dachte immer, es sei kulturell geprägt, ob man etwas als Konsonanz oder Dissonanz empfindet.


    Tatsächlich habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass wenn man etwas länger Musik hört, die außerhalb unseres normalen Tonsystems angesiedelt ist, z.B. Vierteltonmusik (Streichquartette von Alois Haba) oder Musik mit Instrumenten in reiner Stimmung (Streichquartette von Ben Johnston) das nicht mehr unterscheiden kann, ob etwas konsonant oder dissonant ist.

  • Zitat von lutgra

    Also ich bin kein Musikwissenschaftler und auch kein Musikethnologe, aber ich dachte immer, es sei kulturell geprägt, ob man etwas als Konsonanz oder Dissonanz empfindet.

    Ich denke, das muß man auch ganz und gar nicht sein, wie man an dieser treffenden Bemerkung sehen kann :)
    Beim Musikgeschmack ist es vereinfacht ein wenig wie beim Geschmack beim Essen: er ist Ergebnis eines Sozialisationsprozesses, und solche Prozesse laufen nun einmal in unterschiedlichen Kulturen respektive Zeiten anders ab. Diese Prozesse bestimmen nicht wirklich den persönlichen Geschmack, geben ihm aber einen Rahmen (über den Grad, wie diese Prozesse auf das, was wir persönlichen Geschmack nennen, einwirken, herrscht allerdings keine Einigkeit).



    Zitat von tastenwolf

    Zitat Holger Kaletha: Eine Dissonanz fällt ja nur in einem konsonanten Kontext als solche auf. Wenn eine Musik nur noch aus Dissonanzen besteht, dann hört sie auch auf, dissonant zu sein - d.h. sie schockiert auch niemanden mehr.
    ... hier brauch ich die Hilfe anderer Menschen... ich versteh nicht, wie man so einen Satz formulieren kann.

    Insofern ist auch der Satz von Holger Kaletha doch sehr klar formuliert: wir nehmen Dissonanzen nur als solche wahr, weil wir erzogen sind, sie als solche wahrzunehmen. Gesetzt den Fall, die Dissonanz ist Programm und wir könnten so tun, als ob wir uns nicht bereits an Konsonanzen gewöhnt hätten (was wir aber nicht auf Anhieb können, also zumindest ich nicht), das wären sie als solche gar nicht erkennbar. Wir können uns aber an solche Viertel und Achteltonschritte gewöhnen, auf die zweiterbass hingewiesen hatte (die Sitar ist ein wunderschönes Beispiel, das wäre mir gar nicht auf Anhieb eingefallen), wodurch ihre Fremdheit mit der Zeit abnimmt. Darauf wies lugtra ganz zu recht hin. Das ist allerdings eine Frage des Einlassens, ich brauche dafür immer viel Ruhe, die mir leider momentan ein wenig fehlt. Daß ich den threadtitel jetzt ganz naiv wörtlich genommen habe, obgleich er vielleicht eher als despektierliche Äußerung zu verstehen war (oder nicht ?), mag man mir verzeihen.


    Mit besten Grüßen
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Beispiel: In den "Preludes" von Debussy gibt es Toncluster, die sind nicht mehr "tonal". Das sind aber keine schmerzhaften Dissonanzen, sondern der Akkord bekommt einen Eigenwert. Es geht da um seine charakteristische Klangfarbe.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Ich bin unverbesserlich dumm - ich gehe schon wieder auf einen Beitrag von Dir ein.

    ich hätte gerade diese Formulierung nicht verwendet...keine Sorge, du befindest dich ja schon auf dem ersten Schritt zur Besserung...



    Schon mal Musik mit Sitar und Tabla gehört oder solche, die neben Halbton- auch Viertel- und Achteltonschritte kennt.

    was soll die Quizfrage? ich habe auch eine CD mit Vogelstimmen und ich weiss, wie sich monatelanger Baulärm ab 7h früh vor meiner Wohnung anhört... worum geht es hier eigentlich?
    wenn du dich an andere Tonsysteme gewöhnen willst, kannst du das gerne tun...Viel Spass
    Die Frage nach Viertel, Sechstel- oder Achteltonmusik hat nichts mit der absonderlichen Konsonanz-Dissonanz Theorie zu tun.


    es ist richtig, dass die Begriffe von Konsonanz und Dissonanz sich seit dem 16.Jh verändert haben - das hat mit den Stimmungssystemen zu tun. Nicht von ungefähr greift die HIP Bewegung wieder auf ältere Modelle zurück, in denen sich "reinere" Intervalle finden als in der gleichschwebenden Temperatur. Das macht dann einen grossen Reiz dieser Aufführungen aus.


    Natürlich kann man versuchen, die Obertonreihe als blossen Erklärungsversuch darzustellen.



    wir nehmen Dissonanzen nur als solche wahr, weil wir erzogen sind, sie als solche wahrzunehmen.

    Oh my God! Soll das jetzt die Grundlage irgendeiner neuen pädagogischen Richtung werden... in der man versucht, Kleinkinder mit Stockhausen und Ligeti zu beschallen...
    alles schon dagewesen...
    aber meine Kritik an dem Satz lautet: wir sind nicht zu dieser Wahrnehmung erzogen worden, sondern wir wurden in diesen Kulturkreis hineingeboren.


    und bitte nicht zu vergessen. Dank der Popmusik ist die Dur/Moll Tonalität wirklich weltweit verbreitet, an dieser Hörerfahrung kommt niemand vorbei.



    Beispiel: In den "Preludes" von Debussy gibt es Toncluster, die sind nicht mehr "tonal". Das sind aber keine schmerzhaften Dissonanzen, sondern der Akkord bekommt einen Eigenwert. Es geht da um seine charakteristische Klangfarbe.

    in Bruckners Te Deum gibt es im letzten Teil 3 Takte vor dem Allabreve - vor der C-Dur Coda den hübschen Akkord aus den Tönen Cis, d e g b h.
    Bei Bachs h-Moll Fuge WTK 1 finden wir eine Art von 12 tonreihe... im harmonischen Zusammenhang wurden Dissonanzen immer schon komponiert.
    Ich finde bereits Terzschrittmodulationen bei Schubert nicht tonal...


    und ganz grundsätzlich sind in der Kontrapunktlehre einige Intervalle als Konsonanzen, einige als Dissonanzen definiert. Dissonante Zusammenklänge konnten hier überhaupt nur nach bestimmten Gesetzen erreicht werden, "freistehende" Dissonanzen gab es lange Zeit überhaupt nicht... Und die Gesetze der Stimmführung bewahrheiten sich für mich in der täglichen Arbeit. Dort wo diese Regeln nicht beachtet werden, entstehen Fehlerquellen... zB: Septimen abwärts zu singen geht zu 80% schief. daran wird sich nie etwas ändern.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat von tastenwolf


    Oh my God! Soll das jetzt die Grundlage irgendeiner neuen pädagogischen Richtung werden... in der man versucht, Kleinkinder mit Stockhausen und Ligeti zu beschallen...
    alles schon dagewesen...
    aber meine Kritik an dem Satz lautet: wir sind nicht zu dieser Wahrnehmung erzogen worden, sondern wir wurden in diesen Kulturkreis hineingeboren.

    Mitnichten geht es mir um einen pädagogischen Ansatz, das wäre lächerlich (auch wenn es das schon einmal gab). Es geht um einfache Grundlagen kulturellen Verständnisses, zu dem Musik nun einmal gehört. Wo bitte ist der Unterschied, ob ich sage, man ist dazu erzogen worden (Sozialisation ist mitnichten ein bewußter Akt) oder "man wurde in einen Kulturkreis hineingeboren"? [übrigens ein eher unschönes Wort, Frobenius läßt grüßen :) ]



    Zitat von tastenwolf

    Dank der Popmusik ist die Dur/Moll Tonalität wirklich weltweit verbreitet, an dieser Hörerfahrung kommt niemand vorbei.

    Das ist in der Tat ein wichtiger Hinweis. Aber in bestimmten Regionen dieser Erde ist eben dies das "Andere", da traditionelle Musik anders klingt.


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Zitat von »zweiterbass« Schon mal Musik mit Sitar und Tabla gehört oder solche, die neben Halbton- auch Viertel- und Achteltonschritte kennt.
    was soll die Quizfrage?


    Wo soll da ein Quiz sein?

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Mitnichten geht es mir um einen pädagogischen Ansatz, das wäre lächerlich

    sorry, all diese Missionarischen Versuche hier im Forum, Menschen zur zeitgenössischen Musik zu bekehren, sind Manipulationen. Man akzeptiert Mitmenschen nicht wie sie sind - mit ihren Fehlern und Schwächen, sondern will sie verändern und zu einem Besseren, tieferen, reicheren Hören hinführen...
    der kulturelle Ansatz, wonach nur die Hörerfahrungen unseres geographischen und kulturellen Umfeldes (besser?) darüber entscheiden, was wir als Konsonanz oder Dissonanz empfinden,
    verbunden mit dem Wunsch, Menschen nach den eigenen Vorstellungen zu verändern, führt unweigerlich zu einer neuen Pädagogik. Oder diskutieren wir hier nur im luftleeren Raum, ohne Aussicht auf Realisierung unserer Ideen?
    viel Spass bei den Versuchen, in Kindergärten oder Volksschulen (Primarschulen, wie auch immer) 8 jährige Kinder mit musikalischer Avantgarde in Berührung zu bringen.

    Frobenius läßt grüßen

    den kannte ich in der Tat noch nicht... danke für den Hinweis... allerdings: wenn seine Person so umstritten gewesen sein soll - warum gibt es heute noch ein nach ihm benanntes Institut?



    was Sitar, Tabla und ähnliches betrifft.... ich habe mich noch nie mit Musikethnologie beschäftigt. Muss ich das?
    selbst wenn wir uns mit indigenen Völkern und deren Musikkultur beschäftigen, können wir keine Rückschlüsse auf unser tonales System machen... die Tatsache, dass es andere Tonsysteme mit anderem Klangempfinden gibt, verändert unseren Begriff von Dissonanz nicht im geringsten.
    Und der Unterschied zwischen alter Japanischer oder Indischer Musik oder der europäischen Zeitgenössischen (wobei man hier den Entstehungsraum auch differenzieren muss) besteht darin, dass die ersteren über Generationen und Jahrhunderte hinweg entstanden sind und die zweiten eine Hirnkonstruktion aus ideologischen Gründen, (um der bisherigen Kultur etwas entgegenzusetzen, eine Antiromantik, also Antithese zur romantischen Komponierweise... logische, dass man die bisherigen Werte umdeutet und umdreht.)


    daher hat indische Musik auch ein Publikum, welches mit dieser Musik aufgewachsen ist und sie als schön oder wohltuend empfindet... vereinzelt sind Menschen (wie Holger) mit Stockhausen aufgewachsen...ein interessantes Phänomen, aber statistisch nicht signifikant.

    Beim Musikgeschmack ist es vereinfacht ein wenig wie beim Geschmack beim Essen:

    ich mag diesen Vergleich gerne und bringe den nächsten Hinweis: auch die Versuche von Grünpolitikern, Menschen sanft zur vegetarischen Ernährung zu bewegen, halte ich für vergleichbar:

    Zitat


    Zitat WIkipedia: Die klassische indische Musik ist modal und duldet im Grundsatz nur ein Melodieinstrument. Innerhalb eines von strengen überlieferten Regeln gesetzten Rahmens bietet sich ein breiter Raum für Interpretation. Im Solospiel arbeitet der Musiker einen musikalischen Gedanken auf dieser Grundlage aus und entwickelt diesen im zeitlichen Verlauf des Stückes aus dem Wechselverhältnis von Freiheit und Disziplin. Einen Dialog gibt es nur zwischen dem Melodie- und dem Rhythmusinstrument. Die Struktur der Melodie ist der Raga, dessen Skala jeweils aufsteigend und absteigend festgelegt ist. Er drückt eine bestimmte musikalische Stimmung aus und wird in der Regel einer Tageszeit zugeordnet.

    wenn es also auch dort Regeln gibt - was gespielt werden darf, und was nicht... ist das eine Parallele zu Regeln des Kontrapunkts, der ja auch die Hauptaufgabe in der Behandlung der Dissonanz sieht.
    auch in den Ragas gibt es also falsche Töne
    Dieser Aspekt der Kontrapunktik ist zwar nur meine Interpretation, aber angewandt auf die pythagoräische Stimmung ist der Begriff Dissonanz - im Extremfall am Bespiel der Wolfsquarte leichter verständlich.
    Strömungen, die damals eine Gleichwertigkeit von Konsonanz und Dissonanz gefordert haben, sind mir bisher unbekannt.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat Tastenwolf


    Zitat

    sorry, all diese Missionarischen Versuche hier im Forum, Menschen zur zeitgenössischen Musik zu bekehren, sind Manipulationen. Man akzeptiert Mitmenschen nicht wie sie sind - mit ihren Fehlern und Schwächen, sondern will sie verändern und zu einem Besseren, tieferen, reicheren Hören hinführen...
    der kulturelle Ansatz, wonach nur die Hörerfahrungen unseres geographischen und kulturellen Umfeldes (besser?) darüber entscheiden, was wir als Konsonanz oder Dissonanz empfinden, verbunden mit dem Wunsch, Menschen nach den eigenen Vorstellungen zu verändern, führt unweigerlich zu einer neuen Pädagogik.


    Aber lieber tastenwolf, vielleicht magst Du meine keineswegs pädagogischen Einwände nicht verstehen oder willst die Äußerungen als Manipulation verstehen. Aber dann kann ich auch nicht mehr helfen. Mir ging es nur um einen Erklärungsansatz, warum wir so hören, wie wir hören (ob ich das so richtig sehe, sei ganz dahingestellt), den Schritt, etwas daran ändern zu wollen, würde ich niemals gehen. Jeder soll selbst Herr seines Hörvergnügens sein, er allein bestimmt was "auf die Ohren kommt". Wer wäre ich, darüber ein Urteil abgeben zu wollen?


    Zitat tastenwolf

    Zitat

    den kannte ich in der Tat noch nicht... danke für den Hinweis... allerdings: wenn seine Person so umstritten gewesen sein soll - warum gibt es heute noch ein nach ihm benanntes Institut?


    Bitte richtig lesen, der Begriff "Kulturkreis", den Frobenius prägte ist nicht mehr wirklich gut zu gebrauchen (d. h. es gibt berechtigte Zweifel an der Tragfähigkeit seines theoretischen Ansatzes). Frobenius selbst gebührt große Anerkennung für seine Forschungen zur Geschichte Afrikas. Das würde niemand bezweifeln.


    Zitat tastenwolf

    Zitat

    selbst wenn wir uns mit indigenen Völkern und deren Musikkultur beschäftigen, können wir keine Rückschlüsse auf unser tonales System machen... die Tatsache, dass es andere Tonsysteme mit anderem Klangempfinden gibt, verändert unseren Begriff von Dissonanz nicht im geringsten.


    Ich habe nie von Veränderung gesprochen, es ging mir schlichtweg um die Relativität von Klangempfinden (ein Musikethnologe bin ich im übrigen auch nicht, muß man aber auch nicht sein)


    Zitat tastenwolf

    Zitat

    ich mag diesen Vergleich gerne und bringe den nächsten Hinweis: auch die Versuche von Grünpolitikern, Menschen sanft zur vegetarischen Ernährung zu bewegen, halte ich für vergleichbar:


    Nein, das ist es nicht! Auch hier willst Du mich nicht verstehen. Ich erkläre, aber würde niemals missionieren, das hat allein in der Wortwahl etwas zu Religiöses.


    Ich wollte diese grundsätzliche Diskussion mit so vielen Nebenschauplätzen gar nicht führen, aber nun gut.
    Wenn wir uns einigen, daß wir uns nicht einigen müssen, weil verschiedene Meinungen immer schöner sind als allzu viel Gleichförmigkeit, wäre es gut. Allein den Schuh des Missionierers mag ich mir nicht anziehen.
    Mit bestem Gruß zum Sonntag
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
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  • Auch mir steht es völlig fern, irgend jemanden missionieren zu wollen. Meine einzige Motivation hier zu schreiben ist es, Forenmitglieder auf Musik hinzuweisen, die ich interessant, toll, genial...was immer finde, in der vagen Hoffnung, dass der eine oder andere meine Begeisterung teilt oder bei ihm eine Neugierde, das Stück kennenzulernen, geweckt wird. Bei Stücken, bei denen ich davon ausgehe, dass sie nur einer "hard core" Minderheit gefallen, weise ich deutlich darauf hin.

  • sorry, all diese Missionarischen Versuche hier im Forum, Menschen zur zeitgenössischen Musik zu bekehren, sind Manipulationen. Man akzeptiert Mitmenschen nicht wie sie sind - mit ihren Fehlern und Schwächen, sondern will sie verändern und zu einem Besseren, tieferen, reicheren Hören hinführen...

    Das Argument kann man ebensogut umkehren: Manipulativ ist, Menschen, die das Hören von Neuer Musik als selbstverständlich empfinden und ihre Begeisterung Anderen mitteilen wollen, darüber zu belehren, daß dies im Grunde wider die menschliche Natur sei, eine ideologische "Entartung" des Hörens, die dem "gesunden Musikempfinden" zuwider wäre.


    selbst wenn wir uns mit indigenen Völkern und deren Musikkultur beschäftigen, können wir keine Rückschlüsse auf unser tonales System machen... die Tatsache, dass es andere Tonsysteme mit anderem Klangempfinden gibt, verändert unseren Begriff von Dissonanz nicht im geringsten.
    Und der Unterschied zwischen alter Japanischer oder Indischer Musik oder der europäischen Zeitgenössischen (wobei man hier den Entstehungsraum auch differenzieren muss) besteht darin, dass die ersteren über Generationen und Jahrhunderte hinweg entstanden sind und die zweiten eine Hirnkonstruktion aus ideologischen Gründen,

    Zur Zeit von van Gogh und Debussy machten japanische Holzschniitte und Gamelanorchester in Europa Furore, die bis dahin nicht bekannt waren. Sie haben die europäische Kunst und Musik maßgeblich beeinflusst. Und der Begriff der Dissonanz ist keineswegs eine Konstante, sondern hat sich schon im Verlauf der Romantik erheblich gewandelt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Menschen, die das Hören von Neuer Musik als selbstverständlich empfinden und ihre Begeisterung Anderen mitteilen

    von der Begeisterung war ja vorher noch nicht die Rede, eher von der Wertigkeit der Gewohnheiten.


    und als blosse Mitteilung verstehe ich den tendenziellen Titel nicht...


    genug damit...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Wenn ich mir den Titel dieses Threads so ansehe: es scheint keine Zeichenbegrenzung für Titel zu geben. Ich habe "Die Suche nach der verlorenen Zeit"'als Volltext - copy and paste gefällig? :-)

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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  • Oh großer Hasiewicz, hab´ Erbarmen - laß in Swanns Welt die Mädchenblüte der Guermantes reifen, auf daß in Sodom und Gomorra Gefangene befreit werden, sobald sie die Zeit wiedergefunden haben - aber schone die unsrige.

  • Ob die Dissonanzen in der Neuen Musik ihren Charakter als Dissonanzen ablegen können, scheint mir nicht ganz eindeutig zu klären zu sein. Es ist ja gerade bei Webern sehr auffällig, dass er tonale Akkorde meidet und stattdessen konsequent dissonante Paradebeispiele setzt. Bei ihm müsste somit das Schockerlebnis ausbleiben, was aber in seiner frühen Phase nicht angenommen werden kann, schließlich stellt er ja bevorzugt Trauer und Katastrophe dar.


    Auch nachher, in der Zwölftonmusik, können die Komponisten sich nicht naiv stellen, und Dreiklänge können nicht so wie beliebige andere Zusammenklänge verwendet werden. Die Atonalen meiden sie tendenziell, oder mit den Dreiklängen kommt auch wieder die Tonalität, sei es dass man gleich ganz tonal zwölftönig komponiert wie Martin oder sei es, dass man nach Mahlerschem Vorbild Heterogenes zusammenführt wie bei Berg.


    Das gleichschwebend gestimmte Material unseres Kulturkreises (?) trägt nunmal seine Geschichte in sich. Lässt sich dem entkommen, indem man Mikrointervalle verwendet? Wie bringt man dem Hörer bei, Terzen nicht in einen Zusammenhang mit tonaler Musik zu bringen? Bzw. - wenn man diese Assoziationen einmal als gegeben akzeptiert - rechnet man nicht mit den Assoziationen? Woher soll also der Hörer wissen, ob es im Sinne des Komponisten ist, die Intervalle als konsonant/dissonant zu hören oder nicht?

  • Den Namen eines Threads nachträglich verändern halte ich für problematisch - mag in diesem Fall, aufgrund der ungewöhnlichen Länge, angehen; aber man sollte dann den ursprünglichen Namen zum 1. Beitrag hinzufügen - um was ich höflich bitte.


    LG
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • hier brauch ich die Hilfe anderer Menschen... ich versteh nicht, wie man so einen Satz formulieren kann.


    eine kleine None bleibt eine kleine None egal in welchem Zusammenhang

    Moderation:


    Wo ist mein Ausgangszitat geblieben? ?( Ohne das versteht man doch die ganze Diskussion nicht.


    Kurz nochmals zum Problem:


    Diese rein funktionsharmonische Betrachtung ist natürlich hoch abstrakt. Sie sieht z.B. davon ab, daß die Stelle der Töne im Tonraum die Rezeption entscheidend verändert. In der extremen Baßlage etwa wird die Rezeption funktionsharmonischer Bezüge deutlich erschwert, dann ist die None durchaus keine None mehr.


    Weiter ist der Begriff der "Dissonanz" viel zu vage und vieldeutig. Genau diese Vagheit macht aber die Kontextabhängigkeit aus. Eine Dissonanz kann so gehört werden (Leittonwirkung), daß sie in eine Konsonanz aufgelöst werden will. Das muß aber nicht so sein. Sie kann auch einfach Ausdruck von Schmerz oder einer inneren Spannung sein. Aber nicht jede Dissonanz ist schmerzlich oder schockierend. Sie kann auch geheimnisvoll-unheimlich klingen, ein Raumgefühl vermitteln, einen "schwebenden" Klang. Sie kann Sinnlichkeit und seelische Komplexität ausdrücken, eine bestimmte Stimmung. In impressionistischer Musik ist das tonale Zentrum noch da, richtig. Aber das wird mehr und mehr "entkräftet". Wir lernen auf diese Weise auf andere wesentlichere Dinge zu achten - und genau das schafft die Brücke zur Zwölftonmusik.


    Schöen Grüße
    Holger

  • Ich habe das Zitat mit Verlinkung im ersten Posting wieder eingefügt; hatte zuerst nicht gesehen, dass das NUR im Titel steht. Bitte in Zukunft keine derartig langen Titel verwenden und Zitate in den Hauptteil des Postings stellen, am besten mit Verweis/Link zum Thread, aus dem zitiert wurde!

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Meinem leider recht begrenzten Verständnis von Intervall- und Harmonielehre nach ist es auch in unproblematisch tonaler Musik kontextabhängig wie Dissonanzen wirken. In tonaler Musik wirken die meisten Dissonanzen für uns in selbstverständlicher und keineswegs unangenehmer Weise spannungssteigernd wie eben im Dominantseptakkord.


    Ein Stück wie Beethovens op.133 wirkt vermutlich auf die meisten Hörer weit "dissonanter" als fast alles von Debussy, aber Beethoven ist ohne Zweifel tonal und Debussy oft an den Grenzen. Ich kenne mich zu schlecht aus, um sagen zu können, ob das am tonalen Rahmen bei Beethoven oder an spezifischeren Dingen (wie etwa auch dem Klang und der Stimmung der Streicher) liegt, warum das jeweils so wirkt, wie es wirkt.
    Bei atonaler o.ä. Musik des 20. Jhds. habe ich jedenfalls WEDER den Eindruck, dass alles gleichermaßen dissonant und extrem spannungsreich klingt, NOCH den, dass Dissonanzen gar keine Spannung mehr erzeugen und "gleichgültig" wahrgenommen werden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bei atonaler o.ä. Musik des 20. Jhds. habe ich jedenfalls WEDER den Eindruck, dass alles gleichermaßen dissonant und extrem spannungsreich klingt, NOCH den, dass Dissonanzen gar keine Spannung mehr erzeugen und "gleichgültig" wahrgenommen werden.

    Ja, das empfinde ich auch so. Kürzlich erzählte mir ein Interpret, dass er früher mal sehr viel Neue Musik gespielt hat, und damals anlässlich einer Konzertreihe alle ganz nervös und aufgeregt waren, wegen des Charakters der Musik. Momentan spielt er eher weniger abseitiges, überlegt aber auf ein Barockinstrument zu wechseln, und kennt von dort her bereits die Ruhe, die sich offenbar auch der Musiker bemächtigt.


    Das ist jetzt aber auch ein Einzelfall, ich weiß nicht, ob alle Mitglieder des Klangforums im Laufe der Zeit zu unruhigeren Charakteren geworden sind oder mehr ruhigen Ausgleich brauchen als die des Concentus Musicus. Bei deren Chef, zweifle ich aber daran.
    :D