Robert Simpson - Die Streichquartette

  • Der englische Komponist Robert Simpson (1921-1997) wird - wenn überhaupt - fast ausschließlich als Symphoniker wahrgenommen. An anderer Stelle hier im Forum gibt es bereits einen thread über ihn.


    Dass Robert Simpson auch Streichquartette geschrieben hat und zwar gleich 15 - somit allein vom zeitlichen Umfang her mehr Streichquartett- als symphonische Musik komponiert hat - wissen die wenigsten. Die Chance eines seiner Streichquartette in Deutschland im Konzert hören zu können, ist vermutlich gleich Null, es sei denn das Belcea-Quartetts führt mal eines im Repertoire. Das ist schade, denn ich bin überzeugt, dass Robert Simpson in diesem Genre Hervorragendes hinterlassen hat und dass er deshalb als Englands führender Komponist auf diesem Gebiet zu betrachten ist.


    Das Label Hyperion hat erfreulicherweise in den 90er Jahren alle Streichquartette aufgenommen, es sind allerdings nicht mehr alle im Handel. Zum Glück habe ich mir im Laufe der Zeit alle anschaffen können, so dass ich sie komplett habe. Darüber zu berichten, ist Ziel dieses Threads, des letzten den ich im Augenblick starten möchte.


    Das wird seine Zeit dauern, viele Quartette habe ich jahrelang nicht mehr gehört. Aber ich will diesen Thread auch nutzen, sie in ihrer Gesamtheit wiederzuentdecken.

  • Robert Simpson Streichquartettproduktion verteilt sich auf zwei Phasen: die erste in den frühen 50er Jahren resultierte in SQ 1-3, dann gab es beruflich bedingt eine gut 20-jährige Pause und von 1973-1991 entstanden in sehr regelmäßiger Folge SQ 4-15.
    Ausgangspunkt des Komponierens von Simpson sind die Quartette von Haydn und Beethoven. Ob er 1951 die Quartette der 2. Wiener Schule und von Bartok kannte, weiß ich nicht. Hören tut man davon jedenfalls nichts. Sein erstes Quartett orientiert sich ganz offensichtlich am späten Beethoven, d.h. es ist tonal und von der Tonsprache kaum moderner als die zukunftsweisenden letzten Werke des Meisters. Das Stück hat wie die 32. Klaviersonate nur zwei Sätze ein 10-minütiges Allegro und ein 14-minütiges Andante mit eingeschobenem Allegro. Ich halte bereits dieses erste Quartett für einen außerordentlich gelungenen Wurf und habe es mit großer Freude erneut gehört.



    'Superbly done by the Delmé Quartet' (The Guardian)


    'When it comes to recordings of British string quartets there've been few more impressive achievements than Hyperion's Robert Simpson cycle' (BBC Record Review)


    'Fans of the composer, and all those who care about the continuance of the string quartet tradition, needn't hold back. These issues are self-recommending' (CD Review)


  • Robert Simpson war übrigens nicht nur ein bedeutender Komponist, sondern auch ein exzellenter Musikschriftsteller. Seine Biographie von Carl Nielsen ist bis heute m.E. die Beste am Markt. Sie wurde leider nie ins Deutsche übersetzt.


    Und wer sich für diesen Komponisten und Musikschriftsteller richtig interessiert, für den gibt es seit einigen Wochen (allerdings auch nur auf English) eine eigene Biographie.


  • Wird Zeit hier mal nach drei Jahren Pause weiter zu machen, gestern habe ich Streichquartett Nr. 2 gehört. Es ist einsätzig und mit 15 min - soweit ich übersehen kann - wohl auch sein kürzestes. Also vielleicht ein guter Einstieg. Auch hier verblüfft die Erkenntnis, dass Simpson 1953 - wenn auch in einer etwas moderneren Tonsprache - direkt beim späten Beethoven andockt und die dazwischenliegenden 125 Jahre Kammermusikschaffen weitgehend "ignoriert". Jedenfalls fällt mir kein Komponist dazwischen ein, dem ich einen größeren Einfluß auf Simpsons "Schreibe" bescheinigen könnte. Nicht mehr alle 15 Quartette scheinen verfügbar zu sein. Wie gut, dass sie alle in meiner Sammlung stehen. :)


    'All of Robert Simpson's quartets are worth hearing. Don't ask for a recommendation of where to start! But do start, somewhere' (Fanfare)

  • Robert Simpsons letztes Streichquartett entstand 1991, sechs Jahre vor seinem Tod. Das Werk besteht aus drei ineinander übergehenden Sätzen: Adagio - Severo - Allegretto und dauert 18 min. Ich kenne kaum einen Komponisten des 20. Jahrhunderts, dem das Quartettschreiben so ungezwungen von der Hand geht wie Simpson. Bei seinen Symphonien ist das nicht so, da klingt für mich einiges "konstruiert". Hier nicht, ein absolut hörenswertes Werk am Rande der Tonalität, eindrucksvoll gespielt vom Vanbrugh Quartett, das auch das ein Jahr zuvor geschriebene 14. Quartett aus der Taufe gehoben hat. Simpson war übrigens begeisterter Hobbyastronom, siehe Cover.


    'Yet another deeply impressive Quartet from Robert Simpson. Uniquely invigorating music ... superbly recorded' (Gramophone)
    'There is true greatness here' (Hi Fi News)

  • Es wird Zeit, die 15 Streichquartette in einen zeitlichen Rahmen zu stellen:


    1. Streichquartett (1951) 2 Sätze 24:58
    2. Streichquartett (1953) 1 Satz 15:06
    3. Streichquartett (1954) 2 Sätze 19:39


    4. Streichquartett (1973) 4 Sätze 41:06
    5. Streichquartett (1974) 4 Sätze 43:46
    6. Streichquartett (1975) 4 Sätze 38:06


    7. Streichquartett (1977) 3 Sätze 19:15
    8. Streichquartett (1979) 4 Sätze 31:46
    9. Streichquartett (1982) 32 Variationen und Fuge über ein Thema von Haydn 57:00
    10. Streichquartett (1983) For Peace 3 Sätze 27:06
    11. Streichquartett (1984) 3 Sätze 25:04
    12. Streichquartett (1987) 2 Sätze 31:20
    13. Streichquartett (1989) 4 Sätze 18:01
    14. Streichquartett (1990) 4 Sätze 30:36
    15. Streichquartett (1991) 3 Sätze 18:03


    Als Vergleich dazu die Entstehungszeiten der Symphonien


    Sinfonie Nr. 1 für Kammerorchester (1951)
    Sinfonie Nr. 2 für Kammerorchester (1955/56)
    Sinfonie Nr. 3 für Orchester (1962)


    Sinfonie Nr. 4 für Orchester (1970-72)
    Sinfonie Nr.5 für Orchester (1972)
    Sinfonie Nr.6 für Orchester (1977)
    Sinfonie Nr.7 für Kammerorchester (auch 1977)
    Sinfonie Nr.8 für Orchester (1981)
    Sinfonie Nr.9 für großes Orchester (1985-87)
    Sinfonie Nr.10 für Orchester (1988)
    Sinfonie Nr. 11 für Kammerorchester (1990)


    Man sieht in beiden Werkkomplexen gab es eine Lücke, die bei den Quartetten fast 20 Jahre bei den Symphonien 10 Jahre dauerte, vermutlich waren es die Jahre in denen Simpson intensiv für den BBC arbeitete, diese Zusammenarbeit endete 1980. Bei den Quartetten haben wir also drei relative frühe Werke (immerhin war Simpson aber schon über dreißig), dann die drei "Rasoumovsky" Quartette (hier ist jedes Quartett einem der drei op. 59 Werke von Beethoven gewidmet und verwendet auch Zitate aus diesen) und danach dann eine relativ kontinuierliche Produktion. Sechs Jahre vor seinem Tode verstummt der Komponist weitgehend. In den Jahren 1991-94 entsteht noch das 2. Streichquintett - ein erstes entstand 1987 - und 1996 beginnt Simpson mit einem 16. Streichquartett, das Fragment bleibt.


    Simpson hat einmal im Interview gesagt, dürfte er nur für eine Gattung schreiben, würde er die Streichquartette wählen.


    Falls jemand die Musik von Simpson gar nicht kennt, seine Musik ist noch weitgehend tonal und die Modernität seiner Musiksprache in den Quartetten würde ich mit der von Schostakowitsch oder Weinberg vergleichen.

  • Das relativ kurze überwiegend kontemplative 7. Streichquartett entstand 1977 für Lady Jeans zu Gedenken an den 100. Geburtstag ihren Mannes Sir James Hopwood Jeans, eines bedeutenden englischen Physikers und Astronomen. Nach ihm ist das Rayleigh-Jeans-Gesetz benannt. Simpson, ein begeisterter Hobbyastronom und Mitglied der Royal Astronomical Society zieht Parallelen zwischen diesem Werk und Aspekten des Universum - still und mysteriös (Satz 1 und 3 Schluß) und doch pulsierend vor Energie (Satz 2 und 3).


    Das Coverbild zeigt die Seyfert Radio Galaxie NGC1275, in dessen Zentrum angenehme 100 Millionen Grad Kelvin herrschen, ein Raumschiff wäre mit Lichtgeschwindigkeit allerdings 230 Millionen Jahre dahin unterwegs. Wäre mir zu lang. :D