Wo liegt für Euch der Sinn von Tonaufnahmen klassischer Musik?

  • Es fällt mir schwer, dieses Thema zu eröffnen ohne selbst eine Stellungnahme dazu abzugeben. Dennoch werde ich fürs erste darauf verzichten und erst später wieder hier einsteigen, wenn andere sich hier geäussert haben.
    Wir hätten den Thread auch "Schaden und Nutzen von Tonaufnahmen in der Klassischen Musik" nennen können - denn die Möglichkeit ein Konzertereignis oder einen Liederabend etc. aufzuzeichnen und zu einem beliebigen Zeitpunkt wiederzugeben hat die Szene der klassischen Musik entscheiden verändert - sowohl für Ausführende als auch für Publikum - aber auch für die Rezensenten.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    Du solltest schon eine These vorstellen.
    So wie der Thread jetzt eingeführt ist, kann ich wirklich gar nichts damit anfangen!


    Soll hier die arg ausgelutschte Diskussion wieder aufgenommen werden, die seinerzeit Walter Benjamin mit seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit angestossen hat?
    Was versprichst Du Dir denn davon noch?



    Guten Abend!


    Caruso41



    .

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Zitat

    Soll hier die arg ausgelutschte Diskussion wieder aufgenommen werden, die seinerzeit Walter Benjamin mit seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit angestossen hat?
    Was versprichst Du Dir denn davon noch

    Ich verspreche mir nichts davon, weil ich diese "arg ausgelutschte Diskussion" und auch den Autor Walter Benjamin gar nicht kenne. Es würde mich sehr wundern wenn er und ich das gleiche Thema behandeln wollten - und noch dazu - zu einem ähnlichen Ergebnis kommen sollten.


    An sich war der Thread bewusst auf "freie Assoziation angelegt - natürlich mit Hintergedanken in eine bestimmte Richtung, die ich jedoch nicht forcieren wollte um mir den Vorwurf der Manipulation zu ersparen.


    Da der Thread indes bis dato nicht angenommen wurde - uns nichts darauf hindeutet daß das später noch der Fall sein wird - fühle ich mich frei, hier meine Gedanken - bzw einige davon zu äussern.


    Immer wieder wird darauf hingewiesen, diese oder jene Interpretation der Vergangenheit sei nicht mehr zeitgemäß, man möge sich den lebenden Künstlern zuwenden. Aufnahmen sind aber meiner Meinung dazu gemacht Interpretationen der Nachwelt zu erhalten. Sie stellen für mich ein Zeitfenster dar und machen mich vom gegenwärtigen Zeitgeist völlig unabhängig. Ich allein bin es der bestimmt welche Epoche an Interpreten mit meinem persönlichen Geschmack kompatibel ist.


    Besonders nützlich ist das, wenn gegenwärtige Interpreten eine Ästhethik vertreten, die einem persönlich wenig bis nichts gibt



    Zitat von Liebestraum aus dem Thread:
    Persönlich vernachlässigte DIRIGENTEN (Sinfonie und Konzert) - Eine "Beichte" (2013)

    Zitat

    Das Label spielt m.E. keine Rolle. Viel mehr, dass viele nach Karajan, Klemperer, Leibowitz, Böhm, Bernstein, Gardiner den Absprung in die Gegenwart nicht geschafft haben. Sie sind in der Gegenwart nicht angekommen. Sie spielen immer und immer wieder die alten Aufnahmen mit wenig Lust nach Neuem.

    Das ist auch gut verständlich. Die "alten" Aufnahmen klingen einfach "schöner" - heute ist man bemüht Brüche in den Partituren, die einst von den führenden Interpreten geglättet wurden, herauszuarbeiten und möglichst rhythmisch und verstörend zu interpretieren - egal ob das Publikum das so hören will oder nicht.
    Schweden, Dänemark oder Finnland sind nun mal nicht die Länder ausgefeilten Lebensstils, feiner Parfüms und Weine - ebensowenig wie betörender Klänge. Kein Wunder, daß man in einem führenden Wiener Schallplattengeschäft in Bezug auf eine Anfrage nach Dausgaard (wir hatten schon 2004 im Mitglied "Dorcy Duck" einen glühenden Dausgaard Verehrer im Forum) sagte: Führen wir nicht - will hier niemand hören - keine Nachfrage.


    Dank dem Wunder der Tonaufnahme kann man Tote wieder zum Leben erwecken - sie spielen bis in alle Ewigkeit . Wir selbst sind Herr über die Zeit.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat von Alfred

    Besonders nützlich ist das, wenn gegenwärtige Interpreten eine Ästhethik vertreten, die einem persönlich wenig bis nichts gibt

    Auch ich gehöre zu den viel Kritisierten denen vorgeworfen wird, nur ältere Aufnahmen zu hören. Das ist nur zur Hälfte richtig, da ich auch den neuen Künstlern meine Aufmerksamkeit widme. Nur, wo sind heute Interpreten (mein Freund Operus überlese dies bitte), die einer Renata Tebaldi, einer Giulietta Simionato, einem Richard Tucker, Jussi Björling, Fritz Wunderlich, Leonard Warren, Ezio Pinza und Gottlob Frick das Wasser reichen können? Natürlich gibt es heute sehr gut geschulte Talente und auch international tätige junge Sänger und Sängerinnen. Aber die Art zu singen und des Dirigierens war früher eine andere. Und auf meine unwiederbringlichen, vorgenannten Interpreten und Dirigenten wie Furtwaengler, Böhm, Knappertsbusch, v. Karajan u. A. möchte ich einfach nicht verzichten. An die neuen Sänger und Dirigenten taste ich mich langsam vor, brauche aber in diesem Fall wirklich Geduld und Zeit.

    W.S.

  • Zitat von Caruso41

    Soll hier die arg ausgelutschte Diskussion wieder aufgenommen werden, die seinerzeit Walter Benjamin mit seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit angestossen hat?
    Was versprichst Du Dir denn davon noch


    So habe ich die Eingangsbemerkungen nicht verstanden. Wenn hier Belesenheit demonstriert werden soll, dann bitte doch auch an der richtigen Stelle. Natürlich kann man Benjamins Werk auch auf die Musik zu übertragen versuchen, aber er entwickelt seine Ideen an der visuellen Kunst (Photo und Film). Diese unterliegen aber vollkommen anderen Bedingungen als eine musikalische Aufzeichnung (So "ausgelutscht" die Diskussion im Übrigen vielleicht sein mag, so hat Benjamin entscheidende Anregungen gegeben, aber das ist ein anderes Thema).


    Ich halte es mit den alten und neuen Aufnahmen nach Möglichkeit wir folgt, muß allerdings voraussenden, daß meine Sammlung ja noch in den Anfängen steckt. Ich versuche von Stücken, die mir besonders gefallen, eine vergleichsweise alte Aufnahme und eine neue Einspielung zu erwerben. Die Gesamtheit der Aufnahmen hat – das habe ich an anderer Stelle im forum bereits einmal so formuliert – erheblichen Anteil an dem kulturellen Archiv einer Gesellschaft, auf das man nach Belieben zurückgreifen kann. Natürlich wird man dadurch von aktuellen Trend unabhängiger: und genau da sehe ich auch eine gewisse Gefahr. Lebt man nur in diesen Aufnahmen (egal, um wieviel mehr sie einem eigenen ästhetischen Ansatz entgegenkommen) kann es vorkommen, daß Entwicklungen an einem vorbeigehen. Natürlich muß man dies nicht als Problem empfinden, ich sehe es im Sinne eines ständigen musikalischen Wachstumsprozesse, der beim Hören einsetzt, schon als solches an. Gerade neue Aufnahmen können, verbleiben sie nicht in bekannten Gewässern, auf interessante Aspekte der Werke hinweisen, die einem zuvor nicht so bewußt waren. In diesem Sinne steht es doch frei, auf die gesamte Bandbreite des Tonarchivs zurückzugreifen. Und genau darin liegt für mich der Sinn: ich erfahre etwas über verschiedene Ansätze des Umgangs mit Musik, kann feststellen, daß der Ansatz von X nicht über einen älteren Ansatz von Y hinausgeht, oder Z Dinge zum Klingen bringt, auf die zuvor noch nicht so geachtet wurde. Mit aktuellen Aufnahmen auch nur einigermaßen mitzukommen und nebenher noch "Klassiker" zu hören ist allerdings nicht so ganz einfach ...


    beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

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  • Die Frage ist ja logisch zu beantworten:
    Damit ich die KLASSIK in bestmöglicher Quialität zu Hause hören kann!


    Neuaufnahmen von geschätzten Werken, haben für mich erst einmal einen Sinn, wenn die Klangqualität sich nochmal deutlich in Richtung "natürliche Wiedergabe" verbessert hat. Aber auch genau so wichtig: Wenn mir :!: die Interpretation auch ggf neues und Aufschlussreiches bieten kann. Letzteres ist bei Neuaufnahmen nicht immer der Fall - besonders, wenn man als langjähriger Klassikhörer von bestimmten geschätzten Aufnahmen geprägt ist - dann haben es Neuaufnahmen schwer!


    Um dieses immer und vorlaufend überprüfen zu können, sind alle Neuaufnahmen bei mir willkommen ... aber haben sich letztendlich in so vielen Fällen als unnötig erwiesen, weil man schon bestens eingedeckt ist. Das gilt auch für TV- und Video-Musik-Produktiuonen, die ich immer wieder gerne verfolge; auch im TV.



    Und abschliessend sei mir noch die Frage erlaubt:
    Wer kommt heute noch an die grossen Alten namens Bernstein, Solti, Szell, Karajan, Swetlanow, Kondraschin, Roshdestwensky, Mrawinsky, Fricsay, Ansermet, Dorati, ... heran?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Neuaufnahmen von geschätzten Werken, haben für mich erst einmal einen Sinn, wenn die Klangqualität sich nochmal deutlich in Richtung "natürliche Wiedergabe" verbessert hat


    Das ist natürlich ein Teilaspekt.


    Der ursprüngliche Sinn lag darin - Adelina Patti hat es um etwa 1905 in einer Werbung für ihre Schallplatten konkret ausgesprochen - daß berühmte Künstler auch von jenen grhört werden konnten, wohin der Künstler im Rahmen seiner Tourneen nicht kommen konnte (oder wollte) Sehr schnell war auch klar, daß es sich nicht nur um räumliche - sondern auch zeitliche Distanz handelte - in Richtung Zukunft nämlich. Man arbeitete verbissen an Verbesserungen in Richtung Tonqualität um diesem Anspruch gerecht zuwerden. Die Meinungen gehen auseinander, ab wann die Tonqualität als "befriedigend" anzusehen ist - darüber starte ich noch heute einen eigenen Thread.
    Hier geht es mir eher darum, aufzuzeigen wie wichtig den Künstlern und Technikern jener Pioniertage es war die musikalischen Leistungen der Nachwelt zu erhalten. ALLERSPÄTESTENS mit Einführung der beiden Begriffe HIFI und STEREO war es dann so weit, daß man so ziemlich alle Musikrichtungen in fast optimaler Tontreue übertragen konnte.
    Ein Triumph der Menschheit - und viele sind noch heute sehr glücklich darüber. Eine andere - zunehmend wachsende (?) Gruppe bezeichnet indes die Aufnahmen der Vergangenheit als "veraltet" und plädiert dafür an Stelle derer "zeitgenössische zu hören - Eine Divergenz von Standpunkten, die sich meiner Einschätzung nach noch über Jahrzehnte hinweg erhalten bleiben wird.
    Aus meiner Sicht ist der Sinn der Tonaufzeichnung in erster Linie jener, Interpretationen einer gewissen Epoche, der Nachwelt zu hinterlassen. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn diese Interpretationen von einer ausreichend großen Hörerschaft akzeptiert und verlangt werden......


    Bis jetzt scheint diese Rechnung aufzugehen....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Für mich liegt der Sinn von Tonaufnahmen derzeit vor allem darin, mir Musik zugänglich zu machen, die ich anderweitig gar nicht kennenlernen könnte. Ich kann keine Noten lesen und eine gedruckte Partitur nützt mir nichts. Ich vermute, es gibt niemanden hier, der auch nur drei Pettersson- oder Milhaud-Symphonien im Konzertsaal gehört hat. Es gibt aber 16 bzw 12. Auf Tonträger sind alle zu haben. Selbst allen Schostakowitsch-Symphonien wird man im Laufe eines normalen Lebens kaum live begegnen. Ich schätze mal, dass ich inzwischen 70-80% meiner Hörzeit einem Repertoire widme, dass ich vermutlich im Konzertsaal nie antreffen werde.

  • Zitat

    Ich schätze mal, dass ich inzwischen 70-80% meiner Hörzeit einem Repertoire widme, das ich vermutlich im Konzertsaal nie antreffen werde.


    Das ist natürlich ein ganz wichtiger Aspekt - der allerdings meistens (auch von mir in diesem Thread) übersehen wird. Dieses Faktum ist allerdings verhältnismäßig (= 30 Jahre ) neu, denn die Majors haben ja vorzugsweise nur relativ populäres Repertoire eingespielt - und die Independent Labels von Bedeutung sind ja - gemessen an den "Großen" relativ kurz am Markt, meist erst seit 1980. Es gab auch schon vorher Ansätze in Richtung Nischenrepertoire - aber die waren relativ unbedeutend. Das Label "Harmonia Mundi" wechselte einst andauernd den Besitzer. Einer von ihnen gab nach dem Verkauf an, die Umsätze von (damals) 38 Millionen Mark seien zu unbedeutend für seinen Konzern, man wolle sich nicht mit "Pienuts" befassen....


    Heute machen die "Randbereiche " klassischer Musik einen nicht unerheblichen Teil des Kuchens aus - wie man an Hand von zig seither entstandenen und scheinbar florierenden Labels sehen kann....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der schönste Sinn einer Tonaufnahme liegt für mich natürlich darin, daß ich Sonntags um 8 Uhr morgens auf die Idee kommen kann, jetzt ganz unbedingt Beethoven - und bitte von Buchbinder - hören zu wollen. Dann greife ich ins Regal und los geht's. Keine Warterei, ob das von mir gewünschte Werk vom von mir bevorzugten Interpreten in den nächsten 24 Monaten mal im Umkreis von 200km aufgeführt wird.


    Der größte Nachteil ist meiner Meinung nach aber für den Künstler darin zu sehen, daß man sich angreifbar macht: immer wird es in den letzten 100 Jahren einen Interpreten gegeben haben, der "besser" war. Die 732918 anderen, die der Neuinterpretation unterlegen sind, werden vergessen.


    Ein riesiger Vorteil ist für mich natürlich auch, speziell bei Barockmusik aus den unterschiedlichsten Ansätzen wählen zu können. Steht mir der Sinn nach einem Cembalo? Oder heute doch lieber ein Flügel?

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

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  • Der größte Nachteil ist meiner Meinung nach aber für den Künstler darin zu sehen, daß man sich angreifbar macht: immer wird es in den letzten 100 Jahren einen Interpreten gegeben haben, der "besser" war. Die 732918 anderen, die der Neuinterpretation unterlegen sind, werden vergessen.

    Das hängt aber auch davon ab, ob man diese verschiedenen Interpretationen immer unter dem Aspekt "wer ist der beste?" betrachtet. Je länger ich mich mit Musik beschäftige, umso problematischer finde ich diesen "Hitparaden"-Blick und dieses Gerede von der "Referenzaufnahme". Ich gehe zunehmend dazu über, mehrerer interpretatorische Ansätze als "gleichberechtigt nebeneinander stehend" zu betrachten. Deshalb habe ich von all meinen Lieblingsstücken auch mehrere Aufnahmen im Regal.

  • Das hängt aber auch davon ab, ob man diese verschiedenen Interpretationen immer unter dem Aspekt "wer ist der beste?" betrachtet. Je länger ich mich mit Musik beschäftige, umso problematischer finde ich diesen "Hitparaden"-Blick und dieses Gerede von der "Referenzaufnahme". Ich gehe zunehmend dazu über, mehrerer interpretatorische Ansätze als "gleichberechtigt nebeneinander stehend" zu betrachten. Deshalb habe ich von all meinen Lieblingsstücken auch mehrere Aufnahmen im Regal.


    Ich habe meine Aussage auch nicht auf mich selbst bezogen ;)
    Ich habe als Händler nur immer wieder die Erfahrung gemacht (übrigens interessanterweise gerne bei Wagnerianern), daß "damals" alles besser war - und dann gerne jener Sänger aus dieser Aufnahme, jene Sängerin aus der Aufnahme ein paar Jahre später und erst das Orchester von... Sowas gibt es heute ja gar nicht mehr. :)
    Meiner Meinung nach ist es großartig, wenn jeder "seine" Aufnahme aus einem großen Angebot fischen kann. Ich habe meine Favouriten, viele meiner Kunden einen anderen. Und keiner von uns liegt falsch. Naja, manche schon :pfeif:

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

  • Ich kann mich den aus meiner Sicht offensichtlichen (wenn nicht gar trivialen) Antworten von Teleton und Lutgra nur anschließen. Selbst wer in oder in der Nähe einer Stadt mit regem Konzertbetrieb wohnt (was aus naheliegenden Gründen nicht für alle zutreffen kann), wird nicht bei Petterson-Sinfonien kaum je eine Gelegenheit haben, sie live zu hören, sondern auch bei vielen bekannten Werken berühmter Komponisten. Wie oft wird man Brahms 1. Klaviersonate, Beethovens Streichquintett, Haydns Sinfonie Nr. 70, BWV 1 oder Händels "Solomon" live begegnen? Wer nicht Geld und Muße hat, entsprechenden Konzerten hinterherzureisen, wird selbst in einer Musikmetropole nur ein eingeschränktes Repertoire erleben, erst recht in einer Kleinstadt.
    Klar, man könnte auf Radioübertragungen setzen, aber der Besitz eigener Tonträger gibt einem mehr Freiheit.
    Da braucht man gar keine aufgeladenen Diskussionen zu führen, der Sinn ist genauso einfach und banal.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Der Sinn der Tonaufzeichnung von Musik ist für mich vielfältig:


    • ich kann eine bestimmte Musik hören, wann immer ich will und muss nicht warten, bis sie zufällig in meiner erreichbaren Nähe live aufgeführt wird
    • ich kann Künstler/Orchester hören, die sich niemals in meine erreichbare Nähe verirren werden
    • ich kann Musik zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit hören
    • ich kann Musik mit auf Reisen nehmen und sie an jedem beliebigen Ort hören
    • ich kann Musik viel öfter hören, als ich in Konzerte gehen könnte
    • eine Tonkonserve ist erheblich preisgünstiger als ein Konzertbesuch, erst recht bei prominenten Künstlern/Orchestern
    • je nach Aufnahmequalität einerseits und Raumakustik andererseits kann ich Musik in besserer Klangqualität hören
    • ich kann Interpretationsvergleiche anstellen
    • ich kann längst verstorbene Künstler hören
    • ich kann über das Vorab-Hören entscheiden, ob sich ein (teurer) Konzertbesuch (mit möglicherweise langer Anfahrt) lohnt
    • ich kann meiner Jäger- und Sammler-Leidenschaft fröhnen…


    Grundsätzlich sind für mich diese beiden Arten, Musik zu erleben, aber auch höchst unterschiedlich. So besitze ich - abgesehen von einigen Arien-Samplern und ganz wenigen Zusammenschnitten - keine Opernaufnahmen, weil hier für mich das Zusammenspiel von Musik und optischer Darstellung und das Live-Erlebnis nahezu unverzichtbar ist.


    Und die Momente, da mich eine Musik-Aufführung zu Tränen gerührt oder mir eine Gänsehaut verschafft hat, sind - zumindest im Bereich der klassischen Musik, bei Rockmusik ist das komischerweise anders - stets bei Live-Konzerten eingetreten. Andererseits kann ich mich nur zurückgezogen und mit Kopfhörern auf dem Kopf völlig in eine Musik hinein vertiefen und sie in mich aufnehmen.

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Der Begründung von Uranus kann ich mich voll und ganz - nur mit einer kleinen Ergänzung - anschließen. Wenn mir eine Stelle einer Sinfonie besonders gut gefallen hat oder wenn mir beim Verständnis Fragen aufkommen, kann ich diese Stelle jederzeit wiederholen. Damit kann ich warten, bis das ganze Stück alle ist oder auch die laufende Abspielung unterbrechen.


    Noch besser kann ich den Sinn einer Tonaufnahme bei Opern begründen, denn hier ist der Wunsch, eine Arie zu wiederholen, noch öfter als bei sinfonischen Werken.


    Kurz und gut - was waren die Musikfans doch arm dran, bevor es die Schallplatte gab!!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Andererseits kann ich mich nur zurückgezogen und mit Kopfhörern auf dem Kopf völlig in eine Musik hinein vertiefen und sie in mich aufnehmen.


    Das geht mir auch so. Konzerte sind zwar auch ein besonderes Erlebnis, aber völlig abdriften, dass erlebe ich bisher nur, wenn ich allein mit der Musik auf den Ohren bin.
    Ansonsten sind alle hier schon angeführten Gründe der User auch meine Gründe.
    Musik hören, wann und wo ich will, wiederholen so oft ich will. Und wenn ich 12 Stunden Brahms 2. KK hören will dann kann ich das machen.
    Ein Aspekt ist vielleicht noch, dass ich gerne Menschen CDs ausleihe um sie mit Musik bekannt zu machen, wenn sie mich danahc fragen oder in einem Gespräch so ein Thema aufkam, was auch sehr praktisch ist.
    Überhaupt ist der Austausch so auch etwas vereinfacht als bei Konzerterlebnissen, wo man immer zusammengewesen sein muss, um sich wirklich auszutauschen.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Ich würde noch ergänzen: ich kann während des Hörens zuhause mitsingen, Bier trinken und im Zimmer auf und ab gehen, wenn es gerade spannend wird. Außerdem sind die Stühle im Konzertsaal unbequemer als meine Couch, und Frauen mit hochtoupierten Haaren, die mir die Sicht versperren, gibt es bei mir zuhause auch nicht.

  • und Frauen mit hochtoupierten Haaren, die mir die Sicht versperren, gibt es bei mir zuhause auch nicht.

    :D
    Und man hört es auch nicht dauernd an jeder Ecke husten und rascheln.
    Aber genau, dass was du sagst, empfinde ich auch als angenehm. Allein zu Hause kann ich mich freier bewegen und auch mal wild herumgestikulieren, wenn mich die Musik grad mal besonders mitnimmt. Und genauso eine Pause machen, wenn ich das will.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Für mich ist das Faszinierende an Tonaufnahmen der Sieg über die Zeit. Wie durch ein Zeitfenster kann ich Interpreten hören, welche eigentlich ausserhalb meiner "zeitlichen Reichweite" wären. Leider ist die Tonaufnahme erst relativ spät erfunden worden und war lange Zeit für hochwertige Musikwiedergabe nicht wirklich brauchbar. Auch heute . trotz aller technischen Fortschritte verfärben Aufnahmen leider sowohl Stimmen als auch Instrumente - wenn auch - gemessen an früher - nur mehr marginal. Persönlich bin ich ein Anhänger der Studioaufname, weil Live-Aufnahmen zahlreiche Imponderabilien in sich bergen, die bei Studioaufnahmen kompensiert werden können. Allerdings hat die Aufnahmetechnik in Sachen Live- Aufnahme erhebliche Fortschritte gemacht, sodaß man damit leben kann. Seit etwa knapp 60 Jahren gibt es Stereo-Aufnahmen, welche ein weitgehend realistisches Klangbild erlauben. Über das Thema Tonqualitöt und wie man sie persönlich empfindet, gibt es vermutlich noch heute oder morgen einen neuen Thread....


    mfg aus Wien
    Alfred Schmidt

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Für mich ist das Faszinierende an Tonaufnahmen der Sieg über die Zeit. Wie durch ein Zeitfenster kann ich Interpreten hören...

    Das ist sehr gut formuliert und beschreibt einen weiteren großen Reiz und Nutzen, den Tonaufzeichnungen haben!

    Herzliche Grüße
    Uranus

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  • ja, aber doch erst viel weiter hinten! Wenn man nicht überhaupt so viel Musik über Tonaufnahmen hören könnte, käme man ja gar nicht darauf, dass Interpretationen vergangener Zeiten interessant sein könnten.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich bin Konzertmuffel, Gitarren- und Chorkonzerte sind unter den wenigen, die mich in eine Tonhalle bringen. Die meisten anderen Konzerte in der Nähe (nur für seeeehr wenige Künstler würde ich weit fahren) haben ein zu mindestens zur Hälfte wenig verdauliches Programm, das ich mir nicht antun muß.


    Ohne Platten und CDs wäre meine Beschäftigung mit klassischer Musik vor wenigen Jahren vielleicht auf 10% dessen reduziert gewesen, was es mit CDs und Platten war, gestützt vor allem durch Produktionen in Radio und Fernsehen.


    Seit dem Aufkommen von YouTube nimmt das aber eine wachsende Stellung in meiner Musikrezeption ein, heute käme ich auch noch nicht ohne physische Tonträger aus, aber ich hätte mich vermutlich zähneknischend an Downloads gewöhnt und wäre noch öfters bei YouTube und Konsorten. Die vor kurzem noch außerordentlich hohe Bedeutung von Tonträgern für mich nimmt leicht, aber bemerkbar, ab.

  • Ich schrieb:

    Zitat

    Aus meiner Sicht ist der Sinn der Tonaufzeichnung in erster Linie jener, Interpretationen einer gewissen Epoche, der Nachwelt zu hinterlassen.


    Ich schrieb:

    Zitat

    Für mich ist das Faszinierende an Tonaufnahmen der Sieg über die Zeit. Wie durch ein Zeitfenster kann ich Interpreten hören, welche eigentlich außerhalb meiner "zeitlichen Reichweite" wären.


    Uranus schrieb:

    Zitat

    ich kann längst verstorbene Künstler hören


    All das sind oberflächliche Erklärungen . sie sind richtig, aber sie verschweigen das eigentliche Motiv.
    Dieses ist meiner Meinung nach darin zu sehen, dass in der Vergangenheit eine anderer Ästhetik, ein anderer Zeitgeist herrschte.
    Genau dieser wurde - soweit möglich - auf Tonträger festgehalten.
    Das was so mancher als "antiqierte Interpretation" bezeichnet, ist in Wahrheit das Motiv solche Aufnahmen überhaupt zu machen, musikalische Trends und Moden der Nachwelt zu erhalten und zu übermitteln. Es gab Interpreten, die der Gedanke, vor einem zukünftigen Publikum bewertet zu werden, traurig stimmte. Solch einer war der englisch Pianist Clifford Curzon, welcher Aufnahmen stets als Rendezvous mit der Nachwelt bezeichnete....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !