Wären Mozarts oder Beethovens eigene Interpretationen ihrer Klavierkonzerte wirklich so gut.......

  • .....dass ich Brendel auf den Müll werfen müsste?
    Die besten Threadtitel werden in Normalpostings geschrieben - und zwar leider meistens nicht von mir.
    Ich erkenne aber ihr Potential, bereite sie auf - und benutze sie dann in geeigneter Form als Threadtitel ......


    Wie schauts denn wirklich mit den ganz alten Interpretationen aus ?
    Mozart und Beethoven werden wir wohl nicht mehr hören können - aber es gibt Berichte von Zeitzeugen, die allerding auch nicht mit den heutigen Standards vertraut waren. Überliefert ist lediglich, daß Haydn kein Virtuose am Klavier war... Interessant sind jedoch auch die Aufnahmen aus der Steinzeit der Schallplatte und auch die Welte-Mignon Rollen großer Komponisten......


    Ein Jammer nur, daß wir weder Liszt noch Thalberg je werden hören können....


    mit freundlichen GRüßen aus Wien
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • die beiden genannten haben vermutlich eher improvisiert, als die eigenen Kompositionen zu üben, und daher weniger Zeit damit verbracht...


    aber dass sie die eigenen Stücke schon besser verstanden haben als andere ist für mich unbestritten. Phrasierungen, Dynamik, die Akzente bei Beethoven... gäbe so vieles, was wir gerne wissen würden.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat: Wären Mozarts oder Beethovens eigene Interpretationen ihrer Klavierkonzerte wirklich so gut...


    Lieber Alfred
    Dieses spekulativ interessanteThema habe ich schon vor längerer Zeit ein- oder zweimal versucht zur Diskussion zu stellen. Leider stieß es auf wenig Interesse. Wenn ich mich recht erinnere hatte nur, wie erwartet, Johannes Roehl darauf geantwortet und sich beteiligt.
    Ich möchte mich diesbezüglich aber gern nochmal wiederholen. In den Neunziger Jahren gastierte Prof. Peter Rösel im Rahmen eines Sinfoniekonzertes in der Stadthalle meiner Heimatstadt. Er spielte bei uns hervorragend das 5. KK von Beethoven.
    Vor dem Konzert hatte ich Gelegenheit ein paar Minuten mit ihm zu sprechen und ich fragte ihn u. a. auch, wenn Beethoven jetzt da wäre, würde er auch so gut spielen? Prof. Rösel meinte "sehr wahrscheinlich ja", unter Berücksichtigung der techn. Weiterentwicklung des Klaviers /Flügels und wenn man seine Hörschädigung mal außer acht läßt.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Sie hatten sicher wichtigeres zu tun als zu üben. Insofern kann man vermutlich davon ausgehen, dass, obwohl sie zu ihrer Zeit berühmte Virtuosen gewesen sind, sie heute technisch von jedem Konservatoriumsabsolventen, der Liszt, Debussy, Prokofieff u.ä. aus dem Ärmel schütteln muss, an Präzision und Geläufigkeit übertroffen würden.
    Ungeachtet dessen wäre es, wie tastenwolf sagt, musikalisch sicher ungeheuer aufschlussreich: Wie viel improvisatorische Elemente hat es gegeben, Tempi, Phrasierungen, Balancen, Agogik, Dynamik usw.
    Leider sind die Bemerkungen, die von Schindler u.a. über Beethovens Spiel überliefert sind, oft widersprüchlich. (Am meisten Informationen gibt es wohl von Czerny, aber da kann man auch nicht sicher sein, wieviel davon Czerny und wie viel Erinnerung an Beethovens Spielweise.)
    Etwa Aussagen wie die, dass ein Tempo nur für die ersten Takte gelten sollte, andererseits aber Rubati und Schwankungen nur "dem feinen Ohre vernehmlich" sein sollten. Es könnte gut sein, dass nicht nur Beethoven weit freier und "romantischer" gespielt hat, als wir es heute uns vorstellen (Oder eben auch nicht...). Es ist auch überliefert, dass der junge Beethoven Mozarts Klavierspiel nur bedingt geschätzt haben soll; es war ihm zu wenig legato. Zusammen mit den Veränderungen der Klaviere könnte hier ein Geschmackswandel vorgelegen haben (auch wenn einzelne Stücke Mozarts wie die c-moll-Phantasie u.ä. "romantischen" Charakter zu haben scheinen).


    Wir wissen ja, dass beide oft aus Zeitnot die Soloparts ihrer neuen Konzerte mehr oder minder aus dem Kopf gespielt bzw. extemporiert haben. Und ihr hauptsächlicher Ruhm beruhte schon damals weniger auf der bloßen Virtuosität, sondern der Originalität und Phantasie beim "freien Phantasieren" (was damals typischerweise ein eigener Programmpunkt in den Konzerten gewesen ist). Und davon geben uns höchstens die Kadenzen und vereinzelte Werke wie Mozarts c-moll-Fantasie, der Klavierpart in Beethovens Chorphantasie und seine Fantasie op.77 vielleicht einen vagen Eindruck.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • das Übertroffen werden muss ich insofern relativieren, als dass jeder Stil einen bestimmten technischen Aspekt perfektioniert.


    in dieser Hinsicht sind die Anforderungen der Klassik so verschieden von der pianistischen Kultur eines Liszt oder Prokoffieff.


    ich denke, die Cembali und Hammerklaviere haben andere Tempi ermöglicht, andere Verzierungen und Artikulationen.


    wenn Beethoven das Legatospiel vermisst hat, dann deutet es vielleicht auch auf einen Stilwandel hin, bzw. auf die geringere Bedeutung von Legato in der Barockzeit.


    aber gerade die von Johannes erwähnten Rubati und Temposchwankungen wären das Interessanteste, denn heutige Interpreten können nur intuitiv abschätzen und nach eigenem Gutdünken sich für eine Spielart entscheiden.
    Aber sie wissen nicht im Geringsten, wie es wirklich war...


    was das Improvisieren betrifft, ist die Situation einer guten Jazzsession vergleichbar, wenn ein berühmter Interpret auftritt... vieles hat aber auch mit der Erwartungshaltung des Publikums und der daraus resultierenden positiven Stimmung zu tun. Bzw. die Schilderung dieses Ereignisses ist auch von diesen Faktoren mutgeprägt (und daher nicht objektiv...)



    ich versuche, in diesem Zusammenhang eine Rhythmustheorie zu schildern:
    wenn wir davon ausgehen:


    einerseits ist der Herzrhythmus Schwankungen unterworfen und keineswegs immer im gleichen Takt

    andererseits gab es seit langer Zeit bereits mechanische Uhrwerke

    und somit einen rhythmischen Anhaltspunkt für Regelmässigkeit.


    die Schwankungen haben mit Emotionen zu tun, von denen Menschen bewegt und erschüttert werden

    zu grosse Erschütterungen sind auch etwas Krankhaftes oder Gefährliches,

    daher kann die Gleichmässigkeit auch einen heilenden und beruhigenden Einfluss haben

    Schwankungen im musikalischen Tempo sind daher etwas Natürliches

    bzw. eine Analogie zum Herzschlag und dem Verlauf des Lebens

    andererseits können jene Schwankungen als Mangel bezeichnet werden,

    als Unfähigkeit, ein Tempo konsequent fortzuführen


    aber umgekehrt kann das starre Festhalten an einem Tempo als Herzlosigkeit interpretiert werden,

    als rücksichtsloses Exekutieren ohne seelische Nuancen

    und wiederum die Unterschiede, die im Tempo gemacht werden,

    als Fähigkeit,
    emotionale Nuancen wahrzunehmen und auszudrücken


    mit dem Begriff "menschlich" verbinden wir gerne die Fehlerhaftigkeit, das nicht-mechanische, die Schwäche


    andererseits, sind die Maschinen unsere Erfindungen,
    die aus dem Wunsch geboren sind, die menschlichen Schwächen zu überwinden.


    und:

    gibt es die Tanzmusik, die nach einem klaren festen Tempo verlangt

    was bedeutet es, wenn Musik als "nicht-tänzerisch" definiert wird?


    Vokalmusik hat keine eigenen rhythmischen Gesetze, Atemführung und Phrasenlänge haben nichts mit dem Takt zu tun.


    und:

    solistische Musik hat eigene Gesetze, genauso wie im Zusammenspiel mehrerer Musiker eine Rücksichtnahme, bzw. Verständigung selbstverständlich ist.

    schwer zu sagen, welche der beiden Richtungen die bessere ist..


    Zusammenfassung:

    es gibt beide Richtungen, beide haben starke Argumentationen. man kann sich für eine Richtung entscheiden, oder das Nebeneinander der Widersprüche akzeptieren bzw. aus dem Kontrast beider Möglichkeiten eine Synthese versuchen.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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  • Es ist überliefert, daß Beethoven zuerst durch seine Improvisationen am Klavier Berühmtheit erlangte, noch bevor er als Komponist jedermann ein Begriff war. Ich kann das allerdings nicht überprüfen. Als seine Ertaubung indes fortgeschritten war, soll sein Klavierspiel nahezu unerträglich gewesen sein....
    Über Welte-Mignon Rollen berühmter Pianisten des frühen 20. Jahrhunderts werde ich demnächst schreiben...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Anforderungen an die Technik waren natürlich früher andere als heute. Und auch die Ansprüche.
    Mehr als dieser Aspekt interessiert mich die Frage, ob wir heute Tonaufnahmen von Mozart oder Beethoven (so es welche gäbe) akzeptieren - bewundern - oder (was ich glaube) ablehnen würden, frei nach dem Motto: Soooo kann man das heute nicht mehr spielen. das ist altmodisch - heute total überholt..... :hahahaha:


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Könnte man es nicht überprüfen, wenn man lebende Komponisten mit ihren Aufführenden vergliche? Sicher bin ich mir da bei Silvestrov - denn könnte kein anderer besser spielen als er selbst!
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Könnte man es nicht überprüfen, wenn man lebende Komponisten mit ihren Aufführenden vergliche? Sicher bin ich mir da bei Silvestrov - denn könnte kein anderer besser spielen als er selbst!


    Alle zeitgenössischen Komponisten leben in einer Zeit mit Tonaufnahmen und mit außerordentlich hohem Anspruch (und Niveau) der instrumentaltechnischen Fähigkeiten. Ich glaube nicht, dass man das mit dem 19. oder gar dem 18. Jhd. vergleichen kann. Genau genommen wissen wir über Beethovens Spiel sehr wenig (obwohl im Prinzip von Czerny u.a.gar nicht wenig über seine Spielweise überliefert ist), über Mozarts beinahe nichts. Man sollte auch vorsichtig sein, aus den großen Freiheiten, die sich ein spätromantischer Pianist-Komponist wie Rachmaninoff genommen hat, auf einen 100 Jahre älteren Musiker wie Beethoven zu schließen.
    Vermuten kann man daraus, dass Mozart Clementis Spiel ablehnte (vielleicht aber auch nur auf dessen spezialisierte und überlegene Spieltechnik neidisch gewesen ist) und aus Beethovens Kritik an Mozarts angeblich zu wenig kantablem Spiel, dass es Ende des 18. Jhds., wahrscheinlich auch durch die Veränderungen der Instrumente, einen Geschmackswandel gegeben haben könnte. Mozart dürfte in seiner Jugend noch ähnlich häufig ein Cembalo bespielt haben wie ein Hammerklavier. Andererseits war auch das Ziel der großen Werke zur Clavierpädagogik von CPE (und auch JS) Bach ein möglichst kantables Spiel.


    Schließlich sollte man bei allem auch bedenken, dass z Zt. Mozarts, Beethovens, Liszt normalerweise die vorgetragene Musik neu und dabei oft spektakulär und avantgardistisch gewesen ist. Es gab ja keine Interpretationstradition älterer Musik durch unterschiedliche Interpreten (die dann durch Tonträger vergleichbar gewesen wären.) Ein Aspekt davon, dass Interpret und Komponist zusammenfallen, ist eben auch, dass die neuartige Musik viel wichtiger sein kann als Details des pianistischen Vortrags.


    Selbst wenn wir von Details überrascht würden, wären wir vielleicht sogar eher enttäuscht, wenn wir Mozart oder Liszt spielen hören könnten, weil uns die Stücke längst vertraut sind.


    Die Idee, dass eine wesentliche Attraktivität "klassischer" Musik darin liegen sollte, unterschiedliche Interpretationen 100 oder mehr Jahre alter Musik zu vergleichen, wäre selbst im späten 19. Jhd. den meisten noch ziemlich absurd vorgekommen.

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    (Bob Dylan)

  • Ich denke auch , dass die Beispiele nicht so gut gewählt sind. Interessanter wird die Frage doch bei z.B. Paganini, oder Liszt. Ich könnte jetzt noch viele Beispiele bringen, wenn mir welche einfallen würden.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Zitat

    Die Idee, dass eine wesentliche Attraktivität "klassischer" Musik darin liegen sollte, unterschiedliche Interpretationen 100 oder mehr Jahre alter Musik zu vergleichen, wäre selbst im späten 19. Jhd. den meisten noch ziemlich absurd vorgekommen.


    Ja - das ist durchaus anzunehmen - aber es hat inzwischen ein paar "Betriebsunfälle", bzw Änderungen der Rahmenbedingungen gegeben, die die den heutigen Trend verständlich machen.


    Das einstige Publikum war darauf konditioniert stets neue Musik hören zu wollen - und auch damit versorgt zu werden.
    Die "Regeln", wie was zu spielen war ,waren einerseits weitgehend bekannt, und wurden deshalb oft gar nicht oder nur andeutungsweise notiert. Dazu fehlte meist jedes "historische Interesse" und die meist limitierten Geldmittel erforderten pragmatischeres Denken als heute üblich.
    Heute wird "Perfektion" - in welcher Art auch immer - angestrebt. Die Schallplatte und ihre Nachfolgermedien verleihen Aufnahmen einen gewissen "Ewigkeitswert". Dazu kommt, daß wir heute nicht wissen, sondern nur erahnen können wie denn ein gewisses Stück zu spielen sei - die Noten geben oft nur ansatzweise Auskunft - man MUSS also interpretieren. Vom interpretieren MÜSSEN zum interpretieren WOLLEN ist dann nur mehr ein kleiner Schritt. Auf diese Weise wird dann aus einem Musiker in Interpret - und der ist oft höher geachtet als der Komponist selbst.
    Vor allem wird zumeist der Interpret, der (als Beispiel) eine Beethoven-Klaviersonate sehr eigenwillig "interpretiert" berühmter und beliebter sein als ein Komponist eines zeitgenössischen Klavierstücks.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !