Beethoven - Klaviersonate Nr. 13, op. 27/1, Es-Dur

  • Liebe Leute,


    es wird langsam Zeit, mit dem Beethoven-Klaviersonatenprojekt voranzuschreiten. Als nächstes auf dem Plan ist diese sehr originelle Sonate, die etwas im Schatten ihrer berühmteren Schwester, der Mondscheinsonate, steht: die "Fantasie-Sonate" op. 27/1 in Es-Dur. Natürlich ist sie kein obskures stück und jeder, der seinen Beethoven halbwegs kennt, hat sie schon des öfteren gehört. Jetzt da ich die verschiedenen Aufnahmen, die ich habe, mit Noten verfolgt habe, ist mir noch mehr mehr als früher aufgefallen, wie bizarr das Stück doch eigentlich ist. Klassisch ist dieses Stück kaum mehr zu nennen. Die Sonate ist nominell viersätzig:


    I: Andante - Allegro - Tempo I
    II: Allegro molto e vivace
    III: Adagio con espressione
    IV: Allegro vivace


    Tatsächlich aber sind der III und IV Satz durch Wiederkehr des Adagio-Themas kurz vor Ende des vierten Satzes verschränkt. Es dürfte sich hiermit um einen frühen Typus des zyklischen Kompositionsmodells handeln, das in der Romantik so beliebt war. Die Sonate weist aber auch sonstige Besonderheiten in großer Zahl auf. Es wimmelt beispielsweise von Unisono-Läufen in beiden Händen, etwas ziemlich untypisches in einer klassischen Klaviersonate. Das lässt eher an eine Etüde oder an ein barockes Klavierstück denken. Sehr seltsam ist auch das Scherzo, das aus gegenläufigen oder unisono geführten Triolen besteht und etwas von einer barocken Gigue hat. Im Finalsatz wiederum tauchen plötzlich fugierte Abschnitte auf. Leider liegt mir kein Buch über die Beethovensonaten vor. Vielleicht kann also ein anderer Tamino mehr über die Hintergründe dieses interessanten Werks beitragen.


    Den Interpretationsvergleich erkläre ich hiermit feierlich für eröffnet!

  • So seltsam das Werk auch ist, so ähnlich ist der Zugang der meisten Pianisten zu ihr. Die interpretatorischen Unterschiede waren relativ gering, und hätte ich nicht das enfant terrible Glenn Gould an Bord, wäre der Vergleich hoffnungslos langweilig.


    Die Aufnahmen, die mir vorliegen:


    Friedrich Gulda, 1968: 5:02/1:50/2:29/4:55
    Glenn Gould, ?: 7:53/2:01/3:47/7:18
    Jenö Jandó, 1988: 5:20/1:58/2:58/6:02
    Jean-Bernard Pommier, 1992: 5:11/1:56/3:15/5:40
    András Schiff, 2007: 5:19/2:03/2:38/5:53
    Rudolf Buchbinder, 2011: 5:00/1:47/2:25/5:10



    Wirklich kaum zu unterschieden sind die Interpretationen von Buchbinder und Gulda - nicht nur wegen des ultrapräzisen Anschlags, sondern auch wegen des Affentempos, das die beiden wählen. Gulda bleibt im letzten Satz sogar unter 5 min - das muss wohl Rekord sein. Trotzdem halte ich beide Interpretationen für sehr gut und repräsentativ. Buchbinder ziehe ich wegen des etwas langsameren Tempos aber dann doch vor.


    Bei Schiff ist mir das Klangbild etwas zu hallig und ich muss sagen, dass mir seine Interpretation auch nicht sehr zugesagt hat. Ihr fehlen einfach Charakterisitka, die es anzuführen lohnt.


    Pommier und Jandó spielen beide das Werk sehr gefühlvoll. Vom Tempo her liegen sie in der Mitte und durch Extravaganzen fallen sie auch nicht auf. Jandós Aufnahme leidet vielleicht noch etwas unter der Tontechnik der frühen Naxosaufnahmen, die zu viel Hall und relativ wenig Nachbearbeitung aufweisen. Trotzdem steht Jandós Einspielung qualitativ jenen der anderen um nichts nach.


    Tja, Gould macht's wieder einmal anders. Er spielt sehr langsam und eindringlich, allerdings möchte er das Werk nicht "entstellen", was man schon daran erkennt, dass er im Scherzo ein normales Tempo anschlägt. Im Grunde finde ich, dass Goulds extremes detaché und das langsame Tempo die Skurrilität der Sonate noch unterstreicht, weshalb ich mir seine Version gerne angehört habe.


    Als meine Referenz würde ich wohl - wieder einmal - Buchbinder wählen.

  • Schon lange keine frühe Beethoven-Sonate mehr gehört, aber jetzt die Anregung aufgegriffen und diese gleich zweimal gehört:


    a) Wilhelm Kempff (1951): 4:45/2:18/3:00/5:49


    b) Claudio Arrau (ca. Mitte der 60er): 17:20


    Die Kempff beginnt flott (offensichtlich flotter als alle bisher gelisteten) und bleibt ansonsten im Tempo im mittleren Bereich. Wie oft bei Kempff hat man das Gefühl, ja, genau richtig.


    Arrau lässt sich mehr Zeit, wirkt auch schwerer, für eine frühe Sonate vielleicht zu schwer.


    Die 1951er-Mono-Aufnahme klingt imo hervorragend, Stereo bringt hier wenig zusätzliche Informationen.

  • Die Klaviersonate Nr 13 op 27 Nr 1 entstand 1801 und ist der der Fürstin Josephine von Liechtenstein gewidmet.
    Manchmal ist Tamino wirklich Gold wert. Sicher habe ich die Sonate schon gelegentlich gehört. Aber Hand aufs Herz: Irgenwie stand sie immer im Schatten ihrer Schwester op 27 Nr 2, die der willkürlichen Namen „Mondscheinsonate“ trägt. Das hat sich gestern und heute entscheidend geändert. Nach intensivem Hören bin ich momentan geneigt, die Nr. 1 als die interessante Sonate zu sehen – aber das mag ein vorübergehender Eindruck sein. Ist der Unterschied der Interpretationen tatsächlich so gering, wie weiter oben geschrieben wurde ? Oder ist es bei bekannteren – oftmals gehörten - Sonaten lediglich auffälliger, weil man sie eben besser kennt? – Ich weiß es nicht.
    Ich habe mir fürs erste die Aufnahme mit Alfred Brendel* herausgesucht: Er ist ein anerkannter Beethoven-Interpret unsere Tage und war bis vor kurzem noch aktiv.
    In der Tat ist Brendels Aufnahme sehr ausgewogen, sie bietet allerdings eine kleine Überraschung. Der erste Satz wird nicht extrem langsam oder extrem leise begonnen, was nur im Vergleich mit Alternativaufnahmen zu bemerken ist. Das mindert ein wenig die dynamischen Kontraste, obwohl – und das war für mich eine Überraschung – er im 2. Satz energischer spielt als ich es von ihm erwartet hätte, Der „galoppierende“ Teil dieses Satzes ist indes elegant gezähmt. Der dritte Satz –souverän – wie nicht anders zu erwarten – und im üblichen Zeitrahmen, wogegen der vierte gegenüber den von mir zum Vergleich herangezogenen Aufnahmen doch langsamer ist, Brendel kostet die Reminiszenz an das Thema des 3, Satzes aus, Zu erwähnen wäre noch die Geschlossenheit der Wiedergabe, der oft federnde Charakter und die Kunst wie Brendel den Flügel zum Singen bringt........


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum


    *)Aufnahme 4/1993 DDD - Reitstadel, Neumarkt

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bei den "frühen" Beethovensonaten kann man mehrere Phasen oder "Wellen" unterscheiden. Ungeachtet der vielfältigen Unterschiede zwischen den Werken beginnt Beethoven mit vier viersätzigen "großen" Sonaten in regulärer Satzfolge. "Traditionell" kann man das kaum nennen, da zB Haydns und Mozarts Sonaten weit knapper gehalten und meistens dreisätzig sind, aber es ist naheliegend, dass Beethoven hier ein Modell für die Gattung analog zu der viersätzigen großen Sinfonie etablieren wollte. Von den nächsten dreien, op.10 sind die ersten beiden dreisätzig und auch sonst erheblich knapper gehalten, während op.10/3 eine Synthese der konzentrierten Schreibweise der Kopfsätze von op.2/1 und op.10/1 und der Weiträumigkeit von op.2/3 und op.7 zu finden scheint. Es folgt dann wieder eine einzelne "Grande Sonate", die Pathetique, dann aber zwei im Ausdruck zurückgenommene, eher lyrische feinsinnige Stücke in op.14 und, vielleicht mit der 1. Sinfonie und den Quartetten op.18 "abschließend" wieder eine brillant-virtuose viersätzige Grande Sonate.
    Von einem "neuen Weg" hat Beethoven bekanntlich im Kontext der Sonaten op.31 (und wohl auch der gleichzeitigen Violinsonaten op.30) gesprochen. Unverkennbar beschreiten aber schon die drei sehr ungewöhnlich aufgebauten Sonaten opp. 26 und 27 einen solchen, selbst wenn er Beethoven als eine "Sackgasse" erschienen sein mag, denn danach findet sich wieder eine viersätzige, umfangreiche und einzeln publizierte "Grande Sonate". Interessanterweise ist das dann aber auch mit Ausnahme von op.106 die letzte "traditionell viersätzige", denn op.31/3 mit Scherzo statt langsamem Satz dürfte man kaum traditionell nennen wollen.


    Wie schon angedeutet, ist vorliegendes Werk sowohl mit Abstand das am seltensten gespielte und am wenigsten bekannte aus opp.26 u. 27 als auch vielleicht das ungewöhnlichste. Vermutlich lässt sich die Frage kaum beantworten, wieviele und welche Elemente des freien Fantasierens, für das Beethoven berühmt gewesen ist, in diesen Sonaten finden. Aber vielleicht ist der Anfang dieser Sonate relativ nahe dran. (Bei den anderen Sätzen halte ich es eher für unwahrscheinlich, dass sie allzuviel mit freiem Fantasieren zu tun haben.)
    Wie die beiden Nachbarsonaten (oder auch opp.77 und 80) beginnt es in langsamen Tempo, plausibel, da auch beim freien Fantasieren sicher Steigerungen in Tempo und Virtuosität häufig waren.) Allerdings wird dieser sehr schlichte Beginn (von einer echten Melodie mag man kaum reden) auch nur recht spartanisch angereichert, alles bleibt sehr ruhig, bis dann überraschend der kurze schnelle Mittelteil hereinplatzt. Auch das könnte durchaus zu Berichten über Beethovensche Improvisationen passen. Insgesamt dürfte der Satz aber für den, der Beethovens Kunst, aus "nichts" etwas zu machen, erwartete, etwas enttäuschend sein. Zwar ist das Material nahe an "nichts", aber allzu viel wird auch nicht draus gemacht. Es hängt dann an der Kunst des Pianisten, zum einen eine etwas "verträumte" Stimmung zu erzeugen als auch durch Klangfarben usw. Langeweile zu vermeiden und alles dennoch "spontan" wirken zu lassen.
    Das folgende Scherzo ist sehr knapp, aber für mich nicht so verschieden von anderen frühen Beethoven-Scherzos. Die Reduktion des langsamen Satzes auf eine ausgedehnte Ein/Überleitung findet sich hier zum ersten Mal, ein Modell, das Beethoven in großformatigen Werken wie der Waldsteinsonate, den Cellosonaten und späten Klaviersonaten wieder aufgreifen sollte, ebenso das kurze Wiederauftauchen das adagios.

    Struck by the sounds before the sun,
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Die Reduktion des langsamen Satzes auf eine ausgedehnte Ein/Überleitung findet sich hier zum ersten Mal, ein Modell, das Beethoven in großformatigen Werken wie der Waldsteinsonate, den Cellosonaten und späten Klaviersonaten wieder aufgreifen sollte, ebenso das kurze Wiederauftauchen das adagios.


    Was ich aber schon sehr seltsam finde, ist, dass bei Wiederkehr des Adagios kurz vor Ende des Schlussatzes "Tempo I" steht. Diese Angabe gibt nur im Rahmen eines Satzes einen Sinn. Zudem ist der Adagiosatz in As-Dur und der Schlusssatz in Es-Dur. Ein bisschen frotzeln wollte Beethoven hier seine Kollegen schon, denke ich...

  • Ich hatte mein Notebook und etliche CD's mit zur Chorreise nach Österreich (Bregenz) genommen, weil mir WLan-Anschluss zugesichert wurde. Es klappte aber dann doch nicht, weshalb ich auch nicht in meiner Sonatenbetrachtung fortfahren konnte, denn ich bin mit der Waldstein ja noch nicht durch. Aber ich werde mich selbstverständlich auch schon an die Vorstellung meiner Exemplare des Opus 27 Ne. 1 begeben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich hatte mein Notebook und etliche CD's mit zur Chorreise nach Österreich (Bregenz) genommen, weil mir WLan-Anschluss zugesichert wurde. Es klappte aber dann doch nicht, weshalb ich auch nicht in meiner Sonatenbetrachtung fortfahren konnte, denn ich bin mit der Waldstein ja noch nicht durch. Aber ich werde mich selbstverständlich auch schon an die Vorstellung meiner Exemplare des Opus 27 Ne. 1 begeben.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    Das hatte ich mir schon gedacht, dass Du die op. 27/1 nicht durch die Lappen gehen lassen würdest! Ich habe irgendwo gelesen, dass sie zu Deinen Lieblingsonaten zählt.

  • Ich werde mich auch nach Kräften bemühen, noch Nachträge zur Waldsteinsonate zu machen (Brendel steht bei mir noch aus) und mich dann 27/1 widmen, in den letzten Wochen fehlte leider ein wenig die Zeit :(
    Aber im nächsten Wochenende sollte es besser werden.
    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich werde mir keine Beethoven-Sonate durch die Lappen gehen lassen, lieber Felix, aber ich glaube, du hast gelesen, dass die Sonate Nr. 27 zu meinen Lieblingssonaten zählt, aber streng genommen gehören irgendwie alle Beethoven-Sonaten zu meinen Lieblingssonaten, zumal diese Wahnsinnssonate in Es-dur mit dem berückenden einleitenden Andante, dem dann überraschenderweise in moll folgenden Allegro molto e vivace und dann wirklich einem meiner absoluten Lieblingssätze, diesem beinahe schon jenseitigen Adagio mit enormer emotionaler Tiefe, bevor Beethoven ebenso wie Mozart in seinen beiden Es-dur-Konzerten Nr. 9 KV 271und Nr. 22 KV 482 ebenfalls in diesem Werk in den Finalsatz ein Adagio einbettet, nur dass Beethoven im Gegensatz zu Mozart das Thema aus dem dritten Satz noch einmal verwendet. Die gleiche Tonart Es-dur: Zufall?
    Ich habe zur Einstimmung mal die Einspielung von Wilhelm Kempff gehört. Das ist ja per Partitur gar nicht so einfach nachzuverfolgen, kein Wunder bei diesen vielen neuen Einfällen und Formen, die in der Tat, ebenso wie die op. 26 ihrer Zeit voraus sind. Ich werde die Kempff-Einspielung natürlich noch etwas genauer unter die Lupe nehmen. Sie gefällt mir aber gut.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Was ich aber schon sehr seltsam finde, ist, dass bei Wiederkehr des Adagios kurz vor Ende des Schlussatzes "Tempo I" steht. Diese Angabe gibt nur im Rahmen eines Satzes einen Sinn. Zudem ist der Adagiosatz in As-Dur und der Schlusssatz in Es-Dur.


    Das Adagio ist quasi von der Tonart her ein Einzel-Satz, das "Tempo I" deutet vielleicht an, dass es doch "nur" eine Einleitung ist.
    (Wobei in meiner Ausgabe bei der Wiederkehr des Themas des vorhergehenden Satzes im Finale der 5. Sinfonie auch einfach "Tempo I" steht, das bezieht sich anscheinend auch dann auf die vorletzte Tempo-Angabe, wenn inzwischen ein neuer Satz, zumal in beiden Fällen ohne Pause, begonnen hat.)
    Ich wollte keineswegs herunterspielen wie ungewöhnlich die Sonate ist, "quasi una fantasia" eben und mit den unterschiedlichen Abschnitten erheblich ungewöhnlicher als op.27/2. In einem schnellen Satz wiederkehrende langsame Abschnitte findet man vorher ja schon in der Pathetique.
    Dass der Kopfsatz schon langsam ist, könnte auch ein Grund für die Reduktion des Adagios auf eine Einleitung sein, mehr wohl aber der Fantasia-Charakter des Werks.
    Willy weist zurecht darauf hin, dass ein Moll-Scherzo auch eher ungewöhnlich ist.

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1, „Sonata quasi una Fantasia“
    Wilhelm Kempff, Klavier
    AD: Januar 1965
    Spielzeiten: 4:15-2:12-2:34-5:37 – 14:38 min.;


    Diese außergewöhnliche Sonate, die ihren Beinamen sicherlich zu Recht trägt, entspricht eigentlich nicht der Form einer gewöhnlichen Sonate (siehe Alfred Brendel: „Über Musik“, S. 71).
    Weil der Aufbau so ungewöhnlich ist, habe ich mich entschlossen zunächst aufzuschreiben, was mir in dieser Hinsicht aufgefallen ist.
    Ungewöhnlich ist schon der Beginn im Andante, in dem die Takte 1 bis 4 und 5 bis 8 wiederholt werden. In den Takten 9 bis 12, die ebenfalls wiederholt werden, wird das Thema praktisch zum ersten Mal variiert, ebenso in den Takten 13 bis 16, einer neuerlichen Variation.
    In den Takten 21 bis 24 wird das Thema aus den Takten 1 bis 4 original wiederholt, dann jedoch in den Takten 25 bis 28, 29 bis 32 und 33 bis 36 in einer jeweils neuen kunstvollen Variation präsentiert. Welch eine ungewöhnliche Satzanlage.
    Doch dann kommt der Hammer: mitten im (langsamen) Satz folgt nun ein virtuoses Allegro, wobei auch hier das Prinzip der Wiederholung angelegt ist, nur kehrt Beethoven hier sein „Prinzip der Verkürzung“ (siehe Alfred Brendel: „Über Musik“, S. 69 bis 96) um: während er im Andante immer viertaktige Wiederholungen komponierte, sind es hier im Allegro die Takte 37 bis 44 (8Takte), die wiederholt werden, und die Takte 45 bis 52 werden in den Takten 53 bis 56 original und in den weiteren Takten mit Halbton-Rückungen leicht abgewandelt und in den letzten Takten zum Übergang in Tempo I (Andante) geführt:
    Wer aber gedacht hätte, nun würde das Andante originalgetreu wiederholt, der hat sich verrechnet. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Beethoven an solchen „Irrtümern“ seine diebische Freude gehabt haben mag. Nun wiederholt er nämlich die Takte 63 bis 66 in den Takten 67 bis 70, indem er die Dreierfiguren des Hauptthemas von der rechten in die linke Hand legt und deren Läufe in die rechte Hand. Genasuso verfährt er mit den nächsten beiden Viertaktgruppen: Wiederholung mit „getauschten“ Händen und führt den Satz mit auspendelnden Zweierfiguren im Pianissimo mit wunderschönen Synkopen zu Ende.
    Im zweiten Satz, einem leicht melancholisch anmutenden Allegro molto e vivace in c-moll, greift Beethoven noch weiter aus und wiederholt im ersten Abschnitt die Takte 1 bis 16 und im zweiten Abschnitt die Takte 18 bis 41, also 24 Takte. Ersteigert also die Verlängerung noch. Und schon kommt in den Takten 42 bis 55 etwas ganz Neues, ein 14-taktiger galoppartiger Abschnitt, der ebenfalls wiederholt wird, desgleichen der Abschnitt von Takt 55 bis 73, der praktisch auch eine Variation des voraufgegangenen Abschnittes darstellt und der dann in eine Art Reprise mündet, die dann ab dem „sempre ligato“ in Takt 89 wieder etwas variiert wird, bis dieser nur gut 2 Minuten lange und 140 Takte zählende merkwürdige Satz ab dem Forte in Takt 125 mit einer Reihe von Sforzando-Schlägen beendet wird und attaca in einen der schönsten langsamen Sätze Beethovens mündet, das
    Adagio con espressione im ¾ -Takt, das mit vielfältigen dynamischen Vorschriften versehen ist und wunderschönen Legatobögen, besonders in dem Abschnitt, wo die linke Hand mit den Synkopen zusammen mit der rechten Hand das Ganze von innen heraus zum Schwingen bringt und wo uns zum ersten Mal in der Betrachtung der Beethoven-Sonaten 1/128-Noten begegnen. Attacca geht es dann zum
    Allegro vivace, in dem das Thema zunächst von der linken Hand vorgetragen und dann von der rechten übernommen wird. Schon wird es von einem schönen Seitenthema abgelöst (ab Takt 36) mit etlichen Sforzandi, vor allem von Takt 57 bis 61, bis dann dieser originelle Abschnitt von Takt 62 bis 73 folgt, bis sich ab Takt 74 die Vierer-Figuren in Zweier-Oktav-Figuren ändern, was aber auch nicht von langer Dauer ist. Ständig ändert sich das musikalischen Geschehen. Ab Takt 111 wird das Hauptthema wiederholt. Nach einem durchführungsartigen Teil 165 bis Takt 192 die Vierer-Oktav-Figuren in den Achteln der rechten Hand, wieder etwas Neues, bevor ab Takt 193 zunächst in der linken, dann in der rechten Hand das Hauptthema wiederholt wird. Ab Takt 234 werden dann die Figuren wiederholt, die uns schon in Takt 62 bis 73 begegnet sind, nur sind es dieses Mal war auch zwölf Takte, bis die Vierer-Achtel in der linken Hand sich in die Zweier-Oktav-Achtel verwandeln, aber in Takt 4 (233) ändert sich die Notierung vom Bassschlüssel in den Violinschlüssel, wodurch das „b“ eine Oktav angehoben wird. (Bei dieser Partitur bleibt mir doch manchmal der Mund vor Staunen offen). Ab Takt 276 mit dem Crescendo nach ff hin (Kempff spielt hier ein Ritartando), vielleicht um auf das nahende Adagio hinzuweisen?), das hier ab Takt 282 folgt, aber nun in einer anderen, der Haupttonart einsetzt, aber im achten Takt (Takt 289) ab dem sfp in einem wieder in 128tel notierten Triller, nach der p-Achtel von drei Sforzandi abgelöst, bevor es attacca ab Takt 292 in eine Presto-Coda geht, die auch wieder höchst originell ist (das hatten wir doch schon einmal!?)


    So gut ich konnte, habe ich das Spiel Wilhelm Kempffs verfolgt und meine, dass er großenteils die dynamischen Vorschriften beachtet hat, wobei er sich auch manchmal (s.o.) temporale Freiheiten herausgenommen hat, aber hauptsächlich das Ziel hatte, das Fantasievolle dieses Stückes umzusetzen, und ich finde, das ist ihm sehr gut gelungen. Man kann sich bei seinem Vortrag in die Musik fallen lassen.
    Da ich es für mich für wichtig hielt, die Sonate einmal von Gehalt und Gestalt her zu sehen, werden meine kommenden Beiträge natürlich wesentlich kürzer sein.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Nachdem William B. A. das Werk so schön hier vorgestellt hat (vielen Dank dafür!) habe ich heute einmal angefangen, meine Aufnahmen 27/ 1 zu hören (Brendel 1970er, Brendel 1990er, Pollini). Ich beginne nicht mit Brendel, sondern mit der zuletzt gehörten Pollini Aufnahe, die ich grade noch im Ohr habe.



    Label: DGG 1991 (DDD)


    Die Spielzeiten: 5'00; 1'54; 2'54; 5'19 = 15'07


    Pollini wählt im ersten Satz einen zügigen Ansatz, der demjenigen Guldas oder Buchbinders vergleichbar ist, in den übrigen Sätzen jedoch ein wenig langsamer (einzig im dritten Satz deutlich langsamer). Pollini spielt diese Sonate "quasi una fantasia" mit sehr viel Rücksicht auf die dynamischen Vorgaben. Der erste Satz (Andante – Allegro – Tempo I) ist klangschön vorgetragen, aber ich habe eben auch nichts gefunden, was mir besonders gut gefallen würde: die Klangfarben sind mir zu einheitlich und wollen keine echte Fantasiestimmung aufkommen lassen. Klangschön perlt auch das folgende Allegro dahin, das zunächst in Legatobögen entfaltet wird, doch werden die Bögen dann durch scharf vorgetragene Attacken unterbrochen, in denen Pollini richtig zupackt: dadurch entstehen spannungsreiche Kontraste: hier nutzt Polin die Gestaltungsmöglichkeiten aus. Das Adagio ist erneut nicht so mein Geschmack, man kann Pollini wirklich nichts vorwerfen (es ist ist sauber gespielt, keine Frage), aber ich nehme der Einspielung nicht das doch so wichtige con espressione ab. Um den Fantasiecharakter herauszustellen hätte ich mir hier wieder mehr Gestaltung gewünscht. Das abschließende Allegro gefällt mir wieder ausnehmend gut. Zwar hätten die sforzandi zu Beginn (Takte 5-33) ruhig noch etwas ausgeprägter sein können, doch wird die Dynamik später erhöht und v. a. ab Takt 124 wird ein regelrechtes Rauschen entfaltet. Auch wenn ich ein bekennender Pollini Anhänger bin und er sehr gute Beethoven Sonaten eingespielt hat, kann mich diese Einspielung leider nicht so ganz überzeugen. Aber wem gelänge es schon, alle Beethoven Sonaten auf einem gleich hohen Niveau einzuspielen und damit auch noch das Hörempfinden aller zu treffen?
    Mit besten Grüßen
    JLang

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  • Ich melde mich heute nur mal über das IPhone. Ab dem 30. 10. werde ich wieder online sein. Aber ich habe gerade gesehen, dass die Beethoven-Sonaten-Threads zur Zeit ja gerade nicht überlaufen. Viele Grüsse Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 „quasi una fantasia“
    Emil Gilels, Klavier
    AD: 9/1980
    Spielzeiten: 5:50-1:40-3:11-5:35 – 16:16 min.;


    Gilels legt das Andante in moderatem Tempo an, im Gegensatz zu manch anderem, z. B. Gulda, der 5:03 min. braucht und Backhaus, gar nur 4:51 min. Bei seiner unvergleichlichen Kunst ist das jedoch gleichwohl sehr spannungsreich musiziert. Es ist ja schon verschiedentlich gesagt worden, dass die normale Sonatensatzform ja hier praktisch nicht mehr gilt, und so werden auch die Takte 1-4, 5-8 und 9-12 sowie 13-16 wiederholt, was in den voraufgegangenen 12 Sonaten im Kopfsatz nicht der Fall war. Dabei variiert Beethoven in der letzten Wiederholung sogar schon mit den Trillern.
    Ich war ja schon in der Besprechung der Interpretation Kempffs näher darauf eingegangen.
    Bei Gilels fließt das Ganze organisch unter Beachtung der dynamischen Vortragszeichen, auch im weiteren Fortschreiten, wobei ein wunderschöner Legatobogen vom nächsten abgelöst wird.
    Der Wechsel zum 6/8-Allegro, das Gilels sehr rasch nimmt, wirkt bei ihm wie eine Eruption und dauert praktisch unvermindert an, bis das jenseitige Andante wieder anhebt, wobei dieses Mal der musikalische Fortschritt im Wechsel der Hände auch wie selbstverständlich daherkommt. Wunderbar auch dargeboten der letzte Legstobogen in Takt 77 und 78 und dir letzten 7 Takte mit den Oktavsprüngen auf es in der linken Hand, dreimal nach der rechten Hand, zweimal synkopisch mit ihr abwechselnd und dann in den nächsten beiden Takten dann wieder nach der rechten Hand. Das erinnert an das von Brendel dargestellte Prinzip der Abkürzung. Grandios auch der Schlusstakt mit dem ppp hingetupften Akkord auf den Ganzen und der abschließenden ¾ -Note.
    Rascher als seine hier schon erwähnten Kollegen Backhaus (2:08) und auch Gulda (1:50) nimmt Gilels das Allegro molto e vivace (1:40), was den Kontrast zwischen den beiden Sätzen natürlich erheblich vergrößert. Ähnlich macht es ja heute auch Korstick der die langsamen Sätze ebenfalls langsam und die schnellen ebenfalls schnell spielt. Dazu steht dieser Satz ebenso wie das in das Andante eingebettete Allegro (6/8) im Dreiertakt (3/4 ). Mir gefällt hier dieses rasche Tempo Gilels‘ über die Maßen. Ob mir dieser Satz in Backhaus‘ Interpretation auch gefällt, wird sich zeigen.
    Dann das Adagio con espressione, schon der Auftakt grandios, wahrhaftig ein Adagio. Er spielt das erheblich langsamer als Backhaus (2:12) und auch als Gulda (2.31) und sogar als Kempff (2:37), und er malt hier ein musikalisches Gemälde von erschütternder Schönheit, das ihn (und uns) davon überzeugt sein lässt, dass es sich hier um eine wahrhaft große Sonate handelt, auch wenn sie ja eigentlich mehr eine Fantasie ist.
    Das Finale spielt sich weiter auf diesem (turm)hohen interpretatorischen Niveau ab mit Höchstschwierigkeiten in den Vierer-Sechzehntel-Figuren, die fast bis zum Ende (Takt 279) durchlaufen, entweder in der linken oder in der rechten Hand, ein Fest für die Sinne, dann nach dieser fast vierminütigen Hatz- die (kurze) Rückkehr zu dem elysischen Adagio-Thema aus dem dritten Satz, die in die kurze Presto-Coda einmündet.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Goulds Interpretation ist eine seiner letzten Beethoven-Aufnahmen und von einer sehr eigenen Skurrilität. Wie schon gesagt, sind alle Tempi (außer dem Mittelteil des ersten und dem zweiten Satz) langsam bis extrem langsam. Im Andante nimmt Gould etwa das halbe Tempo von zügigeren Interpretationen. Dazu seine sehr spezielle Artikulation, die legato weitgehend vermeidet und die Nebenstimmen (mögen es auch "triviale" Begleitfiguren sein) sehr selbständig hervorhebt. Spontan-fantasieartig wirkt das freilich nicht, aber es ist definitiv anders, ohne wie eine Parodie o.ä. zu wirken. Besonders das Finale wirkt durchaus energisch, ungeachtet des langsamen Tempos, weil Gould die Begleitung so spielt als handele sich um einen Kontrapunkt zum Hauptthema.

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es dur op. 27, Nr. 1 „Quasi una fantasia“
    Glenn Gould, Klavier
    AD: 9/1979
    Spielzeiten: 7:52-2:01-3:47-7:19 -- 20:59 min.;


    Angeregt durch Johannes‘ Posting, habe ich sofort meine entsprechende Gould-CD herausgelegt und in den Player geschoben.
    In der Tat wählt Gould hier ein langsames Tempo, das aber schon mit Andante überschrieben ist, und ich bin hier ebenfalls der Meinung, dass das zwar ungewöhnlich ist, aber, etwa im Gegensatz zum Kopfsatz von Mozarts A-dur-Sonate KV 331, den er wohl in voller Absicht „verhunzt“ hat und was ich ihm heute noch übel nehme, hier durchaus nachvollziehbar ist.
    Was aber viel auffälliger ist, dass Gould hier in der Tat, wie auch Johannes sagt, „weitgehend Legato vermeidet“, aber warum tut er dies? Mir wäre es ohne Johannes‘ Posting gar nicht aufgefallen, aber in der Tat steht es ja, was die jeweils beiden eingänglichen Viertel betrifft, so in den Noten drin: Staccato. Und das zieht er hier „gnadenlos“ durch, quasi nach dem Motto: Wo staccato drinsteht, muss auch staccato rauskommen. Allerdings klingen die Achtel-Akkorde in der Begleitung von Takt 9 -12 schon etwas sehr eigenartig. Dennoch spielt er die großen Legatobögen doch, und sein Anschlag, speziell in den leisen Regionen, ist superb. Seine Legatobögen in Takt in Takt 41/42, 49/50 und 57 bis 61 im Allegro-Mittelteil sind exzellent.
    Auch die Reprise ab Takt 63 ist, wie ich finde, ebenso wie das vorher Gehörte, von einem tiefen Ernst geprägt, und die letzten acht Takte geraten durch das nochmals gesenkte, eigentlich schon Adagio-Tempo, zu einer Wirkung ganz besonderer Art.
    Das ist jedenfalls alles sehr spannungsvoll musiziert.
    Übrigens bin ich nicht mit Johannes einer Meinung, dass das Andante nur halbes Tempo mit schnellen Varianten habe, der von mir hier angeführte Wilhelm Backhaus braucht immerhin auch 4:51 min., und da weiß ich noch nicht, wie das klingt, und Emil Gilels braucht immerhin 5:50 min., also nur 2 min. weniger.


    Im folgenden Allegro molto e vivace ist er sogar schneller als Wilhelm Backhaus, und das fließt nun doch ganz schön dahin, und die f-Schläge kommen kernig daher (Takt 13-16 und 36-39). Und der Galoppteil ab Takt 42 (bei Gould kein starker Galopp sondern ein „versammelter“ Galopp), gefällt mir ausnehmend gut, ebenso wie der ab Takt 72 wiederholte und ab Takt 101 variierte erste Teil.


    Das Adagio con espressione hat mich fast „vom Hocker gehauen. Durch das weitgehende Staccato in den Begleitfiguren erhält das Stück m.E. noch mehr Tiefe. Dieses Adagio lässt schon die Adagios von op. 106 und op. 111 vorausahnen. Einfach grandios!!


    Das abschließende Allegro vivace empfinde ich in dem etwas reduzierten Tempo ganz interessant. Es geht in eine andere Richtung, weg vom Virtuosen, hin zum Heiteren, Spielerischen, Humorvollen, alles auch Seiten von Beethovens (musikalischen) Charakter.
    Hier fällt auch wieder auf, wie genau Gould den Notentext umsetzt, wie er vom weitgehenden Staccato von einem Takt zum Anderen (148-149). Und noch eins: durch dieses etwas reduziertere Tempo: (Gould 7:19, Gilels 5:55) ist es dem Hörer auch besser möglich, den Notentext zu verfolgen. Und dann das wieder eingebettete Adagio- faszinierend!
    Und dann wird es in der Presto-Coda noch mal schnell und äußerst rhythmisch.


    Ich hätte nicht gedacht, dass ich Glenn Gould noch einmal in einer Besprechung so loben würde. Aber ich fürchte fast, dass das in der Schlusstrias wieder etwas anders aussehen wird.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 „Quasi una fantasia“
    Daniel Barenboim, Klavier
    AD: 1966-1969
    Spielzeiten: 5:45-2:14-3:05-5:33 – 16:37 min.;


    Ich lasse jetzt Daniel Barenboim mit in den Ring, da ich gestern seine GA aus den Jahren 1966-1969 erhalten habe. Frappierend ist sogleich beim Beginn des Kopfsatzes, wie zart und entspannt er das Thema speilt, im Falle dieser Sonate zugleich begünstigt durch einen warmen dunklen Klang des Instrumentes. Erstaunlich ist weiterhin, dass er dieses Werk so bereits in einem Alter von 28 Jahren darstellt. Jetzt wundert mich es nicht mehr, dass Arthur Rubinstein von ihm begeistert war, als er ihn das erste Mal traf und hörte. Selbstverständlich, dass er in seinem Dynamik-Verständnis dieser Partitur auch die Crescendi und Decrescendi moderat gestaltet. Interessant ist, dass er die jeweiligen Wiederholungen noch etwas zarter und leiser nimmt. Um so größer ist dann der Kontrast zum eingebetteten Allegro, in dem er „die Pranke“ herausholt, auch bei den Sforzandoschlägen ab Takt 43. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass er auch die Legatobögen mustergültig ausmusiziert.
    Elysisch dann auch der Satzschluss mit en Es-dur-Oktaven in der linken Hand.


    Überraschend nimmt Barenboim das Allegro molto e vivace langsamer als Gould und selbst als Backhaus, aber kein bisschen spannungloser. Im Gegenteil, hier erhöht er in den Forte-Schlägen noch seine dynamische Spannweite. Auch die Staccato-Viertel ab Takt 45 in der rechten Hand treten prägnant hervor.
    Im Schlussabschnitt dieses Satzes nimmt er dann das Tempo ab Takt 88 das Tempo merklich schneller, die Vorschriften „sempre ligato für die rechte Hand und „sempre staccato“ für die linke Hand, wie ich meine, genau beachtend.


    Das Adagio con espressione ist wiederum vom Feinsten, es gehört zu den Langsameren und Ausdrucksstarken. Gleichwohl ist es musiziert, als wenn eine jahrzehntelange Erfahrung dahinter steckte. Haben wir hier ein Wunderkind, dass sich von diesem Image nicht hat herunterziehen lassen, sondern sich kontinuierlich weiterentwickelt hat? Auf jeden Fall hat sich Barenboim in den 60ern noch hauptsächlich um das Klavierspielen gekümmert, das kann man hören.


    Auch im Finale passt er das Tempo den voraufgegangenen Sätzen an, wobei er auch hier das dynamische Spektrum ausnutzt. Die Stelle in Takt 106/107 spielt er frappierend die habe ich so noch nicht gehört. Auch im weiteren Gefolge spielt Barenboim auf hohem pianistischen Niveau diesen, wie ich finde, schwierigen Satz, ohne die Virtuosität herauszukehren.
    Das Tempo 1 spielt er dann ebenfalls wieder betörend und schließt den Satz mit einem flotten Presto ab.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Zitat

    William B.A.: (Posting Nr. 19: Hier fällt auch wieder auf, wie genau Gould den Notentext umsetzt, wie genau er vom weitgehenden Staccato von einem Takt zum Anderen (Takt 148-149).

    Hier habe ich den letzten Halbsatz vergessen. Richtig muss es heißen:
    "Hier fällt auch wieder auf, wie genau Gould den Notentext umsetzt, wie genau er vom weitgehenden Staccato von einem Takt zum Anderen (Takt 148-149) auf das Legato umschaltet".


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Lieber William B. A.,


    hab vielen Dank für Deine Vorstellung von Barenboims Ansatz. Ich habe diese EMI Einspielung nicht, nur einiges Späteres bei der DGG.


    Zitat William B. A.

    Zitat

    Erstaunlich ist weiterhin, dass er dieses Werk so bereits in einem Alter von 28 Jahren darstellt. Jetzt wundert mich es nicht mehr, dass Arthur Rubinstein von ihm begeistert war, als er ihn das erste Mal traf und hörte.


    Barenboim ist musikalisch gesehen sicher einer Ausnahmeerscheinung, er hat ein musikalisches Verständnis, das wohl seinesgleichen sucht. Mir scheint es fast, als habe er nach den großen Erfolgen in jungen Jahren dann etwas den Bezug zum Klavier verloren und erst seit kurzem wiederentdeckt. Die Zeit dazwischen fällt nach meinem Eindruck qualitativ etwas ab, hier schienen ihm seine Dirigate wichtiger gewesen zu sein.


    Mit herzlichem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Da hast du sicher Recht, lieber JLang. In den "Jahren dazwischen" hat er wohl wirklich zu viel gemacht und konnte sich weniger mit dem Klavier beschäftigen. Auch jetzt ist er noch so stark beschäftigt, dass er, wie zu lesen war, sein Engagement als musikalischer Direktor der Mailänder Scala schon im nächsten Jahr vorzeitig beenden will. Dort soll Riccardo Chailly sein Nachfolger werden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 in Es-dur op. 27 Nr. 1, „Quasi una fantasia“
    Michael Korstick, Klavier
    AD: Juli 2007
    Spielzeiten: 5:27-1:43-3:15-5:26 – 15:51


    Michael Korstick beginnt den Kopfsatz in gewohnt schlüssigem Tempo, sein Instrument produziert einen klaren, aber warmen Ton und einem wahren pp. So erzeugt er in Takt 5 bis 7 ein veritables Crescendo, desgleichen in Takt 13 bis 15. Auch in der Wiederholung in Takt 21 bis 24, die ja in den jeweils nächsten vier Takten variiert wird. Bei einem derart klaren Spiel, gepaart mit einem sehr guten Klang, kann man natürlich die sich leicht verändernden Strukturen besonders gut verfolgen.
    Im Allegroteil forciert Korstick merklich und mit der ihm eigenen Virtuosität und dehnt auch die dynamische Spannweite erheblich aus.
    Auch die, wenn man so will, Reprise musiziert er mustergültig vom pp bis zum f, ganz ruhig und verhalten. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass er auch die Legatobögen ausgezeichnet gestaltet.


    Die Satzbezeichnung Allegro molto e vivace nimmt er, wie es ihm eigen ist, wörtlich und musiziert diesen Satz ebenso schnell wie Emil Gilels, technisch souverän mit vehementen jeweils vier Forte-Schlägen. Die galoppartige Sequenz ab Takt 42 stellt dann auch im Gegensatz zu Barenboims „versammeltem“ Galopp eher einen „starken“ Galopp dar. Auch die Wiederholung dieses vorwärts drängenden Hauptthemas, die wiederum variiert wird, wirbelt im parallelen Legato und Staccato der rechten und linken Hand vom p in Takt 105 über das f in Takt 125 bis zum ff ab Takt 132 bis zum Ende.
    Das Adagio con espressione ist natürlich auch und gerade bei dem „Adagio“-Experten Michael Korstick ein besonderes Erlebnis. Er steigt tief in den pp-Keller, beschreitet aber auch die Crescendo-Treppe energisch, um dann wieder ganz organisch fließend die Gegenbewegung auszuführen.


    Auch das Finale ist eine wahre Pracht. Schwierigkeiten gibt es für Korstick nicht. Er kann sich ganz auf die Musik konzentrieren und tut dies auch. Ganz beiläufig wechselt er, wie Barenboim, ab Takt 147 in der rechten Hand vom Legato ins Stakkato und bringt souverän und rasch die lange Strecke bis zu einem Crescendo un leichten Ritartando zum Takt 221, in dem dann kurz das Adagio wieder erklingt, wieder Ruhe und Entspannung, dann von einem knackigen, wirbelnden Presto-Coda abgelöst.



    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 „Quasi una fantasia“
    Friedrich Gulda, Klavier
    AD: 1967
    Spielzeiten: 5:03-1:50-2:30-4:56 – 14:19


    Friedrich Gulda nimmt diese Sonate schneller als alle bisher von mir besprochenen Pianisten. Besonders krass fällt der temporale Vergleich mit der Aufnahme Goulds auf.
    Im Andante fällt dennoch auf, dass die ruhige, abgekärte Art, mit der Gulda musiziert, diees „Mehr“ an Tempo gut kompensiert, dass er auf der Basis eines veritablen pp und gemäßigter Crescendi die Fantasie des Zuhörers anspricht.
    Ebenso verhält es sich mit der Wiederholung der „Exposition“, die ja in sich schon eine Variation darstellt, auch hier eine ruhige Gangart und keine extreme Dynamikspannweite.
    Selbst das eingebettete Allegro ab Takt 37 mit den sehr schön musizierten Legatobögen ab Takt 41, 49 und 57 ist sehr gut in dieses Zeit- und Dynamik-Gefüge integriert, ebenso sind die Sforzando-Schläge moderat.
    Auch das wiederkehrende Tempo I bietet keine großen Überraschungen, höchstens etwas kernigere Sforzando-Schläge. In sich klingt dieser Satz sehr überzeugend. Man kann es tatsächlich auch so spielen. Bemerkenswert ist auch, dass der Flügel in den Tiefen sehr dunkel und weich klingt, was aber der Stimmung einer Fantasie nur entgegenkommt.
    Im Allegro molto e vivace ändert sich allerdings die Stimmung erheblich. Die Forte-Schläge am Ende jeder Phrase klingen nun doch sehr stark und scharf, sowohl im ersten Abschnitt von Takt 1 -16 + Wh. Als auch im zweiten Abschnitt von Takt 18 – 40 + Wh. Allerdings ist der galoppartige Teil ab Takt 42 dynamisch wieder etwas zurückgenommen, das Crescendo sollte eigentlich bis zum ff in Takt 50 gehen, tut es aber m. E. nicht, sondern höchstens bis f. Nach wie vor gestaltet Gulda jedoch die p- und pp-Stellen vorbildlich. In der wiederum variierten Wiederholung ab Takt 74 kommen jedoch wieder die hammerartigen f- (ff-)schläge. Auch das zeitgleiche sempre ligato (in der rechten Hand) und sempre staccato (in der linken Hand) gelingen m. E. hervorragend bis hin zum dieses Mal doch in FF endenden Schlussbogen.
    Das Adagio con espressione ist zwar mit sehr viel Ausdruck gespielt, ist mir aber etwas zu schnell. Es ist m. E. eher ein Andante con espressione. Er hat also den einen Teil der Satzbezeichnung sehr gut ausgeführt, den anderen Teil m. E. nicht. Allerdings gefält mir das wiederum parallele Legatospiel (rechts) und Staccatospiel (links) sehr gut. Ab Takt 17 geht es mir dann wieder zu schnell.


    Im Finale, das er schneller gestaltet als Korstick, Barenboim oder gar Backhaus, (der diese Sonate erst zwei Jahre nach Gulda aufnahm), spielt er sehr dynamisch und souverän, vor allem die schwierigen zwei Vierer-Sechzehntel in der rechten Hand, denen parallel eine Viererachtel gegenübersteht, teilweise beide im Violinschlüssel, gelingen ihm, wie ich meine, hervorragend. Wer das so spielen kann, der kann das auch so schnell spielen. Natürlich macht das eingebettete „Adagio“ in diesem Zeitmanagement hier jetzt einen Sinn. Allerdings ist der Gegensatz längst nicht so groß wie bei anderen Pianisten (z. B. Korstick, Gilels oder gar Gould). Natürlich ist die Presto-Coda dann ein Zuckerl speziell Guldascher Art.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 „Quasi una fantasia“
    Wilhelm Backhaus, Klavier
    AD: April 1969
    Spielzeiten: 4:51-2:08-2:12-5:19 – 14:30 min.;


    Wilhelm Backhaus nahm diese Sonate drei Monate vor seinem Tode auf, vielleicht ein Grund mit, warum die dynamische und die temporale Ausgestaltung dieses Satzes zumindest fragwürdig erscheinen.
    Vom ersten Takt an scheint mir der Vortrag zu laut, kein pp, hinzu kommt noch in den Takten 1 bis 4 und den entsprechenden Wiederholungen ein im Notentext nicht verzeichnetes und auch von den bisher von mir gehörten Pianisten nicht gespieltes Crescendo, so dass er in Takt 4 zwischen mp und mf herauskommt. In Takt 5, ebenfalls kein pp, crescendiert er schon auf der halben Note, obwohl das Crescendo erst ab Takt 6 vorgesehen ist.
    Ein weiteres Phänomen spielt sich in Takt 9 bis 12 (und Wh.) ab. Während er die Takte 9 und 10 erstaunlich langsam spielt, accelleriert er ab Takt 11. Auch diese Stell ist mi pp vorgeschrieben und hier zu laut. Auch in Takt 13 crescendiert er schon auf der zweiten Viertel und der nachfolgenden Dreiachtel, desgleichen in der Wiederholung in Takt 17.
    Das Gleiche gilt für die Abschnitte Takt 12-24 und 25 bis 28. Was ich für Takt 5 sagte, gilt auch für Takt 29. Lediglich der Abschnitt von Takt 33 bis26 scheint mir dynamisch einigermaßen korrekt wiedergegeben zu sein.
    Auch der Allegroteil scheint mir nicht frei von Fragezeichen. So halte ich die Takte 43 und 44 für zu laut, auch in der Wiederholung. Während in der Fortschreitung ab Takt 45 die ganze Passage m. E. akzeptabel sind, kann man am Legatospiel von Wilhelm Backhaus erkennen, dass er hier im Alter von 85 Jahren immer noch über ein gehöriges Maß an Technik verfügt, speziell den letzten Legatobogen von Takt 57 bis 61 halte ich für sehr gelungen, auch dynamisch.
    Für die Takte 63 bis 78 gilt das schon vorher Gesagte, wobei auch hier die Legatobögen gelungen sind. Ganz erstaunlich sind die abschließenden Takte 79 bis 86:
    Hier ist plötzlich ein veritables Pianissimo vorhanden, auch das Crescendo-Decrescendo in Takt 82-83 vorbildlich und das weitere Decrescendo ab Takt 84 bis zum ppp- traumhaft. Wie passt das zusammen?


    Auch im folgenden Allegro moderato crescendiert er, wenn auch nur leicht, vor den vier Forteschlägen. Aber hier ist das vorgeschriebene p beinahe leiser als im Kopfsatz das Pianissimo, und im Gegensatz zu dem von allen bisher gehörten Beispielen ist er in diesem Satz einer der Langsamsten, während er im Kopfsatz der Schnellste war. Allerding scheint mir im zweiten Abschnitt von Takt 18 bis 40 das Crescendo ab Takt 27 nun plötzlich zu wenig hervorzutreten.
    Der galoppartige Abschnitt gefällt mir ganz gut, mit deutlichen Staccato-Noten. Auch im weiteren Verlauf ist der Übergang von Staccato zu Legato (Takt 67) gelungen. Leider crescendiert er in der „Wiederholung“ des Hauptthemas ab Takt 72 wieder stärker, so dass die vier nachfolgenden Forteschläge wieder nicht so sehr ins Gewicht fallen. Das gilt auch für den weiteren Verlauf, so dass das Crescendo ab Takt 115 sich kaum noch entwickelt und man den Beginn der Forteschläge ab Takt 125 kaum merkt, die dann aber ab dieser Stelle gut kommen, desgleichen die Fortissimoschläge ab Takt 132 bis zum Schluss.


    Das Adagio gefiele mir ganz gut, wenn es eine Minute länger wäre. Es ist das Schnellste der bisher von mir gehörten, und so gerät mir das temporale Binnenverhältnis dieser Sätze immer rätselhafter.


    Der Schlusssatz scheint mir von allen bisher am gelungensten, wenngleich er pianistisch sicher der Schwierigste ist. Dynamisch nutzt er nun die Spannweite von ff bis zum pp voll aus, die pp-Figuren ab Takt 178 in der linken Hand kommen richtig, auch das nachfolgende Crescendo aus dem pp heraus. Auch die vielen Piano- und Sforzando-Wechsel, etwa ab Takt 217, kommen schön heraus. Warum er allerdings in Takt 282 zu Beginn der Adagio-Einbettung in der linken Hand einen Triller spielt, wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben. In den Noten steht er jedenfalls nicht. Vom erneut höheren Tempo einmal abgesehen, ist es , ebenso wie im dritten Satz, dynamisch in Ordnung, und in der Presto-Coda scheint sich Wilhelm Backhaus wieder in seinem Element zu befinden, obwohl die Sonate Nr. 13, ebenso wie die Sonate Nr. 3, Nr. 16. Nr. 22, Nr. 24 und Nr. 27 die letzten Werke gewesen zu sein scheinen, die er von Beethoven aufgenommen hat. Die Klavierkonzerte unter Schmidt-Isserstedt mit den WPho datieren jedenfalls aus den 50er Jahren.



    Liebe Grüße


    Willi :(

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 N3. 1 „Quasi una fantasia“
    Alfred Brendel, Klavier
    AD: 1962-64
    Spielzeiten: 4:26-2:00-3:12-6:06 – 15:44 min.;


    Wie man sich doch irren kann. Bis vorhin hatte ich noch geglaubt, dass Wilhelm Backhaus der Schnellste in meiner Sammlung im Kopfsatz dieser Sonate sei. Aber Alfred Brendel konnte es vor 50 Jahren noch eine knappe halbe Minute schneller. Aber das ist auch das Einzige, dass man negativ anmerken „könnte“, denn in der dynamischen Ausgestaltung ist das soeben gehörte in meinen Augen überragend, es erzeugt Gänsehaut, ein großartiges pp, organische Crescendi, die auf dem Sforzando bis zum f gehen, traumhafte Akkorde in der Begleitung von Takt 9 bis 12 Wiederholungen ab Takt 21 so fließend, natürlich und selbstverständlich, als wenn es nichts anderes gäbe.
    Auch im Allegroteil klassisches Ebenmaß, dynamisch wunderbar abgestuft, die Staccatoviertel in der rechten Hand perlen so dahin, der Legatobogen in Takt 41 und das p in Takt 42: wie schlüssig klingt das alles hier. Auch im weiteren Verlauf lässt er es fließen, auch dynamisch, und die Sforzandoschläge sind zwar kräftig, passen aber zum Ausgangs-Piano, ebenso wie der letzte große Bogen ab Takt 57, der, zunächst noch p, dann maßvoll ab Takt 59 nach f crescendiert,
    Auch das wiederholende Tempo I, so ein zartes, ergreifendes Spiel, in dem Brendel eher noch ppp als pp spielt, ich glaube nicht, dass ich das schon einmal in diesem Hörvergleich so überragend gehört habe. Wenn man Brendel z. B. in der Mondscheinsonate aus dieser GA konstatiert hat, er habe es mit den dynamischen Vorschriften nicht so genau genommen, dann ist hier das Gegenteil der Fall. Wenn man ihm früher nachgesagt hat, er habe den Flügel malträtiert, so „streichelt“ er ihn hier über weite Strecken.


    Das Allegro molto e vivace nimmt Brendel etwas schneller als z. B. Backhaus und Barenboim, aber etwas langsamer als Gilels und Korstick. Aber wiederum beginnt er auch im p auf einem niedrigen dynamischen Level, dementsprechend klingen auch die Forteschläge moderat. In dem galoppartigen Teil ab Takt 42 arbeitet Brendel die Staccatotöne gut heraus, die vor allem als hüpfende Zweier-Viertel ab Takt 58 nur kurz angerissen und dadurch rhythmisch noch prägnanter werden. Sehr schön gelingt auch hier ab Takt 67 der Wechsel vom Staccato ins Legato.
    Auch in der Wiederholung ab Takt 72 bleibt Brendel seiner dynamischen Ansicht treu, führt die beiden Hände ab Takt 89 im sempre ligato und sempre staaccato vorbildlich zusammen und bringt den Satzsouverän unter genauer Beachtung aller dynamischer Vorschriften zu Ende.


    Das Adagio con espressione ist phänomenal, die Takte 7 und 8 sind das Bewegendste, was ich aus den etlichen Adagios gehört habe, die ich bisher besprochen habe. Dieses Adagio ist das erste, bei dem mir Tränen der Bewegung kamen, auch das schreitende Crescendo-Decrescendo in Takt 12-16 ist sehr stark. Auch im letzten Takt nach dem subito fortepiano bringt er in dem letzten Bogen das ungeschrieben vorhandene Decrescendo noch bis zum pp.


    Auch im Finale spielt sich Atemberaubendes ab. Hier lässt er sich noch ein wenig mehr Zeit als Emi Gilels und geht über die dynamischen Vorschriften nach unten noch etwas hinaus. Ganz großartig, wie er in dem ohnehin schon pp ab Takt 62 in den jeweils zwei Vierer-Sechzehntel-Sexten in der rechten Hand und den Vierer-Achteln in der linken Hand die Lautstärke ab Takt 67 noch einmal decrescendiert in Richtung ppp und dies hält bis zum Takt 72, wo er aber auch nur moderat crescendiert. Brendel erweist sich in dieser Aufnahme als ein Meister der leisen Töne. Auch die zahlreich Sforzandi passen sich der niedrigen Ausgangslautstärke an. Dies ist ja keine h-moll-Sonate (obwohl er sie auch in seinem Repertoire hatte), sondern eine Fantasie-Sonate, und wenn wir ihre Schwester- Sonate „Mondschein“ betrachten, sehen wir in der Interpretation Brendels den inneren Zusammenhang. Im weiteren Verlauf ab Takt 80 hebt sich der dynamische Spiegel zwar, aber es bleibt trotz der zahlreichen Sforzandi im Rahmen.
    Wieder etwas weiter, etwa ab Takt 178, als die Achteloktaven in der rechten Hand im pp von taktübergreifenden Zweier-Achteln und Zweier-Achteln-Vierteln begleitet werden, wobei Brendel die Begleitfiguren in atembraubender Weise hintupft, m. E. wieder ppp. Wieder hebt sich die Dynamik moderat, und viel später, im Crescendo ab Takt 276 kratzt er dann am ff, das dann von der himmlischen Einbettung des Adagio-Hauptthemas abgelöst wird, das er nach dem absteigenden Sechzehntelbogen genial in die Presto-Coda „übergleiten“ lässt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 „Quasi una fantasia“
    Maurizio Pollini, Klavier
    AD: Juni 1988
    Spielzeiten: 5:00-1:55-2:54-5:29 – 15:18 min.,


    Pollini gehört mit seiner Einspielung aus München zu den Schnelleren im Lande, obwohl durch seine ruhige, entspannte Spielweise hier im Andante kein Eindruck von Hetze entsteht. Allerdings beginnt er, der das anfängliche pp nicht so leise bringt wie Brendel I und Barenboim, in Takt 5 schon auf der Halben in der rechten Hand und dem anschließenden Lauf in der linken Hand mit dem Crescendo, führt es dann bei dem etwas lauteren Beginn dann auch zu einem veritablen f.. Ansonsten spielt er die Legatobögen ab Takt 11 sehr schön. Verbunden mit kräftig aufwärts strebenden Legatobögen.
    Ab Takt 25 hebt er die Lautstärk etwas an, obwohl dort noch pp notiert ist, und in Takt 29 crescendiert er eindeutig zu früh.
    Im eingebetteten Allegro fühlt er sich ganz in seinem Element und packt kräftig zu und spielt das Ganze auch mindestens Allegro vivace. Das wiederkehrende Tempo I spielt er dann so, dass ich beim besten Willen nicht meckern kann, mit einem wundervollen Schlussbogen in Takt 77 und 78 sowie einem auch sehr überzeugenden Schluss in den Takten 79 - 86.


    Das anschließende Allegro vivace spielt er sehr zügig und mit kraftvollen Forteschlägen am Ende jedes Abschnitts. Auch der erste Teil des Galopps gerät als „starker Galopp“ sehr schwung- und kraftvoll., desgleichen der zweite Teil bis Takt 73. Auch der dritte Teil mit dem parallelen sempre ligato-Sempre staccato gelingt ihm ausgezeichnet.


    Das Adagio con Espressione spielt er ein Ideechen schneller, aber keineswegs weniger expressiv. Diese wunderschöne Decrescendo-Stelle in Takt 7 und 8 in der rechten Hand spielt er auch sehr ausdrucksvoll, so dass Gänsehaut aufkommt. Auch die anschließende Verbindung von Takt ab Takt 13 in der rechten Hand mit den synkopierenden Achteln in der linken Hand spielt er mustergültig, einschließlich des faszinierenden Schlussbogens mit den 1/132steln und dann in Takt 26 den Sechzehnteln.


    Das Allegro vivace spielt er von Anfang an mit großem Schwung und Souveränität. Er beachtet aber auch die vielen dynamischen Vorzeichen mit den vielen Sforzandi und Wechseln zwischen f und p bis hin zu ff, wie ich meine, hier sehr genau, so dass auch die dynamische Struktur deutlich zu Tage tritt, auch in der Wiederholung ab Takt 193, wo wieder variiert wird. Die Wiederholung des Adagios ist ebenso überzeugend wie das Adagio selbst und führt zur furiosen Presto-Coda.
    Abgesehen von den dynamischen Unstimmigkeiten im ersten Satz ist dies eine Interpretation , die in die erste Reihe gehört, zumal, wenn man von Pollini manchmal liest, dass er zu den zwar technisch exzellenten, aber emotional manchmal leicht unterkühlten Pianisten gehört. In dieser Einspielung kann man davon nichts merken.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 „Quasi una fantasia“
    Alfred Brendel, Klavier
    AD: Juni 1977
    Spielzeiten: 4:35-2:00-2:48-5:54 – 15:17 min.;


    Brendel nimmt 15 Jahre nach seiner ersten Aufnahme diese im Kopfsatz nur ganz geringfügig langsamer und im pp am Anfang des Themas etwas stärker. Ansonsten trifft das Meiste, was ich zu seiner ersten Aufnahme gesagt habe, auch auf diese zu, auch was das eingebettete Allegro und die Wiederholung in Thema I betrifft bis hin zum beinahe jenseitigen Schluss von Takt 79 bis 86.


    Im Allegro molto e vivace greift er dieses Mal, schon im ersten Teil (Takt 1 – 16) etwas kräftiger zu. Da gerät das p auch mal zum mp vor den Forteschlägen. Im zweiten Teil (Takt 18 bis 40) wird ja ab Takt 27 crescendiert, so dass er ab Takt 37 ein veritables Forte erreicht hat.
    Temporal ist er exakt genau so schnell wie in seiner ersten Aufnahme. Der Galoppteil ist recht zügig und die Wiederholung wieder in berückendem pp.
    In der Wiederholung des Hauptteils ab Takt 72 gilt im Wesentlichen das für die erste Aufnahme Gesagte, wiederum mit leicht angehobenem dynamischen Level.


    Für das Adagio con espressione gilt Wort für Wort das schon für die erste Aufnahme Gesagte: einfach überragend!!


    Auch das Finale ist durchaus in der Qualität vergleichbar mit dem aus der ersten Aufnahme. In dieser Aufnahme ist er geringfügig schneller als in der ersten. Gerade in einem solchen Satz stechen m. E. die pp-Passagen besonders heraus, wenn sie so konsequent gespielt werden wie von Brendel.
    Auch für das eingebettete Adagio und die Presto-Coda gilt das in der ersten Aufnahme Gesagte. Einziger Abstrich ist für mich das nicht so konsequente pp am Anfang des Kopfsatzes und ebenso das p im Allegro molto e vivace.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 „Quasi una fantasia“
    Alfredo Perl, Klavier
    AD: 1994/95
    Spielzeiten: 5:19-2:04-3:10-6:02 – 16:35 min.;


    Alfredo Perl nimmt den Kopfsatz langsamer als Brendel, aber schneller als Gilels. Auch er spielt wie Brendel ein berückendes pp, ebenso in der Wiederholung ab Takt 21, ebenfalls mit angemessenen Crescendi und Decrescendi.
    Die Allegro-Einbettung setzt sich temporal durch sein moderateres Andante-Tempo stärker ab, weil er das Allegro flott spielt. Sein Legatospiel ist ebenfalls vorbildlich, vor allem sein Schlussbogen ab Takt 57 hin zum f in Takt 61/62.
    Die „Wiederholung“ in Tempo I ist fast noch schöner als der Beginn. Auch er erweist sich hier als ein Meister der leisen Töne. (Vor)-name verpflichtet?


    Im Allegro molto e vivace geringfügig langsamer als Brendel, erreicht er in der dynamischen Ausgestaltung die erste Brendel-Aufnahme und übertrifft die zweite (weil leiser). Auf diese Weise kommen die Forte-Schläge stärker zum Tragen. Der erste Galoppteil ist hier ein „versammelter Galopp“ mit eindrucksvoll aufwärts strebenden Staccatovierteln im crescendo in Takt 45 – 49.Auch das pp im zweiten Teil ab Takt 55 bis zum Crescendo in Takt 66 ist vorbildlich. Auch der sempre ligato-sempre staccato-Teil ist sehr souverän und hier schiebt er das dynamische Level im Schlussbogen weit nach oben.


    Sein Adagio molto ist ebenfalls großartig und noch etwas mehr Adagio mit abermals feinsten dynamischen Abstufungen.


    Das Allegro vivace, noch ein Ideechen ausgedehnter als das Brendels und Gilels‘ steht wieder unter dem Eindruck der dynamischen Konsequenz, d. h. p ist p und f ist f. Vorbildlich die schnellen Wechsel p – f ab Takt 51 und dann die eindrucksvolle Sequenz b Takt 62 in p/pp und noch decrescendiert ab Takt 68 zu völligem pp bis zum langen Crescendo ab Takt 76, auch die Umschaltung auf Staccato in der rechten Hand ab Takt 86, alles selbstverständlich, ebenfalls in der Wiederholung ab Takt 113. In der ganzen Passage bleibt die Begleitung im p/pp. Die Achteloktaven ab Takt 165- großartig!
    In Takt 217/218 spielt er ganz überraschend ein kleines Ritartando, steht da zwar nicht, ist aber äußerst wirkungsvoll. Das Decrescendo in Takt 236 und das nachfolgende pp sind mustergültig musiziert, auch die Steigerung zum Übergang nach Takt 280/81.
    Tief beeindruckend wieder seine Adagio-Einbettung und die furios gespielte Presto-Coda!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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