Die Zauberflöte am Pranger – eine Spielwiese für Weltverbesserer???

  • Man mag zur Zauberflöte stehen wie man will, irgendwie ist Schikaneder damit ein Geniestreich gelungen.
    Und zwar nicht durch eine besonders geistvolle, in sich geschlossene Handlung mit eindeutiger Aussagekraft, sondern durch ein Patchwork an eigentlich nicht zueinander passenden Statements und Einzelszenen. Dass noch HEUTE sein Werk immer wieder in Frage gestellt und neu ausgedeutet wird, das macht ihm so schnell keiner nach
    Es gab und gibt schon einige Threads zum Thema „Zauberflöte“ (gegen Ende des Beitrags findet sich eine Auswahl - - und sie können bei Bedarf auch weitergeführt werden – indes halte ich – nach einer mehrjährigen Pause einen neuen Thread zum Thema für angebracht.
    Natürlich mit Schwerpunkten.
    Ich will mich hier nicht unbedingt auf die entstellenden Inszenierungen einlassen, die im Zirkus oder im „Badezimmer“ spielen - sondern allgemeine Trends bei der Betrachtung der Zauberflöte aufzeigen – und – wo ich es für richtig halte – anprangern oder mich über sie lustig machen.
    Dann möchte ich auf einen scheinbar neuen Modetrend hinweisen: „Subtiles Regietheater“ (bekommt einen eigenen Thread) – Dazu zähle ich auch die unverständliche Tatsache, dass man bei der neuen Bregenzer Inszenierung, das Stück um 45 Minuten !!! gekürzt , und gewagt hat eigenmächtig das Finale zu verändern (Dazu mehr in einem anderen Thread)


    HIER geht es hingegen um Eigenheiten des Stückes, die nun mal da sind – und die immer wieder beanstandet werden.
    Da gibt es zum einen die Bemerkung – das Stück sei „frauenfeindlich“
    Daraus ergeben sich gleich mehrer Fragen:
    Stimmt das oder nicht ?
    Vermutlich stimmt es nicht (die entsprechenden Textstellen können später noch zitiert werden.
    Meiner Meinung nach wird hier ein Frauenbild gezeichnet, welches im 18 Jahrhundert der allgemeinen Auffassung entsprach – und zudem heute noch weitgehend entspricht.
    Männerbünde – aus welchem Grunde sie sich auch immer zusammengeschlossen hatten – waren a priori eben distanziert Frauen gegenüber – und das bis in die nahe Gegenwart.
    In vielen der berühmten Gentlemen Clubs haben Frauen nach wie vor keinen Zugang. Die katholische Kirch schliesst sie nach wie vor vom Priestertum aus – trotz ausgeprägten Priestermangels.
    Ich finde nicht, dass das Stück an sich frauenfeindlich ist (und wenn es so wäre wäre das auch unabänderlich) sondern dass hier ein gewisses Verhalten gezeigt wird, das bis heute in Männerbünden nachwirkt.
    Auf die angeblich rassistischen Stellen des Stückes komme ich noch später zu sprechen, ebenso wie die immer wieder hineinprojizierten ethischen Ansprüche.
    Ein Teil derjenigen die das Stück analysiert haben können die von ihnen erwünschte Ethik mit
    einigen Aussagen von Sarastro und seines Männerbundes nicht in Einklang bringen, der andere Teil sieht in Sarastro einen heuchlerischen Guru – und sieht es gern wenn er in einer Inszenierung der Lächerlichkeit preisgegeben wird…
    Dann gibt es noch den religiösen Teil, wo zwischen Gott und ägyptischen Göttern blitzschnell
    gewechselt wird….


    Das sollte als Eingangsstatement eigentlich reichen…
    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    Die Zauberflöte - Ein Machwerk ?
    Die Zauberflöte – Oper im Spannungsfeld von Kirche, Illuminaten und Aufklärung?
    Der angebliche Bruch in der Zauberflöte
    http://www.tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=12066]
    http://www.taminoklassikforum.…page=Thread&threadID=3562]

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Alfred Schmidt: ...Dazu zähle ich die unverständliche Tatsache, dass man bei der neuen Bregenzer Inszenierung das Stück um 45 Minuten gekürzt und gewagt hat, das Finale eigenmächtig zu verändern...


    Von dieser von mir auch befürchteten Kürzung, lieber Alfred, konnte ich gottseidank in der Live-Übertragung gestern Abend kaum etwas feststellen. Die Übertragung dauerte ca. 2 Stunden und 25 Minuten, und bis auf die erste Strophe von "In diesen heil'gen Hallen" meine ich so ziemlich alles erlebt zu haben. Ein kurzer Vergleich mit Böhms Aufnahme ergabe 2 Stunden 30 Minuten, der legendären Münchener Zauberflöte (Sawallisch/Everding 2 Stunden 40 Minuten, und der Züricher Aufnahme 1987 von Harnoncourt 2 Stunden 24 Minuten. Alos zeitlich alles im grünen Bereich, zumal die fabelhaften Wiener Symphoniker unter Patrick Summers ein recht zügiges Tempo an den Tag legten.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dazu zähle ich auch die unverständliche Tatsache, dass man bei der neuen Bregenzer Inszenierung, das Stück um 45 Minuten !!! gekürzt, und gewagt hat eigenmächtig das Finale zu verändern


    Die angeblichen 45 Minuten Kürzung musst du uns aber schon näher erläutern! Das Werk wurde in einem Stück gegeben, es wurde daher das Finale des 1. Aktes weggelassen, die Handlung ging direkt in die erste Szene des 2. Aktes über, die ebenfalls gekürzt wurde. So fünf bis zehn Minuten werden da schon geopfert worden sein, die restlichen 35 müssen mir entgangen sein...


    Und der neue Gedanke im Finale war schon so was von einem Wagnis! Wie auch die verpönte Praxis, während der Ouvertüre die Vorgeschichte zur Oper auf der Bühne darzustellen und so die Besucher nur unnötig zu verwirren - igitt!


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Die 45 Minuten sind schnell erläutert, sie waren in einer der ersten Kritiken angeführt, wo auch die Abänderung des Finales erwähnt wurde. Aber es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß dieser Thread sich ausschliesslich auf die "Disneyland-Inszenierung" aus Bregenz bezieht. Sie war eine Auslöser für diesen Thread (und einen zweiten, erst gestartet wird) aber das Thema ist allgemeiner zu sehen.
    Zauberflöte "am Pranger" meint also nicht die Abweichungen vom Original, sondern daß die Zauberflöte immer wieder "an den Pranger" gestellt wird, beispielsweise wegen "Frauenfeindlichkeit" und "Rassismus", wegen "Pharisäertum" und einiger weiterer "Verfehlungen". Das passiert vor allem, weil man diesem Stück "Ethische Aussagen" unterstellt, die in Wirklichkeit vermutlich nicht vorhanden sind.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Dialog wird meines Wissens (fast) immer erheblich gekürzt. Vielleicht kommt die Zahl so zustande.


    Mit "Finale" des ersten Aktes kann hier doch wohl nur der allerletzte Chor "Wenn Tugend und Gerechtigkeit" gemeint sein, oder?
    Denn nach Partitur ist Nr. 8 "Finale" alles ab dem Stück der drei Knaben "Zum Ziele führt dich diese Bahn" Wenn das alles (inklusive "Wie stark ist nicht dein Zauberton", "Schnelle Füße...", usw.) weggelassen würde, würde ich mein Eintrittsgeld weit eher zurückfordern, als wenn das gesamte Stück auf dem Bahnhofsklo inszeniert wäre...


    Gefühlt gibt es schon 10 oder mehr threads über die Zauberflöte, auch zu ihrem Inhalt. Ich habe dort schon mehrfach meine Ansichten skizziert. Ich halte die Zauberflöte sowohl von Verächtern als auch von vielen Bewunderern (die das Libretto für zusammengestoppelten Unsinn halten) für unterschätzt. (Popularität läuft unabhängig vom Verstehen, sonst würden nicht so viele ein Stück gerne hören, dass sie auf Nachfrage für unsinnig halten.)


    Musikalisch geht sie in der Kombination oder Integration disparater Elemente und Genre-Traditionen (Singspiel, "Maschinenkomödie", Opera seria, Opera buffa) noch deutlich über die Entführung hinaus; es werden sogar Elemente der Freimaurermusik (Ouvertüre, Knaben, Proben), des Oratoriums (Chöre) und des "gelehrten Stils" (Ouvertüre, Szene der Geharnischten (Choral)) eingebunden
    Und das Libretto mag in mancher Hinsicht naiv und schnell zusammengeschustert sein. Aber es hat sich seit über 200 Jahren als recht problemlos bühnentauglich erwiesen, was mehr ist, als man von vielen anderen Libretti sagen kann.
    Und kein Geringerer als Goethe (der aus Frankfurt) fand den Plot interessant genug, um eine Fortsetzung zu entwerfen. Man muss schon ein bißchen früher aufstehen, als bloß auf ein paar oberflächliche Fragwürdigkeiten und Albernheiten im Libretto hinzuweisen, um mich davon zu überzeugen, dass der Dichterfürst hier völlig falsch gelegen hat. Wer ein symbolisches Märchen am (letztlich verfehlten) Pseudonaturalismus einiger Opern des spätern 19. Jhds, misst, liegt aber ganz sicher falsch.


    Mit einzelnen Zitaten kann man i.d.R. ALLES belegen.


    "Ein Weib tut wenig, plaudert viel" usw. -> Frauenfeindlichkeit.
    Aber "Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an" -> Gleichberechtigung (wie auch nichts dafür zu sprechen scheint, dass unter den Geweihten Tamino (als Mann) irgendwie höher rangierenwürde als Pamina)
    "Bedenkt, er ist Prinz" - "Mehr, er ist Mensch" -> Egalité


    Die Geweihten sind ein elitärer Haufen? Vielleicht. Aber die Einweihung steht im Prinzip allen offen, geschieht nach Verdienst, nicht nach Geburtsadel und einer, der bei den Proben versagt, weil sein Sinn nach Wein, Weib und Gesang steht, wie Papageno hat einen akzeptierten Platz in der Gesellschaft. Er wird weder zur Entsagung und Einweihung gezwungen noch wird er verachtet, ausgeschlossen oder muss betteln gehen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Ob sich Schikaneder bei der Erstellung des Librettos wohl soviel tiefenpsychlogische Gedanken gemacht hat, wie wir sie heute in manchen Aussprüchen sehen wollen? Oder ob er nur ein etwas dilettantischen Textbuch für ein volktümliches Theater geschaffen hat? Wer den "zweyten Theil" der Zauberflöte ("Das Labyrinth" mit der etwas an Mozart angepassten Musik von Peter von Winter), ebenfalls zu einem Libretto von Schickaneder, betrachtet, das noch dilettantischer ist, fragt sich, ob bestimmte Aussprüche in der Zauberflöte nicht nur spontane - vielleicht dem Gedankengut der Freimauer entsprungene - Einfälle ohne (jedenfalls von Schikaneder) gewollte Hintergedanken sind.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Bei "tiefenpsychologisch" ist es gerade der Witz, dass der Autor NICHT bewusst dran gedacht hat, vielleicht nichtmal dran denken konnte, sonst wäre es ja nicht "tief" oder "unbewusst"... ;)


    Und "dem Gedankengut der Freimaurer entsprungen" wäre für mich in etwa gleichbedeutend mit "Hintergedanken". Dass sehr viele Elemente (auch der Musik) den freimaurerischen Hintergrund haben, ist meines Wissen heute so gut wie unbestritten.


    Die Pointe eines symbolischen Märchens kann sein, dass es gerade für unterschiedliche Deutungen offen ist. In Braunbehrens' "Mozart in Wien" wird eine zeitgenössische Deutung referiert, die die Königin der Nacht mit reaktionären Kräften (wahlweise die Kath. Kirche oder Maria Theresia) in Verbindung bringt. Wie gesagt, kein Spintisieren eines Tiefenpsychologen aus dem 20. Jhd., sondern eine Interpretation aus den frühen 1790ern.

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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich bin davon überzeugt, daß Schikaneder genau wusste was er machte - und daß er das Libretto für SEIN Publikum geschrieben hat.
    Es war vermutlich nicht allzuviel Tiefschürfendes dabei. Er hat jegliche Menge Exotik, ein paar Freimaurer- Andeutungen und viele - nicht zueinander passende Detail miteinander vermengt - zu einem Märchen. Das wurde vom damaligen Publikum vermutlich auch so gesehen. Und da war natürlich der damalige enorme Aufwand an technischen und Beleuchtungseffekten - die Oper wurde daher von vielen auch "die neue Maschinenoper" genannt. Von "Frauenfeindlichkeit" und von "Rassismus" war damals keine Rede.


    Dennoch wurde im Laufe der Zeit immer wieder der Versuch gemacht in der Oper Werk eine Symbolik zu sehen, die einfach nicht drinnen ist. Es waren meiner Meinung nach lediglich Projektionen, die typischerweise immer ein Spiegel der Zeit waren und sich immer wieder dem jeweils herrschenden Zeitgeist anpassten.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !