Ist die alte Garde übermächtig?

  • Die Klassikszene strotzt nur so von Wiederveröffentlichungen, teilweise kostet eine Doppel-CD mit einer Oper- oder Operetten-Gesamtaufnahme nur noch einen Bruchteil von dem, was sie mal gekostet hat. Und immer wieder die Sängergeneration, die heute über 80 ist oder bereits verstorben. Warum sind Sängerkarrieren heute so kurz oder und woran liegt es, dass Talente, die eigentlich zu großen Hoffnungen Anlass geben, relativ schnell wieder verschwunden sind, zumindest vom Tonträger Markt. Oder liegt es am fehlenden Interesse der Konsumenten oder an den Produktionskosten, die sich keine Firma mehr leisten kann. Kaufmann und Beczala sind schon lange dabei, aber die CD-Ausbeute gemessen am Zeitraum, in dem sie bereits aktiv sind, ist mit der eines Domingo, Carreras, Pavarotti, Bergonzi, Wunderlich, Prey, Fischer-Dieskau, Schock, Kollo und Gedda, um nur einige Beispiele zu nennen, überhaupt nicht zu vergleichen. Früher konnte man oft lesen, die Aufnahme kommt für den Sänger zu früh oder zu spät. Heute kommt nichts mehr. 2 Aufnahmen nur mit de la mora, warum?
    Das Beispiel ließe sich beliebig fortsetzen. Übrigen auf dem Gebiet des Klassik-Zeitschriften-Marktes ist ein ähnliches Phänomen zu verzeichnen. Woran es auch immer liegen mag, Schade!


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ja - die alte Garde ist übermächtig. Und zwar vorzugsweise jener Teil, dem die Gnade der "späten Geburt" (= Stereozeitalter oder zumindest EDLES-MONO-HIFI -Zeitalter) gegeben war. Es gibt auch weltberühmte Legenden VOR dieser Ära (Caruso-Callas) - aber das sind - gemessen am Gesamtmarkt - Einzelfälle


    Hier kommen verschiedene positive Parameter zusammen.


    1) Alles was früher war ist aufnahmetechnisch eher suboptimal bis indiskutabel. HIFI-STEREO war gewissermaßen die Stunde Null der neueren Schallplattengeschichte. Diese Aufnahmen wurden zum einen mit Leuten gemacht, die schon damals Legenden waren (Kempff, Backkhaus, Böhm) oder mit Künstlern am Zenith ihres Schaffens (Karajan, Bernstein, Geza Anda, Joan Sutherland, Mario del Monaco, Franco Corelli) Oft schloss man mit denen jahrelang laufende Exklusivverträge, was dazu führte daß diese Ikonen der Klassik quasi marktbeherrschend wurden - teilweise auch überproportional im Verhältnis zum tatsächlich gebotenen.
    Die Aufnahmen sind durchwegs von einer technischen Qualität, die sich - von Freiheiten wie Bandrauschen - von heutigen kaum unterscheiden. Als man das Remastern im Griff hatte konnte das vorhandene Bandrauschen der Originalabmischungen gesenkt werden (so die alten Bänder noch intakt waren) weil beim digitalen Abmischen kein weiteres Rauschen addiert wird, was bei analoger Abmischung unvermeidlich ist. Nadelrauschen entfällt ja völlig.


    2) die Generation, welche in den 70er bis 80er Jahren Klassik gesammelt hat, konnte sich damals etliche Aufnahmen nicht leisten und erfüllt sich jetzt in den besten Jahren (sagen wir mal so) Jugendträume. Diese werden derzeit verhälnismäßig billig abgestoßen und so auch von jugendlichen Klassikinteressenten (denen der Interpret sowieso meist egal ist ) gekauft.


    Wir haben nun bereits ZWEI Kundenschichten, die aus verschiedenen Motiven heraus die Aufnahmen bestimmter Künstler kauft.


    Es gibt aber noch ein weiteres Argument. Diese Aufnahmen verkaufen sich gut UND verursachen keine Produktionskosten mehr, viel verstorbenen Künstler habe ihre Tantiemen bereits zu Lebzeiten an ihr jeweilige Label verkauft. Ein Grund mehr diese Aufnahmen im Katalog zu lassen


    3) Die Zeit hat sich gewandelt. Künstler erscheinen in Jeans und T-Shirt, bekennen sich in (gestellten ?) Interviews zur zeitgenössischen Musik und erklären, daß sie Fastfood gegenüber der "haute Cuisine" bevorzugen, und daß sie in ihrer Freizeit auch Rock- oder Pomusik hören. Es wird hier ein Image aufgebaut, das dem eines "Durchschnittsmenschen" entspricht - und das sehe ich als Demontage des Star- Images. Ich weiß, daß man hier wieder einwenden wird - ich lebte in der Vergangenheit. Aber das tut die Mehrheit der Klassikhörer viel exzessiver.


    Die alten Interpreten waren "Halbgötter", die verehrt wurden - die neuen sind "Talente" die sich noch bewähren müssen. Diese Bewährung dauert meist ein gutes Jahrzehnt.- Und so lange will keine Plattenkonzern abwarten.


    Die Produktionskosten sind heute - gemessen am Index - auch nicht höher als vor 40 oder 50 Jahren.
    Der Unterschied ist lediglich, daß man heute einerseits die Renditenerwartungen weit höher ansetzt - und zudem soll das Geld RASCH wieder eingespielt sein.


    Ist ein "Shootingstar" nicht in der Lage in kurzer Zeit die Verkaufserwartungen zu erfüllen, so ist er in kürze weg vom Fenster.


    Noch ein weiterer Unterschied zwischen Künstlern von einst und jetzt.


    Die Künstler der Vergangenheit waren meist selbstverliebt, sie fühlten sich als etwas Aussergewöhnliches. Das strahlten sie aber auch aus und vermittelten es ihrem Publikum. Man ging nicht ins Konzert im Tschaikowski zu kören, sondern um dabei zu sein, wenn Herr von Karajan vorn am Pult steht.
    Heutige Künstler sind zumeist "Musiker" - und nicht mehr. Das gewisse Flair, die Aura des Aussergewöhnlichen haben sie meist nicht zu bieten - daher müssen sie der "Alten Garde" (noch?) das Feld überlassen.


    Das ist nichts neues. Ich erinnere mich an die Kurzgeschichte von Goethe, wo dieser einem österreichen Militär auf der Promenade begegnet. Man kommt ins Plaudern. Goethe gibt sich als Dichter zu erkennen und fragt deinen Gesprächspartner, ob dieser schon etwas von ihm gelesen habe. Dieser verneint - Er lese Werke prinzipiell nur von verstorbenen Dichtern - Werke aus letzter Hand - erst dann sei es fix ob jemand berühmt genug sei um gelesen zu werden.......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es liegt auch...meiner Kenntnis nach VOR ALLEM...daran, dass die Labels schlicht keine Gesamtaufnahmen von Opern mehr im Studio produzieren. Alles, was heute auf den Markt kommt sind, meist bearbeitete, Live-Mitschnitte...und davon gibt es durchaus einige!


    In der globalisierten Welt, die ja auch eine rasend schnelle Welt ist, kann es die alten Bedingungen, unter denen "Klassik" produziert wurde, schlicht nicht mehr geben. Wenn heute ein Sänger/eine Sängerin beim Festival X oder im Opernhaus Y einen Ton schmeißt, weiß das binnen Minuten die gesamte Netz-Gemeinde...das macht niemanden risikofreudiger....und so teilen sich wenige "Stars" die wichtigen(?) Premieren! Die haben überhaupt keine Zeit mehr für Studioaufnahmen!
    Zudem...und das ist kein neues Thema...sind Äußerlichkeiten heute, wir leben in einem visuell geprägten Zeitalter, enorm wichtig. "Star" wird nur, wer auch so aussieht...man sehe sich nur die junge Sängerelite(?) an. Ich habe nichts gegen gutaussehende Künstler/innen, ganz im Gegenteil, aber so mancher großartige Künstler der Nachkriegszeit würde heute keine Karriere mehr machen...aus optischen Gründen!


    Außerdem....wer will denn heute noch warten?


    LG
    Fides :hello:

    La vita è bella!

  • Die Zeit hat sich gewandelt. Künstler erscheinen in Jeans und T-Shirt, bekennen sich in (gestellten ?) Interviews zur zeitgenössischen Musik und erklären, daß sie Fastfood gegenüber der "haute Cuisine"bevorzugen, und daß sie in ihrer Freizeit auch Rock- oder Pomusik hören


    Wenn das Absicht war, offeriert Alfred hier einen Humor, den ich ihm gar nicht zugetraut habe!!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Das, lieber La Roche, könnte sehr gut im Stilblüten-Thread stehen - aber ich stehe nicht an, Tippfehler zu bemängeln, denn wer im Glashaus sitzt, soll schließlich nicht mit Steinen werfen. Trotzdem - ein herrlicher Verschreiber... :D


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Warum sagt Alfred es nicht kurz und bündig:


    Die Klassikhörer sind alt und hören die alten Sachen.


    Das weiß ja eh jeder. Die Pointe Alfreds verstehe ich eher "und das ist auch gut so!" Wobei sich dann freilich Verwunderung darüber einstellt, warum jemand, der das so sieht, über den angeblich miesen seinerzeitigen Zustand sich beklagt...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Thomas,


    weil jeder von uns die Freiheit hat, so zu formulieren, wie es gerade seinen Empfinden entspricht - natürlich innerhalb der Grenzen des Anstands, der Korrektheit, der Forenregeln und der Wertschätzung des Diskussionspartners und seiner Meinung.
    Für mich sind ungewöhnliche Formulierungen und persiflierende Wortspiele wie "Pomusik" "Quellen der Freude" in unseren schriftlichen Dialogen. Wem es nicht gefällt, kann den Beitrag wegklicken oder dagegen schreiben.
    Wenn er dann in seiner Entgegnung auch die Ebene des heiteren Wortspiels trifft, dann hat die Sachdiskussion zusätzlich prickelnden Pfeffer.


    Herzlichst
    Operus


    P. S. Übrigens wer Alfred persönlich kennt merkt ganz schnell, dass hinter dem "Hohepriester der lexikalischen Forums-Sachlichkeit" ein mit individuell ausgeprägtem Humor gesegneter Zeitgenosse steckt.

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich weiß nicht so recht, wer die alte Garde ist, aber die Tatsache der Preissenkung nicht mehr ganz frischer Aufnahmen hat natürlich auch in meiner Sammlung Folgen.

  • Was bei der Diskussion gerne übersehen wird: Als man um 1950 anfing, im großen Stile die Werke der klassischen Musik einzuspielen, weil nun technisch die Möglichkeit dazu vorhanden war, wurde ein neuer Markt entwickelt. Inkl. neuem Equipement. Wahrscheinlich wäre auch damals schon die damalige alte Garde übermächtig gewesen, wäre sie dergestalt in Tondokumenten vorhanden gewesen wie das heute der Fall ist. Die Künstler dieser neuen Epoche hatten das Glück -was Tonaufzeichnungen betrifft- an der Stunde null zu stehen. Nicht jedem war das recht. Bekennede Studiomuffel waren etwa Knappertsbusch oder Furtwängler. Für andere wie etwa Karajan war die neue technik eine wesentliches Mittel zum Selfdesign. Dummerweise sind immer wieder dieselben Sachen aufgenommen worden, getreu dem Motto, dass zwar schon alles aufgenommen wurde, nur halt nicht von jedem.


    Die heute Jungen tuen glaube ich ganz gut daran, sich neues Repertoire zu erschließen. Entsprechend reich gedeckt ist der Tisch mit Neu- und Ersteinspielungen des Barock und älterer Musik sowie die riesige Fülle an Repertoire abseits des HaydnMozartBeethovenBrahmsetcmainstreams.


    Für mich kann ich in der Tat sagen, dass ich keine neuen Aufnahmen von Beethovens Sinfonien bauche. Mein Bestand reicht völlig aus. Bezogen auf mein Alter sind diese Aufnahmen allerdings keine neuen, sonder die üblichen Verdächtigen meiner Generation: Böhm, Klemperer, Karajan, Horenstein, Leibowitz, Ormandy, Ansermet, Wand oder Kegel. Reicht aus, oder?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Zitat

    Warum sagt Alfred es nicht kurz und bündig:
    Die Klassikhörer sind alt und hören die alten Sachen.


    Weil er eine gute Erziehung genossen hat.
    Dort hat er gelernt: Sowas sagt ein feiner Herr NICHT :hahahaha:


    Zudem stimmt es auch nicht - denn die Jungen kaufen auch die alten Aufnahmen - vermutlich weil sie billiger sind.
    Aber ich erinnere mich genau -
    Als ich 20 war wollte ich auch keine Aufnahmen von jungen Interpreten kaufen.
    Sie waren nicht berühmt - ihr weiterer Weg war ungewiss.
    Meine Generation hat schon seit jeher die "Alten" bevorzugt.
    Zumindest auf Platte. Denn berühmt wurde man nur, wenn man vorerst
    in allen Konzertsälen der Welt, bzw in allen ersten Opernhäusern (ja das gab es damals noch)
    gesungen hatte, begonnen hat man meist in der Provinz und hat sich dann nach oben gearbeitet.
    Jungstars gab es auch - aber sie waren die Ausnahme.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Genau kann ich die Vorbereitung in der Provinz wiederum nur von Gottlob Frick berichten. Selbst als er bereits ein internationaler Star war, probierte er neue Partien gerne in Graz aus, ehe er sie im Olymp "Wiener Staatsoper" sang. Außerdem berichtete er, dass er von Berislav Klobucar immer sehr viel gelernt und profitiert hätte. Also bei der alten Garde spielte offensichtlich die Einstellung und Verantwortung gegenüber Werk, Publikum und eigener Leistung eine nicht zu unterschätzende Rolle.


    herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Dafür gibt es drei Gründe.
    1. Grund: Es wird gesparrt.
    2. Grund: Es wird gesparrt.
    3. Grund: Es wird gesparrt.


    Eine Klassik CD spielt nach den Erfahrungen, weil sie anders als bei Popmusik eigentlich kein Verfalldatum hat, seine entstandenen Kosten erst nach Ablauf von einigen Jahren ein, während eine Pop CD dieses bereits, sofern der richtige Werbeträger gut genug in Szene gesetzt worden ist (Justin Bieber) dieses schon nach wenigen Monaten.
    Dieses finanzielle Risiko !?! geht heute aber fast kein Verlag mehr ein, somit verschwinden viele "Newcomer" der Klassikszene schon nach einer CD wieder in der Versenkung.
    Und die Zeiten wo ein Opernstar 3 mal die gleiche Oper im Studio einsang sind eh vorrüber, weil dieses finanzielle Risiko spich diese finanzielle Belastung kein Verlag mehr zu tragen bereit ist.

  • Werte Mitstreiter,


    natürlich sollte mein Beitrag provozieren, bin ja selber ein ziemlich alter Knochen! :thumbup:


    Für mich kann ich in der Tat sagen, dass ich keine neuen Aufnahmen von Beethovens Sinfonien bauche. Mein Bestand reicht völlig aus. Bezogen auf mein Alter sind diese Aufnahmen allerdings keine neuen, sonder die üblichen Verdächtigen meiner Generation: Böhm, Klemperer, Karajan, Horenstein, Leibowitz, Ormandy, Ansermet, Wand oder Kegel. Reicht aus, oder?


    Gerade die Beethoven Symphonien der üblichen Verdächtigen kann man sich inzwischen im Internet anhören, brauche sie mir nicht extra zu kaufen. Es gibt noch so viele jüngere Einspielungen hervorragender Musiker, die es zu kaufen gilt. Gerade die Einspielungen mit kleineren Besetzungen bieten eine musikalische Vielfalt, die ich mir noch in Ruhe anhören werde.
    Bei mir muss der "Kosten-Nutzen-Faktor" stimmen, ich befasse mich intensiv mit dem, was ich mir zulege.


    Grüße Thomas

  • Die wichtigen Gründe, warum die alte Garde auch durch die Zeit begünstigt Vorteile gegenüber der heutigen Sängergeneration hatte, sind treffend in bester Tamino-Manier herausgearbeitet. worden. Blickt man aber über die Oper hinaus und sieht sich das Schauspiel an, dann sieht es dort ähnlich aus: Wo sind auf deutschsprachigen Bühnen heute Heroen Wie z. B. Alexander Moissi, Josef Kainz, Albert Bassermann, Heinrich George, Emil Jannings, Eugen Klöpfer, Ernst Wiemann, Erich Ponto, Gustav Gründgens Heinz Rühmann usw? Auch hier ist die Dominanz überragender Bühnenpersönlichkeiten stark gesunken bzw. es gibt sie nicht mehr.. Gibt es doch Gründe, die tiefer liegen, z. B. verursacht durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit, durch den Wandel in der Gesellschaft oder gar dadurch, dass besonders die Jugend keine Idole mehr anerkennt?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Lieber Operus,


    Du hast sicher recht, es liegt an der Schnelllebigkeit der Zeit, die alte Betrachtungsweisen wegwischt und neue offeriert, nicht zuletzt durch das Fernsehen angeregt.


    Genau wie Du bin ich geprägt von den "Alten". Um nur ein Beispiel zu nennen - der "Faust" ist für mich das deutsche Schauspiel, insbesondere geprägt durch Gründgens und Quadflieg. Vor Jahren brachte man bei uns einen Faust mit einem hier engagierten Schauspieler (Heiko Senst). Der meinte, daß er den Gründgens-Faust nicht kenne und daß man Faust sicher nicht mehr so spielen kann wie vor 50 Jahren. Entsprechend war die Inszenierung. Das erste Bild (nachdem die Vorspiele weggelassen wurden) handelte in einem Pathologiesaal, mit Blut und weiteren unangenehmen Szenen. Die weiteren Szenen habe ich vergessen, da ich zur Pause lieber mit meiner Frau essen gegangen bin.


    Warum kann man den Faust nicht mehr so spielen wie vor 50 Jahren, so wie es Goethe geschrieben hat? Im Schauspiel das gleiche Theater wie in der Oper. Jeder Regisseur erfindet ein neues Stück und nennt es "Faust" oder "Egmont". Irgendwie mag ich bald nicht mehr.


    La Roche

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    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Der Rückblick auf die (hier so genannte) "Alte Garde" ist m.E. auch immer eine Selbst-Reflexion. Wir sind mit ganz bestimmten Künstlern groß geworden und haben uns an deren Interpretationen gewöhnt. Das hat sich festgesetzt; wenn die Labels nun diese Künstler auf den Markt bringen, bleibt es nicht aus, daß wir in der Erwartung auf die im Gedächtnis abgespeicherten guten Leistungen auch kaufen. Manchmal gerät das allerdings auch zum Flop: Ich habe gerade gestern so ein Aha-Erlebnis der negativen Art mit Wolfgang Windgassen gehabt. Viele, und dazu zähle ich mich natürlich auch, neigen ja dazu, die Erinnerung an die "gute alte Zeit" zu erhöhen - daß die aber nicht immer nur schöner und besser war, als die Gegenwart, ist doch klar.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ich habe eigentlich relativ selten das Erlebnis gehabt, daß mich Aufnahmen aus der Vergangenheit, die ich einst besonders geschätzt habe nachträglich enttäuscht haben. Vielleicht liegt der Grund dafür auch hierin , daß ich allen CDs ausweiche, wo "bisher unveröffentlichte Aufnahmen" längst verstorbener Interpreten angepriesen werde. Die sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Indiz darauf, daß anno dazulam irgendjemand, sei es der Interpret, sei es der Produzent etc die Aufnahme aus Qualitätsgründen (kann auch die Tontechnik sein ) nicht zur Veröffentlichung freigegeben hat.
    Eindeutig sind heutige Aufnahmen von Barockmusik den alten gegenüber zu bevorzugen, Soloklavier ist meist gleichwertig aber anders.
    Probleme haben hier lediglich die heutigen Sänger. Sie müssen meist in Form eines leicht bearbeiteten Live-Mitschnitts gegen ihre Kollegen der Vergangenheit antreten, welche in aufwändigen Studios Aufnahmen machen durften, zudem noch stimmschmeichelnd bearbeitet....
    Ein weiteres Problem ist das Regietheater. Solche Aufführungen will ich nicht sehen - und somit kenne ich zahlreicher Stimmen der Gegenwart überhaupt nicht. Natürlich kann man hier auch auf reine Tonaufnahmen zurückgreifen, aber die heutigen Stimmen sind meist nicht su unverwechselbar markant, wie jene der Vergangenheit, Das mag eine Frage der Auswahlkriterien sein, nach denen man Sänger für ein Aufnahmeprojekt heranzieht...
    Ich verstehe ganz gut, daß jüngere Sänger in RT-Aufführungen singen MÜSSEN - aber mein Widerwille gegen das RT - auch wenn ich weiß, daß es ungerecht ist - überträgt sich unwillkürlich auf sie .....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Das Outfit fidne ich stark, ich liebe die Farbe rot.


    Nun aber noch zu einem anderen Punkt, dem Verklären der Vergangenheit.
    Ich ertappe mich auch hin und wieder dabei, das ich mir im Nachhin überlege, war die Aufführung wirklich so herausragend, oder kam es mir nur so vor, weil ich live dabei war.
    In solchen Fällen helfen inoffzielle Mitschnitte.
    Ich habe mich zum Beispiel in zwei Fällen gefragt, ob die halbszenische Frau ohne Schatten vor einigen Jahren und danach die szenische Aufführung wirklich musikalisch so gut waren.
    Ich habe dieses dann anhand von zwei Mitschnitten überprüft und kam zu dem Schluß, doch sie waren musikalisch gut, auch wenn ich die Zweite, als ich sie dann zu Hause auf CD hörte eine winzige Nuance zu schnell dirigiert empfand.

  • Ich bin gerade in den letzten paar Tagen mit der Frage "Verklärung der Vergangenheit" -ungewollt - konfrontiert worden. Und zwar weil ich im Rahmen der Sichtung und Katalogisierung (=EDV) mehrfach "historische" Aufnahmen hören konnte.
    Und so muß ich sagen: Sie klingen einfach "besser" im Sinne von "angenehmer". Die Dynamik ist ausgewogener, die Tempi moderater, man musizierte entspannter, wollte nicht um jeden Preis "originell" und "anders als die andern " sein. Wobei es etliche dennoch waren. Aber sie waren es von sich heraus - nicht weil der "Markt" es verlangte und man sich von der Konkurrenz abheben wollte. Die Aufnahmen, die mir hier die letzten tage die Augen (Ohren) öffneten, waren die Klavierkonzerte von Beethoven in der Einspielung von Wilhelm Backhaus unter Schmidt-Isserstedt, die Londoner Sinfonien von Joseph Haydn in der alten Bernstein Aufnahme für CBS - sie ist meiner Meinung nach wesentlich besser als die Haydn Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern - live.
    Und dann noch eine weitere Aufnahme - zwar von 2006 aber im Stil der alten Schule: Paul Badura Skoda spielt Mozart Klavierkonzerte...(Es gibt eine Mini-Serie davon , im speziellen Fall hörte ich die Nr 27....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Thomas Pape: Für andere wie etwa Herbert von Karajan war die neue Technik ein Mittel zum Selfdesign.

    So einfach würde ich es mir nicht machen, lieber Thomas. Herbert von Karajan hat nicht so viele Aufnahmen z.B. von den Beethoven-Sinfonien gemacht, um sich in purer Selbstdarstellung zu ergehen, sondern, er war, zumindest was Beethoven anging, ein ewig Suchender, der nicht mit seiner letzten Aufnahme auf ewig zufrieden war, sondern es noch besser machen wollte. Und da er einen untrüglichen Blick hatte für die sich immer weiter entwickelnde Technik hatte, hat er sie natürlich für diese Zwecke eingesetzt. Natürlich könnte man einwenden, dass er mit der Kameraführung seiner vielen Bildaufnahmen hauptsächlich sich selbst in Szene setzen wollte, aber dennoch hat m.E. jede neue Aufnahme wieder neue Ergebnisse gebracht, und seien es nur kleine Schritte.
    Ähnlich ging es Günter Wand mit Bruckner. Immer und immer wieder und mit den verschiedendsten Orchestern hat er Aufnahmen gemacht, seit den späten Achtzigern natürlich nur noch Live-Aufnahmen, aber deswegen natürlich nciht weniger. Auch er war ein ewig Suchender. Von den aktuell lebenden Dirigenten sehe ich ein derartiges Jahrzehnte langes Suchen nicht, wenn ich von Harnoncourt einmal absehe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Letzten Freitag zog ich ein wahres Juwel an Land: Sony classical brachtge eine aufwendige Box heraus, die neun Wagner-Produktionen aus der Met (1936 bis 1954) in hervorragender Restauration der Rundfunkbänder enthält. Dazu ein informatives Booklet von 128 Seiten.


    Zwar habe ich einen beträchtlichen Teil davon auf LPs oder CDs, aber diese Box (71 Euro) ist derart sachkundig und liebevoll gestaltet, daß man sich bereits beim stichprobenartigen Hören davon überzeugen kann, daß auch die Dynamik sensationell ist. Wenn ich da an heutige Aufnahmen denke, die oft dynamisch eingeebnet sind, kann ich nur sagen: Chapeau!


    Die Dirigenten- und Sängerriege ist wahrlich vom feinsten. Und da erkennt man wieder, daß die Altvorderen eine musikalische und stimmliche Qualität erbrachten, von der man heute nur nostalgisch träumen kann!


    Folgende Opern enthält diese sagenhafte Box, durchwegs in Gesamtaufnahmen:


    Holländer - Reiner; Hotter, Varnay, Svanholm (1950)
    Tannhäuser - Szell; Vinay,Varnay (Venus), Harshaw (Elisabeth), Hines, London (1954)
    Lohengrin - Leinsdorf; Melchior, Varnay, Thorborg, Cordon, Svéd (1943)
    Rheingold - Stiedry; Hotter, Harshaw, Novotna, Sullivan, Hawkins, Svanholm (1951)
    Walküre - Leinsdorf; Melchior, Lawrence, List, Huehn, Flagstad, Branzell (1940)
    Siegfried - Bodanzky; Melchior, Flagstad, Thorborg, Schorr, Habich, List (1937)
    Götterdämmerung - Melchior, Lawrence, Schorr, Ludwig Hofmann, Meisle (1936)
    Tristan - Bodanzky; Melchior, Flagstad, Branzell, Huehn, List (1938)
    Meistersinger - Reiner; Hopf, de los Angeles, Glaz, Schöffler, Greindl, Richard Holm (1953)


    Ein Beweis mehr, daß die alte Garde tatsächlich übermächtig ist!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

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  • der nicht mit seiner letzten Aufnahme auf ewig zufrieden war, sondern es noch besser machen wollte. Und da er einen untrüglichen Blick hatte für die sich immer weiter entwickelnde Technik hatte, hat er sie natürlich für diese Zwecke eingesetzt.


    Das sich nach 30 Jahren noch jemand in die Gedankenwelt eines Karajan hineinversetzt nenne ich Anachronismus. Ich freue mich lieber darüber, das das Klavierfestival an der Ruhr mehr Besucher hatte als jemals zuvor und das 33 Veranstaltungen restlos ausverkauft waren.


    Hört ihr Euch mal weiter eure Toten an.


  • Das sich nach 30 Jahren noch jemand in die Gedankenwelt eines Karajan hineinversetzt nenne ich Anachronismus. Ich freue mich lieber darüber, das das Klavierfestival an der Ruhr mehr Besucher hatte als jemals zuvor und das 33 Veranstaltungen restlos ausverkauft waren.


    Hört ihr Euch mal weiter eure Toten an.


    Erschütternd. Si tacuisses! (Auch Karajan war stets restlos ausverkauft.) - NB: Ein Deutschkurs für Herrn Sternberg täte dringend not.


    Übrigens ist das Wort Ruhr-Festival für uns ein Synonym für eine Durchfall-Epidemie ...

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Hört ihr Euch mal weiter eure Toten an.


    Kein guter Beitrag, nein, sogar ein sehr schlechter. Respektlos, ohne Achtung und ohne Anstand. Schade, ich hatte den Verfasser bisher anders eingeschätzt.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Vor Jahren fragte ich einen Bekannten, was er denn von Beethoven hielte. Seine Antwort: "Der interessiert mich nicht, der ist doch schon lange tot." (Offfenbar ein Bruder im Geiste von Sternberg.)

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Hört ihr Euch mal weiter eure Toten an.

    Das tue ich auch weiter und bereue nichts, weil mich künstlerischer Hochgenuss dafür vielfach entschädigt. Das schließt auch Opernaufnahmen auf DVD ein. Die Sängerriege und die Inszenierung lassen das heutige Regietheater gern vergessen. Aber jeder darf natürlich nach seiner Fason ...! Ich höre gerade Werner Hollweg mit 16 Loewe-Balladen. Er starb mit 70 und gehört auch zu den Toten. Ebenso Anton de Ridder, den ich erst in Lucia gehört habe. Sollte ich die Aufnahmen mir deshalb nicht mehr anhören? Das kann Thomas doch wohl nicht ernst gemeint haben.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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